TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/8 W124 2136513-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.06.2020
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Entscheidungsdatum

08.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §55
VwGVG §28 Abs5

Spruch

W124 2136513-2/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. FELSEISEN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.

II.      Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom XXXX auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG stattgegeben und XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von zwei Jahren ab Rechtskraft dieser Entscheidung erteilt wird.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Vorverfahren:

I.1.1. Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger von Afghanistan, stellte nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Am selben Tag erfolgte seine Erstbefragung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. In der Folge wurde er am XXXX niederschriftlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: Bundesamt) einvernommen.

I.1.2. Nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX , Zl. XXXX , sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem BF wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs.- 4 AsylG eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt.

Festgestellt wurde, dass der BF afghanischer Staatsangehöriger sei und der Glaubensrichtung des Islams angehöre. Er gehöre mütterlicherseits der Volksgruppe der Hazara und väterlicherseits der Volksgruppe der Paschtunen an. Der BF leide an keiner behandlungsbedürftigen Krankheit, sei arbeitsfähig und strafrechtlich unbescholten. Ab seinem achten Lebensjahr habe er mit seinen Eltern in der iranischen Stadt Mashad gelebt und habe dort drei Jahre eine afghanische Schule besucht. Im Alter von 16 Jahren habe er ein Jahr in der Türkei gelebt. In der Folge habe er fünf bis sechs Jahre in Griechenland verbracht. Bis zu seiner Ausreise aus Griechenland sei er der Tätigkeit als Arbeiter auf diversen Obstplantagen nachgegangen. In Afghanistan habe er keine Verwandte oder enge Bekannte, mit welchen er Kontakt pflege. Dem BF drohe im Herkunftsstaat keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aufgrund seiner politischen Gesinnung. Es bestünden jedoch Gründe für die Annahme, dass er im Fall der Zurückweisung, Zurück- oder Abschiebung nach Afghanistan in eine existenzbedrohende Notalge gerate und er seinen Lebensunterhalt nicht selbstständig sichern könne. Auf den Seiten 15 bis 75 des Bescheids wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation in Afghanistan getroffen.

In der Beweiswürdigung wurde hinsichtlich der Situation des BF im Fall seiner Rückkehr ausgeführt, dass er sich seit seinem achten Lebensjahr außerhalb Afghanistans aufhalte und er keinen Kontakt zu in Afghanistan aufhältigen Personen habe. Es sei sohin kein soziales Netz vorhanden, welches ihn im Fall der Rückkehr auffangen könne. Der BF habe lediglich eine Schulausbildung von wenigen Jahren sowie Berufserfahrung als Hilfsarbeiter in verschiedenen landwirtschaftlichen Betrieben im Iran und in Griechenland. Sein Vater halte sich in Afghanistan auf, der BF habe jedoch keinen Kontakt zu ihm und wisse nicht, wo er sich aufhalte. Es würden sohin Umstände vorliegen, aufgrund derer man nicht ausschließen könne, dass der BF in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten werde.

Rechtlich wurde hinsichtlich Spruchpunkt II. erwogen, dass die Mutter des BF bereits verstorben sei und er keine Geschwister habe. Kontakt zu seinem Vater, der in Afghanistan lebe, habe er nicht. Seit seinem achten Lebensjahr befinde er sich außerhalb Afghanistans. Zudem verfüge er über keine wesentliche Schulausbildung. Aufgrund dieser individuellen Umstände in Verbindung mit der prekären Sicherheitslage in Afghanistan erscheine seine Existenzgrundlage im Herkunftsstaat gefährdet, weshalb eine Verbringung nach Afghanistan eine Verletzung von Art. 3 EMRK begründe.

I.1.3. Die fristgerecht gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheids erhobene Beschwerde wurde nach Erteilung eines Verbesserungsauftrags mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom XXXX , XXXX , gemäß § 13 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG als unzulässig zurückgewiesen.

I.1.4. Mit Bescheid vom XXXX , Zl. XXXX , wurde die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF bis XXXX verlängert.

I.2. Gegenständliches Verfahren:

I.2.1. Am XXXX stellte der BF den gegenständlichen Antrag auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung.

I.2.2. Am XXXX wurde der BF niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

Zu seiner Person gab der BF an, er spreche Dari, Farsi, Türkisch und ein wenig Griechisch. Ferner spreche er ein wenig Deutsch und könne die deutsche Schrift auch lesen. Er sei gesund, nehme keine Medikamente und befinde sich auch nicht in Behandlung. Hinsichtlich seines Verlängerungsantrags brachte er vor, er wolle legal in Österreich bleiben und möchte daher, dass sein Antrag verlängert werde.

In der Folge wurde dem BF vorgehalten, dass ein Aberkennungsverfahren gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG eingeleitet worden sei. Ihm sei aufgrund mangelnder Schulbildung und fehlender Berufsausbildung der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden. Mittlerweile sei er allerdings erwerbsfähig und habe sich im Bundesgebiet weiterentwickelt. Zur beabsichtigten Aberkennung des Schutzstatus brachte der BF vor, er wolle in Österreich bleiben und wisse nicht, wo er hingehen soll.

Hinsichtlich allfälliger Identitätsdokumente führte der BF an, er sei im Iran aufgewachsen und habe weder einen afghanischen Reisepass, noch eine afghanische Tazkira. Zu seiner Person gab er an, er gehöre der schiitischen Glaubensgemeinschaft sowie der Volksgruppe der Hazara an. In Afghanistan habe er niemanden mehr. Seine Eltern hätten im Iran gelebt und seien dann wieder nach Afghanistan zurückgegangen. Seine Mutter sei verstorben, sein Vater lebe in Afghanistan. Als er noch im Iran gewesen sei, hätten seine Eltern beschlossen, in den Herkunftsstaat zurückzukehren. Der BF sei gegen diese Entscheidung gewesen und sei auf Empfehlung seiner Mutter nach Europa gereist. Zu seinem Vater habe er keinen Kontakt und wolle dies auch nicht. Er habe noch Onkel und Tanten väterlicherseits, welche im Herkunftsstaat leben. Diese habe er aber noch nie gesehen und er wisse auch nichts über sie. Freunde habe er in Afghanistan nicht.

Zu seinem Leben in Österreich brachte er vor, er habe keine Verwandte. Die Schule oder eine Universität besuche er nicht, er habe aber Deutschkurse gemacht. Zudem habe er einen Schweißkurs sowie einen Führerscheinkurs besucht. Die Fahrprüfung habe er jedoch noch nicht absolviert. Der BF sei finanziell unabhängig und bestreite seinen Lebensunterhalt durch seine Erwerbstätigkeit. Aktuell arbeite er für das Unternehmen „ XXXX “. Insgesamt habe er in Österreich bereits ein Jahr und acht Monate gearbeitet. Eine abgeschlossene Berufsausbildung habe er nicht. Er habe hierfür keine Zeit gehabt und habe einfach arbeiten wollen. In seiner Freizeit spiele er mit Freunden Fußball. Er lebe in einer WG und bezahle € 300 ,-- an Mietzins. Über Privatbesitz verfüge er nicht. Er habe Freunde in Österreich, eine Freundin bzw. eine Lebensgefährtin habe er jedoch nicht. In einem Verein sei er nicht Mitglied. Im Jahr 2015 sei er einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgegangen, die Bestätigungen würden bereits vorliegen.

In der Folge wurde die Bedeutung der allgemeinen Länderfeststellungen des Bundesamtes erörtert und dem BF die Möglichkeit zur Einsicht- und Stellungnahme eingeräumt. Der BF verichtete auf eine Stellunganhme und hielt fest, dass er in Afghanistan nur seinen Vater habe und nicht zurückkehren solle.

Im Zuge der Einvernahme wurden folgende verfahrensrelevante Dokumente in Kopie in Vorlage gebracht:

-        Lohnzettel August 2019, aus welchem hervorgeht, dass der Beschwerdeführer bei dem Unternehmen „ XXXX “ als Sortierer beschäftigt ist und im angegebenen Zeitraum ein Nettoeinkommen in der Höhe von € 1.643,13 erzielt hat;

-        ÖSD-Zertifikat A2 vom XXXX ;

-        Teilnahmebestätigung Deutschkurs B1 – Integrationskurs Teil 5, ausgestellt am XXXX vom XXXX ;

-        Kursbesuchsbestätigung für das Projekt Metallgrundausbildung für asylberechtigte Personen im Zeitraum von XXXX bis XXXX ;

-        Teilnahmebescheinigung für die Bildungsveranstaltung Schweißtechnik in der Zeit von XXXX bis XXXX , ausgestellt am XXXX vom XXXX ;

-        Zertifikat betreffend Schweißen nach ÖNORM EN ISO 9606 -1:2014 vom XXXX ;

-        Kompetenzbestätigung des XXXX , aus welchem hervorgeht, dass der BF von XXXX bis XXXX als Dienstnehmer im Ausmaß von 38 Wochenstunden beschäftigt gewesen ist und in dieser Zeit verschiedene Kompetenzen (Kenntnisse betreffend gebräuchliche Mischverhältnisse von Baumassen, richtiges Messen und Aufreißen, Vertretung des Vorarbeiters, Umgang mit den Bauauftraggebern, fachgerechte Absicherung des Gerüsts, Vorteile von genauer Arbeitsweise) erworben hat. Seine Tätigkeiten haben demnach Mal- und Spachtelarbeiten, Verputz- und Maurerarbeiten, die Verwendung üblicher Materialien sowie die fachgerechte Bedienung und Einsetzung von Maschinen und Werkzeugen umfasst.

I.2.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , wurde dem BF der mit Bescheid des Bundesamtes vom XXXX zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Sein Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom XXXX wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V). Die Frist zur freiwilligen Ausreise wurde gemäß § 55 FPG mit zwei Wochen festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Festgestellt wurde zusammengefasst, dass der BF afghanischer Staatsangehöriger sei, sich zum Islam bekenne und mütterlicherseits der Volksgruppe der Hazara sowie väterlicherseits der Volksgruppe der Paschtunen angehöre. Er sei gesund und arbeitsfähig. Bis zu seinem achten Lebensjahr habe er in Afghanistan gelebt. Im Iran habe er drei Jahre eine Schule besucht. Ferner habe er im Iran und in Griechenland Arbeitserfahrung gesammelt. Er sei ledig und habe keine Kinder. Ihm sei der Status des subsidiär Schutzberechtigten aufgrund des „ungeklärten“ familiären Netzwerkes bzw. vor allem aufgrund der Gefahr, im Fall der Rückkehr in eine existenzbedrohende Situation zu geraten, zuerkannt worden. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Schutzstatus würden im Entscheidungszeitpunkt nicht mehr vorliegen. Seine subjektive Lage habe sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt geändert. Er habe in Österreich 20 Monate an Arbeitserfahrung gesammelt. Von XXXX bis XXXX habe er für das Unternehmen „ XXXX “ gearbeitet. Seit XXXX sei er für das Unternehmen „ XXXX “ tätig. Eine Rückkehr nach Afghanistan und die Ansiedlung in der Provinz Balkh seien ihm zumutbar. Im Fall der Rückkehr nach Afghanistan sei er weder in seinem Recht auf Leben gefährdeter, noch sei er der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung ausgesetzt. Ebenso wenig drohe ihm die Todesstrafe. Asylrelevanter Verfolgung unterliege er im Herkunftsstaat nicht. Im Fall der Rückkehr werde er in keine existenzgefährdende Notlage geraten und wäre ihm auch nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen. Er sei wirtschaftlich ausreichend abgesichert und könne für seinen Unterhalt sorgen. Zudem bestehe für ihn die Möglichkeit, Rückkehrunterstützung in Anspruch zu nehmen. Während seines mehrjährigen Aufenthalts in Österreich habe er gezeigt, dass er für sich selbst Sorge tragen könne, indem er einer geregelten Arbeit nachgehe und eine Mietwohnung habe. Hinsichtlich seines Aufenthalts in Österreich wurde ergänzend festgestellt, dass er keine Angehörigen habe. Er habe diverse Deutschkurse absolviert, sei unbescholten und habe Freundschaften geschlossen. In einem Verein sei er nicht Mitglied. Auf den Seiten 9 bis 151 des angefochtenen Bescheids wurden Feststellungen zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat getroffen.

In der Beweiswürdigung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Schutzgewährung nicht mehr vorliegen würden, da der BF inzwischen in Österreich Berufserfahrung gesammelt und eigenen Angaben nach circa 20 Monate gearbeitet habe. Es sei sohin davon auszugehen, dass er seit der Zuerkennung des Schutzstatus im Jahr 2016 an Arbeitserfahrung und an Lebenserfahrung gewonnen habe. Auch durch den Umstand, dass der BF in einer eigenen Mietwohnung lebe und auf keine finanzielle Hilfe angewiesen sei, zeige, dass er ein eigenständiges Leben führen könne. Sein Aufenthalt in Österreich habe zum Erwerb von Kenntnissen und Fähigkeiten geführt, welche ihm im Fall der Rückkehr maßgeblich von Nutzen sein könnten. Es sei ihm jedenfalls zumutbar, im Fall der Rückkehr eine Tätigkeit aufzugreifen und seinen Unterhalt aus Eigenem zu bestreiten. Er befinde sich im erwerbsfähigen Alter und habe im Ermittlungsverfahren keine Gründe geltend gemacht, welche darauf schließen lassen würden, dass er für seinen Lebensunterhalt nicht aufkommen könnte. Es sei ihm auch zumutbar, seinen Unterhalt zumindest anfänglich mit Hilfs-, und Gelgenheitsarbeiten zu bestreiten. Seine Anpassungsfähigkeit, seine Flexibilität sowie seine Fähigkeit, außerhalb des Familienverbandes zu leben, habe er bereits durch seine Reise nach Österreich bewiesen. Dies zeuge von einem hohen Maß an Selbstständigkeit. Zudem sei notorisch bekannt, dass in der afghanischen Gesellschaft zahlreiche Netzwerke, wie beispielsweise der Clan und die lokale Gemeinschaft, welche auf Zugehörigkeit zur Ethnie, Religion oder Ähnlichem basieren, eine wesentliche Rolle spielen würden. Im Fall der Rückkehr könne er sohin Unterstützung von diesen Netzwerken erhalten. Die Sicherheitslage in der Provinz Balkh sei vergleichsweise gut und könne diese Provinz auch sicher über den internatioanlen Flughafen erreicht werden. In der Folge wurde auf die Möglichkeit der Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe hingewiesen. Aufgrund der Feststellungen zur Grundversorgung in der Provinz Balkh und seiner individuellen Situation als gesunder, arbeitsfähiger Mann mit Arbeitserfahrung sei davon auszugehen, dass er im Fall seiner Rückkehr nicht in eine existenzbedrohende Situation gerate.

Rechtlich wurde zu Spruchpunkt I. im Wesentlichen ausgeführt, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht mehr vorliegen würden, da der BF gesund und erwerbsfähig sei. Während seines Aufenthalts in Österreich habe er sich stetig weitergebildet. So habe er diverse Deutschkurse besucht und insgesamt 20 Monate an Arbeitserfahrung gesammelt. Er führe ein eigenständiges Leben in Österreich. Seine neu erworbenen Kenntnisse könnten ihm daher im Falle einer Ansiedlung in Afghanistan von Nutzen sein. Während seines mehrjährigen Aufenthalts habe er bewiesen, dass er für sich selbst sorgen könne. Ihm sei es ferner zumutbar, Rückkehrhilfe in Anspurch zu nehmen. Zudem würden in Afghanistan Hilfsorganisationen existieren, welche ihm zumindest in geringem Maße Hilfestellung bieten könnten. Auch wenn insbesondere die Versorgungslage in Balkh mit Schwierigkeiten verbunden sei, könne davon ausgegangen werden, dass der BF grundsätzlich fähig sei, seinen Lebensunterhalt zu verdienen und sich Zugang zu Unterkünften sowie sanitären Einrichtungen zu verschaffen. Er weise keine besondere Vulnerabilität auf, leide an keinen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und habe keine zuästzlichen Verpflichtungen. Er gehöre keinem Personenkreis an, der sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage als qualifiziert schutzbedürftiger darstelle als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen könne. Zudem könne er die Provinz Balkh sicher erreichen und werde dort zumutbare Lebensbedingungen vorfinden, weshalb im gemäß § 9 Abs. 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuerkennen gewesen sei.

I.2.4. Gegen diesen Bescheid erhob der BF am XXXX einerseits Beschwerde durch durch den XXXX , andererseits durch den Rechtsanwalt XXXX . Begründend wurde zusammengefasst und verfahrenswesentlich nach Darstellung des Sachverhalts ausgeführt, die belangte Behörde habe kein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt, zumal der entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht hinreichend ermittelt worden sei. Zudem habe das Bundesamt die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten rechtlich auf § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG gestützt, im gegenständlichen Fall liege jedoch keine wesentliche Änderung der persönlichen Situation des BF vor. Es sei richtig, dass es der BF geschafft habe, sich in Österreich anzupassen und zurecht zu finden. Er habe die Sprache erlernt und gearbeitet. Im Herkunftsstaat verfüge er jedoch nach wie vor über keine familiären Anknüpfungspunkte. Alleine die Tatsache, dass er es geschafft habe, in Österreich Arbeit zu finden und seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, begründe keine wesentliche Änderung jener Umstände, die zur Schutzgewährung geführt haben. Vielmehr beziehe sich die Behörde auf objektive Umstände in Afghanistan. Hinzu komme, dass die Behörde davon ausgehe, der BF könne als gesunder Mann ohne jegliche Sozialkontakte in den Herkunftsstaat zurückkehren. Unter Verweis auf diverse Länderberichte wurde festgehalten, dass seit Zuerkennungdes Schutzstatus keine wesentliche Verbesserung der Sicherheits- und Versorgungslage in Orten wie Kabul, Mazar-e Sharif oder Herat Stadt eingetreten sei. Die Unterstützungsleistungen, welche im Rahmen der Rückkehr geboten würden, seien keinesfalls ausreichend, um selbstständig ohne Unterstützung durch ein soziales Netzwerk zu überleben. Im Fall der Rückkehr bestehe für den BF eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK. Eine innterstaatliche Fluchtalternative stehe ihm nicht offen, da er keine familiären Anknüfpungspunkte habe und seine langjährige Abwesenheit den Zugang zu Arbeit und Wohnraum erschweren würde. Der BF habe den Großteil seines Lebens im Iran verbracht und lebe nunmehr seit über fünf Jahren in Österreich, sodass er sowohl in sprachlicher, beruflicher als auch sozialer Hinsicht nachhaltig integriert sei. Überdies sei die Behörde ihrer in §§ 58 Abs. 2 und 60 AVG normierten Begründungspflicht nicht nachgekommen. Die Behörde hätte dem Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung stattgeben müssen. Abschließend wurde moniert, die Ermittlungen der Behörde zum Privat- und Familienleben des BF in Österreich seien mangelhaft. Die Behörde habe es unterlassen, die vorgelegten Beweismittel ausreichend zu würdigen. Bei Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens hätte die Behörde die Erlassung einer Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig erklären und dem BF einen Aufenthaltstitel erteilen müssen.

I.2.5. Am XXXX wurden die Beschwerde und die Bezug habenden Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen

II.1.1. Zur Person des BF:

II.1.1.1. Der BF führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist Staatsangehöriger von Afghanistan und gehört der schiitischen Glaubensrichtung des Islams an. Sein Vater ist Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen an, während seine Mutter der Volksgruppe der Hazara angehört hat. Der BF sieht sich selbst als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara.

Der BF spricht Dari, Farsi, Türkisch und ein wenig Griechisch. Ferner verfügt er über Deutschkenntnisse auf dem Sprachniveau A2. Er ist ledig, arbeitsfähig und leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit. Ihn treffen keine Obsorgeverpflichtungen. Er stammt aus der Provinz Ghazni, wo er bis zu seinem achten Lebensjahr gewohnt hat. In der Folge ist er mit seinen Eltern in den Iran übersiedelt. Dort hat er drei Jahre die Schule besucht und in weiterer Folge seinem Vater bei dessen Tätigkeit als Maler geholfen. Er hat zwar keine Lehre in diesem Beruf abgeschlossen, ist jedoch nach zwei bis drei Jahren Berufserfahrung als Facharbeiter der Malerei tätig gewesen. Das letzte Jahr vor seiner Ausreise aus dem Iran hat er nicht gearbeitet. Im Alter von 15 Jahren ist er ohne seine Eltern in die Türkei gezogen, wo er ebenfalls als Maler tätig gewesen ist. Daraufhin hat er sechs Jahre in Griechenland gelebt und als Saisonarbeiter gearbeitet. Durch seine Erwerbstätigkeit hat er seine Flucht nach Europa finanziert.

Die Mutter des BF ist bereits verstorben. Sein Vater hält sich in Afghanistan auf, der BF kennt dessen Aufenthaltsort jedoch nicht und pflegt auch keinen Kotankt zu ihm. Auch den Aufenthaltsort seiner Tanten und Onkel väterlicherseits kennt der BF nicht. Der BF hat keine Geschwister. Er verfügt sohin weder im Iran noch im Herkunftsstaat über ein tragfähiges soziales Netzwerk.

II.1.1.2. Nach Einreise in das Bundesgebiet stellte der BF am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz. Seither ist er durchgehend in Österreich aufhältig.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum XXXX erteilt. Begründend wurde ausgeführt, dass die Mutter des BF bereits verstorben sei und er keine Geschwister habe. Kontakt zu seinem Vater, der in Afghanistan lebe, habe er nicht. Seit seinem achten Lebensjahr befinde er sich außerhalb Afghanistans. Zudem verfüge er über keine wesentliche Schulausbildung. Vor dem Hintergrund der prekären Sicherheitslage in Afghanistan sowie der dargelegten individuellen Situation des BF erscheine seine Existenzgrundlage im Herkunftsstaat gefährdet, weshalb eine Verbringung nach Afghanistan eine Verletzung von Art. 3 EMRK begründe.

Die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde dem BF zuletzt mit Bescheid vom XXXX bis zum XXXX verlängert. Daraufhin stellte er am XXXX einen Antrag auf (weitere) Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.

II.1.1.3. In Österreich ist der BF von XXXX bis XXXX beim Projekt „ XXXX “ des XXXX im Ausmaß von 38 Wochenstunden beschäftigt gewesen und hat im Zuge dessen Mal- und Spachtelarbeiten sowie Verputz und Maurerarbeiten verrichtet. Seine Tätigkeit hat die Verwendung üblicher Materialien wie Farben, Fein- und Grobputze, Reinigungsmittel, Spachtelmassen, Holz und Ziegel, sowie die fachgerechte Bedienung und Einsetzung von Maschinen (Handkreissägen, Bohrmaschinen, Mischmaschinen, Rührwerk und Stichsägen) umfasst. Von XXXX bis XXXX ist der Beschwerdeführer als Arbeiter für die „ XXXX “ und von XXXX bis XXXX für die „ XXXX “ tätig gewesen. Seit XXXX arbeitet er als Sortierer für die „ XXXX “. Neben verschiedenen Deutschkursen hat er auch an der zweimonatigen Bildungsveranstaltung „Schweißtechnik“ teilgenommen und ein Zertifikat nach ÖNORM EN ISO 9606-1:2014 erlangt.

Der Beschwerdeführer hat bis zum XXXX Leistungen aus der Grundversorgung bezogen. Bis zum XXXX hat der BF in einer Unterkunft der Volkshilfe gelebt, seither lebt er in Privatunterkünften. Spätetestens seit Aufnahme einer Erwerbstätigketi am XXXX ist er selbsterhaltungsfähig. Schulbildung hat der BF während seines Aufenthalts im Bundesgebiet nicht erlangt. In Österreich ist er unbescholten.

Im Herkunftsstaat verfügt er über keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte und könnte sohin in Afghanistan auf kein tragfähiges soziales Netzwerk zurückgreifen. Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat würde ihm auch keine finanzielle Unterstützung durch Angehörige oder sonstige Bekannte zukommen.

II.1.1.4. Unter Berücksichtigung der individuellen Situation des BF und der Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan, insbesondere in seiner Herkunftsprovinz Ghazni, sowie in den Städten Kabul, Mazar-e Sharif und Herat, kann nicht festgestellt werden, dass sich die Umstände, die zur Gewährung subsidiären Schutzes geführt haben, seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , bzw. seit der letzten Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung mit Bescheid vom XXXX wesentlich und nachhaltig verändert haben.

II.1.2. Zur allgemeinen Situation in Afghanistan

II.1.2.1. Auszug aus dem bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in das Verfahren eingebrachtem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 29.06.2018 mit letzter Kurzinformation vom 04.06.2019):

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNA-MA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen, konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

[…]

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeit-raum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer; 1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmord-anschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382; davon 814 Tote und 2.568 Verletzte), was einen Rückgang um 3% im Vergleich mit dem Vorjahreswert bedeutet. Grund dafür war der Versuch regierungsfreundlicher Gruppierungen, die zivile Bevölkerung zu schonen. Die Verlagerung der Kämpfe in dünn besiedelte Gebiete, die Vorwarnung der lokalen Zivilbevölkerung bei Kampfhandlungen und die Implementierung von Strategien zum Schutz der Bevölkerung waren einige der bestimmenden Faktoren für den Rückgang bei zivilen Opfern. Jedoch ist die Opferzahl bei gezielt gegen die Zivilbevölkerung gerichteten komplexen Angriffen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen gestiegen (plus 48% gegenüber 2017; 4.125 Opfer insgesamt, davon 1.404 Tote und 2.721 Verletzte). Sowohl der ISKP als auch die Taliban griffen gezielt Zivilisten an: Der ISKP war für 1.871 zivile Opfer verantwortlich, darunter waren u.a. Mitglieder der schiitischen Gemeinschaft, und die Taliban für 1.751. Obwohl die Gesamtzahl der zivilen Opfer durch gezielte Tötungen von Einzelpersonen (hauptsächlich durch Erschießung) zurückging, blieben Zivilisten inklusive religiöser Führer und Stammesältester weiterhin Ziele regierungsfeindlicher Gruppierungen. Die Gesamtzahl der durch Luftangriffe verursachten zivilen Opfer stieg im Vergleich mit dem Vorjahreswert um 61% und die Zahl der Todesopfer erreichte 82%. 9% aller zivilen Opfer wurden Luftangriffen (mehrheitlich der internationalen Luftwaffe) zugeschrieben, der höchste Wert seit 2009 (UNAMA 24.2.2019).

Regierungsfeindliche Gruppierungen waren im UNAMA-Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) für 6.980 zivile Opfer (2.243 Tote und 4.737 Verletzte) verantwortlich. Das entspricht 63% der gesamten zivilen Opfer. 37% davon werden den Taliban, 20% dem ISKP und 6% unbestimmten regierungsfeindlichen Gruppierungen zugeschrieben. Im Laufe des Jahres 2018 wurden vermehrt Anschläge gegen Bildungseinrichtungen verzeichnet, meist durch Talibankämpfer, da in Schulen Registrierungs- und Wahlzentren untergebracht waren. Der ISKP attackierte und bedrohte Bildungseinrichtungen als Reaktion auf militärische Operationen afghanischer und internationaler Streitkräfte. UNAMA berichtet auch über anhaltende Angriffe auf Gesundheitseinrichtungen, welche Auswirkungen auf einen Großteil der zivilen Bevölkerung haben. Trotzdem die Taliban nach eigenen Angaben Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen haben, attackierten diese weiterhin Zivilisten, zivile Einrichtungen und regierungsfreundliche Gruppierungen in Zivilgebieten (UNA-MA 24.2.2019).

Ungefähr 24% der zivilen Opfer (2.612, davon 1.185 Tote und 1.427 Verletzte), werden regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben: 14% den afghanischen Sicherheitskräften, 6% den internationalen Streitkräften und 4% unbestimmten regierungsfreundlichen Gruppierungen. Die Steigerung um 4% gegenüber dem Vorjahr geht auf Luftangriffe der internationalen Streitkräfte und Fahndungsaktionen der afghanischen Sicherheitskräfte und regierungsfreundlicher Gruppierungen zurück (UNAMA 24.2.2019).

Die verbleibenden 13% der verzeichneten zivilen Opfer wurden im Kreuzfeuer während Zusammenstößen am Boden (10%), durch Beschuss aus Pakistan (1%) und durch die Explosion von Blindgängern verursacht (UNAMA 24.2.2019).

[…]

Sicherheitslage in der Herkunftsprovinz des Beschwerdeführers (Provinz Ghazni):

Im Februar 2018 wurde verlautbart, dass die Provinz Ghazni zu den relativ volatilen Provinzen im südöstlichen Teil des Landes zählt; die Provinz selbst grenzt an unruhige Provinzen des Südens. Die Taliban und Aufständische anderer Gruppierungen sind in gewissen Distrikten aktiv (Khaama Press 1.2.2018; vgl. SD 1.2.2018). In der Provinz kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Aufständischen (Xinhua 18.3.2018).

Wie in vielen Regionen in Südafghanistan, in denen die Paschtunen die Mehrheit stellen, konnten die Taliban in Ghazni nach dem Jahr 2001 an Einfluss gewinnen. Die harten Vorgehensweisen der Taliban – wie Schließungen von Schulen, der Stopp von Bauprojekten usw. – führten jedoch auch zu Gegenreaktionen. So organisierten Dorfbewohner eines Dorfes im Distrikt Andar ihre eigenen Milizen, um die Aufständischen fernzuhalten – auch andere Distrikte in Ghazni folgten. Die Sicherheitslage verbesserte sich, Schulen und Gesundheitskliniken öffneten wieder. Da diese Milizen, auch ALP (Afghan Local Police) genannt, der lokalen Gemeinschaft entstammen, genießen sie das Vertrauen der lokalen Menschen. Nichtsdestotrotz kommt es zu auch bei diesen Milizen zu Korruption und Missbrauch (IWPR 15.1.2018).

Im Berichtszeitraum der Vereinten Nationen (UN) (15.12.2017-15.2.2018) haben regierungsfeindliche Elemente auch weiterhin Druck auf die afghanischen Sicherheitskräfte ausgeübt, indem koordinierte Angriffe auf Kontrollpunkte der afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte unter anderem in der Provinz Ghazni verübt wurden (UNGASC 27.2.2018).

Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz 163 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert […].

Die meisten im Jahr 2017 registrierten Anschläge fanden – in absteigender Reihenfolge – in den Provinzen Nangarhar, Faryab, Helmand, Kandahar, Farah, Ghazni, Uruzgan, Logar, Jawzjan, Paktika und Kabul statt (Pajhwok 14.1.2018).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 353 zivile Opfer in Ghazni (139 getötete Zivilisten und 214 Verletzte) registriert. Hauptursache waren Bodenoffensiven, gefolgt von IEDs und gezielten/willkürlichen Tötungen. Dies deutet einen Rückgang von 11% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Ghazni Miliärische Operationen werden in der Provinz Ghazni durchgeführt (Tolonews 17.3.2018; vgl. Xinhua 27.1.2018, ZNI 3.3.2018, Tolonews 5.2.2018, Tolonews 24.3.2018, MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017; MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017); Aufständische werden getötet und festgenommen (Pajhwok 13.3.2018; vgl. MF 25.3.2018, Tolonews 5.12.2017, MF 18.3.2018, VoA 22.10.2017). Luftangriffe werden ebenso durchgeführt (Khaama Press 1.2.2018), bei denen auch Taliban getötet werden (Khaama Press 1.2.2018; vgl. Pajhwok 12.3.2018).

Zusammenstöße zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften finden statt (AJ 11.6.2018; vgl. AJ 21.5.2018, VoA 22.10.2017).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Ghazni Sowohl Das Haqqani-Netzwerk, als auch die Taliban sind in manchen Regionen der Provinz aktiv (VoA 10.1.2018). Sicherheitsbeamte sprechen von mehreren Gruppierungen, die in der Provinz aktiv sind, während die Taliban selbst behaupten, die einzige Gruppierung in der Provinz Ghazni zu sein (Pajhwok 1.7.2017).

Basierend auf geheimdienstlichen Informationen, bestritt das afghanische Innenministerium im Jänner 2018, dass der IS in der Provinz Ghazni aktiv sei (VoA 10.1.2018). Für den Zeitraum 1.1.15.7.2017 wurden IS-bezogene Vorfälle in der Provinz gemeldet – insbesondere an der Grenze zu Paktika. Zwischen 16.7.2017 – 31.1.2018 wurden hingegen keine Vorfälle registriert (ACLED 23.2.2018)

Sicherheitslage in der vom Bundesamt als interne Fluchtalternative geprüften Provinz (Balkh):

Allgemeine Information zur Sicherheitslage in Balkh:

Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).

Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).

In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Mar-mal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017).

Im gesamten Jahr 2017 wurden 129 zivile Opfer (52 getötete Zivilisten und 77 Verletzte) registriert. Hauptursache waren IEDs, gefolgt von Bodenoffensiven und Blindgänger/Landminen. Dies bedeutet einen Rückgang von 68% im Gegensatz zum Vergleichsjahr 2016 (UNAMA 2.2018).

Militärische Operationen in Balkh:

Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte führen regelmäßig militärische Operationen durch, um regierungsfeindliche Aufständische zu verdrängen und sie davon abzuhalten, Fuß im Norden des Landes zu fassen (Khaama Press 16.1.2018). Diese militärischen Operationen werden in gewissen Gegenden der Provinz geführt (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT.3.2018, Pajhwok 21.8.2017, Pajhwok 10.7.2017). Dabei werden Taliban getötet (Tolonews 18.3.2018; vgl. PT 6.3.2018, Pajhwok 10.7.2017) und manchmal auch ihre Anführer (Tolonews 18.3.2018; vgl. Tolonews 7.3.2018, PT 6.3.2018, Tolonews 22.4.2017).

Zusammenstöße zwischen Aufständischen und Sicherheitskräften finden statt (Tolonews 7.3.2018).

Regierungsfeindliche Gruppierungen in Balkh:

Regierungsfeindliche Gruppierungen versuchen ihren Aufstand in der Provinz Balkh voranzutreiben (Khaama Press 16.1.2018). Sowohl Aufständische der Taliban als auch Sympathisanten des IS versuchen in abgelegenen Distrikten der Provinz Fuß zu fassen (Khaama Press 20.8.2017).

Im Zeitraum 1.1.2017 - 15.7.2017 wurden keine IS-bezogenen Vorfälle in der Provinz registriert. Im Zeitraum 16.7.2017 - 31.1.2018 wurden dennoch vom IS verursachten Vorfälle entlang der Grenze von Balkh zu Sar-e Pul registriert (ACLED 23.2.2018).

Grundversorgung und Wirtschaft:

Im Jahr 2015 belegte Afghanistan auf dem Human Development Index (HDI) Rang 169 von 188 (UNDP 2016). Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen abhängig ist (IWF 8.12.2017; vgl. WB 10.4.2018). Während auf nationaler Ebene die Armutsrate in den letzten Jahren etwas gesunken ist, stieg sie in Nordostafghanistan in sehr hohem Maße. Im Norden und im Westen des Landes konnte sie hingegen reduziert werden (SCA 22.5.2018). Angesichts des langsamen Wachstums, sicherheitsbedingter Versorgungsunterbrechungen und schwacher landwirtschaftlicher Leistungen, nimmt die Armut weiterhin zu (WB 10.4.2018).

Die Verbraucherpreisinflation bleibt mäßig und wurde für 2018 mit durchschnittlich 6% prognostiziert (IWF 8.12.2017). Der wirtschaftliche Aufschwung erfolgt langsam, da die andauernde Unsicherheit die privaten Investitionen und die Verbrauchernachfrage einschränkt. Während der Agrarsektor wegen der ungünstigen klimatischen Bedingungen im Jahr 2017 nur einen Anstieg von ungefähr 1.4% aufwies, wuchsen der Dienstleistungs- und Industriesektor um 3.4% bzw. 1.8%. Das Handelsbilanzdefizit stieg im ersten Halbjahr 2017, da die Exporte um 3% zurückgingen und die Importe um 8% stiegen (UN GASC 27.2.2018).

Arbeitsmarkt und Arbeitslosigkeit:

Schätzungen zufolge leben 74,8% der Bevölkerung in ländlichen und 25,2% in städtischen Gebieten (CSO 4.2017). Für ungefähr ein Drittel der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (inklusive Tiernutzung) die Haupteinnahmequelle (SCA 22.5.2018; vgl. AF 14.11.2017).

In den Jahren 2016-2017 wuchs die Arbeitslosenrate, die im Zeitraum 2013-2014 bei 22,6% gelegen hatte, um 1%. Die Arbeitslosigkeit betrifft hauptsächlich gering qualifizierte bildungsferne Personen; diese sind auch am meisten armutsgefährdet (WB 10.4.2018). Über 40% der erwerbstätigen Bevölkerung gelten als arbeitslos oder unterbeschäftigt (SCA 22.5.2018). Es müssten jährlich geschätzte 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen werden, um Neueinsteiger in den Arbeitsmarkt integrieren zu können (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. SCA 22.5.2018). Seit 2001 wurden zwar viele neue Arbeitsplätze geschaffen, jedoch sind diese landesweit ungleich verteilt und 80% davon sind unsichere Stellen (Tagelöhner) (SCA 22.5.2018).

Ungefähr 47,3% der afghanischen Bevölkerung sind unter 15 Jahre alt, 60% unter 24 Jahre. Daher muss die Versorgung der jungen Bevölkerungsschichten seitens einer viel geringeren Zahl von Erwachsenen gewährleistet werden; eine Herausforderung, die durch den schwachen Arbeitsmarkt verschlimmert wird. Mehr als ein Drittel der männlichen Bevölkerung (34,3%) Afghanistans und mehr als die Hälfte der weiblichen Bevölkerung (51,1%) sind nicht in der Lage, eine passende Stelle zu finden. Gemäß einer Umfrage von Asia Foundation (AF) aus dem Jahr 2017 wird von 70,6% der Befragten die Arbeitslosigkeit als eines der größten Probleme junger Menschen in Afghanistan zwischen 15 und 24 Jahren gesehen (AF 14.11.2017).

Projekte der afghanischen Regierung:

Im Laufe des Jahres 2017 hat die afghanische Regierung weiterhin Anstrengungen unternommen, um die Rechenschaftspflicht bei der Umsetzung ihrer Entwicklungsprioritäten durch die hohen Entwicklungsräte zu fördern (UN GASC 27.2.2018). Darunter fällt u. a. der fünfjährige (2017 – 2020) Nationale Rahmen für Frieden und Entwicklung in Afghanistan (The Afghanistan National Peace and Development Framework, ANPDF) zur Erreichung der Selbständigkeit. Ziele dieses strategischen Plans sind u. a. der Aufbau von Institutionen, die Förderung von privaten Investitionen, Wirtschaftswachstum, die Korruptionsbekämpfung, Personalentwicklung usw. (WP 10.4.2018.; vgl. GEC 29.1.2017). Im Rahmen der Umsetzung dieses Projekts hat die Regierung die zehn prioritären nationalen Programme mithilfe der Beratung durch die hohen Entwicklungsräte weiterentwickelt. Die Implementierung zweier dieser Projekte, des „Citizens’ Charter National Priority Program“ und des „Women‘s Economic Empowerment National Priority Program“ ist vorangekommen. Die restlichen acht befinden sich in verschiedenen Entwicklungsstadien (UN GASC 27.2.2018).

Das „Citizens’ Charter National Priority Program“ z. B. hat die Armutsreduktion und die Erhöhung des Lebensstandards zum Ziel, indem die Kerninfrastruktur und soziale Dienstleistungen der betroffenen Gemeinschaften verbessert werden sollen. Die erste Phase des Projektes sollte ein Drittel der 34 Provinzen erfassen und konzentrierte sich auf Balkh, Herat, Kandahar und Nangarhar. Ziel des Projekts ist es, 3,4 Mio. Menschen Zugang zu sauberem Trinkwasser zu verschaffen, die Gesundheitsdienstleistungen, das Bildungswesen, das Straßennetz und die Stromversorgung zu verbessern, sowie die Zufriedenheit und das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung zu steigern. Des Weiteren zielt das Projekt darauf ab, Binnenvertriebene, Behinderte, Arme und Frauen besser zu integrieren (WB 10.10.2016).

Die afghanische Regierung hat Bemühungen zur Armutsreduktion gesetzt und unterstützt den Privatsektor weiterhin dabei, nachhaltige Jobs zu schaffen und das Wirtschaftswachstum voranzutreiben. Die Ausstellung von Gewerbeberechtigungen soll gesteigert, steuerliche Sanktionen abgeschafft und öffentlich-private Partnerschaften entwickelt werden; weitere Initiativen sind geplant (BFA Staatendokumentation 4.2018; vgl. TD 28.12.2017).

II.1.2.2. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation über Afghanistan vom 13.11.2019 mit letzter Kurzinformation vom 18.05.2020:

Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 17.3.2019). Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Nichtsdestotrotz, hat die afghanische Regierung wichtige Transitrouten verloren (USDOD 12.2019).

Der Konflikt in Afghanistan befindet sich nach wie vor in einer "strategischen Pattsituation", die nur durch Verhandlungen zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban gelöst werden kann (SIGAR 30.1.2020). Die afghanische Regierung führte zum ersten Mal persönliche Gespräche mit den Taliban, inhaltlich wurde über den Austausch tausender Gefangener verhandelt; bis dahin hatten die beiden Seiten sich nur per Videokonferenz unterhalten (BBC 1.4.2020). Ein erster Schritt Richtung inner-afghanischer Verhandlungen, welcher Teil eines zwischen Taliban und US-Amerikanern unterzeichneten Abkommens ist (TD 2.4.2020). Die Gespräche fanden vor dem Hintergrund anhaltender Gewalt im Land statt (BBC 1.4.2020).

Für den Berichtszeitraum 8.11.2019-6.2.2020 verzeichnete die UNAMA 4.907 sicherheitsrelevante Vorfälle – ähnlich dem Vorjahreswert. Die Sicherheitslage blieb nach wie vor volatil. Die höchste Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle wurden in der südlichen Region, gefolgt von den nördlichen und östlichen Regionen, registriert, die alle samt 68% der Zwischenfälle ausmachten. Die aktivsten Konfliktregionen waren in den Provinzen Kandahar, Helmand, Nangarhar und Balkh zu finden. Entsprechend saisonaler Trends, gingen die Kämpfe in den Wintermonaten – Ende 2019 und Anfang 2020 – zurück (UNGASC 17.3.2020).

Die Sicherheitslage im Jahr 2019

Die geographische Verteilung aufständischer Aktivitäten innerhalb Afghanistans blieb, im Vergleich der beiden Jahre 2018 und 2019, weitgehend konstant. Im Jahr 2019 fanden auch weiterhin im Süden und Westen Afghanistans weiterhin schwere Kampfhandlungen statt; feindliche Aktivitäten nahmen zu und breiteten sich in größeren Gebieten des Nordens und Ostens aus. Der Resolute Support (RS) Mision (seit 2015 die Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan) zufolge, waren für das Jahr 2019 29.083 feindlich-initiierte Angriffe landesweit zu verzeichnen. Im Gegensatz waren es im Jahr 2018 27.417 (SIGAR 30.1.2020). Mit einer hohen Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen – speziell in den südlichen, nördlichen und östlichen Regionen – blieb die Sicherheitslage vorerst volatil, bevor ein Zeitraum der Reduzierung der Gewalt registriert werden konnte. Die UNAMA (Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan) registrierte für das gesamte Jahr 2019 10.392 zivile Opfer, was einem Rückgang von 5% gegenüber 2018 entspricht (UNGASC 17.3.2020).

Seit Ende des Jahres 2019 haben Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente erheblich zugenommen. Im September 2019 fanden die afghanischen Präsidentschaftswahlen statt, in diesem Monat wurde auch die höchste Anzahl feindlicher Angriffe eines einzelnen Monats seit Juni 2012 und die höchste Anzahl effektiver feindlicher Angriffe seit Beginn der Aufzeichnung der RS-Mission im Januar 2010 registriert. Dieses Ausmaß an Gewalt setzte sich auch nach den Präsidentschaftswahlen fort, denn im Oktober 2019 wurde die zweithöchste Anzahl feindlicher Angriffe in einem Monat seit Juli 2013 dokumentiert. Betrachtet man jedoch das Jahr 2019 in dessen Gesamtheit, so waren scheinbar feindliche Angriffe, seit Anfang des Jahres, im Zuge der laufenden Friedensgespräche zurückgegangen. Nichtsdestotrotz führte ein turbulentes letztes Halbjahr zu verstärkten Angriffen feindlicher Elemente von insgesamt 6% und effektiver Angriffe von 4% im Jahr 2019 im Vergleich zu den bereits hohen Werten des Jahres 2018 (SIGAR 30.1.2020).

Zivile Opfer

Für das Jahr 2019 registrierte die Hilfsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) als Folge des bewaffneten Konflikts 10.392 zivile Opfer (3.403 Tote und 6.989 Verletzte), was einen Rückgang um 5% gegenüber dem Vorjahr, aber auch die niedrigste Anzahl an zivilen Opfern seit dem Jahr 2013 bedeutet. Nachdem die Anzahl der durch ISKP verursachten zivilen Opfer zurückgegangen war, konnte ein Rückgang aller zivilen Opfer registriert werden, wenngleich die Anzahl ziviler Opfer speziell durch Taliban und internationale Streitkräfte zugenommen hatte. Im Laufe des Jahres 2019 war das Gewaltniveau erheblichen Schwankungen unterworfen, was auf Erfolge und Misserfolge im Rahmen der Friedensverhandlungen zwischen Taliban und den US-Amerikanern zurückzuführen war. In der ersten Jahreshälfte 2019 kam es zu intensiven Luftangriffen durch die internationalen Streitkräfte und Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte – insbesondere der Spezialkräfte des afghanischen Geheimdienstes NDS (National Directorate of Security Special Forces) (UNAMA 2.2020).

Aufgrund der Suchaktionen der afghanischen Streitkräfte, gab es zur Jahresmitte mehr zivile Opfer durch regierungsfreundliche Truppen als durch regierungsfeindliche Truppen. Das dritte Quartal des Jahres 2019 registrierte die höchste Anzahl an zivilen Opfern seit 2009, was hauptsächlich auf verstärkte Anzahl von Angriffen durch Selbstmordattentäter und IEDs (improvisierte Sprengsätze) der regierungsfeindlichen Seite – insbesondere der Taliban – sowie auf Gewalt in Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen zurückzuführen ist. Das vierte Quartal 2019 verzeichnete, im Vergleich zum Jahr 2018, eine geringere Anzahl an zivilen Opfern; wenngleich sich deren Anzahl durch Luftangriffe, Suchoperationen und IEDs seit dem Jahr 2015 auf einem Rekordniveau befand (UNAMA 2.2020).

[…]

Die RS-Mission sammelt ebenfalls Informationen zu zivilen Opfern in Afghanistan, die sich gegenüber der Datensammlung der UNAMA unterscheiden, da die RS-Mission Zugang zu einem breiteren Spektrum an forensischen Daten und Quellen hat. Der RS-Mission zufolge, ist im Jahr 2019 die Anzahl ziviler Opfer in den meisten Provinzen (19 von 34) im Vergleich zum Jahr 2018 gestiegen; auch haben sich die Schwerpunkte verschoben. So verzeichneten die Provinzen Kabul und Nangarhar weiterhin die höchste Anzahl ziviler Opfer. Im letzten Quartal schrieb die RS-Mission 91% ziviler Opfer regierungsfeindlichen Kräften zu (29% wurden den Taliban zugeschrieben, 11% ISKP, 4% dem Haqqani-Netzwerk und 47% unbekannten Aufständischen). 4% wurden regierungsnahen/-freundlichen Kräften zugeschrieben (3% der ANDSF und 1% den Koalitionskräften), während 5% anderen oder unbekannten Kräften zugeschrieben wurden. Diese Prozentsätze entsprechen in etwa den RS-Opferzahlen für Anfang 2019. Als Hauptursache für zivile Opfer waren weiterhin improvisierte Sprengsätze (43%), gefolgt von direkten (25%) und indirekten Beschüssen (5%) verantwortlich – dies war auch schon zu Beginn des Jahres 2019 der Fall (SIGAR 30.1.2020).

High-Profile Angriffe (HPAs)

Sowohl in den ersten fünf Monaten 2019, als auch im letzten Halbjahr 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 12.2019; vgl. USDOD 6.2019). Das Haqqani-Netzwerk führte von September bis zum Ende des Berichtszeitraums keine HPA in der Hauptstadtregion durch. Die Gesamtzahl der öffentlichkeitswirksamen Angriffe ist sowohl in Kabul als auch im ganzen Land in den letzten anderthalb Jahren stetig zurückgegangen (USDOD 12.2019). Zwischen 1.6.2019 und 31.10.2019 fanden 19 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 17) (USDOD 12.2019), landesweit betrug die Zahl 88 (USDOD 12.2019).

Öffentlichkeitswirksame Angriffe durch regierungsfeindliche Elemente setzten sich im Berichtszeitraum (8.11.2019-6.2.2020) fort: 8 Selbstmordanschläge wurden verzeichnet; im Berichtszeitraum davor (9.8.-7.11.2019) wurden 31 und im Vergleichszeitraum des Vorjahres 12 Selbstmordanschläge verzeichnet. Der Großteil der Anschläge richtetet sich gegen die ANDSF (afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte) und die internationalen Streitkräfte; dazu zählte ein komplexer Angriff der Taliban auf den Militärflughafen Bagram im Dezember 2019. Im Februar 2020 kam es in Provinz Nangarhar zu einem sogenannten „green-on-blue-attack“: der Angreifer trug die Uniform der afghanischen Nationalarmee und eröffnete das Feuer auf internationale Streitkräfte, dabei wurden zwei US-Soldaten und ein Soldat der afghanischen Nationalarmee getötet. Zu einem weiteren Selbstmordanschlag auf eine Militärakademie kam es ebenso im Februar in der Stadt Kabul; bei diesem Angriff wurden mindestens 6 Personen getötet und mehr als 10 verwundet (UNGASC 17.3.2020). Dieser Großangriff beendete mehrere Monate relativer Ruhe in der afghanischen Hauptstadt (DS 11.2.2020; vgl. UNGASC 17.3.2020).

Die Taliban setzten außerdem improvisierte Sprengkörper in Selbstmordfahrzeugen gegen Einrichtungen der ANDSF in den Provinzen Kandahar, Helmand und Balkh ein (UNGASC 17.3.2020).

Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten

Nach Unterzeichnung des Abkommens zwischen den USA und den Taliban war es bereits Anfang März 2020 zu einem ersten großen Angriff des ISKP gekommen (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020). Der ISKP hatte sich an den Verhandlungen nicht beteiligt (BBC 6.3.2020) und bekannte sich zu dem Angriff auf eine Gedenkfeier eines schiitischen Führers; Schätzungen zufolge wurden dabei mindestens 32 Menschen getötet und 60 Personen verletzt (BBC 6.3.2020; vgl. AJ 6.3.2020).

Am 25.3.2020 kam es zu einem tödlichen Angriff des ISKP auf eine Gebetsstätte der Sikh (Dharamshala) in Kabul. Dabei starben 25 Menschen, 8 weitere wurden verletzt (NYT 26.3.2020; vgl. TN 26.3.2020; BBC 25.3.2020). Regierungsnahe Quellen in Afghanistan machen das Haqqani-Netzwerk für diesen Angriff verantwortlich, sie werten dies als Vergeltung für die Gewalt an Muslimen in Indien (AJ 27.3.2020; vgl. TTI 26.3.2020). Die Taliban distanzierten sich von dem Angriff (NYT 26.3.2020). Am Tag nach dem Angriff auf die Gebetsstätte, detonierte eine magnetische Bombe beim Krematorium der Sikh, als die Trauerfeierlichkeiten für die getöteten Sikh-Mitglieder im Gange waren. Mindestens eine Person wurde dabei verletzt (TTI 26.3.2020; vgl. NYT 26.3.2020).

Regierungsfeindliche Gruppier

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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