TE Vwgh Beschluss 2020/9/22 Ra 2020/19/0316

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Veröffentlicht am 22.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zens sowie die Hofräte Mag. Stickler und Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Schara, in der Revisionssache des A A A, vertreten durch Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. März 2020, W105 2160419-1/26E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, stellte am 25. Juni 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend brachte er vor, er habe Afghanistan wegen der schlechten Wirtschafts- und Sicherheitslage verlassen bzw. sei er als Schüler von Paschtunen entführt und vergewaltigt worden. Die Männer hätten ihn fotografiert und mit dem Foto erpresst. Die Polizei habe ihm nicht geholfen, da er Hazara sei.

2        Mit Bescheid vom 11. Mai 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Beweiswürdigung und bringt vor, das BVwG habe das Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nicht in Bezug zur einschlägigen Berichtslage zum Herkunftsstaat gesetzt und den Umstand, dass der Revisionswerber im Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse minderjährig gewesen und nunmehr davon traumatisiert und psychisch beeinträchtigt sei, nicht berücksichtigt. Auch habe das BVwG die Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens unzulässiger Weise mit Abweichungen zwischen der Erstbefragung und den späteren Befragungen begründet.

8        Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser - als Rechtsinstanz - zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Allgemeinen nicht berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 23.1.2019, Ra 2018/19/0712 bis 0715, mwN).

9        Das BVwG setzte sich mit dem Fluchtvorbringen des (im Zeitpunkt der Antragstellung bereits volljährigen) Revisionswerbers auseinander und zeigte erhebliche, nicht bloß unwesentliche Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers sowohl zwischen der Erstbefragung und der Einvernahme durch das BFA als auch zwischen der Einvernahme durch das BFA und der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG auf. Vor diesem Hintergrund gelingt es der Revision auch mit dem Hinweis auf die Minderjährigkeit des Revisionswerbers im Zeitpunkt der fluchtauslösenden Ereignisse und seiner festgestellten psychischen Probleme nicht aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung fallbezogen unvertretbar wäre.

10       Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit auch vor, das BVwG hätte von Amts wegen ein länderkundiges Sachverständigengutachten zu dem verbreiteten Phänomen der Vergewaltigung von Hazaras durch Paschtunen und der damit für die Opfer verbundenen Gefahr einholen müssen.

11       Damit wird eine zur Zulässigkeit der Revision führende Rechtsfrage iSd. Art. 133 Abs. 4 B-VG schon deswegen nicht dargelegt, weil das BVwG überhaupt nicht in Abrede gestellt hat, dass sich eine Vergewaltigung, wie sie der Revisionswerber geschildert hat, in Afghanistan ereignen könnte, sondern vielmehr die behauptete Vergewaltigung des Revisionswerbers als nicht glaubwürdig beurteilt hat.

12       In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, das BVwG habe die psychischen Probleme des Revisionswerbers nicht berücksichtigt. Für psychisch Kranke gebe es in Afghanistan „Probleme mit der medizinischen Versorgung“.

13       Das Verwaltungsgericht stellte verschiedene (psychische) Erkrankungen des Revisionswerbers fest (u.a. eine posttraumatische Stressstörung und eine rezidivierende Depression und Angststörung) und legte seiner Entscheidung betreffend die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu Grunde, dass diese Beschwerden in seiner Herkunftsregion (Mazar-e Sharif) behandelt werden könnten. Die Revision legt mir ihrem bloß allgemein gehaltenen Vorbringen nicht dar, dass die festgestellten Erkrankungen jene Schwelle erreichen, bei der die Abschiebung des Revisionswerbers eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde (vgl. dazu etwa VwGH 21.5.2019, Ro 2019/19/0006, unter Hinweis auf EGMR 13.12.2016, Paposhvili/Belgien, 41.738/10; vgl. auch VwGH 8.8.2017, Ra 2017/19/0082, zu ähnlichen Erkrankungen).

14       Schließlich bringt die Revision zu ihrer Zulässigkeit vor, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, wann die Integration eines Asylwerbers als derart herausragend angesehen werden könne, dass eine Aufenthaltsbeendigung einen dauerhaften Eingriff in dessen Privat- und Familienleben darstelle und daher unzulässig sei. Der Revisionswerber sei „ein Paradebeispiel gelungener außergewöhnlicher Integration“.

15       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 14.7.2020, Ra 2020/19/0097, mwN).

16       Das BVwG hat alle entscheidungswesentlichen und auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände in seine Interessenabwägung einbezogen. Die Revision zeigt nicht auf, dass diese fallbezogen unvertretbar wäre.

17       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 22. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020190316.L00

Im RIS seit

10.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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