Index
50/01 Gewerbeordnung;Norm
GewO 1994 §79 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Griesmacher und die Hofräte DDr. Jakusch, Dr. Gruber, Dr. Stöberl und Dr. Blaschek als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Marihart, über die Beschwerde der H OEG in E, vertreten durch Dr. S, Dr. I und Mag. M, Rechtsanwälte in W, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 18. März 1997, Zl. WST1-BA-9685, betreffend Verfahren gemäß § 79 GewO 1994, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem Bescheid des Landeshauptmannes von Niederösterreich vom 18. März 1997 wurde der Beschwerdeführerin gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 folgende bis zum 31. Mai 1997 zu erfüllende und beim Betrieb ihrer Gastgewerbebetriebsanlage an einem näher bezeichneten Standort einzuhaltende Auflage vorgeschrieben:
"Die Musikanlage ist in ihrer Ausgangsleistung so zu begrenzen, daß bei Vollausschlag sämtlicher der Lautstärke- und Klangregelung dienender Regelelemente der A-bewertete äquivalente Dauerschallpegel bei Abspielen eines beliebigen Tonträgers, gemessen in 2 m Entfernung vor jedem der im Betrieb vorhandenen Lautsprecher, den Wert von 70 dB nicht überschreitet. Als Maßnahme der Lautsstärkenbegrenzung kommt der Einbau eines Dynamikkompressors in Frage, welcher unabhängig von der aufgenommenen Lautstärke des Tonträgers die Lautstärke im Ausgangsteil entsprechend der obigen Anforderung begrenzt. Nach Durchführung der Maßnahme ist der Gewerbebehörde ein Meßbericht einer staatlich autorisierten Prüfanstalt für Lärmschutz oder eines ähnlich qualifizierten Fachunternehmens vorzulegen, aus dem eine Beschreibung der Musikanlage, der Verstärker und der Plombierung der Anlage neben dem konkreten Meßergebnis als Nachweis der Einhaltung der oben genannten Anforderungen ersichtlich sein müssen."
In der Begründung dieses Bescheides wird zunächst dargelegt, die Beschwerdeführerin habe in ihrer gegen den erstbehördlichen Bescheid erhobenen Berufung ausgeführt, jene Person, die über die Lärmemissionen aus dem Gastgewerbebetrieb Beschwerde geführt habe, sei nicht Nachbar im Sinn der Gewerbeordnung, da ihre Wohnung über keine rechtskräftige Benützungsbewilligung verfüge. Dieses Berufungsvorbringen sei nicht geeignet, die erstinstanzliche Entscheidung in Frage zu stellen. Es sei nämlich im nunmehrigen nach § 79 Abs. 1 GewO 1994 geführten Verfahren kein anderer oder strengerer Maßstab für die Lärmbelästigung herangezogen worden. Bereits mit Bescheid vom 30. April 1996, mit welchem eine Änderung der in Rede stehenden Betriebsanlage genehmigt worden sei, sei die Stereoanlage nur für das Abspielen von Hintergrundmusik gewerbebehördliche genehmigt worden. Die Beschwerde der Nachbarin habe sich nur darauf bezogen, daß diese genehmigte Betriebsart nicht eingehalten werde. Durch die Vorschreibung der gegenständlichen zusätzlichen Auflage solle kein weiterer Schutz der Nachbarin gewährleistet werden, Ziel der Gewerbebehörde sei es lediglich, den bereits genehmigten konsensgemäßen Betrieb sicherzustellen. Da die mit dem vorgenannten Bescheid vorgeschriebenen Auflagen offensichtlich nicht geeignet gewesen seien, den konsensgemäßen Betrieb zu gewährleisten, sei nunmehr die gegenständliche zusätzliche Auflage vorgeschrieben worden. Der Schutz der Nachbarrechte sei dadurch nicht erweitert, sondern lediglich sichergestellt worden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof erachtet sich die Beschwerdeführerin in dem subjektiven Recht auf Betrieb einer Musikanlage ohne den Einbau von Lautstärkebegrenzungen in Form eines "Dynamikkompressors" in ihrer Gastgewerbe- und Betriebsanlage verletzt. In Ausführung des so bezeichneten Beschwerdepunktes führt sie aus, unabhängig davon, ob es bei Vorschreibung der in Rede stehenden Auflage um die Erweiterung oder die Sicherstellung von Nachbarrechten gehe, gestehe die Behörde zu, daß es sich jedenfalls um Nachbarrechte handle. Daraus folge, daß sich die Behörde auch mit dem Nachbarbegriff der Bestimmungen der Gewerbeordnung auseinanderzusetzen habe. Der Nachbarbegriff sei im § 75 Abs. 2 GewO 1994 definiert und es sei die Nachbareigenschaft jedenfalls dann nicht gegeben, wenn der Aufenthalt der betreffenden Person durch die Rechtsordnung nicht gedeckt sei. Obwohl schon aktenkundig gewesen sei, daß hinsichtlich des Wohnobjektes der "Nachbarin" die Benützungsbewilligung nicht vorgelegen sei, habe sich die Beschwerdeführerin auf den Bauakt berufen und die Einsichtnahme in denselben beantragt. Da die Behörde offensichtlich davon ausgehe, es sei aus rechtlichen Gründen von keiner Relevanz, daß die fragliche Person nicht als Nachbarin im Sinne des § 75 Abs. 2 GewO 1994 anzusehen sei, sei dieser Beweis nicht durchgeführt worden oder zumindest der Beschwerdeführerin hinsichtlich des Ergebnisses dieser Beweisaufnahme keine Mitteilung gemacht und damit das Recht auf Parteiengehör verletzt worden. Die Relevanz dieses Umstandes liege auf der Hand, da bei Feststellung dieser Tatsachen die Behörde hätte zu dem Ergebnis kommen müssen, daß für die gegenständliche Wohnung die Benützungsbewilligung fehle und auch nicht nachträglich erteilt werden könne. Darüberhinaus werde in dem angefochtenen Bescheid davon ausgegangen, daß die zumutbare Lautstärke von der Beschwerdeführerin überschritten worden sei. Auch wenn dies von der Behörde bestritten werde, gehe es wohl ausschließlich um den Schutz der in der Nachbarwohnung wohnenden Person, welcher aber die Nachbareigenschaft fehle. Die Behörde habe die gegenständliche Auflage auch nicht vorschreiben dürfen, da sie unverhältnismäßig sei. Es könne wohl kein Zweifel darüber bestehen, daß es der Beschwerdeführerin möglich sei, die Musikanlage mit "Hintergrundmusik" zu betreiben, ohne daß diese technisch aufwendige und kostspielige Auflage vorgeschrieben werde. Hier liege offensichtlich ein Mißtrauen gegenüber der Beschwerdeführerin vor.
Gemäß § 79 Abs. 1 GewO 1994 in der im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides anzuwendenden Fassung vor der Gewerberechtsnovelle 1997, BGBl. Nr. 63, hat die Behörde, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, daß die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben.
Nach dem diesbezüglich eindeutigen Wortlaut dieser Gesetzesstelle setzt die Vorschreibung von anderen oder zusätzlichen Auflagen nach dieser Gesetzesstelle voraus, daß trotz Einhaltung der dem Genehmigungsbescheid zu Grunde liegenden Betriebsbeschreibung und der dort vorgeschriebenen Auflagen die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen nicht hinreichend geschützt sind. Hingegen rechtfertigt der Umstand allein, daß die genehmigte Betriebsanlage nicht konsensgemäß betrieben wird, nicht die Vorschreibung einer anderen oder zusätzlichen Auflage mit dem alleinigen Ziel, den konsensgemäßen Betrieb zu gewährleisten.
Es war daher verfehlt, wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid die Vorschreibung der in Rede stehenden Auflage allein darauf stützte, daß die Beschwerdeführerin die gegenständliche Musikanlage entgegen dem Genehmigungsbescheid nicht bloß für das Abspielen von Hintergrundmusik benützte. Es hätte vielmehr auch der auf das Ergebnis entsprechender Ermittlungen gestützten Feststellungen bedurft, daß einerseits die Einhaltung der in der dem Genehmigungsbescheid zu Grunde liegenden Betriebsbeschreibung enthaltenen Grenze der Lautstärke einer Hintergrundmusik ohne weitere Auflagen nicht gewährleistet ist bzw. werden kann und andererseits durch eine tatsächlich geschehene Überschreitung dieser Grenze die Gefahr manifest wurde, Nachbarn könnten durch Überschreitung dieser Lärmgrenze in ihrer Gesundheit gefährdet oder - sofern nicht die Voraussetzungen des § 79 Abs. 2 erster Satz GewO 1994 gegeben sind - in einem die Grenze des § 74 Abs. 2 Z. 2 GewO 1994 übersteigenden Maß belästigt werden.
Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit. Er war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997040084.X00Im RIS seit
07.06.2001