Index
41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Bestätigung der Rückkehrentscheidung betreffend einen irakischen Staatsangehörigen; keine Abwägung zwischen dem Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung des Familienlebens mit seiner österreichischen, selbsterhaltungsfähigen Ehegattin und dem öffentlichen InteresseSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, insoweit damit die Rückkehrentscheidung der belangten Behörde bestätigt wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.856,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 1. Oktober 2015 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 7. Februar 2018 heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin, mit der er seit 28. Juni 2016 im gemeinsamen Haushalt lebt.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 29. Juni 2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Irak als unbegründet abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 20. Jänner 2020 als unbegründet ab. Die Revision wurde für nicht zulässig erklärt.
Begründend stellt das Bundesverwaltungsgericht fest, der Beschwerdeführer habe am 7. Februar 2018 eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet, mit der er seit 28. Juni 2016 im gemeinsamen Haushalt lebe. Beweiswürdigend wurde ausgeführt, das Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner Ehegattin sei evident. Erwähnenswert sei, dass der Beschwerdeführer die Namen der Enkelkinder seiner Ehefrau nicht exakt und fehlerfrei habe anführen können. In den rechtlichen Erwägungen weist das Bundesverwaltungsgericht zunächst darauf hin, die Ehegatten seien sich von Anbeginn des unsicheren Aufenthaltes bewusst gewesen. Es werde nicht verkannt, dass die Ehegatten ein Familienleben führen würden. Die Ehegattin habe ihre Zuneigung zum Beschwerdeführer glaubhaft dargetan. Demgegenüber lege der Beschwerdeführer sein Schwergewicht auf private und sportliche Kontakte. Die Ehegattin des Beschwerdeführers sei selbsterhaltungsfähig, weshalb es den Ehegatten zumutbar sei, den für eine Familienzusammenführung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Weg in Anspruch zu nehmen.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten, insbesondere im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gemäß Art8 EMRK und im Recht auf Gleichbehandlung Fremder untereinander gemäß ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz, BGBl 390/1973 behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof beantragt wird.
Begründend wird unter anderem vorgebracht, der Beschwerdeführer lebe seit 2016 in einer aufrechten Beziehung mit einer österreichischen Staatsbürgerin und sei seit 2018 mit jener verheiratet. Sie würden ein Familienleben führen. Die Rückkehrentscheidung stelle daher eine Verletzung des Art8 EMRK dar.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt. Eine Gegenschrift wurde weder von jenem noch vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erstattet.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht bei seiner Entscheidung unterlaufen:
4. Im vorliegenden Fall berücksichtigt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Abwägung zwar das seit 2016 bestehende Familienleben des Beschwerdeführers mit seiner österreichischen, selbsterhaltungsfähigen Ehegattin, kommt aber schließlich zum – nicht näher begründeten – Ergebnis, die öffentlichen Interessen an der Ausreise würden überwiegen. Den Ehegatten sei es zumutbar, "den für eine Familienzusammenführung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Weg in Anspruch zu nehmen, zumal dem Beschwerdeführer keine Sorgepflichten gegenüber Kindern zukommt."
5. Eine nähere Abwägung zwischen dem Interesse des Beschwerdeführers an der Aufrechterhaltung des Familienlebens gemäß Art8 EMRK und dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen unterlässt das Bundesverwaltungsgericht: Beispielsweise wird die Zumutbarkeit der Aufrechterhaltung des Ehelebens im Heimatstaat des Beschwerdeführers in keiner Weise geprüft (vgl dazu VfSlg 18.832/2009; VfGH 23.9.2019, E4948/2018).
6. Dadurch, dass das Bundesverwaltungsgericht insoweit die Abwägung gemäß Art8 EMRK unterlassen hat, ist der Beschwerdeführer durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
7. Die Entscheidung ist daher insoweit aufzuheben, als mit ihr die im angefochtenen Bescheid getroffene Rückkehrentscheidung bestätigt wird.
8. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde, insoweit damit die Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten bzw des subsidiär Schutzberechtigten bekämpft wird, abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist. Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind. Soweit durch die angefochtene Entscheidung dem Beschwerdeführer der Status des Asylberechtigten bzw des subsidiär Schutz-berechtigten nicht zuerkannt wurde, wären die gerügten Rechtsverletzungen im vorliegenden Fall aber nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob die vom Bundesverwaltungsgericht vorgenommene Beweiswürdigung in jeder Hinsicht den gesetzlichen Vorgaben entspricht, nicht anzustellen. Demgemäß wurde beschlossen, in diesem Umfang von einer Behandlung der Beschwerde abzusehen (§19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG).
III. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist durch die Bestätigung der Rückkehrentscheidung im angefochtenen Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden. Das angefochtene Erkenntnis wird daher insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 und §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– sowie eine Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in der Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, Privat- und FamilienlebenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E727.2020Zuletzt aktualisiert am
16.10.2020