TE Lvwg Erkenntnis 2020/9/3 LVwG-2020/45/1648-5, LVwG-2020/45/1649-5, LVwG-2020/45/1650-5, LVwG-2020

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Entscheidungsdatum

03.09.2020

Index

40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VStG 1991 §49 Abs1;
ZustG §7

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seine Richterin Dr.in Stemmer über die Beschwerden der Frau AA, wohnhaft in Adresse 1, Z, vertreten durch ihre Mutter Frau BB, gegen die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck jeweils vom 21.07.2020, Zl*** (zu LVwG-2020/45/1648), Zl*** (zu LVwG-2020/45/1649), Zl*** (zu LVwG-2020/45/1650) und Zl*** (zu LVwG-2020/45/1651), betreffend eine Angelegenheit nach dem Verwaltungsstrafgesetz (VStG), nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung,

zu Recht:

1.       Den Beschwerden wird Folge gegeben und die angefochtenen Bescheide betreffend die Zurückweisung wegen Verspätung ersatzlos behoben.

2.       Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.       Verfahrensgang:

Mit den nunmehr angefochtenen (gleichlautenden) Bescheiden der belangten Behörde vom 21.07.2020, Zl***, Zl***, Zl*** und Zl***, wurden die von der Beschwerdeführerin eingebrachten Einsprüche gegen die Strafverfügungen alle datierend mit 15.06.2020, gemäß § 49 Abs 1 iVm Abs 3 VStG als verspätet eingebracht zurückgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, dass ein Einspruch gegen eine Strafverfügung nach § 49 VStG binnen zwei Wochen nach Zustellung der Behörde eingebracht werden müsse. Wie sich nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens ergeben habe, seien die Strafverfügungen am 01.07.2020 persönlich übernommen und somit zugestellt worden. Dagegen habe Frau BB verspätet, nämlich am 18.07.2020 Einspruch erhoben. Da der Einspruchwerber somit die gesetzlich festgelegte Frist versäumt habe, sei der Einspruch im Sinne des zitierten Gesetzestextes zurückzuweisen gewesen.

Gegen diese Bescheide hat die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre Mutter, fristgerecht Beschwerden erhoben und brachte dazu vor, dass sie bei gründlicher Durchsicht der Akten bemerkt habe, dass die vier Strafverfügungen und auch die vier Bescheide betreffend die Zurückweisungen alle an die alte Adresse der Beschwerdeführerin verschickt worden seien. Die Beschwerdeführerin hole einmal pro Woche die Post beim alten Vermieter ab und übergebe sie dann prompt ihrer Mutter. Ein am 04.08.2020 geführtes Telefonat mit der belangten Behörde habe ergeben, dass vor der Versendung der Strafverfügungen wohl auf die Abfrage im Zentralen Melderegister vergessen worden sei. Diverse Strafverfügungen der Abteilung Verkehr seien korrekt an den neuen Wohnsitz in Z versendet worden, der Mitte Mai 2020 gemeldet worden sei. Durch den verzögerten Empfang sei es nicht möglich gewesen, termingerecht Einspruch zu erheben. Der Fehler liege eindeutig in der Sphäre der belangten Behörde.

Zur Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes wurde Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in die verwaltungsbehördlichen Akten sowie in die Akten des Landesverwaltungsgerichts Tirol. Am 03.09.2020 fand am Landesverwaltungsgericht Tirol eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in deren Rahmen die Beschwerdeführerin unter Einbeziehung ihrer Rechtsvertreterin (Mutter) einvernommen wurde.

II.      Sachverhalt:

Mit Datum vom 15.06.2020 erließ die belangte Behörde zu den Zahlen ***, ***, *** und *** vier Strafverfügungen betreffend jeweils einer Übertretung des § 20 lit c Tiroler Landes-Polizeigesetz. Die Strafverfügungen ergingen an die Beschwerdeführerin unter der Adresse Adresse 2, Y.

Die Beschwerdeführerin war im Zeitraum 26.07.2019 bis 12.05.2020 unter dieser Adresse (Adresse 2, Y) gemeldet; seit 12.05.2020 ist sie im Zentralen Melderegister aufrecht in Z, Adresse 1, mit Hauptwohnsitz gemeldet und auch dort wohnhaft.

Die Strafverfügungen vom 15.06.2020 wurden gemeinsam in einem Kuvert versendet. Der im Akt einliegende Rückschein weist bei der Übernahmebestätigung das Datum 01.07.2020 aus, angekreuzt ist dabei das Feld „Empfänger“. Fest steht, dass die auf dem Rückschein befindliche Unterschrift nicht jene der Beschwerdeführerin ist. Diese hat in regelmäßigen Abständen – ca einmal pro Woche – die Post an ihrer alten Adresse geholt. In diesem Zusammenhang sind ihr die vier Strafverfügungen am 07.07.2020 tatsächlich zugekommen.

III.     Beweiswürdigung:

Dieser Sachverhalt ergibt sich aus der dem Landesverwaltungsgericht vorliegenden Aktenlage sowie insbesonders aufgrund der Einvernahme der Beschwerdeführerin in der durchgeführten mündlichen Verhandlung. Dabei hat sich anhand der durchgeführten Unterschriftenprobe eindeutig ergeben, dass die Unterschrift am Rückschein nicht mit jener der Beschwerdeführerin ident ist. Sowohl die Beschwerdeführerin als auch ihre Mutter haben zudem glaubhaft versichert, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Zustellung – 01.07.2020 – seit Wochen nicht mehr an der Adresse 2 in Y. wohnhaft und auch nicht gemeldet war. Sie hat nur sporadisch dort die Post abgeholt. Dies wird auch durch die vom Landesverwaltungsgericht eingeholte Auskunft des Zentralen Melderegisters bestätigt; die Beschwerdeführerin ist seit dem 12.05.2020 nicht mehr an dieser Adresse gemeldet.

Hinsichtlich dem tatsächlichen Zukommen der Strafverfügungen hat die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung glaubhaft ausgeführt, dass sie gleich nachdem sie die Strafverfügungen geholt und geöffnet hat, diese fotografiert und einem Freund per WhatsApp geschickt hat. Vor Gericht legte sie die entsprechende Kommunikation vor. Insgesamt bestanden somit keine Bedenken festzustellen, dass die Strafverfügungen der Beschwerdeführerin am 07.07.2020 tatsächlich zugekommen waren.

IV.      Rechtslage:

Die entscheidungsrelevante Bestimmung des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG), BGBl Nr 52/1991 idF BGBl I Nr 57/2018 lautet wie folgt:

§ 49.

(1) Der Beschuldigte kann gegen die Strafverfügung binnen zwei Wochen nach deren Zustellung Einspruch erheben und dabei die seiner Verteidigung dienlichen Beweismittel vorbringen. Der Einspruch kann auch mündlich erhoben werden. Er ist bei der Behörde einzubringen, die die Strafverfügung erlassen hat.

(2) Wenn der Einspruch rechtzeitig eingebracht und nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, ist das ordentliche Verfahren einzuleiten. Der Einspruch gilt als Rechtfertigung im Sinne des § 40. Wenn im Einspruch ausdrücklich nur das Ausmaß der verhängten Strafe oder die Entscheidung über die Kosten angefochten wird, dann hat die Behörde, die die Strafverfügung erlassen hat, darüber zu entscheiden. In allen anderen Fällen tritt durch den Einspruch, soweit er nicht binnen zwei Wochen zurückgezogen wird, die gesamte Strafverfügung außer Kraft. In dem auf Grund des Einspruches ergehenden Straferkenntnis darf keine höhere Strafe verhängt werden als in der Strafverfügung.

(3) Wenn ein Einspruch nicht oder nicht rechtzeitig erhoben oder zurückgezogen wird, ist die Strafverfügung zu vollstrecken.

Die entscheidungsrelevante Bestimmung des Zustellgesetzes (ZustG), BGBl Nr 200/1982 idF BGBl I Nr 5/2008 lautet wie folgt:

Heilung von Zustellmängeln

§ 7.

Unterlaufen im Verfahren der Zustellung Mängel, so gilt die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist.

V.       Erwägungen:

Die Frist zur Erhebung eines Einspruches gegen eine Strafverfügung beträgt gemäß § 49 Abs 1 VStG zwei Wochen nach deren Zustellung.

Im konkreten Fall hat die belangte Behörde die vier Strafverfügungen (in einem Kuvert) an die alte Adresse der Beschwerdeführerin in Y, Adresse 2, erlassen. Die Beschwerdeführerin war zu diesem Zeitpunkt dort seit dem 12.05.2020 nicht mehr wohnhaft (und auch nicht mehr gemeldet), es lag somit keine Abgabestelle iSd § 2 Z 4 ZustG mehr vor.

§ 7 ZustG normiert für den Fall, dass im Verfahren der Zustellung Mängel unterlaufen, dass die Zustellung als in dem Zeitpunkt dennoch bewirkt gilt, in dem das Dokument dem Empfänger tatsächlich zugekommen ist. Ein tatsächliches Zukommen setzt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes voraus, dass der vom Gesetz vorgesehene Empfänger tatsächlich in den Besitz des zuzustellenden Schriftstückes kommt (vgl ua VwGH vom 09.04.2020, Ro 2020/16/0004). Dies war wie festgestellt bei der Beschwerdeführerin am 07.07.2020 der Fall. Die am 18.07.2020 erhobenen Einsprüche gegen die Strafverfügungen waren somit innerhalb der Frist des § 49 Abs 1 VStG und damit rechtzeitig. Die Zurückweisungen wegen Verspätung erfolgten zu Unrecht.

Im Ergebnis war daher der Beschwerde Folge zu geben und die Bescheide betreffend die Zurückweisung der Einsprüche wegen Verspätung ersatzlos zu beheben.

VI.      Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Soweit die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof in Wien für zulässig erklärt worden ist, kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung dieser Entscheidung eine ordentliche Revision erhoben werden. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision kann innerhalb dieser Frist nur die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden.

Wenn allerdings in einer Verwaltungsstrafsache oder in einer Finanzstrafsache eine Geldstrafe von bis zu Euro 750,00 und keine Freiheitsstrafe verhängt werden durfte und im Erkenntnis eine Geldstrafe von bis zu Euro 400,00 verhängt wurde, ist eine (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichthof wegen Verletzung in Rechten nicht zulässig.

Jedenfalls kann gegen diese Entscheidung binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, erhoben werden.

Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die (ordentliche oder außerordentliche) Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Verwaltungsgericht einzubringen.

Es besteht die Möglichkeit, für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof und für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahrenshilfe zu beantragen. Verfahrenshilfe ist zur Gänze oder zum Teil zu bewilligen, wenn die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten bzw wenn die zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel weder von der Partei noch von den an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint.

Für das Beschwerdeverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist beim Verfassungsgerichtshof einzubringen. Für das Revisionsverfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof ist der Antrag auf Verfahrenshilfe innerhalb der oben angeführten Frist im Fall der Zulassung der ordentlichen Revision beim Verwaltungsgericht einzubringen. Im Fall der Nichtzulassung der ordentlichen Revision ist der Antrag auf Verfahrenshilfe beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen; dabei ist im Antrag an den Verwaltungsgerichtshof, soweit dies dem Antragsteller zumutbar ist, kurz zu begründen, warum entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Zudem besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.

Landesverwaltungsgericht Tirol

Dr.in Stemmer

(Richterin)

Schlagworte

Umgehungskonstruktion;
Personenbetreuungsvertrag;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGTI:2020:LVwG.2020.45.1648.5

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Tirol LVwg Tirol, https://www.lvwg-tirol.gv.at
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