Entscheidungsdatum
03.08.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
G307 2226835-1/7E
G307 2226833-1/6E
G307 2226834-1/6E
G307 2226836-1/6E
G307 2226831-1/6E
G307 2226830-1/6E
G307 2226832-1/6E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerden 1. der XXXX , geb. am XXXX , 2. der XXXX , geb. am XXXX , 3. der XXXX , geb. am XXXX , 4. der XXXX , geb. am XXXX , 5. des XXXX , geb. am XXXX , 6. des XXXX , geb. am XXXX sowie 7. der XXXX , geb. am XXXX , alle StA.: Bulgarien, letztere 6 gesetzlich vertreten durch die Mutter, alle rechtlich vertreten durch die Diakonie, gemeinnützige Flüchtlingsgesellschaft – ARGE Rechtsberatung in 1170 Wien, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.11.2019, Zahlen XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX sowie XXXX zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerden werden als unbegründet abgewiesen.
II. Dem Antrag auf Gewährung von Verfahrenshilfe in der Höhe der einfachen Eingabegebühr von € 30,00 wird stattgegeben. Das (Mehr)Begehren die Beschwerdeführer von der Entrichtung der 6fachen Eingabegebühr in der Höhe von weiteren € 180,00 zu befreien, wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Mit Schreiben der Abteilung 35 des Magistrats der Stadt XXXX (im Folgenden: MA 35) vom 19.09.2018, Zahlen XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX und XXXX , wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien (im Folgenden: BFA) darüber in Kenntnis gesetzt, dass die Erst- bis Siebentbeschwerdeführer (im Folgenden: BF1 bis BF7 zugleich BF) am 13.11.2017 die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung beantragt hätten, die Voraussetzungen für einen unionsrechtlichen Aufenthalt in Österreich jedoch nicht erfüllten. Zugleich teilte die MA35 dem BFA mit, dass die BF1 – trotz schriftlicher dahingehender Aufforderung seitens der MA35 – bis dato weder den Nachweis über den Bestand eines Arbeits- noch des Verwandtschaftsverhältnisses zu den BF2 bis BF7 erbracht habe. Es liege weder ein umfassender Versicherungsschutz vor noch sei eine Bescheinigung über ausreichende Existenzmittel vorgelegt worden.
2. Mit Schreiben vom 02.10.2019 räumte das BFA den BF im Rahmen einer Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme (VEB) Parteiengehör zur in Aussicht genommenen Erlassung einer Ausweisung ein und forderte die BF auf, zu ihren finanziellen wie persönlichen Verhältnissen binnen 14 Tagen ab Erhalt dieses Schreibens Stellung zu beziehen.
Die BF gaben dazu keine Stellungnahme ab.
3. Mit dem im Spruch angeführten Bescheiden des BFA, der BF1 persönlich zugestellt am 21.11.2019, wurden diese gemäß §§ 66 Abs. 1 iVm. 55 Abs. 3 FPG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.) und ihnen gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung eingeräumt (Spruchpunkt II.).
4. Mit per E-Mail am 16.12.2019 datierten und am selben Tag beim BFA eingebrachtem Schriftsatz erhoben die BF durch ihre Rechtsvertretung (im Folgenden: RV) gegen die im Spruch genannten Bescheide Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).
Darin wurde beantragt, die angefochtenen Bescheide ersatzlos zu beheben, eine mündliche Beschwerdeverhandlung zur Klärung des maßgeblichen Sachverhaltes durchzuführen, einen Dursetzungsaufschub in angemessener Dauer (vor allem im Hinblick auf die erforderliche medizinische Behandlung der BF4) zu gewähren, die Bescheide zu beheben und zur Verfahrensergänzung an die Behörde erster Instanz zurückzuverweisen, sowie den BF Verfahrenshilfe im Ausmaß der Höhe der 7fachen Eingabegebühr zu gewähren.
5. Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA dem BVwG am 18.12.2019 vorgelegt und langten dort am 20.12.2019 ein.
6. Am 20.12.2019 legte die RV dem BVwG ein Schreiben des XXXX in Bezug auf den Gesundheitszustand der BF 4 vor.
7. Im Rahmen einer VEB forderte das erkennende Gericht die BF1 am 04.05.2020 (neuerlich) auf, binnen zwei Wochen ab Erhalt dieses Parteiengehörs zum aktuellen Stand der Dinge im Hinblick auf die gesetzten Integrationsschritte, finanziellen, privaten, Wohn- und Unterhaltsverhältnisse sowie den Gesundheitszustand der BF (insbesondere von BF1 BF2 und BF4) Stellung zu beziehen.
8. Am 15.05.2020 ersuchte die RV das BVwG, die eingeräumte Frist wegen des Umfanges der zu beantwortenden Fragen bis zum 17.06.2020 zu erstrecken. Diesem Antrag wurde mit Schreiben des BVwG vom selben Tag stattgegeben.
9. Am 18.06.2020 langte die Stellungnahme zu der unter I.7. erwähnten Aufforderung beim BVwG ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Die BF führen die im Spruch angegebenen Identitäten (Namen und Geburtsdatum) und sind bulgarische Staatsbürger. Die BF begaben sich Ende Oktober 2017 nach Österreich, waren vom 24.10.2017 bis 10.07.2017 im gemeinsamen Haushalt gemeldet und wohnhaft.
1.2. BF 1 ist ledig und die Mutter der BF2 bis BF7. Der Aufenthaltsort des Kindesvaters ist nicht bekannt. Er hat nur sporadisch mit seinen Kindern (BF2 bis BF7) Kontakt und hält sich lediglich von Zeit zu Zeit in Österreich auf. Es konnte nicht festgestellt werden, dass dieser den BF tatsächlich regelmäßig Unterhalt leistet und wenn ja, in welcher Höhe. Es konnte zudem nicht festgestellt werden, dass die drei erwachsenen Söhne der BF1, XXXX , geb. am XXXX , XXXX , geb. am XXXX und XXXX , geb. am XXXX den BF Barmittel zur Verfügung gestellt haben oder noch stellen. Ersterer ist seit 20.08.2019 an der ursprünglichen Anschrift der BF gemeldet und war vom 28.08.2019 bis 18.11.2019 bei der XXXX in XXXX im Arbeiterdienstverhältnis zu einem Bruttoentgelt in der Höhe von insgesamt € 4.375,00 tätig. Zweiterer war und ist bis jetzt nicht im Bundesgebiet gemeldet und beim selben Unternehmen wie sein Bruder ( XXXX ) vom 21.10.2019 bis 18.11.2019 im Arbeiterdienstverhältnis zu einem Bruttoentgelt von insgesamt € 1.112,50 tätig. Der drittgenannte Sohn war vom 30.06.2017 bis 12.10.2017 bei XXXX in XXXX im Arbeiterdienstverhältnis beschäftigt und erhielt hier insgesamt einen Bruttolohn samt Sonderzahlungen in der Höhe von € 5.064,17. Vom 22.01.2018 bis 04.03.2018 bezog er Arbeitslosengeld, seitdem und davor keinerlei (staatliche) Leistungen mehr. Er ist aktuell in XXXX gemeldet.
1.3. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF über finanzielle Mittel zur Sicherung ihres Lebensunterhalts verfügen. Sie bezogen bis dato keine staatlichen Leistungen. BF1 und BF2 gingen bis dato im Bundesgebiet keiner legalen Beschäftigung nach und konnte nicht festgestellt werden, dass sie – ebenso wie die anderen BF – der deutschen Sprache auf einem bestimmten Niveau mächtig ist.
1.4. Es konnte nicht festgestellt werden, dass die BF2 bis BF6 in Österreich die Schule besucht haben.
1.5. Die BF sind strafrechtlich unbescholten, derzeit unsteten Aufenthaltes und haben es bis dato unterlassen, die Aufgabe der ursprünglichen Meldeadresse in XXXX dem erkennenden Gericht bekanntzugeben.
1.6. Die BF verfügen über keinen umfassenden Versicherungsschutz.
1.7. Der BF1 wurde durch die belangte Behörde am 04.10.2019 nachweislich Parteiengehör im Hinblick auf die beabsichtigte Ausweisung aller BF eingeräumt. Sie nahm hiezu jedoch nicht Stellung.
1.8. BF4 litt an Lungentuberkulose. Sie war aus diesem Grund vom XXXX .2019 bis XXXX .2019 und im XXXX 2019 (im Wilhelminenspital) in stationärer Behandlung. Nach Besserung des Gesundheitszustandes im Zuge der ersten Behandlung und Entlassung aus dem Krankenhaus waren die verschriebenen Medikamente selbständig abgesetzt und Kontrollen nur unvollständig wahrgenommen worden, sodass es zu einer Verschlechterung der Tuberkulose bzw. Wiederauftretens eines Infiltrates im Lungenröntgen kam. Wegen der Unzuverlässigkeit von BF4 und BF1 bezüglich der Medikamenteneinnahme war im Anschluss an den (zweiten) stationären Aufenthalt eine sogenannte DOT (überwachte Therapie) in der Form geplant, dass eine tägliche Aushändigung und Einnahme der Medikamente direkt in einer Apotheke durchgeführt werden solle. Aus der Sicht der Erstellung dieses medizinischen Schreibens am 16.11.2019 drohte bei neuerlichem Absetzen oder unvollständiger Einnahme eine neuerliche Verschlechterung der Tuberkulose mit Infektiosität und Resistenzentwicklung. BF1 und BF2 befinden sich nicht (mehr) in stationärer oder medikamentöser Behandlung.
BF1 hielt sich vom XXXX .2019 bis XXXX .2019 wegen pulmonaler TBC in stationärer Behandlung im XXXX in XXXX auf. Während dieses Aufenthaltes kam zu es zu einer guten Besserung des Krankheitsbildes der BF1.
BF 2 bis BF 7 waren innerhalb einer nicht genau eruierbaren Zeitspanne in der Kinderinfektiologie des XXXX unterbracht.
1.9. Ganz allgemein konnte nicht festgestellt werden, dass die BF momentan an irgendwelchen schweren oder lebensbedrohlichen Krankheiten leiden, die eine Verlängerung des Durchsetzungsaufschubes rechtfertigten oder überhaupt eine Ausweisung nach Bulgarien unzulässig erscheinen ließen.
1.10. Es wurde zu allen BF eine Beschwerdeschrift vorgelegt.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht auf Grund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:
2.2.1. Sofern Feststellungen zu Identität (Name und Geburtsdatum), Staatsangehörigkeit, Familienstand, Aufenthalt und Einreise der BF in Österreich, Antragstellung auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung, der bis dato nicht erfolgten Ausstellung derselben, gemeinsamer Unterkunftnahme und Haushaltsführung aller BF, des unbekannten Aufenthaltes des Kindesvaters sowie dem Fehlen sonstiger Einkünfte getroffen wurden, beruhen diese auf dem Inhalt der auf die Namen der BF lautenden Auszüge aus dem Zentralen Melde- (ZMR) und Fremdenregister (ZFR), den Ausführungen in der am 18.06.2020 eingelangten Stellungnahme wie den Feststellungen in den bekämpften Bescheiden. Aus den ZMR-Auszügen folgt ferner, dass die BF nicht mehr im Bundesgebiet gemeldet sind.
BF1 legte zum Beweis ihrer Identität einen bulgarischen Personalausweis, die restlichen BF bulgarische Reisepässe vor, an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen und die auch in den jeweiligen ZMR-Auszügen genannt sind.
Für das Vorliegen von Deutschkenntnissen ergaben sich im Akt keine Anhaltspunkte und wurden dahingehend auch keine Bescheinigungsmittel vorgelegt. In der Stellungnahme vor dem BVwG führte die RV der BF selbst aus, die Antwort auf das vor dem BFA eingeräumte Parteiengehör unterblieb wegen des Bestandes von Verständnisschwierigkeiten.
Trotz Aufforderung des BVwG in der an die BF gerichteten VEB unterblieb die Übermittlung von Schulzeugnissen zum Beweis ihres in der Beschwerde (seitens der BF 2 bis BF 6) vorgebrachten Schulbesuchs. Die diesbezügliche Behauptung allein reicht zu deren Beweis nicht hin, zumal keine Schulbesuchsbestätigungen vorgelegt wurden.
Aus den auf die BF1 und BF2 lautenden Sozialversicherungsdatenauszügen geht hervor, dass diese in Österreich bis dato nicht beschäftigt waren und keinerlei staatlichen Leistungen bezogen.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit der BF folgt dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.
Dass der Kindesvater der BF2 bis BF7 zu diesen nur sporadischen Kontakt hat und sich lediglich von Zeit zu Zeit im Bundesgebiet aufhält wurde in der Stellungnahme insofern glaubhaft dargelegt, als es der Lebenserfahrung wiederspräche, wenn die BF ein für sie nachteiliges Vorbringen wider besseren Wissens erstatteten.
Das der BF1 eingeräumte Parteiengehör ergibt sich aus einer im Akt einliegenden Ausfertigung des besagen Schreibens (siehe AS 4) sowie eines ebenfalls im Akt einliegenden Rückscheins, wonach das besagte Schreiben am 04.10.2019 von dieser übernommen und der Rückschein unterfertigt wurde (AS 6). Das Unterlassen einer Stellungnahme durch die BF wiederum ergibt sich daraus, dass die BF in ihrer Stellungnahme vor dem BVwG den Erhalt der Aufforderung bestätigt hat.
BF1 hat in der Antwort auf die gerichtliche VEB zwar davon gesprochen, finanzielle Unterstützungen vom Kindesvater und ihren erwachsenen Söhnen zu erhalten bzw. erhalten zu haben. Dies konnte sie jedoch in keinster Weise belegen. Des Weiteren geht keiner der volljährigen Söhne laut deren Sozialversicherungsdatenauszug einer Beschäftigung in Österreich nach und war der jüngste erwachsene Sohn der BF1 noch nie im Bundesgebiet gemeldet. Die von den drei volljährigen Söhnen vormals ausgeübten Erwerbstätigkeiten und das dafür bezogene Entgelt ergeben sich ebenso aus deren Versicherungsauszügen.
Aus dem von der MA 35 an das BFA am 19.09.2018 gerichteten Schreiben und dem Sozialversicherungsdatenauszug der BF ergibt sich, dass diese über keinen umfassenden Versicherungsschutz verfüg(t)en.
Die Lungentuberkulose der BF4 und deren Krankenhausaufenthalte sind durch das Schreiben des XXXX vom 16.12.2019 ebenso als erwiesen anzusehen wie die Nachlässigkeit von BF1 und BF4 bei der Einnahme von Medikamenten. Die Unterbringung der BF 1 im XXXX und der sich dadurch gebesserte Gesundheitszustand sowie der Aufenthalt der BF 3 bis BF 7 im XXXX sind dem Inhalt des Arztbriefes des XXXX vom 02.04.2019 zu entnehmen.
In Ermangelung der Vorlage anderer ärztlicher Atteste der (übrigen) BF konnten zu deren Gesundheitszustand jedoch keine konkreten Feststellungen getroffen werden. Aus der abschließenden Stellungnahme der BF vor dem erkennenden Gericht ergibt sich jedoch, dass die BF keiner medizinischen Hilfe (mehr) bedürfen bzw. eine solche nicht mehr wahrnehmen. Daraus folgte aber auch, dass im Falle einer Rückreise oder Rückführung nach Bulgarien mit keiner lebensbedrohlichen Situation der BF zu rechnen, allenfalls eine solche zu erwarten ist. Die dahingehende Befürchtung in der Beschwerde muss daher verworfen werden.
Die Vorlage bloß einer Beschwerdeschrift ergibt sich daraus, dass alle 7 BF in einer Beschwerde genannt sind, kein für jeden BF getrenntes Rechtsmittel eingebracht wurde und das Verfahren in einem geführt wird.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zur Abweisung der gegenständlichen Beschwerde:
3.1.1. Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jeder der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 8 leg cit. als EWR-Bürger, ein Fremder der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.
Die BF sind auf Grund ihrer bulgarischen Staatsbürgerschaft EWR-Bürger gemäß § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
3.1.2. Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG idgF lautet:
"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."
Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:
"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;
2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder
3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.
(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er
1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;
2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;
3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder
4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.
(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.
Der mit „Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern“ betitelte § 52 NAG lautet:
§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder
5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,
a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,
b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.
(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1.
Der mit "Anmeldebescheinigung" betitelte § 53 NAG lautet:
§ 53. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), haben, wenn sie sich länger als drei Monate im Bundesgebiet aufhalten, dies binnen vier Monaten ab Einreise der Behörde anzuzeigen. Bei Vorliegen der Voraussetzungen (§§ 51 oder 52) ist von der Behörde auf Antrag eine Anmeldebescheinigung auszustellen.
(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1. nach § 51 Abs. 1 Z 1: eine Bestätigung des Arbeitgebers oder ein Nachweis der Selbständigkeit;
2. nach § 51 Abs. 1 Z 2: Nachweise über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz;
3. nach § 51 Abs. 1 Z 3: Nachweise über die Zulassung zu einer Schule oder Bildungseinrichtung und über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie eine Erklärung oder sonstige Nachweise über ausreichende Existenzmittel;
4. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
5. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern ab Vollendung des 21. Lebensjahres und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung;
6. nach § 52 Abs. 1 Z 4: ein Nachweis des Bestehens einer dauerhaften Beziehung mit dem EWR-Bürger;
7. nach § 52 Abs. 1 Z 5: ein urkundlicher Nachweis einer zuständigen Behörde des Herkunftsstaates der Unterhaltsleistung des EWR-Bürgers oder des Lebens in häuslicher Gemeinschaft oder der Nachweis der schwerwiegenden gesundheitlichen Gründe, die die persönliche Pflege durch den EWR-Bürger zwingend erforderlich machen."
Der mit „Bescheinigung des Daueraufenthalts von EWR-Bürgern“ betitelte § 53a NAG lautet:
§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.
(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von
1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;
2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder
3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.
(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie
1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;
2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder
3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;
Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.
(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.
(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn
1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;
2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder
3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat.
Der mit "Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate" betitelte § 55 NAG lautet:
"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG idgF lautet wie folgt:
§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt.
3.1.3. "Nach § 66 Abs. 2 FrPolG 2005 und § 9 BFA-VG 2014 ist bei Erlassung einer auf § 66 FrPolG 2005 gestützten Ausweisung eine Abwägung des öffentlichen Interesses an der Beendigung des Aufenthalts des EWR-Bürgers mit dessen Interesse an einem Verbleib in Österreich vorzunehmen, bei der insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts im Bundesgebiet, das Alter, der Gesundheitszustand, die familiäre und wirtschaftliche Lage, die soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß der Bindungen zum Heimatstaat sowie die Frage der strafgerichtlichen Unbescholtenheit zu berücksichtigen sind." (VwGH 30.08.2018, Ra 2018/21/0049)
Bei der Beurteilung, ob im Falle der Erlassung einer Rückkehrentscheidung in das durch Art. 8 MRK geschützte Privat- und Familienleben des oder der Fremden eingegriffen wird, ist eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen, die auf alle Umstände des Einzelfalls Bedacht nimmt (Hinweis E vom 28. April 2014, Ra 2014/18/0146-0149, mwN). Maßgeblich sind dabei etwa die Aufenthaltsdauer, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens und dessen Intensität sowie die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, weiters der Grad der Integration des Fremden, der sich in intensiven Bindungen zu Verwandten und Freunden, der Selbsterhaltungsfähigkeit, der Schulausbildung, der Berufsausbildung, der Teilnahme am sozialen Leben, der Beschäftigung und ähnlichen Umständen manifestiert sowie die Bindungen zum Heimatstaat (Hinweis E vom 22. Juli 2011, 2009/22/0183). (vgl. VwGH 07.09.2016, Ra 2016/19/0168)
Der Begriff "Privatleben" iSd Art 8 MRK folgt einem breiten Konzept, das keiner vollständigen Definition zugänglich ist. Es umfasst die körperliche und seelische Integrität einer Person (EGMR vom 26. März 1985, X und Y, Nr 8978/80, Tz 22; EGMR vom 20. März 2007, Tysiac, Nr 5410/03, Tz 107). Es kann in manchen Fällen auch Gesichtspunkte der körperlichen und gesellschaftlichen Identität des Einzelnen miteinbeziehen (EGMR vom 7. Februar 2002, Mikulic, Nr 53.176/99, Tz 53). Art 8 MRK schützt auch das Recht auf persönliche Entwicklung sowie das Recht zur Begründung und Entwicklung von Beziehungen zu anderen Menschen und zur Außenwelt ohne Eingriffe von außen (EGMR vom 16. Dezember 1992, Niemietz, Nr 13.710/88, Tz 29; EGMR vom 24. Februar 1998, Botta, Nr 21.439/93, Tz 32). (vgl. VwGH 18.10.2016, Ra 2016/03/0066)
3.1.4. Der EUGH hat in seinem Erkenntnis vom 16.01.2014, Rs C-423/12 zum Thema des Unterhaltes gegenüber Angehörigen iSd. Art 2 Abs. 2 Unionsbürger-RL auszugweise geurteilt:
„…
Insoweit ist festzustellen, dass das Vorliegen eines tatsächlichen Abhängigkeitsverhältnisses nachgewiesen werden muss, damit ein 21 Jahre alter oder älterer Verwandter in gerader absteigender Linie eines Unionsbürgers als Person angesehen werden kann, der von dem Unionsbürger im Sinne von Art. 2 Nr. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/38 „Unterhalt gewährt wird“ (vgl. in diesem Sinne Urteil Jia, Rn. 42).
21 Diese Abhängigkeit ergibt sich aus einer tatsächlichen Situation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der materielle Unterhalt des Familienangehörigen durch den Unionsbürger, der von der Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, oder durch dessen Ehegatten sichergestellt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil Jia, Rn. 35).
22 Um zu ermitteln, ob eine solche Abhängigkeit vorliegt, muss der Aufnahmemitgliedstaat prüfen, ob der 21 Jahre alte oder ältere Verwandte in gerader absteigender Linie eines Unionsbürgers in Anbetracht seiner wirtschaftlichen und sozialen Lage nicht selbst für die Deckung seiner Grundbedürfnisse aufkommt. Der Unterhaltsbedarf muss im Herkunfts- oder Heimatland eines solchen Verwandten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem er beantragt, dem Unionsbürger nachzuziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Jia, Rn. 37).
23 Dagegen ist es nicht erforderlich, die Gründe für diese Abhängigkeit und damit für die Inanspruchnahme der entsprechenden Unterstützung zu ermitteln. Diese Auslegung ist insbesondere durch den Grundsatz geboten, dass Vorschriften über die zu den Grundlagen der Union gehörende Freizügigkeit der Unionsbürger, etwa die Richtlinie 2004/38, weit auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil Jia, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).
…“
3.1.5. Wie dem ermittelten Sachverhalt zu entnehmen ist, befinden sich die BF seit Ende Oktober 2017 durchgehend im Bundesgebiet. Sie lebten zusammen im gemeinsamen Haushalt, ehe sie mit 10.07.2020 abgemeldet wurden. Die BF bezogen keinerlei Einkommen und konnten den Bezug familiärer finanzieller Unterstützungen weder durch die erwachsenen Söhne der BF1 noch des Kindesvaters nachweisen. Das Fehlen solcher Mittel ergibt sich ferner aus dem gestellten Verfahrenshilfeantrag.
Unbeschadet dessen lässt das Ergebnis des gerichtlichen Ermittlungsverfahrens durch neuerlichen Einräumung eines Parteiengehörs nicht erkennen, dass die BF (nunmehr) in der Lage wären, für deren notwendigen Unterhalt aufzukommen und damit für ihre gesicherte Existenz zu sorgen. In der Stellungahme vom 18.06.2020 wurden ferner keine Umstände dargetan, die auf das Vorhandensein von Geldmitteln oder sonstigem Vermögen schließen ließen. Demzufolge erfüllen die BF auch nicht die unionsrechtlichen Aufenthaltsvoraussetzungen iSd. § 51 Abs. 1 Z 2 NAG.
Im Ergebnis kommt den BF sohin kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht in Österreich zu.
Die BF können sich zwar auf ein Familienleben iSd. Art 8 EMRK in Österreich in Bezug auf die Kernfamilie und die (zumindest 2) erwachsenen Söhne berufen (der jüngste erwachsene Sohn ist nicht im Bundesgebiet gemeldet), wobei sie zumindest mit Stefan DIMITROV zeitweilen im gemeinsamen Haushalt lebten. Wenn sich die BF auch in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten erweisen, so lässt sich darüber hinaus zudem eine besondere Integration nicht nachweisen. Auch kann im etwas mehr als 2 Jahre und 9 Monate langen Aufenthalt der BF kein zulässiger Verbleib im Bundesgebiet erblickt werden.
Letzten Endes hätten die BF aufgrund fehlender Voraussetzungen für einen unionsrechtlichen Aufenthalt in Österreich nicht ernsthaft mit einem dauerhaften Verbleib in Österreich rechnen dürfen, sodass ihre Bezugspunkte in Österreich zudem eine Relativierung hinzunehmen haben.
Nach einer Abwägung der sich widerstreitenden öffentlichen Interessen an einer Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthaltes der BF in Österreich und den privaten Interessen der BF an einem Verbleib im Bundesgebiet war gegenständlich den öffentlichen Interessen ein höheres Gewicht beizumessen als dem Verbleib der BF im Bundesgebiet und liegt daher eine mit einer Aufenthaltsbeendigung einhergehende Verletzung der Rechte der BF iSd. Art 8 EMRK nicht vor.
Da die Voraussetzungen für den Ausspruch einer Ausweisung iSd. § 66 FPG gegenständlich gegeben sind, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Die in der Beschwerde ins Treffen geführten Argumente für einen Verbleib, wie etwa der angebliche Schulbesuch der Kinder, die Rechtsunkundigkeit der BF1, deren fehlende Deutschkenntnisse und der Gesundheitszustand der BF gingen ins Leere (siehe Beweiswürdigung) und ist vor allem der BF1 ein hohes Maß an Nachlässigkeit im Hinblick auf ihren Willen, sich im Bundesgebiet zu integrieren, vorzuwerfen.
Dass die BF in Bulgarien keine Wohnung hätten wurde lediglich behauptet, nicht aber untermauert und bleibt offen, wo die BF vor ihrer Einreise Unterkunft genommen haben sollen.
3.2. Der mit „Ausreiseverpflichtung und Durchsetzungsaufschub“ betitelte § 70 FPG lautet:
„§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.
(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
(4) Der Durchsetzungsaufschub ist zu widerrufen, wenn
1. nachträglich Tatsachen bekannt werden, die dessen Versagung gerechtfertigt hätten;
2. die Gründe für die Erteilung weggefallen sind oder
3. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebietet.“
Da den BF ein Durchsetzungsaufschub von 1 Monat seitens des BFA erteilt wurde, war die Beschwerde auch in diesem Umfang als unbegründet abzuweisen. Umstände – wie etwa ein schlechter Gesundheitszustand – welche zur Verlängerung des Durchsetzungsaufschubes geführt hätten, lagen nicht vor.
3.3. Zur Stattgebung des Antrages auf Gewährung von Verfahrenshilfe:
Der mit „Verfahrenshilfe“ betitelte § 8a VwGVG lautet:
§ 8a. (1) Soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, ist einer Partei Verfahrenshilfe zu bewilligen, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist, die Partei außerstande ist, die Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts zu bestreiten, und die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung nicht als offenbar mutwillig oder aussichtslos erscheint. Juristischen Personen ist Verfahrenshilfe sinngemäß mit der Maßgabe zu bewilligen, dass an die Stelle des Bestreitens der Kosten der Führung des Verfahrens ohne Beeinträchtigung des notwendigen Unterhalts das Aufbringen der zur Führung des Verfahrens erforderlichen Mittel durch die Partei oder die an der Führung des Verfahrens wirtschaftlich Beteiligten tritt.
(2) Soweit in diesem Paragraphen nicht anderes bestimmt ist, sind die Voraussetzungen und die Wirkungen der Bewilligung der Verfahrenshilfe nach den Vorschriften der Zivilprozessordnung - ZPO, RGBl. Nr. 113/1895, zu beurteilen. Die Bewilligung der Verfahrenshilfe schließt das Recht ein, dass der Partei ohne weiteres Begehren zur Abfassung und Einbringung der Beschwerde, des Vorlageantrags, des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand oder zur Vertretung bei der Verhandlung ein Rechtsanwalt beigegeben wird.
(3) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist schriftlich zu stellen. Er ist bis zur Vorlage der Beschwerde bei der Behörde, ab Vorlage der Beschwerde beim Verwaltungsgericht einzubringen. Für Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG ist der Antrag unmittelbar beim Verwaltungsgericht einzubringen.
(4) Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe kann ab Erlassung des Bescheides bzw. ab dem Zeitpunkt, in dem der Betroffene Kenntnis von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt erlangt hat, gestellt werden. Wird die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer Säumnisbeschwerde beantragt, kann dieser Antrag erst nach Ablauf der Entscheidungsfrist gestellt werden.
Sobald eine Partei Säumnisbeschwerde erhoben hat, kann der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch von den anderen Parteien gestellt werden.
(5) In dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe ist die Rechtssache bestimmt zu bezeichnen, für die die Bewilligung der Verfahrenshilfe begehrt wird.
(6) Die Behörde hat dem Verwaltungsgericht den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und die Akten des Verfahrens unverzüglich vorzulegen. Hat das Verwaltungsgericht die Bewilligung der Verfahrenshilfe beschlossen, so hat es den Ausschuss der zuständigen Rechtsanwaltskammer zu benachrichtigen, damit der Ausschuss einen Rechtsanwalt zum Vertreter bestelle. Dabei hat der Ausschuss Wünschen der Partei zur Auswahl der Person des Vertreters im Einvernehmen mit dem namhaft gemachten Rechtsanwalt nach Möglichkeit zu entsprechen.
(7) Hat die Partei innerhalb der Beschwerdefrist die Bewilligung der Verfahrenshilfe beantragt, so beginnt für sie die Beschwerdefrist mit dem Zeitpunkt zu laufen, in dem der Beschluss über die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter und der anzufechtende Bescheid diesem zugestellt sind. Wird der rechtzeitig gestellte Antrag abgewiesen, so beginnt die Beschwerdefrist mit der Zustellung des abweisenden Beschlusses an die Partei zu laufen. Entsprechendes gilt für die Fristen, die sich auf die sonstigen in Abs. 2 genannten Anträge beziehen.
(8) Die Bestellung des Rechtsanwalts zum Vertreter erlischt mit dem Einschreiten eines Bevollmächtigten.
(9) In Verfahrenshilfesachen ist die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht zulässig.
(10) Der Aufwand ist von jenem Rechtsträger zu tragen, in dessen Namen das Verwaltungsgericht in der Angelegenheit handelt."
Gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG ist Verfahrenshilfe einer Partei zu gewähren, soweit dies auf Grund des Art. 6 Abs. 1 EMRK oder des Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389, geboten ist.
Durch den Verweis auf Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 GRC ist sichergestellt, dass die Verfahrenshilfe im verwaltungsgerichtlichen Verfahren den Anforderungen des Europäischen Menschenrechtsschutzes entspricht (siehe auch VwGH v. 03.09.2015, Zl. Ro 2015/21/0032).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte ist es nicht erforderlich, dass Verfahrenshilfe in allen erdenklichen Verfahren zu gewähren ist. Vielmehr bedarf es einer Prüfung im Einzelfall. Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Prüfungsbeschluss, der zur Aufhebung des § 40 VwGVG führte, die Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte dahingehend zusammengefasst, dass der "Zugang zu einem Gericht nicht bloß theoretisch und illusorisch, sondern effektiv gewährleistet sein müsse"; in jenen Fällen, in denen es "unentbehrlich sei, dass der Partei eines Verfahrens ein unentgeltlicher Verfahrenshelfer beigestellt werde," müsse ein solcher beigestellt werden. Für diese Beurteilung sind verschiedene Kriterien maßgeblich. Das sind zum einen Kriterien, die sich auf die Person der Parteien beziehen, nämlich ihre Vermögensverhältnisse oder ihre Fähigkeiten im Verkehr mit Behörden; zum anderen auch Kriterien, die in Zusammenhang mit der Rechtssache stehen, nämlich die Erfolgsaussichten, die Komplexität des Falles oder die Bedeutung der Angelegenheit für die Parteien (siehe 1255 der Beilagen XXV. GP - Regierungsvorlage - Erläuterungen zu § 8a VwGVG).
Im konkreten Fall erfüllen die Antragsteller unstrittig die in § 8a Abs. 1 leg. cit. als Voraussetzung festgehaltenen persönliche Kriterium des geringen Vermögens und ist die beabsichtigte Rechtsverfolgung auch nicht offenbar mutwillig oder aussichtslos. Das gegenständliche Verfahren ist zwar nicht komplexer Natur, jedoch ergibt sich im vorliegenden Fall eine besondere Sachlage, wonach die Antragsteller rechtsfreundlicher Hilfe bedürfen. Über die Erfolgsaussichten der Beschwerde können derzeit naturgemäß keine Aussagen getätigt werden.
Letztlich ist aber jedenfalls davon auszugehen, dass das gegenständliche Beschwerdeverfahren für die Antragsteller erhebliche Bedeutung hat. Im Rahmen einer Gesamtabwägung ist im konkreten Fall folglich von einem Überwiegen jener Umstände auszugehen, die die Gewährung der Verfahrenshilfe für geboten erscheinen lassen.
Folglich ist dem Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe spruchgemäß gemäß § 8a Abs. 1 VwGVG stattzugeben.
Zu berücksichtigen ist allerdings, dass lediglich eine Beschwerde für alle BF eingebracht wurde. Demgemäß fielen nur € 30,00 an Eingabegebühr an. Der Zuspruch einer Verfahrenshilfe im Ausmaß von insgesamt € 210,00 für 7 gesondert eingebrachte Beschwerden ist daher nicht gerechtfertigt und war dieses Mehrbegehren daher abzuweisen.
3.4. Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Da der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint, konnte gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG eine mündliche Verhandlung unterbleiben.
Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) hat mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Zl. Ra 2014/20/0017 und 0018-9, für die Auslegung der in § 21 Abs. 7 BFA-VG enthaltenen Wendung „wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint“ unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes (VfGH) vom 12.03.2012,
Zl. U 466/11 ua., festgehalten, dass der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen muss. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in ihrer Entscheidung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht die tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinaus gehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten des von der Verwaltungsbehörde festgestellten Sachverhaltes ebenso außer Betracht bleiben kann wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt. Schließlich ist auf verfahrensrechtlich festgelegte Besonderheiten bei der Beurteilung Bedacht zu nehmen.
Im gegenständlichen Fall ist dem angefochtenen Bescheid ein umfassendes Ermittlungsverfahren durch die belangte Behörde vorangegangen. Für eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens ergeben sich aus der Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr wurde den Grundsätzen der Amtswegigkeit, der freien Beweiswürdigung, der Erforschung der materiellen Wahrheit und des Parteiengehörs entsprochen. So ist die belangte Behörde ihrer Ermittlungspflicht hinreichend nachgekommen. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt wurde nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der belangten Behörde festgestellt und es wurde in der Beschwerde auch kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der belangten Behörde entgegenstehender oder darüber hinaus gehender Sachverhalt in konkreter und substantiierter Weise behauptet.
Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes konnte im vorliegenden Fall die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beim Bundesverwaltungsgericht gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG unterbleiben, weil der maßgebliche Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde samt Ergänzung geklärt war. Was das Vorbringen des BF in der Beschwerde betrifft, so findet sich in dieser kein neues bzw. kein ausreichend konkretes Tatsachenvorbringen, welches die Durchführung einer mündlichen Verhandlung notwendig gemacht hätte.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Eingabengebühr Familienverfahren Interessenabwägung Mehrbegehren öffentliche Interessen Verfahrenshilfe VoraussetzungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G307.2226834.1.00Im RIS seit
15.10.2020Zuletzt aktualisiert am
15.10.2020