TE Vfgh Erkenntnis 2020/9/22 E1868/2020

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Veröffentlicht am 22.09.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1
AsylG 2005 §3
VfGG §7 Abs2, §87 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch eine Ersatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts; Verkennung der Rechtsanschauung des VfGH durch Bezugnahme auf die Beweiswürdigung in der – bereits vom VfGH aufgehobenen – vorangegangenen Entscheidung und Zitierung untauglicher Gutachten

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.

Das Erkenntnis wird aufgehoben.

II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe

I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer ist ein aus der Provinz Nangarhar stammender Staatsangehöriger von Afghanistan, gehört der Volksgruppe der Paschtunen an und ist sunnitischer Muslim. Er wurde am 1. Jänner 2001 geboren und stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 28. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2. Im Zuge der polizeilichen Erstbefragung und der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass er gemeinsam mit seinem jüngeren Bruder aus Afghanistan geflohen sei, weil ihr Vater bei der Polizei gewesen sei. Die Taliban hätten ihr Haus in Brand gesetzt und den Vater getötet. Sein Bruder und er seien durch die Hilfe eines Freundes des Vaters entkommen. Im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan habe der Beschwerdeführer Angst um sein Leben.

3. Mit Bescheid vom 13. Jänner 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab, erkannte ihm gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm gemäß §8 Abs4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung.

4. Die gegen den abweisenden Spruchteil erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Erkenntnis vom 29. Jänner 2019 als unbegründet ab.

5. Diese Entscheidung hob der Verfassungsgerichtshof auf Grund der dagegen vom Beschwerdeführer gemäß Art144 B-VG erhobenen Beschwerde mit Erkenntnis vom 28. November 2019, E991/2019, wegen Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander auf.

Der Verfassungsgerichtshof begründete die Aufhebung im Wesentlichen damit, dass die Begründung der Entscheidung sich in weiten Teilen in Ausführungen erschöpfte, denen kein Begründungswert zukam und die sich in einigen Passagen so weit von Syntax, Grammatik und Rechtschreibung der deutschen Sprache entfernten, dass eine den rechtsstaatlichen Erfordernissen genügende Nachvollziehbarkeit – und damit eine Überprüfbarkeit durch den Verfassungsgerichtshof – nicht gegeben war. Ferner wurde die Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens mit Widersprüchen zwischen dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dem seines als Zeugen einvernommenen jüngeren Bruders begründet, die jedoch – soweit überhaupt nachvollziehbar – überwiegend spekulativ waren. Schließlich bezog sich der erkennende Richter in seiner Entscheidung wesentlich auf zwei eigens in Auftrag gegebene Gutachten eines früheren länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan, die aber die Erfordernisse tauglicher Gutachten nicht erfüllten.

6. Mit daraufhin ergangenem Erkenntnis vom 20. April 2020 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde im zweiten Rechtsgang ohne Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung erneut als unbegründet ab.

Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen erneut aus, dass das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft gewesen sei. Es sei ihm nicht gelungen, eine konkret und gezielt gegen seine Person gerichtete aktuelle Verfolgungsgefahr maßgeblicher Intensität glaubhaft zu machen. In seiner Entscheidung bezieht sich der erkennende Richter zum Teil weiterhin auf die im ersten Rechtsgang eingeholten Gutachten des früheren länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan. Ferner bezieht er sich weiterhin auf Widersprüche zwischen dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dem seines als Zeugen einvernommenen jüngeren Bruders.

7. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der mit näherer Begründung die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973) sowie auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung (Art47 Abs2 GRC) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.

8. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen und auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

II. Erwägungen

1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.

2. Nach §87 Abs2 VfGG sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, dann, wenn der Verfassungsgerichtshof einer Beschwerde stattgegeben hat, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verfassungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Die Verwaltungsgerichte bzw Verwaltungsbehörden sind demnach bei Erlassung der Ersatzentscheidung an die vom Verfassungsgerichtshof im ersten Rechtsgang geäußerte Rechtsansicht gebunden. Diese Verpflichtung besteht für die die Aufhebung der Entscheidung tragenden Gründe bzw die zugrunde liegenden rechtlichen Bewertungen des Verfassungsgerichtshofes. Ein bei Erlassung der Ersatzentscheidung begangener Verstoß gegen dieses Gebot, ohne dass sich die maßgebende Sach- und Rechtslage geändert hätte (zB VfSlg 7597/1975, 7705/1975), verletzt den Beschwerdeführer in demselben Recht wie die im ersten Rechtsgang erlassene und vom Verfassungsgerichtshof aufgehobene Entscheidung (zB VfSlg 6043/1969, 8571/1979; VfGH 18.9.2014, U73/2014).

3. Ein derartiger Fall liegt hier vor:

3.1. In seiner Beweiswürdigung bezieht sich der erkennende Richter auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 2. Mai 2019, W170 2208106-1, und stellt klar, dass die im ersten Rechtsgang eingeholten Gutachten des früheren länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan "dem gegenständlichen Verfahren nicht hinzugezogen" würden. Jedoch sei bei "Wegfall" der Gutachten "auch nicht bewiesen und geklärt, ob der Vater bei den Akbari-Milizen tätig war, ob dieser und unter welchen Umständen [er] gestorben ist. Damit musst[e] auch die negative Feststellung getroffen werden, ob der Vater noch lebt oder nicht" (S 25). Zugleich wird zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers weiterhin festgestellt (S 7):

"Der Beschwerdeführer brachte vor, dass er einer Verfolgung ausgesetzt sei, weil auf ihr Haus ein Anschlag verübt worden sei. Der Vater sei, nachdem er den Taliban die Tür geöffnet habe, verschwunden. Das Gutachten hat allerdings festgestellt, dass der Vater eines natürlichen Todes gestorben ist, an dem Haus kein Anschlag verübt wurde und die Familie in dem Haus lebt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer, weil der Vater bei den Akbari arbeitete, in seinem Herkunftsstaat einer systematischen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention […] ausgesetzt war oder ihm [im] Falle einer Rückkehr derartiges droht."

Auch in der Darstellung des Verfahrensganges werden weiterhin Teile der im ersten Rechtsgang eingeholten Gutachten des früheren länderkundlichen Sachverständigen für Afghanistan zitiert (S 3 ff.). Damit bezieht sich der erkennende Richter in seiner Ersatzentscheidung vom 20. April 2020 weiterhin wesentlich auf die in Rede stehenden Gutachten, die aber die Erfordernisse tauglicher Gutachten nicht erfüllen (vgl BVwG 2.5.2019, W170 2208106-1; VwGH 2.9.2019, Ra 2019/03/0105).

3.2. Ferner wird in der Beweiswürdigung die Unglaubhaftigkeit des Fluchtvorbringens weiterhin mit Widersprüchen zwischen dem Vorbringen des Beschwerdeführers und dem seines als Zeugen einvernommenen jüngeren Bruders begründet (S 25 ff.). Diese sind jedoch weiterhin überwiegend spekulativ. Mangels ergänzender Beweisaufnahme, insbesondere mangels Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung zur ergänzenden Befragung des Beschwerdeführers bzw seines Bruders hinsichtlich etwaiger Widersprüche, aber auch hinsichtlich des Vorbringens in Bezug auf den Vater des Beschwerdeführers nach "Wegfall" der Gutachten, hat das Bundesverwaltungsgericht jegliche Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt unterlassen.

3.3. Die angefochtene Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes hat daher bereits aus diesen Gründen die vom Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. November 2019, E991/2019, zum Ausdruck gebrachte Rechtsanschauung verkannt und den Beschwerdeführer damit erneut in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt; daran vermag auch die sonstige – allenfalls zutreffende – Begründung der angefochtenen Entscheidung nichts zu ändern.

III. Ergebnis

1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis in dem durch ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.

Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.

2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita ZPO genießt.

Schlagworte

Asylrecht, Ersatzentscheidung, Bindung (der Verwaltungsgerichte an VfGH), Ermittlungsverfahren

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E1868.2020

Zuletzt aktualisiert am

16.10.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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