TE Bvwg Beschluss 2020/8/14 G311 2233432-1

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Veröffentlicht am 14.08.2020
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Entscheidungsdatum

14.08.2020

Norm

BFA-VG §18 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch

G311 2233432-1/2E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit: Italien, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.06.2020,
Zahl: XXXX , betreffend Erlassung eines Aufenthaltsverbotes und Versagung des Durchsetzungsaufschubes:

A)       In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid zur Gänze aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


BEGRÜNDUNG:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

Mit dem im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.), ihm ein Durchsetzungsaufschub gemäß § 70 Abs. 3 FPG nicht erteilt (Spruchpunkt II.) und einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).

Begründend wurde im Wesentlichen angeführt, dass sich der Beschwerdeführer bereits 1968 im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern im Bundesgebiet niedergelassen habe, ohne vorerst jedoch über eine Aufenthaltsbewilligung zu verfügen. Diese sei im später erteilt worden. Seit 1986 sei der Beschwerdeführer bis dato 25 mal rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden. Zwischen Oktober 2013 und Februar 2019 sei es zum Vollzug mehrerer unbedingter Haftstrafen gekommen. Der Beschwerdeführer sei selbst suchtmittelabhängig (insbesondere Kokain) und erhalte nach dem Ableben seines Vaters keine finanzielle Unterstützung mehr. Er sei auch wegen schwerwiegender Verwaltungsübertretungen, wie etwa dem Lenken eines Fahrzeuges in alkoholisiertem Zustand (rechtskräftiges Straferkenntnis vom XXXX .1997) polizeilich in Erscheinung getreten. Seitens des Bundesamtes erwecke der Beschwerdeführer den Eindruck, dass er eine gewisse subjektive Sicherheit entwickelt habe, unabhängig von dem von ihm gesetzten Verhalten angesichts seines langjährigen Aufenthalts als EWR-Bürger nicht mit fremdenrechtlichen Konsequenzen rechnen zu müssen. Abgesehen von Beschäftigungen im Unternehmen des Vaters in den 1980er und 1990er Jahren sei der Beschwerdeführer bisher nur wenige Monate im Bundesgebiet einer regelmäßigen Beschäftigung nachgegangen. Seinen Lebensunterhalt hab er außerhalb der Haft ausschließlich aus Mitteln der Arbeitslosenversicherung bzw. der Notstandshilfe oder sein in Italien lebende Mutter finanziert. Zu den beiden erwachsenen, in Österreich lebenden, Kindern des Beschwerdeführers, die bei der Kindesmutter aufgewachsen seien, bestehe kein maßgeblicher Kontakt. Abgesehen vom Spracherwerb hätte trotz des langen Aufenthalts im Bundesgebiet keinerlei Integration in beruflicher oder sozialer Hinsicht festgestellt werden können. Bedingte Entlassungen aus Strafhaften seien dem Beschwerdeführer wiederholt aus spezialpräventiven Erwägungen versagt worden. Durch seine völlige Sanktions- und Therapieresistenz, seine verzerrte Wahrnehmung hinsichtlich des Handlungsunwertes im Bereich der Suchtmittel- und Beschaffungskriminalität und gänzlich fehlender positiver Perspektiven für die Zukunft hätte hinsichtlich des Beschwerdeführers keine positive Zukunftsprognose getroffen werden können. Die angeführten rechtskräftigen Verurteilungen würden sich aus einer aktuellen Strafregisterabfrage ergeben. Die Feststellungen hinsichtlich des den Verurteilungen zugrundeliegenden Verhaltens sowie der Strafbemessungsgründe würden sich aus den im Akt einliegenden Urteilen sowie den korrespondierenden kriminalpolizeilichen Berichterstattungen ergeben.

Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.

Festzuhalten ist, dass von im Strafregister hinsichtlich des Beschwerdeführers geführten Verurteilungen lediglich 12 Strafurteile (konkret die Urteile zu den Nummern 5, 6, 9, 16, 17, sowie 19 bis 25 im Strafregister), somit unter 50 %, im Verwaltungsakt einliegen. Ebenso wenig liegen im Verwaltungsakt die in der Begründung des angefochtenen Bescheides herangezogenen Verwaltungsstrafverfügungen ein. Es werden darüber hinaus – entgegen den beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde - keinerlei Feststellungen hinsichtlich des den Verurteilungen jeweils zugrundeliegenden Verhaltens und/oder den jeweiligen konkreten Strafbemessungsgründen getroffen, vielmehr wurde lediglich der Strafregisterauszug zitiert. Es erfolgte weiters keine konkrete Subsumption des festgestellten Verhaltens unter eine konkrete Rechtsnorm und wurde nicht ausgeführt, warum dieses Verhalten eine derartige Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt, dass die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes in der angeführten Dauer gerechtfertigt ist.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1.       der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2.       die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Ausführlich hat sich der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 27.06.2018, Ra 2017/09/0031, insbesondere Rz 13 und 14 mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

„13 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (vgl. etwa VwGH 10.9.2014, Ra 2014/08/0005; 24.3.2015, Ra 2014/09/0043, 14.12.2015, Ra 2015/09/0057, und 20.2.2018, Ra 2017/20/0498, jeweils mwN).

14 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. etwa das zit. Erkenntnis Ra 2017/20/0498, mwN).“

Unter diesen Gesichtspunkten leidet der angefochtene Bescheid unter erheblichen Ermittlungsmängeln.

Im Rahmen einer Gefährdungsprognose ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung eines Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl etwa VwGH 06.12.2019, Ra 2019/18/0437 mwN).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren durch ergänzende Ermittlungen, insbesondere der Einholung der fehlenden, den Beschwerdeführer betreffenden strafgerichtlichen Entscheidungen (sofern diese noch erhältlich sind) und der vom Bundesamt herangezogenen verwaltungsstrafrechtlichen Entscheidungen, allenfalls auch durch Abfrage der verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen, mit dem konkreten Verhalten des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen haben und eine einzelfallbezogene Gefährdungsprognose, basierend auf dem konkreten Verhalten des Beschwerdeführers, zu treffen haben.

Es hat sich nicht ergeben, dass die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen wäre, zumal nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung der Angelegenheit, mit einer wesentlichen Zeitersparnis und Verkürzung der Verfahrensdauer verbunden wäre.

Schließlich liegt auch kein Anhaltspunkt dahingehend vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre.

Da alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG vorliegen, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die ordentliche Revision ist unzulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Behebung der Entscheidung Ermittlungspflicht individuelle Verhältnisse Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2233432.1.00

Im RIS seit

15.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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