TE Bvwg Erkenntnis 2020/9/7 G314 2202321-1

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Veröffentlicht am 07.09.2020
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Entscheidungsdatum

07.09.2020

Norm

B-VG Art133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2

Spruch

G314 2202321-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Katharina BAUMGARTNER über die Beschwerde des rumänischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die ARGE Rechtsberatung (Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige GmbH und Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX 07.2018, Zl. XXXX , betreffend die Erlassung eines Aufenthaltsverbots zu Recht:

A)              Der Beschwerde wird teilweise Folge gegeben und der angefochtene Bescheid dahingehend abgeändert, dass es in Spruchpunkt I. zu lauten hat: „Gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG wird gegen den Beschwerdeführer ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen.“

B)       Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer (BF) wurde in Österreich am XXXX 05.2018 verhaftet, in Untersuchungshaft genommen und am XXXX vom Landesgericht XXXX zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.

Mit dem Schreiben des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 07.05.2018 wurde er aufgefordert, sich zu der beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zu äußern und Fragen zu seinem Aufenthalt in Österreich und zu seinem Privat- und Familienleben zu beantworten. Am 01.06.2018 langte beim BFA eine in rumänischer Sprache verfasste Stellungnahme des BF ein, die in der Folge ins Deutsche übersetzt wurde. Am 29.06.2019 wurde er vor dem BFA zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vernommen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein siebenjähriges Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Das Aufenthaltsverbot wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF und der fehlenden Integration im Bundesgebiet begründet. Die von ihm gesetzten Handlungen seien unter § 67 Abs 1 und Abs 2 FPG zu subsumieren. Sein Lebensmittelpunkt befinde sich in Rumänien.

Dagegen richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen, eine mündliche Verhandlung durchzuführen und den angefochtenen Bescheid zu beheben, in eventu, die Dauer des Aufenthaltsverbotes herabzusetzen. Der BF begründet die Beschwerde zusammengefasst damit, dass die von der Behörde getroffene Gefährlichkeitsprognose nicht nachvollziehbar sei. Das BFA habe nicht berücksichtigt, dass über ihn eine Strafe am unteren Ende des Strafrahmens verhängt worden sei. Er sei aus Not erstmals straffällig geworden, was er bedaure. Die von der Behörde angenommene Wiederholungsgefahr sei spekulativ und könne nicht mit dem Fehlen einer Anmeldebescheinigung und einer geregelten Beschäftigung begründet werden. Der BF lebe in Österreich mit seiner Freundin in einem gemeinsamen Haushalt und stelle keine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit dar.

Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakten dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.

Die Aufforderung des BVwG, Namen, Geburtsdatum und Staatsangehörigkeit der in Österreich lebenden Freundin des BF bekannt zu geben, blieb unbeantwortet.

Feststellungen:

Der BF ist rumänischer Staatsangehöriger und kam am XXXX im rumänischen Ort XXXX (Kreis XXXX ) zur Welt. Er ist nicht verheiratet und hat keine Sorgepflichten. Er spricht Rumänisch und ist der deutschen Sprache nicht mächtig. Er besuchte in Rumänien acht Jahre lang die Schule, machte danach keine weitere Ausbildung und hatte dort von 2000 bis 2008 ein eigenes Geschäft. Er besitzt ein Haus in Rumänien, in dem seine Mutter, sein Bruder und seine beiden erwachsenen Kinder leben. Auch er und seine Lebensgefährtin wohnen bei ihren Aufenthalten in Rumänien dort.

Ab 2009 hielt sich der BF wiederholt in Österreich auf, kehrte aber zwischendurch immer wieder – auch für längere Zeit – nach Rumänien zurück. Er war im Bundesgebiet von XXXX 07.2009 bis XXXX 03.2010, von XXXX 05.2010 bis XXXX 04.2011, von XXXX 11.2012 bis XXXX 04.2013, von XXXX 12.2013 bis XXXX 07.2014 und von XXXX 12.2014 bis XXXX 11.2015 mit Hauptwohnsitz gemeldet. Von XXXX 10.2011 bis XXXX 12.2011, von XXXX 02.2012 bis XXXX 03.2012 und von XXXX 03. bis XXXX 05.2012 war er obdachlos und verfügte über eine Hauptwohnsitzbestätigung iSd § 19a MeldeG (Kontaktstelle Verein Ute Bock, Wien). Am XXXX 03.2010, XXXX 04.2011, XXXX 12.2011, XXXX 03.2012, XXXX 05.2012, XXXX 04.2013 und XXXX 07.2014 wurde sein Wohnsitz jeweils amtlich abgemeldet. Seit XXXX 11.2015 ist er an der Anschrift XXXX durchgehend mit Hauptwohnsitz gemeldet. Er hat dort eine Wohnung gemietet, die er mit seiner Lebensgefährtin, einer rumänischen Staatsangehörigen, die an der Anschrift seit XXXX 02.2017 mit Hauptwohnsitz gemeldet ist, bei Aufenthalten in Österreich bewohnt. Er hält sich dort jedoch nicht durchgehend auf, sondern kehrt (ohne sich abzumelden) immer wieder nach Rumänien zurück.

Der BF kam für seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von XXXX in Österreich und durch Gelegenheitsarbeiten in Rumänien auf. Er war im Bundesgebiet nie zur Sozialversicherung gemeldet und beantragte nie die Ausstellung einer Anmeldebescheinigung.

Vor seiner Festnahme hielt er sich im Mai 2017 im Bundesgebiet auf, um XXXX zu verkaufen, und kehrte danach für mehrere Monate nach Rumänien zurück. Im September 2017 kam er wieder nach Österreich, wo er sich einer kriminellen Vereinigung von zehn Personen anschloss, um sich durch die wiederkehrende Begehung von Einbruchsdiebstählen eine längere Zeit hindurch ein nicht bloß geringfügiges Einkommen zu verschaffen. Gemeinsam mit anderen Mitgliedern dieser Vereinigung brach er im Zeitraum XXXX 09.2017 bis 16.10.2017 in einer Vielzahl von Angriffen durch Aufschneiden eines Zauns, Überklettern einer Mauer, Aufschneiden eines Vorhängeschlosses am Einfahrttor und Aufbrechen mehrerer Türen in ein Betriebsgelände ein, wo sie rund 5.487 kg Kupferkabel im Wert von rund EUR 24.632 stahlen. Anschließend kehrte der BF wieder nach Rumänien zurück.

Nach seiner erneuten Einreise in das Bundesgebiet wurde er am XXXX 05.2018 in Wien verhaftet, in Untersuchungshaft genommen und mit dem Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX , rechtskräftig wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls durch Einbruch im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 128 Abs 1 Z 5, 129 Abs 1 Z 1, 130 Abs 1 erster und zweiter Fall StGB zu einer 14-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei ein Strafteil von zwölf Monaten für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Sein Geständnis und seine Unbescholtenheit wurden als mildernd, die mehrfache Qualifikation dagegen als erschwerend berücksichtigt. Es handelt sich um seine erste und bislang einzige strafgerichtliche Verurteilung. Der BF verbüßte den unbedingten Strafteil bis zu seiner Entlassung am XXXX 06.2018 in der Justizanstalt XXXX .

Abgesehen von seiner Lebensgefährtin hat der BF in Österreich keine Familienangehörigen oder andere Bezugspersonen. Er ist gesund und arbeitsfähig.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren primär auf den Angaben des BF und auf dem Strafurteil. Name, Geburtsdatum, Geburtsort und Staatsangehörigkeit des BF gehen aus den Angaben zu seiner Person im Strafurteil sowie aus seinem (dem BVwG in Kopie vorliegenden, bis 2021 gültigen) Personalausweis hervor. Laut dem Zentralen Melderegister (ZMR) ist er geschieden, laut Strafurteil und seine Angaben vor dem BFA ledig. Es kann dahingestellt bleiben, was davon stimmt, zumal feststeht, dass er aktuell jedenfalls nicht verheiratet ist. Das Fehlen vor Sorgepflichten ergibt sich aus dem Strafurteil und aus seinen Angaben vor dem BFA.

Rumänischkenntnisse des BF sind aufgrund seiner Herkunft, des Schulbesuchs und der Erwerbstätigkeit in Rumänien plausibel, zumal bei der Einvernahme vor dem BFA keine Verständigungsprobleme mit dem Dolmetsch für diese Sprache auftraten. Das Fehlen von Deutschkenntnissen ergibt sich aus den Angaben des BF gegenüber dem BFA.

Die Feststellungen zu Ausbildung und Erwerbstätigkeit des BF folgen seinen Angaben dazu vor dem BFA, ebenso zu seinem Haus in Rumänien und den dort lebenden Familienmitgliedern.

Der nicht kontinuierliche Aufenthalt des BF in Österreich ergibt sich aus dem ZMR, das vor XXXX 11.2015 erhebliche zeitliche Lücken im Meldungsverlauf zeigt, sowie aus seinen Angaben vor dem BFA, wonach er immer wieder nach Rumänien zurückkehre, ohne sich abzumelden (was durch mehrere amtliche Abmeldungen unterstrichen wird), und dort gelegentlich arbeite, um die Wohnung in XXXX zu finanzieren.

Der BF machte trotz einer entsprechenden Aufforderung keine Angaben zur Identität der Freundin, mit der er nach seiner Darstellung in Österreich zusammenlebt. Aus dem ZMR geht hervor, dass die am XXXX geborene rumänische Staatsangehörige XXXX , die wie der BF aus dem Kreis XXXX stammt, seit XXXX 02.2017 an derselben Adresse wie er gemeldet ist, wobei er als Unterkunftgeber aufscheint. Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei ihr um die Lebensgefährtin des BF handelt, sodass ihm insoweit gefolgt werden kann, obwohl er vor dem BFA behauptete, dass sie nicht angemeldet sei.

Der BF schilderte seine (nicht zur Sozialversicherung gemeldete) Erwerbstätigkeit in Österreich im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA. Auch aus dem Strafurteil geht hervor, dass er zeitweise als XXXX beschäftigt war. Mit seiner Aussage, er habe „illegal“ Zeitungen verkauft, korrespondiert, dass eine Abfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger ergebnislos blieb. Der BF gab auch zu, keine Anmeldebescheinigung beantragt zu haben, was im Einklang mit dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) steht.

Die Feststellungen zu den vom BF begangenen Straftaten, zu seiner Verurteilung und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem Strafregister und dem Urteil des Landesgerichts XXXX . Die Feststellungen zum Strafvollzug beruhen auf der Entlassungsbestätigung, der Wohnsitzmeldung in der Justizanstalt laut ZMR sowie der Vorhaftanrechnung laut dem Strafurteil.

Mangels anderslautender aktenkundiger Informationen ist davon auszugehen, dass beim BF keine relevanten gesundheitlichen Probleme bestehen. Seine Arbeitsfähigkeit folgt daraus, aus seinem erwerbsfähigen Alter und seiner Aussage vor dem BFA, dass er nach der Haftentlassung wieder XXXX verkaufen und sich um eine Anmeldebescheinigung bemühen werde. Das IZR zeigt, dass letzteres bislang nicht erfolgt ist, ebensowenig liegt bis dato eine Meldung zur Sozialversicherung vor.

Abgesehen von seinem zeitweiligen Aufenthalt im Bundesgebiet seit 2009 und seiner Freundin macht der BF keine privaten, familiären, sozialen oder beruflichen Anknüpfungen hier geltend, sodass von deren Fehlen auszugehen ist.

Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den BF als unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen einen EWR-Bürger, der den Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte, ist zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Gemäß § 67 Abs 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden. Bei einer besonders schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit kann das Aufenthaltsverbot gemäß § 67 Abs 3 FPG auch unbefristet erlassen werden, so z.B. bei einer rechtskräftigen Verurteilung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren (§ 67 Abs 3 Z 1 FPG).

Hier hat sich der BF weder seit zehn Jahren im Bundesgebiet aufgehalten noch das unionsrechtliche Recht auf Daueraufenthalt erworben (das grundsätzlich einen fünfjährigen rechtmäßigen und kontinuierlichen Aufenthalt voraussetzt, siehe § 53a NAG), zumal er seinen Inlandsaufenthalt regelmäßig unterbrach, um (auch für längere Zeiträume) nach Rumänien zurückzukehren. Aufgrund der nicht zur Sozialversicherung gemeldeten Tätigkeit als XXXX war sein Aufenthalt auch nicht rechtmäßig. Daher ist der Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs 1 erster bis vierter Satz FPG („tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt“) anzuwenden.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (siehe VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

Das persönliche Verhalten des BF stellt eine solche Gefahr dar, die Grundinteressen der Gesellschaft iSd Art 8 Abs 2 EMRK (an der Verteidigung der öffentlichen Ruhe und Ordnung, der Verhinderung von strafbaren Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer und der Moral) berührt. Die strafrechtliche Verurteilung wegen in zahlreichen Angriffen gewerbsmäßig begangener Vermögensdelinquenz als Mitglied einer kriminellen Vereinigung führt in Zusammenschau mit dem Fehlen einer Anmeldebescheinigung, dem Umstand, dass die Tätigkeit als XXXX nicht zur Sozialversicherung gemeldet war und der Missachtung melderechtlicher Vorschriften dazu, dass für den BF keine positive Zukunftsprognose erstellt werden kann, obwohl der BF erstmals straffällig wurde, zumal der Gesinnungswandel eines Straftäters grundsätzlich daran zu messen ist, ob und wie lange er sich – nach dem Vollzug einer Haftstrafe – in Freiheit wohlverhalten hat (siehe VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233).

Weitere Voraussetzung für ein Aufenthaltsverbot ist, dass der damit verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF verhältnismäßig ist. Nach § 9 Abs 1 BFA-VG ist (ua) die Erlassung eines Aufenthaltsverbots, das in das Privat- oder Familienleben eingreift, nur zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Dabei ist unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalls eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des BF, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs 2 BFA-VG genannten Kriterien in Form einer Gesamtbetrachtung vorzunehmen.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs 2 BFA-VG insbesondere Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9), zu berücksichtigen.

In die vorzunehmende Interessenabwägung ist hier einzubeziehen, dass sich der BF seit 2009 immer wieder im Bundesgebiet aufhielt und hier eine Wohnung hat, in der er bei Inlandsaufenthalten gemeinsam mit seiner rumänischen Lebensgefährtin wohnt. Der Grad seiner Integration ist jedoch als gering anzusehen, weil er weder Deutsch spricht noch legal erwerbstätig war und auch sonst keine wesentlichen Anknüpfungen im Inland bestehen. Demgegenüber hat er starke Bindungen zu seinem Heimatstaat, wo er ein Haus und ein familiäres Netzwerk hat, sprachkundig ist und auch in den letzten Jahren immer wieder erwerbstätig war. Aufgrund seines strafrechtlichen Fehlverhaltens besteht ein besonders großes öffentliches Interesse an der Aufenthaltsbeendigung. Es spricht gegen ihn, dass das Strafgericht trotz der Milderungsgründe der bisherigen Unbescholtenheit und des Geständnisses die Strafe nicht zur Gänze bedingt nachgesehen hat, obwohl dies nach § 43 Abs 1 StGB grundsätzlich möglich gewesen wäre (vgl. VwGH 12.11.2019, Ra 2019/21/0305). Der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF ist daher verhältnismäßig, die Voraussetzungen für die Erlassung eines maximal zehnjährigen Aufenthaltsverbots sind prinzipiell erfüllt.

Bei der Festsetzung der Dauer des Aufenthaltsverbotes ist gemäß § 67 Abs 4 FPG auf alle für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen, insbesondere auch auf die privaten und familiären Verhältnisse (VwGH 24.05.2016, Ra 2016/21/0075). Vor diesem Hintergrund ist die Dauer des Aufenthaltsverbots trotz der mehrfach qualifizierten, schwerwiegenden Eigentumskriminalität im Rahmen einer kriminellen Vereinigung auf drei Jahre zu reduzieren, weil das Strafgericht aufgrund gewichtiger Milderungsgründe mit einer im unteren Bereich des Strafrahmens angesiedelten, teilbedingten Strafe das Auslangen fand und der BF seit der letzten Tat im Oktober 2017 und der Haftentlassung Ende Juni 2018 nicht mehr rückfällig wurde. Damit wird auch der erhöhten spezialpräventiven Wirkung des Erstvollzugs und seinem persönlichen Interesse an Aufenthalten im Bundesgebiet Rechnung getragen. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist in teilweiser Stattgebung der Beschwerde insoweit abzuändern.

Gemäß § 70 Abs 3 FPG ist EWR-Bürgern bei der Erlassung einer Ausweisung von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich. Vor diesem gesetzlichen Hintergrund ist Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids nicht korrekturbedürftig.

Da der relevante Sachverhalt aus der Aktenlage und dem Beschwerdevorbringen geklärt werden konnte und auch bei einem positiven Eindruck vom BF bei einer mündlichen Verhandlung keine weitere Herabsetzung oder gar ein Entfall des Aufenthaltsverbots möglich wäre, liegt ein eindeutiger Fall vor, sodass die beantragte Beschwerdeverhandlung, von deren Durchführung keine weitere Klärung der Angelegenheit zu erwarten ist, gemäß § 21 Abs 7 BFA-VG unterbleibt, zumal dem Vorbringen des BF zu einem gemeinsamen Haushalt mit seiner Lebensgefährtin in Österreich gefolgt werden konnte.

Die einzelfallbezogene Erstellung einer Gefährdungsprognose, die Interessenabwägung gemäß § 9 BFA-VG und die Bemessung der Dauer eines Aufenthaltsverbots sind im Allgemeinen nicht revisibel (siehe VwGH 20.10.2016, Ra 2016/21/0284, 01.03.2018, Ra 2018/19/0014 und 10.07.2019, Ra 2019/19/0186). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG bei der vorliegenden Einzelfallentscheidung an der zitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.

Schlagworte

Aufenthaltsverbot Herabsetzung Interessenabwägung Milderungsgründe öffentliche Interessen Unbescholtenheit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:G314.2202321.1.00

Im RIS seit

15.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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