TE OGH 2020/8/26 9Ob85/19v

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Veröffentlicht am 26.08.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Franz Krainer, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagten Parteien 1. „M*****“ ***** GmbH & Co OG, *****, 2. M***** GmbH, *****, 3. B***** GmbH, *****, alle vertreten durch Scherbaum Seebacher Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Vertragsaufhebung (Streitwert 10.000 EUR) und 173.980,95 EUR sA, infolge Rekurses der beklagten Parteien gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgericht vom 6. September 2019, GZ 5 R 106/19y-85, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Leibnitz vom 24. Jänner 2019, GZ 17 C 63/16f-81, Folge gegeben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Erstbeklagte ist Vermieterin, die Klägerin Mieterin des Bestandobjekts Top ***** im Obergeschoss des Einkaufszentrums W*****. Zweit- und Drittbeklagte sind persönlich haftende Gesellschafter der Erstbeklagten. Der Mietvertrag ist befristet von 1. 1. 2016 bis 31. 12. 2020. Dem Vertrag gingen Vorgespräche voraus, die der Geschäftsführer der Klägerin gemeinsam mit einem Geschäftspartner, der für ihn als Franchisegeber für den im Bestandobjekt geplanten Gastronomiebetrieb auftreten sollte, mit dem Geschäftsführer der Drittbeklagten im September 2015 geführt hatten. Ersterem waren zu diesem Zeitpunkt die auf der Homepage des Einkaufszentrums genannten Frequenzdaten, 1,7 Mio Besucher pro Jahr, bekannt. Diese Zahl ließen sie sich vom Geschäftsführer der Drittbeklagten bestätigen. Ihren Plänen und Berechnungen legten sie ausgehend von diesen Zahlen eine (sicherheitshalber getätigte) Annahme von 1,5 Mio Besuchern pro Jahr zugrunde und rechneten so die zu erwartenden Umsätze hoch. Bei einem weiteren Gespräch legten sie die von ihnen aufgrund ihrer Hochrechnung erwarteten Umsätze dem Geschäftsführer der Drittbeklagten gegenüber auch offen. Bei diesem Termin wurde auch eine Einigung über den Vertrag erzielt. Dem Geschäftsführer der Drittbeklagten war aufgrund der Nachfrage nach den Frequenzzahlen beim ersten Gespräch und der zur Sprache gebrachten Umsatzerwartung, berechnet auf Basis der Frequenzdaten, beim zweiten Gespräch klar, dass die Frequenzzahlen für die Klägerin ein wesentlicher Punkt für den Abschluss des Mietvertrags darstellen.

Da die Umsätze bereits in den ersten Monaten weit hinter den Erwartungen zurückblieben, fragte die Klägerin per Mail neuerlich nach den Besucherzahlen, die ihr für 2015 mit 1,7 Mio und für Jänner 2016 mit 138.100 bekanntgegeben wurden.

Die Daten basieren auf einer Besucherfrequenzmessung durch das Einkaufszentrum. Dabei werden Infrarot-Leuchtschranken und Standardelektro-komponenten bei fünf der sechs Eingänge zum Einkaufszentrum verwendet. Diese Methode hat systemimmanente Fehler bei der Zählung. Jede Unterbrechung der Lichtschranke wird gezählt. Dabei können durchgehende Personen 0,5 bis 6 Zählimpulse erzeugen, abhängig davon, wie die Person sich beim Passieren der Lichtschranke bewegt. Von der Erstbeklagten wird die Anzahl der Zählimpulse halbiert und daraus die Zahl der Besucher errechnet. Weitere Anpassungen werden nicht vorgenommen. Es ist auszuschließen, dass diese Berechnungen ein korrektes Ergebnis liefern. Der korrekte Wert kann mangels Kontrollzählung nicht festgestellt werden.

Beim sechsten Eingang wird die Besucherzahl von eingemieteten Unternehmen selbst nach eigenen Kriterien gezählt und an die Erstbeklagte weitergeleitet, die diese Daten ungeprüft übernimmt. Wie diese Daten gemessen werden, kann nicht festgestellt werden. Weiters gibt es einen Zugang zum Einkaufszentrum über eine Bar, wobei die Besucher, die auf diesem Weg das Einkaufszentrum betreten und auch verlassen, nicht gezählt werden.

Von der Klägerin wurde ein Privatgutachter mit einer Frequenzzählung für März 2016 beauftragt. Dieser kam zu einem Ergebnis von 53.000 Besuchern gegenüber dem offiziell bekanntgegeben Wert von 96.500 Besuchern.

Die Klägerin begehrt die rückwirkende Aufhebung des Mietvertrags und Schadenersatz in Höhe von 173.980,95 EUR. Sie bringt vor, ihr sei im Zuge der Vertragsgespräche eine Besucherfrequenz entsprechend der Homepage der Erstbeklagten genannt worden. Diese Daten seien Vertragsgrundlage und das wesentliche Entscheidungskriterium für die Klägerin bei Abschluss des Bestandvertrags gewesen. Die Frequenz sei jedoch wesentlich geringer und die Umsätze seien weit hinter den bei den genannten Frequenzzahlen üblichen zurückgeblieben. Tatsächlich habe eine eigene Messung ergeben, dass die Frequenz nur etwa die Hälfte der von den Beklagten behaupteten betrage. Durch die falschen Frequenzzahlen sei die Klägerin listig in die Irre geführt worden. Der Irrtum sei auch wesentlich im Sinn des § 871 ABGB und kausal für den Vertragsabschluss gewesen. Das Klagebegehren werde zusätzlich auf culpa in contrahendo und § 1117 ABGB gestützt.

Die Beklagten bestritten und brachten vor, die Besucherzahlen seien kein Gesprächsthema bei den Verhandlungen gewesen und auch nicht Vertragsgrundlage geworden. Die im Privatgutachten ermittelten Frequenzzahlen seien aufgrund der verwendeten Messmethode zu niedrig.

Das Erstgericht erörterte, ein Gutachten zur Höhe der Besucherzahlen einzuholen. Die Klägerin beantragte, den Gutachter zusätzlich mit einer Überprüfung des Zählsystems der Beklagten zu beauftragen, nämlich dahingehend, ob Ein- und Austritte richtig erfasst seien, wobei die sich daraus ergebenden Zahlen mit den Daten der Beklagten abzugleichen seien. Daraufhin erklärten die Beklagten, dass eine Messung bei den einzelnen Ein- und Ausgängen aufgrund von Geheimhaltungsverpflichtungen zwischen der Beklagten und einzelnen Mietern nicht möglich sein werde, eine Frequenzmessung könne nicht durchgeführt werden. Eine Zählung der Sachverständigen werde bei keinem der Ein- und Ausgänge zugelassen werden, lediglich die Überprüfung des bestehenden Systems. Das Erstgericht erklärte, dass dieses Verhalten der Beklagten nach § 381 ZPO zu würdigen sein werde.

In der Folge wurde vom Erstgericht ein Sachverständiger mit dem Auftrag bestellt, das bestehende Besucherfrequenzmesssystem auf seine Funktionsfähigkeit und Funktionstauglichkeit sowie die Art der Auswertung zu überprüfen, weiters, ob die bestehende Anlage sämtliche Ein- und Austritte richtig erfasse. Die Beklagten stellten dazu klar, eine Kontrollzählung als nicht vom Gutachtensauftrag umfasst anzusehen und auch nicht zuzulassen. Der Sachverständige erklärte daraufhin, dass eine Funktionsfähigkeit und Fehlerquote der Anlage nur durch eine Kontrollzählung festgestellt werden könne. Auch im danach erstellten Gutachten wurde darauf hingewiesen, dass mangels Kontrollzählung nicht beantwortet werden könne, ob sämtliche Ein- und Austritte in das Shoppingcenter richtig erfasst würden.

Mit seinem Urteil im ersten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab, dabei stellte es Mindestbesucherzahlen für die Jahre 2014 bis 2016 um jeweils über 1,5 Mio pro Jahr fest. Davon ausgehend verneinte es im Wesentlichen einen Geschäftsirrtum der Klägerin.

Der dagegen erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht Folge, hob das erstinstanzliche Urteil auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Die Feststellungen des Erstgerichts hinsichtlich der Besucherzahlen basierten auf keiner nachvollziehbaren Begründung. Darüber hinaus werde das Erstgericht zu erheben haben, ob die Weigerung der Beklagten, Messungen durchführen zu lassen, berechtigt sei. Dies sei nur dann anzunehmen, wenn das Vorbringen der Beklagten zutreffe, dass sie aufgrund Geheimhaltungsverpflichtungen gegenüber den Mietern im Fall der Zulassung einer Messung mit einem großen wirtschaftlichen Schaden zu rechnen habe. Sollten keine hinreichenden Gründe für die Verweigerung der Durchführung eines Augenscheins festgestellt werden können, sei eine Verschiebung der Beweislast gerechtfertigt.

In seinem Urteil im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren neuerlich ab. Es stellte dabei zusätzlich zu den eingangs genannten Feststellungen fest, dass das Einkaufszentrum über einen Eingang verfüge, der zu einem vermieteten Geschäftslokal und von diesem in das Einkaufszentrum führe. Die Kundenfrequenz werde dort nicht vom Einkaufszentrum, sondern vom Mieter des Geschäftslokals gemessen. Mit diesem bestehe eine Vereinbarung, dass sämtliche Informationen zur Geschäftsgebarung wie Umsatzzahlen, Kundenfrequenzzahlen und Daten über Mitarbeiter nicht nach außen gelangen dürften. Die von diesem Mieter dem Einkaufszentrum bekanntgegebenen Besucherzahlen würden im Rahmen der Gesamtkundenfrequenz veröffentlicht, wogegen dieser Mieter keine Einwendungen habe, da die ihn betreffenden Zahlen daraus nicht ersichtlich seien. Einer Kontrollzählung bei den Ein- und Ausgängen zum Geschäftslokal des Mieters erteile dieser aber keine Zustimmung. Auch andere Mieter seien mit der Weitergabe von Kundenfrequenzzahlen nicht einverstanden. Es gebe jedoch keine Vereinbarung, dass die Gesamtbesucherzahl nicht bekanntgegeben werden dürfe.

Es könne nicht festgestellt werden, wie hoch die Besucherfrequenz des Einkaufszentrums in den Jahren 2014, 2015 und 2016 tatsächlich gewesen sei, und auch nicht, dass diese Besucherzahlen geringer gewesen seien als die vom Geschäftsführer der Drittbeklagten genannten und veröffentlichten Werte.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass die Beklagten gerechtfertigt die Durchführung einer Kontrollzählung verweigert hätten. Damit komme es nach der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu einer Beweislastverschiebung. Ein durch die Beklagten veranlasster Irrtum sei daher nicht nachgewiesen.

Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht Folge, hob das erstgerichtliche Urteil neuerlich auf und verwies die Rechtssache zur Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurück an das Erstgericht. Das Berufungsgericht ging in seiner Entscheidung davon aus, dass die zum Zeitpunkt des Abschlusses des Bestandvertrags veröffentlichten Frequenzzahlen zum Inhalt des Geschäfts gehörten. Grundsätzlich habe die Klägerin zu beweisen, dass ein Irrtum über wertbildende Eigenschaften des Bestandobjekts, nämlich die Besucherzahlen, vorliege, der von der Vermieterin veranlasst worden sei.

Die Verweigerung der Zulassung von Kontrollmessungen bei den Eingängen zum Einkaufszentrum durch die Beklagten sei unberechtigt erfolgt. Dass einzelne Mieter gegen die Beklagte vorgehen würden, weil Kontrollmessungen bei den Eingängen durchgeführt würden, stehe nicht fest. Darüber hinaus würde der Sachverständige keine Messungen bei den Zugängen zu den Mietern durchführen, sondern nur beim Haupteingang, wobei er davon ausgehe, daraus valide Zahlen ableiten zu können. Die unberechtigte Weigerung der Beklagten führe zur Beweislastumkehr; es sei daher davon auszugehen, dass der Klägerin der Beweis gelungen sei, dass ein beachtlicher kausaler Geschäftsirrtum vorliege. Es fehlten jedoch Feststellungen, ob die Klägerin den Vertrag bei Kenntnis der wahren Sachlage gar nicht oder anders abgeschlossen hätte. Dies sei aber relevant dafür, ob sie die Vertragsaufhebung geltend machen könne.

Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof wurde vom Berufungsgericht zugelassen, da eine allgemeine Beweislastverschiebung wegen Beweisvereitelung vom Obersten Gerichtshof abgelehnt worden sei.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Rekurs der Beklagten, der erkennbar darauf abzielt, dass die erstgerichtliche Entscheidung wiederhergestellt wird.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Der Rekurs ist zur Klarstellung zulässig und im Sinn des jedem Abänderungsantrag immanenten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Vorweg ist festzuhalten, dass die Beklagten sich nicht gegen die Rechtsauffassung des Berufungsgerichts wenden, dass die bei Abschluss des Bestandvertrags veröffentlichten Frequenzzahlen zum Inhalt des Geschäfts gehören und ein Irrtum über diese Zahlen einen beachtlichen kausalen Geschäftsirrtum darstellt. Darauf ist daher nicht weiter einzugehen.

Die Beklagten wenden sich jedoch gegen die vom Berufungsgericht angenommene Umkehr der Beweislast, da ihr eine Kontrollmessung im Hinblick auf eine mögliche Strafzahlung an Mieter wirtschaftlich nicht zumutbar und eine rückwirkende Ermittlung der Daten auch nicht möglich sei.

2. Grundsätzlich trifft jede Partei die Behauptungs- und die Beweislast für die Tatsachen, die Voraussetzung der für sie günstigen Rechtsnorm sind. Es trägt daher derjenige, der einen Anspruch behauptet, für alle anspruchsbegründenden (rechtserzeugenden) Tatsachen die Behauptungs- und Beweislast. Umgekehrt hat derjenige, der den Anspruch bestreitet, die anspruchshindernden, anspruchsvernichtenden und anspruchshemmenden Tatsachen zu behaupten und zu beweisen (RS0106638, vgl auch RS0109832).

3. Richtig hat das Berufungsgericht darauf hingewiesen, dass es – jedenfalls nach Teilen der Rechtsprechung – zu einer Verschiebung der Beweislast kommen kann, wenn eine Partei mangels genauer Kenntnis der Tatumstände ganz besondere, unverhältnismäßige Beweisschwierigkeiten hat, wogegen der anderen Partei diese Kenntnisse zur Verfügung stehen und es ihr daher nicht nur leicht möglich, sondern nach Treu und Glauben ohne weiteres zumutbar ist, die erforderlichen Aufklärungen zu geben (vgl 8 Ob 14/18v; 2 Ob 35/16k; 10 Ob 21/08y ua; aA 6 Ob 44/09b; offenlassend 4 Ob 115/17s; Rassi, Die Nähe zum Beweis – Eine Analyse der Rechtsprechung, ÖJZ 2017/45).

4. Die Frage, ob die „Nähe des Beweises“ allgemein oder im Einzelfall eine Beweislastverschiebung rechtfertigen kann, muss hier aber nicht geklärt werden. Richtig verweisen die Beklagten nämlich darauf, dass es im vorliegenden Fall nicht um die Kenntnis von Umständen geht, die aufgrund der „Beweisnähe“ den Beklagten im Gegensatz zur Klägerin zur Verfügung steht. Dies ergibt sich schon daraus, dass die Klägerin, basierend auf einem im Vorfeld eingeholten Privatgutachten, durchaus ein konkretes Vorbringen zu den Kundenfrequenzdaten erstattet hat und auch entsprechende Beweisanträge zum Nachweis ihres Vorbringens gestellt hat. Zu beurteilen ist vielmehr die Frage, ob die Beklagte ihrer Mitwirkungspflicht im Rahmen der Beweisaufnahme zu einem konkreten Vorbringen der Klägerin entsprochen hat.

5. Diese Mitwirkungspflicht ist für den Sachverständigenbeweis in § 359 ZPO geregelt.

§ 359 Abs 2 ZPO sieht vor, dass dann, wenn der Sachverständige die Mitwirkung einer Partei benötigt und ihm diese auf seine Aufforderung nicht unverzüglich geleistet wird, dies dem Gericht unter genauer Auflistung der erforderlichen Mitwirkungshandlungen und der entgegenstehenden Hindernisse mitzuteilen hat. Das Gericht hat sodann mit abgesondert nicht anfechtbarem Beschluss den Parteien das Erforderliche aufzutragen und ihnen hierfür eine angemessene Frist zu setzen. Kommen die Parteien der Aufforderung des Gerichts nicht fristgerecht nach, so hat der Sachverständige sein Gutachten ohne Berücksichtigung des Fehlenden zu erstatten.

§ 359 Abs 2 ZPO nimmt nicht darauf Bezug, wann die Partei ein Weigerungsrecht zur Mitwirkung hat, auf das sie sich beim Auskunftsverlangen des Sachverständigen berufen kann. Im Hinblick auf die allgemeinen Regelungen im Zusammenhang mit der Herausgabe von Urkunden oder Auskunftssachen oder die Duldung eines Augenscheins (§§ 304, 305, 369 ZPO) ist aber davon auszugehen, dass die Partei sich auf die dort enthaltenen Weigerungsgründe auch im Rahmen der Mitwirkungspflicht bei der Gutachtenserstellung berufen kann (vgl Schneider in Fasching/Konecny3 III/1 § 359 Rz 12; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 359 Rz 3).

Bleibt die Partei säumig, so kann sich das Fehlen einer Information unter Umständen ungünstig auf ihren Prozesserfolg auswirken. Außerdem kann die Versäumung – so wie dies nach § 381 ZPO ausdrücklich vorgesehen ist – auch im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Gerichts berücksichtigt werden (ErläutRV 962 BlgNR 21. GP 37; Rechberger/Klicka aaO Rz 4 mwN).

6. Das bedeutet, dass ebenso wie das Nichterscheinen zur Parteienvernehmung oder die Weigerung, auf bestimmte Fragen zu antworten (§ 381 ZPO), das Unterlassen einer Mitwirkung der Partei am Sachverständigenbeweis (§ 359 ZPO) oder die sonstige Verletzung der Wahrheits-, Vollständigkeits- oder Prozessförderungspflicht oder die Verletzung der prozessualen Aufklärungspflicht nach § 272 Abs 1 ZPO Anlass für den Tatrichter sein kann, bestimmte Prozessbehauptungen des Gegners für wahr zu halten (7 Ob 268/08z; vgl RS0119925). Die Beweislast wird durch diese Mitwirkungspflicht dagegen nicht verändert. Kommt das Gericht auch unter Berücksichtigung der Umstände, unter denen die Mitwirkung verweigert wird, zu einer Negativfeststellung, geht diese zu Lasten der mit dem Beweis belasteten Partei.

7. In ihrer Berufung hat die Klägerin, wenn auch unrichtig im Rahmen der Beweisrüge, geltend gemacht, dass die Beklagten nicht berechtigt waren, die Kontrollzählung durch den Gerichtssachverständigen zu verweigern. Weiters hat sie darauf verwiesen, dass eine Kontrollzählung jedenfalls am Haupteingang erfolgen könne, anonym sei und es ermöglichen würde, festzustellen, wie hoch der tatsächliche Zählimpulsfaktor ist. Im Rahmen der Tatsachenrüge hat sie die Feststellung bekämpft, dass die Besucherfrequenz in den Jahren 2014 bis 2016 nicht festgestellt werden könne. Auch dabei verwies sie darauf, dass sich die Beklagte entgegen der Ansicht des Erstgerichts ohne Rechtsgrundlage geweigert habe, einer Kontrollzählung die Zustimmung zu erteilen.

Mit diesen Argumenten, Verfahrensmangel wegen unrichtiger Akzeptanz der Weigerung der Beklagten zur Kontrollzählung, unrichtiger Tatsachenfeststellung aufgrund Nichtberücksichtigung von Beweisergebnissen, hat sich das Berufungsgericht ausgehend von seiner vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht nicht befasst. Der Beschluss des Berufungsgerichts war daher schon aus diesem Grund aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

8. Dem Rekurs der Beklagten war daher Folge zu geben und die Rechtssache an das Berufungsgericht zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der Klägerin zurückzuverweisen.

Der Kostenvorbehalt gründet auf § 52 ZPO.

Textnummer

E129357

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00085.19V.0826.000

Im RIS seit

15.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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