TE Bvwg Erkenntnis 2020/8/18 G308 2204838-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.08.2020
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Entscheidungsdatum

18.08.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

G308 2204842-1/6E
G308 2204844-1/5E
G308 2204840-1/5E
G308 2204838-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Angelika PENNITZ als Einzelrichterin über die Beschwerden 1.) des XXXX , geboren am XXXX , 2.) der XXXX , geboren am XXXX , 3.) des XXXX , geboren am XXXX , und 4.) des XXXX , geboren am XXXX , alle Staatsangehörigkeit: Irak, 3.) gesetzlich vertreten durch die Mutter XXXX , alle vertreten durch Rechtsanwalt Mag. Thomas KLEIN, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 26.07.2018, Zahlen: zu 1.) XXXX , zu 2.) XXXX , zu 3.) XXXX , und zu 4.) XXXX , betreffend die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz sowie die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.07.2020, zu Recht:

A)       

I.       Den Beschwerden gegen Spruchpunkt I. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX , XXXX , geboren am XXXX , XXXX , geboren am XXXX , und XXXX , geboren am XXXX , jeweils gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015 iVm § 2 Abs. 1 Z 15 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

II.      Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 idF BGBl. I Nr. 70/2015 wird festgestellt, dass XXXX , XXXX , XXXX und XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

III.    In Erledigung der Beschwerden werden die jeweiligen Spruchpunkte II. bis VI. der angefochtenen Bescheide ersatzlos aufgehoben.

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander verheiratet. Der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer sind ihre beiden – zum Entscheidungszeitpunkt - volljährigen Söhne. Hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers kommt der Zweitbeschwerdeführerin wegen dessen schwerer Behinderung die gesetzliche Vertretung zu.

Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin reisten gemeinsam mit dem damals bereits volljährigen, aber schwer behinderten Drittbeschwerdeführer, der volljährigen Tochter sowie dem damals noch minderjährigen Viertbeschwerdeführerin illegal in das österreichische Bundesgebiet ein, wo sie jeweils am 15.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellten.

Am 17.09.2015 fanden vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftlichen Erstbefragungen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin statt.

Seitens des Bundesamtes wurde hinsichtlich des Drittbeschwerdeführers ein neuropsychiatrisches Gutachten vom 06.07.2016 eingeholt und in weiterer Folge aufgrund der Ergebnisse des Gutachtens mit Schreiben vom 20.07.2016 beim Bezirksgericht Rohrbach die Bestellung eines Sachwalters für den Drittbeschwerdeführer angeregt.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2017, Zahl: XXXX , wurde die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter des Drittbeschwerdeführers zu dessen Sachwalterin bestellt.

Die niederschriftlichen Einvernahmen des Erstbeschwerdeführers und der Zweitbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, fanden jeweils am 12.07.2018 statt.

Mit den oben im Spruch angeführten Bescheiden des Bundesamtes wurden die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (jeweils Spruchpunkt I.), als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (jeweils Spruchpunkt II.) abgewiesen, den Beschwerdeführern ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). Darüber hinaus wurde eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eingeräumt (Spruchpunkt VI.).

Mit dem am 29.08.2018 beim Bundesamt einlangenden Schriftsatz vom 27.08.2018 erhoben die Beschwerdeführer durch ihren damaligen bevollmächtigten Rechtsvertreter das Rechtsmittel der Beschwerde gegen die sie betreffenden Bescheide des Bundesamtes. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchführen, der Beschwerde stattgeben und den Beschwerdeführern den Status von Asylberechtigten oder allenfalls subsidiär Schutzberechtigten zuerkennen; in eventu ihnen einen Aufenthaltstitel aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen erteilen; jedenfalls von einer Rückkehrentscheidung absehen und die Unzulässigkeit der Abschiebung feststellen; in eventu die angefochtenen Bescheide zur Gänze beheben und die Verfahren an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen.

Die gegenständlichen Beschwerden und die Bezug habenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt vorgelegt und sind am 03.09.2018 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

Mit am 04.11.2019 einlangenden Schriftsatz wurde die Vertretungsvollmacht der nunmehrigen Rechtsvertretung der Beschwerdeführer bekanntgegeben.

Mit Ladung des Bundesverwaltungsgerichtes zur mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 07.07.2020 wurden zugleich aktuelle Länderinformationen zur Situation betreffend COVID-19 sowie das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020 zur Stellungnahme bzw. zur Vorbereitung der mündlichen Beschwerdeverhandlung übermittelt.

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.07.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, an welcher die Beschwerdeführer, ihre Rechtsvertretung sowie ein Dolmetscher für die Sprache Arabisch teilnahmen. Die belangte Behörde verzichtete auf die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung. Die volljährige Tochter des Erst- und der Zweitbeschwerdeführerin, deren Beschwerdeverfahren über deren Antrag auf internationalen Schutz zur Zahl G312 2204853-1 beim Bundesverwaltungsgericht anhängig ist, wurde als Zeugin einvernommen.

Die Beschwerdeverfahren der Beschwerdeführer wurden gemäß § 39 Abs. 2 AVG iVm § 17 VwGVG zur gemeinsamen Verhandlung verbunden.

Die Verkündung der Entscheidung entfiel gemäß § 29 Abs. 3 VwGVG.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführer führen die im Spruch jeweils angeführte Identität (Namen und Geburtsdatum), sind Staatsangehörige des Irak, Angehörige der Volksgruppe der Araber und bekennen sich zum moslemischen Glauben sunnitischer Ausrichtung. Ihre Muttersprache ist Arabisch. Der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind miteinander seit 1994 verheiratet. Aus dieser Ehe stammen der volljährige, aber besachwalterte Drittbeschwerdeführer, die zum Zeitpunkt der Asylantragstellung am 15.09.2015 bereits volljährige Tochter XXXX , geboren am XXXX , sowie der zum Zeitpunkt der Asylantragstellung noch minderjährige und ledige Viertbeschwerdeführer. Das Beschwerdeverfahren der Tochter ist am Bundesverwaltungsgericht zur Zahl G312 2204853-1 anhängig und wird getrennt geführt (vgl aktenkundige Kopien der irakischen Personalausweise der Beschwerdeführer, AS 111 ff BF1, AS 69 ff BF2, AS 85 ff BF2 (Drittbeschwerdeführer), AS 77 ff BF2 (Viertbeschwerdeführer); Kopien der irakischen Staatsbürgerschaftsnachweise der Beschwerdeführer, AS 115 ff BF1, AS 73 ff BF2, AS 89 ff BF2 (Drittbeschwerdeführer), AS 81 ff BF2 (Viertbeschwerdeführer); Erstbefragung vom 17.09.2015, AS 11 ff Erstbeschwerdeführer; Erstbefragung vom 17.09.2015, AS 1 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 12.07.2018, AS 79 ff Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 12.07.2018, AS 117 ff Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 28.07.2020, S 3 ff; Einsicht in das elektronische Aktenverwaltungssystem zur Zahl G312 2204853-1).

Die Beschwerdeführer verließen den Irak am 10.07.2006 und lebten bis 11.07.2014 in Syrien. Am 11.07.2014 kehrten sie in den Irak zurück und reisten nach Erbil in der autonomen Region Kurdistan. Die erlaubte Aufenthaltsdauer war befristet und musste immer verlängert werden. Am 25.01.2015 wurden die Beschwerdeführer aufgefordert, Erbil und Kurdistan zu verlassen und wurde ihnen keine weitere Aufenthaltserlaubnis erteilt. Die Beschwerdeführer kehrten – mit der Absicht ihr dort befindliches Haus zu verkaufen und sich neue Reisepässe ausstellen zu lassen - vorübergehend nach Bagdad zurück. Sie reisten am 10.05.2015 nach Erbil zurück und organisierten den Verkauf des Hauses und die Erlangung neuer Reisepässe von dort aus. Am 15.08.2015 verließen die Beschwerdeführer den Irak legal auf dem Luftweg und reisten nach Istanbul/Türkei und weiter nach Bodrum/Türkei. Von dort aus reisten sie schlepperunterstützt nach Griechenland und weiter mit dem Flüchtlingsstrom bis nach Österreich, wo sie am 15.09.2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz stellten (vgl Verhandlungsprotokoll vom 28.07.2020, S 7 f; in der Verhandlung vorgelegte Unterlage über die Verweigerung eines weiteren Aufenthaltstitels der Sicherheitsdirektion von Erbil).

Der Erstbeschwerdeführer hat in Bagdad sechs Jahre die Grundschule besucht, musste dann aber aufgrund des Todes seines Vaters tagsüber arbeiten und besuchte eine Abendschule. Er arbeitete in verschiedenen Branchen, etwa auf Baustellen, als Eisverkäufer oder Zeitungsausträger. Er hat das Abend-Gymnasium mit Matura abgeschlossen und studierte anschließend Persisch (Farsi) an der Universität in Bagdad und arbeitete neben dem Studium als Zimmermann und Tischler. Nach Abschluss des Studiums wurde er als Dekan des persischen Dekanats der Universität angelobt und arbeitete als solcher von 1992 bis 1999. 1999 wurde er dann als Dolmetscher in ein Reisebüro für iranische Delegationen versetzt. Anschließend arbeitete er wieder als Dekan an der Universität. Im Zuge der Konfessionskriege flüchtete der Erstbeschwerdeführer mit seiner Familie am 10.07.2006 aus dem Irak nach Syrien, wo sie bis 11.07.2014 lebten und dann wieder in den Irak (Erbil und Bagdad) zurückkehrten, bevor sie diesen am 15.08.2015 neuerlich verließen. Der Vater, die Mutter und die beiden Brüder des Erstbeschwerdeführers sind inzwischen bereits verstorben, sodass er im Irak keine näheren Verwandten mehr hat. Der Erstbeschwerdeführer hat bereits mehrere Deutschkurse besucht und engagiert sich ehrenamtlich in einem Pensionistenheim (vgl Erstbefragung vom 17.09.2015, AS 11 ff Erstbeschwerdeführer; Niederschrift Bundesamt vom 12.07.2018, AS 79 ff Erstbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 28.07.2020, S 5 ff; Konvolut aktenkundiger Teilnahmebestätigungen bzw. Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten).

Beim Erstbeschwerdeführer musst aufgrund von Vorhofflimmer am 13.01.2016 eine geplante Cardioversion (Elektroschock des Herzens) vorgenommen werden (vgl Arztbrief vom 13.01.2016, AS 321 Erstbeschwerdeführer). Darüber hinausgehend ist der Erstbeschwerdeführer aber gesund und arbeitsfähig (vgl Verhandlungsprotokoll vom 28.07.2020, S 4; aktenkundiges Konvolut an Bestätigungen für gemeinnützige und ehrenamtliche Tätigkeiten des Beschwerdeführers, etwa als Maler, Lackierer oder Haustechniker).

Die Zweitbeschwerdeführerin ist gesund und arbeitsfähig. Sie hat in Bagdad sechs Jahre eine Grundschule, drei Jahre eine Mittelschule, der Jahre ein Gymnasium und vier Jahre die Universität besucht. Sie hat Englisch studiert und war anschließend als Dolmetscherin erwerbstätig. Eine der Schwestern der Zweitbeschwerdeführerin lebt nunmehr in der Türkei. Zu den beiden anderen Schwestern hat sie seit 2014 keinen Kontakt mehr. Ein Bruder der Zweitbeschwerdeführerin wurde nach dessen Rückkehr in den Irak von Jordanien getötet. Ein weiterer Bruder der Zweitbeschwerdeführerin lebt vermutlich in Schweden. Auch zu diesem hat sie keinerlei Kontakt. Die Eltern der Zweitbeschwerdeführerin sind ebenfalls bereits verstorben. Ein Neffe (Sohn einer der Schwestern) der Zweitbeschwerdeführerin lebt mit dessen Familie in Österreich. Ihm kommt im Familienverfahren zu seiner asylberechtigten Ehefrau ebenfalls der Status eines Asylberechtigten zu. Die Zweitbeschwerdeführerin hat bereits mehrere Deutschkurse besucht und engagiert sich ehrenamtlich in einem Pensionistenheim (vgl Erstbefragung vom 17.09.2015, AS 1 ff Zweitbeschwerdeführerin; Niederschrift Bundesamt vom 12.07.2018, AS 117 ff Zweitbeschwerdeführerin; Verhandlungsprotokoll vom 28.07.2020, S 6 ff; Konvolut aktenkundiger Teilnahmebestätigungen bzw. Bestätigungen über gemeinnützige Tätigkeiten).

Der Drittbeschwerdeführer ist ledig und hat keine Kinder. Er erlitt bei seiner Geburt einen hypoxischen Hirnschaden aufgrund von Sauerstoffmangel und kam es weiters im Alter von sechs Monaten zu einer schweren Impfkomplikation. Bei ihm besteht eine schwere Intelligenzminderung, ein Zustand nach hypoxischem Hirnschaden mit symptomatischer fokaler Epilepsie, anamnestisch stattgehabter Enzephalitis sowie eine residuale spastische Hemiparese rechts. Er benötigt eine dauerhafte Behandlung seines Anfallsleidens. Die Häufigkeit der Anfälle konnte durch in Österreich erhaltene Medikamente etwas reduziert werden. Der Drittbeschwerdeführer ist nicht in der Lage, die Arbeiten des täglichen Lebens selbstständig durchzuführen. Er benötigt Betreuung, Hilfe und Unterstützung beim An- und Auskleiden, bei der Körperpflege, der Zubereitung von Mahlzeiten sowie auch bei der Verrichtung der Notdurft. Er kann selbst keine Nahrungsmittel, Medikamente und Bedarfsgüter herbeischaffen, einen Wohnbereich oder Gebrauchsgegenstände reinigen oder Leib- und Bettwäsche pflegen. Es ist auch eine Mobilitätshilfe erforderlich. Der Drittbeschwerdeführer ist zeitlich, sachlich und örtlich nicht orientiert. Er kann weder sprechen noch schreiben oder lesen (vgl neurologisch-psychiatrisches Sachverständigengutachten Dris. XXXX vom 06.07.2016, AS 103 ff Drittbeschwerdeführer). Weiters wurden beim Drittbeschwerdeführer eine Skoliose, eine Hüftfehlstellung und ein Spitzfuß rechts diagnostiziert (vgl etwa Kurzarztbrief vom 01.02.2016, AS 346 Drittbeschwerdeführer). Der Drittbeschwerdeführer besucht seit 02.05.2017 bei „ XXXX “ eine Werkstätte & Tagesstrukturen für Menschen mit Behinderungen (vgl Bestätigung, AS 358 Drittbeschwerdeführer). Dass im Irak, vor allem konkret in Bagdad, für ihn eine ausreichende und entsprechende medizinzische Behandlung möglich und zugänglich ist, konnte nicht abschließend festgestellt werden.

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes XXXX vom XXXX .2017, XXXX , wurde die Zweitbeschwerdeführerin als Mutter des Drittbeschwerdeführers zu dessen Sachwalterin (nunmehr: gerichtliche Erwachsenenvertreterin) bestellt (vgl aktenkundiger Beschluss, AS 135 f Drittbeschwerdeführer).

Auch der nunmehr volljährige Viertbeschwerdeführer ist gesund, arbeits- bzw. schulfähig, ledig und hat keine Kinder. Er verließ den Irak gemeinsam mit seinen Eltern und Geschwistern im Alter von vier Jahren und besuchte daraufhin in Syrien sechs Jahre die Schule, bevor die Familie vorübergehend in den Irak zurückkehrte und diesen schließlich neuerlich nach Europa verließ. Er hat keine persönlichen Kontakte in den Irak und steht nur noch mit einigen Schulfreunden aus Syrien in Verbindung. In Österreich besucht der Viertbeschwerdeführer derzeit ein Abendgymnasium und wird in den nächsten zwei Jahren die Matura ablegen. Darüber hinaus hat er regelmäßig außerschulische Kurse und Veranstaltungen besucht (vgl etwa aktenkundiges Schulzeugnis, AS 219 Viertbeschwerdeführer; aktenkundiges Konvolut an Teilnahmebestätigungen, AS 220 ff Viertbeschwerdeführer; Verhandlungsprotokoll vom 28.07.2020, S 6 ff).

Die Beschwerdeführer halten sich seit ihrer Einreise ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Alle Beschwerdeführer sind strafgerichtlich unbescholten und leben auch zum Entscheidungszeitpunkt nach wie vor alle im gemeinsamen Haushalt und von der Grundversorgung. Keiner der Beschwerdeführer ging bisher einer sozialversicherten Erwerbstätigkeit nach (vgl aktenkundige Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, aus dem Strafregister sowie den Sozialversicherungs- und Grundversorgungsdaten jeweils vom 07.08.2020).

Außer untereinander sowie der volljährigen Tochter/Schwester der Beschwerdeführer und dem Neffen der Zweitbeschwerdeführerin sowie dessen Familie haben sie in Österreich bzw. Europa keine nachweisbaren weiteren familiären Bindungen (vgl etwa Verhandlungsprotokoll vom 28.07.2020, S 8).

Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Zweitbeschwerdeführerin waren als Lehrende an öffentlichen Universitäten im öffentlichen Dienst unter dem Regime Saddam Hussein tätig. 2001 sagte der Erstbeschwerdeführer gegen einen für den Iran spionierenden schiitischen Iraker vor Gericht aus, nachdem er und zwei Kollegen für diese in einem als Reisebüro getarnten Treffpunkt Arabisch und Farsi gedolmetscht hatten. Der Erstbeschwerdeführer vermutet, der Spion wurde zum Tode verurteilt und hingerichtet. Der Bruder des Spions wurde später ein Anführer einer schiitischen Miliz und war ein Partner eines Führers eines Teils der schiitischen Miliz Asa´ib Ahl al-Haqq, XXXX (im Folgenden: A.S.). Der Erstbeschwerdeführer und seine Familie lebten 2006 im Haus eines der Brüder des Erstbeschwerdeführers. A.S. hat im Jahr 2006 öffentlich, etwa im Fernsehen, zur Tötung aller Sunniten aufgerufen und am 08.07.2006 den Neffen des Erstbeschwerdeführers vor dessen Haus erschossen, weil er den Erstbeschwerdeführer wegen Rache für dessen Zeugenaussage gesucht hat und der Neffe ihn schützen wollte. Der Erstbeschwerdeführer konnte über den Zaun hinter dem Haus des Bruders flüchten. Auch zwei seiner Dolmetschkollegen aus dem „Reisebüro“ wurden 2006 getötet. Am 10.07.2006 verließen die Beschwerdeführer aus Angst vor der Verfolgung durch A.S. und die schiitische Miliz AAH den Irak und flüchteten nach Syrien.

Nachdem auch in Syrien Krieg ausgebrochen und die Region in der sich die Beschwerdeführer aufgehalten hatten, bombardiert wurde und sie weiters neue Reisepässe benötigten, beschlossen die Beschwerdeführer im Juli 2014 in den Irak (nach Erbil, Kurdistan) zurückzukehren. Dort wurde ihnen jedoch ab Ende Jänner 2015 keine weitere Aufenthaltsberechtigung erteilt, sodass sie nach Bagdad zurückkehren mussten. Der Drittbeschwerdeführer erlitt gegen 03:00 Uhr morgens am 07.05.2015 einen seiner zahlreichen Anfälle und wurde vom Erstbeschwerdeführer und der Zweitbeschwerdeführerin gemeinsam ins Krankenhaus in Bagdad gebracht. Gegen 07:00 Uhr fuhr der Erstbeschwerdeführer wieder nach Hause, während die Zweitbeschwerdeführerin beim Drittbeschwerdeführer im Krankenhaus geblieben war. Beim Verlassen des Krankenhauses begegnete er bewaffneten Personen, die einen verwundeten Kameraden ins Krankenhaus brachten. Unter ihnen war aus A.S., der sie 2006 aus dem Irak vertrieben und den Neffen des Erstbeschwerdeführers getötet hatte. Der Erstbeschwerdeführer rief sofort die Zweitbeschwerdeführerin an und riet ihr, sofort das Krankenhaus mit dem Drittbeschwerdeführer in einem Taxi zu verlassen und nach Hause zu fahren. Kurz nach der Ankunft zuhause erhielt die Zweitbeschwerdeführerin einen Anruf. Sie fürchteten, dass das Krankenhaus, welches über sämtliche Kontaktdaten und ihre Adresse verfügte, ihre Daten an A.S. weitergeben hat und verließen Bagdad. Bei der Ausreise aus dem Viertel passierten sie einen Checkpoint, an dem sich vier bewaffnete Personen befanden, darunter auch A.S. Dieser zeigte mit dem Finger auf das Auto der Beschwerdeführer. Der Erstbeschwerdeführer versuchte dann mit dem Auto zu flüchten und wurde von den vier Milizangehörigen verfolgt. Es wurde geschossen. Jedoch konnte der Erstbeschwerdeführer nicht mit Gewissheit angeben, ob sie direkt auf das Auto oder in die Luft geschossen haben. Es ist ihnen jedoch gelungen, zu fliehen. Sie flüchteten zu einem Freund des Beschwerdeführers. Dieser arrangierte dann auch, dass die Beschwerdeführer eine Anzeige erstatteten. Die Anzeige ist im Gericht von XXXX in Bagdad am 10.05.2015 ausgestellt. Sie wurden anschließend von einem kurdischen Bekannten am 10.05.2015 von Bagdad nach Erbil gebracht.

Die Zweitbeschwerdeführerin, der Drittbeschwerdeführer und der Viertbeschwerdeführer haben keine eigenen Fluchtgründe und beziehen sich auf das Fluchtvorbringen des Erstbeschwerdeführers.

Zur entscheidungsrelevanten Lage im Irak:

Zur allgemeinen Lage im Irak werden die vom Bundesverwaltungsgericht mit Ladung zur mündlichen Verhandlung in das Verfahren eingeführten Länderberichte, nämlich aktuelle Länderinformationen und zwar das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17.03.2020 sowie ein Konvolut an Länderinformationen zur Situation betreffend COVID-19 auch als entscheidungsrelevante Feststellungen zum endgültigen Gegenstand dieses Erkenntnisses erhoben.

Aus dem UN OCHA Situation Report No. 10 zum Irak (COVID-19) vom 09.04.2020 ist ersichtlich, dass es zum damaligen Zeitpunkt im gesamten Irak zu 1202 bestätigten COVID-19 Fällen gekommen ist, wovon 69 Personen bis zum 09.04.2020 verstorben und 452 Patienten wieder genesen waren. In der Autonome Region Kurdistan kam es vorübergehend zu einem „Lockdown“. Flughäfen im Zentralirak und in Kurdistan blieben jedenfalls bis 11.04.2020 geschlossen. Die COVID-19 Maßnahmen, darunter Abstandhalten und „Social Distancing“ haben – wie auch in anderen Staaten - zu Wirtschaftseinbrüchen geführt. Durch die Restriktionen und Lockdowns kam es auch zur Beeinträchtigung von Hilfsleistungen humanitärer Institutionen.

Mit Stand 07.08.2020 gab es im Irak seit Februar 2020 insgesamt 137.556 bestätigte COVID-19 Erkrankungen und 5094 Todesfälle in diesem Zeitraum (vgl https://covid19.who.int/region/emro/country/iq, Zugriff am 07.08.2020).


Aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 17.03.2020 ergibt sich auszugsweise:

„[…] 1  Politische Lage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020
1.1          Parteienlandschaft

Letzte Änderung: 17.3.2020

Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Die folgende Grafik veranschaulicht die Sitzverteilung im neu gewählten irakischen Parlament. Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).

[Grafik gelöscht, Anm]

Quellen:

- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020

- RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020

- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020
1.2          Kurdische Region im Irak (KRI) / Autonome Region Kurdistan

Letzte Änderung: 17.3.2020

Die Kurdische Region im Irak (KRI) wird in der irakischen Verfassung, in Artikel 121, Absatz 5 anerkannt (Rudaw 20.11.2019). Die KRI besteht aus den Gouvernements Erbil, Dohuk und Sulaymaniyah. sowie aus dem im Jahr 2014 durch Ministerratsbeschluss aus Sulaymaniyah herausgelösten Gouvernement Halabja, wobei dieser Beschluss noch nicht in die Praxis umgesetzt wurde. Verwaltet wird die KRI durch die kurdische Regionalregierung (KRG) (GIZ 1.2020a).

Das Verhältnis der Zentralregierung zur KRI hat sich seit der Durchführung eines Unabhängigkeitsreferendums in der KRI und einer Reihe zwischen Bagdad und Erbil „umstrittener Gebiete“ ab dem 25.9.2017 deutlich verschlechtert. Im Oktober 2017 kam es sogar zu lokal begrenzten militärischen Auseinandersetzungen (AA 12.1.2019). Der langjährige Präsident der KRI, Masoud Barzani, der das Referendum mit Nachdruck umgesetzt hatte, trat als Konsequenz zurück (GIZ 1.2020a).

Der Konflikt zwischen Bagdad und Erbil hat sich im Lauf des Jahres 2018 wieder beruhigt, und es finden seither regelmäßig Gespräche zwischen den beiden Seiten statt. Grundlegende Fragen wie Öleinnahmen, Haushaltsfragen und die Zukunft der umstrittenen Gebiete sind jedoch weiterhin ungelöst zwischen Bagdad und der KRI (AA 12.1.2019).

Die KRI ist seit Jahrzehnten zwischen den beiden größten Parteien geteilt, der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP), angeführt von der Familie Barzani, und deren Rivalen, der Patriotischen Union Kurdistans (PUK), die vom Talabani-Clan angeführt wird (France24 22.2.2020; vgl. KAS 2.5.2018). Die KDP hat ihr Machtzentrum in Erbil, die PUK ihres in Sulaymaniyah. Beide verfügen einerseits über eine bedeutende Anzahl von Sitzen im Irakischen Parlament und gewannen andererseits auch die meisten Sitze bei den Wahlen in der KRI im September 2018 (CRS 3.2.2020). Der Machtkampf zwischen KDP und PUK schwächt einerseits inner-kurdische Reformen und andererseits Erbils Position gegenüber Bagdad (GIZ 1.2020a). Dazu kommen Gorran („Wandel“), eine 2009 gegründete Bewegung, die sich auf den Kampf gegen Korruption und Nepotismus konzentriert (KAS 2.5.2018; vgl. WI 8.7.2019), sowie eine Reihe kleinerer islamistischer Parteien (KAS 2.5.2018).

Auch nach dem Rücktritt von Präsident Masoud Barzani teilt sich die Barzani Familie die Macht. Nechirvan Barzani, langjähriger Premierminister unter seinem Onkel Masoud, beerbte ihn im Amt des Präsidenten der KRI. Masrour Barzani, Sohn Masouds, wurde im Juni 2019 zum neuen Premierminister der KRI ernannt (GIZ 1.2020a) und im Juli 2019 durch das kurdische Parlament bestätigt (CRS 3.2.2020).

Proteste in der KRI gehen auf das Jahr 2003 zurück. Die Hauptforderungen der Demonstranten sind dabei gleich geblieben und drehen sich einerseits um das Thema Infrastrukturversorgung und staatliche Leistungen (Strom, Wasser, Bildung, Gesundheitswesen, Straßenbau, sowie die enormen Einkommensunterschiede) und andererseits um das Thema Regierungsführung (Rechenschaftspflicht, Transparenz und Korruption) (LSE 4.6.2018). Insbesondere in der nordöstlichen Stadt Sulaymaniyah kommt es zu periodischen Protesten, deren jüngste im Februar 2020 begannen (France24 22.2.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- CRS - Congressional Research Service (3.2.2020): Iraq and U.S. Policy, https://fas.org/sgp/crs/mideast/IF10404.pdf, Zugriff 13.3.2020

- France24 (22.2.2020): Iraqi Kurds rally against 'corruption' of ruling elite, https://www.france24.com/en/20200222-iraqi-kurds-rally-against-corruption-of-ruling-elite, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- LSE - London School of Economics and Political Science (4.6.2018): Iraq and its regions: The Future of the Kurdistan Region of Iraq after the Referendum, http://eprints.lse.ac.uk/88153/1/Sleiman%20Haidar_Kurdistan_Published_English.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Rudaw (20.11.2019): Will the Peshmerga reform – or be integrated into the Iraqi Army?, https://www.rudaw.net/english/analysis/201120191, Zugriff 13.3.2020

- WI - Washington Institute (8.7.2019): Gorran and the End of Populism in the Kurdistan Region of Iraq, https://www.washingtoninstitute.org/fikraforum/view/gorran-and-the-end-of-populism-in-the-kurdistan-region-of-iraq, Zugriff 13.3.2020
2          Sicherheitslage

Letzte Änderung: 17.3.2020

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.1          Islamischer Staat (IS)

Letzte Änderung: 17.3.2020

Seit der Verkündigung des territorialen Sieges des Irak über den Islamischen Staat (IS) durch den damaligen Premierminister al-Abadi im Dezember 2017 (USCIRF 4.2019; vgl Reuters 9.12.2017) hat sich der IS in eine Aufstandsbewegung gewandelt (Military Times 7.7.2019) und kehrte zu Untergrund-Taktiken zurück (USDOS 1.11.2019; vgl. BBC 23.12.2019; FH 4.3.2020). Zahlreiche Berichte erwähnen Umstrukturierungsbestrebungen des IS sowie eine Mobilisierung von Schläferzellen (Portal 9.10.2019) und einen neuerlichen Machtzuwachs im Norden des Landes (PGN 11.1.2020).

Der IS unterhält ein Netz von Zellen, die sich auf die Gouvernements Ninewa, Salah ad-Din, Kirkuk und Diyala konzentrieren, während seine Taktik IED-Angriffe auf Sicherheitspersonal, Brandstiftung auf landwirtschaftlichen Flächen und Erpressung von Einheimischen umfasst (Garda 3.3.2020). Der IS führt in vielen Landesteilen weiterhin kleinere bewaffnete Operationen, Attentate und Angriffe mit improvisierten Sprengkörpern (IED) durch (USCIRF 4.2019). Er stellt trotz seines Gebietsverlustes weiterhin eine Bedrohung für Sicherheitskräfte und Zivilisten, einschließlich Kinder, dar (UN General Assembly 30.7.2019). Er ist nach wie vor der Hauptverantwortliche für Übergriffe und Gräueltaten im Irak, insbesondere in den Gouvernements Anbar, Bagdad, Diyala, Kirkuk, Ninewa und Salah ad-Din (USDOS 11.3.2020; vgl. UN General Assembly 30.7.2019). Im Jahr 2019 war der IS insbesondere in abgelegenem, schwer zugänglichem Gelände aktiv, hauptsächlich in den Wüsten der Gouvernements Anbar und Ninewa sowie in den Hamrin-Bergen, die sich über die Gouvernements Kirkuk, Salah ad-Din und Diyala erstrecken (ACLED 2.10.2019a). Er ist nach wie vor dabei sich zu reorganisieren und versucht seine Kader und Führung zu erhalten (Joel Wing 16.10.2019).

Der IS setzt weiterhin auf Gewaltakte gegen Regierungziele sowie regierungstreue zivile Ziele, wie Polizisten, Stammesführer, Politiker, Dorfvorsteher und Regierungsmitarbeiter (ACLED 2.10.2019a; vgl. USDOS 1.11.2019), dies unter Einsatz von improvisierten Sprengkörpern (IEDs) und Schusswaffen sowie mittels gezielten Morden (USDOS 1.11.2019), sowie Brandstiftung. Die Übergriffe sollen Spannungen zwischen arabischen und kurdischen Gemeinschaften entfachen, die Wiederaufbaubemühungen der Regierung untergraben und soziale Spannungen verschärfen (ACLED 2.10.2019a).

Insbesondere in den beiden Gouvernements Diyala und Kirkuk scheint der IS im Vergleich zum Rest des Landes mit relativ hohem Tempo sein Fundament wieder aufzubauen, wobei er die lokale Verwaltung und die Sicherheitskräfte durch eine hohe Abfolge von Angriffen herausfordert (Joel Wing 16.10.2019). Der IS ist fast vollständig in ländliche und gebirgige Regionen zurückgedrängt, in denen es wenig Regierungspräsenz gibt, und wo er de facto die Kontrolle über einige Gebiete insbesondere im Süden von Kirkuk und im zentralen und nordöstlichen Diyala aufgebaut hat (Joel Wing 3.2.2020).

Im Mai 2019 hat der IS im gesamten Mittelirak landwirtschaftliche Anbauflächen in Brand gesetzt, mit dem Zweck die Bauernschaft einzuschüchtern und Steuern einzuheben, bzw. um die Bauern zu vertreiben und ihre Dörfer als Stützpunkte nutzen zu können. Das geschah bei insgesamt 33 Bauernhöfen - einer in Bagdad, neun in Diyala, 13 in Kirkuk und je fünf in Ninewa und Salah ad-Din - wobei es gleichzeitig auch Brände wegen der heißen Jahreszeit und infolge lokaler Streitigkeiten gab (Joel Wing 5.6.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Am 23.5.2019 bekannte sich der Islamische Staat (IS) in seiner Zeitung Al-Nabla zu den Brandstiftungen. Kurdische Medien berichteten zudem von Brandstiftung in Daquq, Khanaqin und Makhmour (BAMF 27.5.2019; vgl. ACLED 18.6.2019). Im Jänner 2020 hat der IS eine Büffelherde in Baquba im Distrikt Khanaqin in Diyala abgeschlachtet, um eine Stadt einzuschüchtern (Joel Wing 3.2.2020; vgl. NINA 17.1.2020).

Mit Beginn der Massenproteste im Oktober 2019 stellte der IS seine Operation weitgehend ein, wie er es stets während Demonstrationen getan hat, trat aber mit dem Nachlassen der Proteste wieder in den Konflikt ein (Joel Wing 6.1.2020).

Quellen:

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (18.6.2019): Regional Overview – Middle East 18 June 2019, https://www.acleddata.com/2019/06/18/regional-overview-middle-east-18-june-2019/, Zugriff 13.3.2020

- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland) (27.5.2019): Briefing Notes 27. Mai 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2010482/briefingnotes-kw22-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- BBC News (23.12.2019): Isis in Iraq: Militants 'getting stronger again', https://www.bbc.com/news/world-middle-east-50850325, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- Garda World (3.3.2020): Iraq Country Report, https://www.garda.com/crisis24/country-reports/iraq, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (3.2.2020): Violence Continues Its Up And Down Pattern In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/02/violence-continues-its-up-and-down.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (6.1.2020): Islamic State Makes Its Return In December 2019, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/islamic-state-makes-its-return-in.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (5.6.2019): Islamic State’s Revenge Of The Levant Campaign In Full Swing, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/06/islamic-states-revenge-of-levant.html, Zugriff 13.3.2020

- Military Times (7.7.2019): Iraqi forces begin operation against ISIS along Syrian border, https://www.militarytimes.com/flashpoints/2019/07/07/iraqi-forces-begin-operation-against-isis-along-syrian-border/, Zugriff 13.3.2020

- NINA - National Iraqi News Agency (17.1.2020): ISIS Elements executed a herd of buffalo by firing bullets northeast of Baquba. http://ninanews.com/Website/News/Details?key=808154, Zugriff 13.3.2020

- PGN - Political Geography Now (11.1.2020): Iraq Control Map & Timeline - January 2020, https://www.polgeonow.com/2020/01/isis-iraq-control-map-2020.html, Zugriff 13.3.2020

- Portal, The (9.10.2019): Iraq launches a new process of “Will to Victory”, http://www.theportal-center.com/2019/10/iraq-launches-a-new-process-of-will-to-victory/, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- UN General Assembly (30.7.2019): Children and armed conflict; Report of the Secretary-General [A/73/907–S/2019/509], https://www.ecoi.net/en/file/local/2013574/A_73_907_E.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USCIRF - US Commission on International Religious Freedom (4.2019): United States Commission on International Religious Freedom 2019 Annual Report; Country Reports: Tier 2 Countries: Iraq, https://www.ecoi.net/en/file/local/2008186/Tier2_IRAQ_2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 – Iraq, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026340.html, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020
2.2          Sicherheitsrelevante Vorfälle, Opferzahlen

Letzte Änderung: 17.3.2020

Vom Irak-Experten Joel Wing wurden im Lauf des Monats November 2019 für den Gesamtirak 55 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 47 Toten und 98 Verletzten verzeichnet, wobei vier Vorfälle, Raketenbeschuss einer Militärbasis und der „Grünen Zone“ in Bagdad (Anm.: ein geschütztes Areal im Zentrum Bagdads, das irakische Regierungsgebäude und internationale Auslandvertretungen beherbergt), pro-iranischen Volksmobilisierungskräften (PMF) zugeschrieben werden (Joel Wing 2.12.2019). Im Dezember 2019 waren es 120 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 134 Toten und 133 Verletzten, wobei sechs dieser Vorfälle pro-iranischen Gruppen zugeschrieben werden, die gegen US-Militärlager oder gegen die Grüne Zone gerichtet waren (Joel Wing 6.1.2020). Im Jänner 2020 wurden 91 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 53 Toten und 139 Verletzten verzeichnet, wobei zwölf Vorfälle, Raketen- und Mörserbeschuss, pro-iranischen PMF, bzw. dem Iran zugeschrieben werden, während der Islamische Staat (IS) für die übrigen 79 verantwortlich gemacht wird (Joel Wing 3.2.2020). Im Febraur 2020 waren es 85 Vorfälle, von denen drei auf pro-iranischen PMF zurückzuführen sind (Joel Wing 5.3.2020).

Der Rückgang an Vorfällen mit IS-Bezug Ende 2019 wird mit den Anti-Regierungsprotesten in Zusammenhang gesehen, da der IS bereits in den vorangegangenen Jahren seine Angriffe während solcher Proteste reduziert hat. Schließlich verstärkte der IS seine Angriffe wieder (Joel Wing 3.2.2020).

Die folgende Grafik von ACCORD zeigt im linken Bild, die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle mit mindestens einem Todesopfer im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt. Auf der rechten Karte ist die Zahl der Todesopfer im Irak, im vierten Quartal 2019, nach Gouvernements aufgeschlüsselt, dargestellt (ACCORD 26.2.2020).

[Grafik gelöscht, Anm]

Die folgenden Grafiken von Iraq Body Count (IBC) stellen die von IBC im Irak dokumentierten zivilen Todesopfer dar. Seit Februar 2017 sind nur vorläufige Zahlen (in grau) verfügbar. Das erste Diagramm stellt die von IBC dokumentierten zivilen Todesopfer im Irak seit 2003 dar (pro Monat jeweils ein Balken) (IBC 2.2020).

[Grafik gelöscht, Anm]

Die zweite Tabelle gibt die Zahlen selbst an. Laut Tabelle dokumentierte IBC im Oktober 2019 361 zivile Todesopfer im Irak, im November 274 und im Dezember 215, was jeweils einer Steigerung im Vergleich zum Vergleichszeitraum des Vorjahres entspricht. Im Jänner 2020 wurden 114 zivile Todesopfer verzeichnet, was diesen Trend im Vergleich zum Vorjahr wieder umdrehte (IBC 2.2020).

[Grafik gelöscht, Anm]

Quellen:

- ACCORD (26.2.2020): Irak, 4. Quartal 2018: Kurzübersicht über Vorfälle aus dem Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED), https://www.ecoi.net/en/file/local/2025321/2018q4Iraq_de.pdf, Zugriff 13.3.2020

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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