Entscheidungsdatum
07.09.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
G305 2190056-1/45E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. Ernst MAIER, MAS als Einzelrichter über die Beschwerde des irakischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , gegen den zum XXXX 02.2018 datierten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, RD XXXX , Zl. XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 14.01.2019, zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.
II. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wird XXXX , geboren am XXXX , der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wird XXXX , geboren am XXXX , eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
IV. In Erledigung der Beschwerde werden die Spruchpunkte III. bis VI. des angefochtenen Bescheides ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1.1. Am 05.10.2015 stellte der zum Aufenthalt im Bundesgebiet nicht berechtigte irakische Staatsangehörige XXXX , geboren am XXXX , vor Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörden einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Am 10.10.2015 wurde er von Organen der Landespolizeidirektion XXXX niederschriftlich einvernommen.
Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er an, dass er und sein Bruder Drohungen erhalten hätten und dass sein Bruder entführt worden sei. Die Drohungen hätten nicht aufgehört, woraufhin er mehrfach seinen Wohnort gewechselt habe. Da er als Angehöriger der sunnitischen Minderheit weiterhin Drohungen von schiitischen Institutionen erhalten habe, hätte er im Irak nicht mehr leben können und deshalb das Land verlassen. Ob sein Bruder noch am Leben sei, könne er nicht sagen. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben und das seiner Familie, von staatlicher Seite gebe es jedoch keine Bedrohungen.
Zur Reiseroute befragt, gab der BF an, mit dem Flugzeug nach Istanbul gereist zu sein. Von Izmir sei er - schlepperunterstützt - mit einem Schlauchboot nach Samos übergesetzt und nach Athen weitergereist. Er habe dann Österreich über die Balkanroute erreicht, die Grenze zu Fuß überschritten und sei dann mit dem Bus nach Wien gefahren. Sein Zielland sei immer Österreich gewesen. Er sei nie in einem Lager untergebracht oder erkennungsdienstlich behandelt worden. Die Reise habe von XXXX 09. bis 25.09.2015 gedauert, sei unter teilweiser Hilfe eines Schleppers organisiert worden und habe etwa USD 1300 gekostet.
Eine von den öffentlichen Sicherheitsorganen durchgeführte EURODAC-Abfrage verlief negativ.
1.3. Am 29.09.2017 wurde der BF ab 09:15 Uhr durch Organe des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA oder belangte Behörde) einvernommen.
Zu seinen Fluchtgründen gab er an, am XXXX 09.2015 um 9 Uhr gemeinsam mit seinem Bruder ( XXXX ) bedroht worden zu sein. Drei Personen der Miliz Alhaq (Anm.: hier dürfte die Miliz Asa’ib al ahl Haqq gemeint sein) hätten seine Fabrik gestürmt. Diese Personen seien im Stadtviertel und auch ihm namentlich bekannt. Sie hätten den BF gegrüßt und sich, ohne zu fragen, hingesetzt. Eine der Personen habe 25 Millionen Dinar (Anm.: etwa EUR 17.668) verlangt, um ihre Kämpfer zahlen zu können. Daraufhin habe der Beschwerdeführer gesagt, er sei gegen deren Taten, habe jedoch nicht verweigern können und angemerkt, dass seine Fabrik nicht so viel einbringe. Er sei gefragt worden, ob ihm seine Fabrik oder sein Leben wichtiger sei, woraufhin die drei Personen die Fabrik wieder verlassen hätten. Zu Hause habe der BF auf seinen Bruder gewartet, dieser sei jedoch nicht gekommen und auch nicht telefonisch erreichbar gewesen. Ein Mitarbeiter der Fabrik habe ihm auf Nachfragen erzählt, dass sein Bruder von den drei Personen mitgenommen worden sei. Er habe Anzeige erstatten wollen, der Polizist habe diese jedoch nicht aufgenommen. Am XXXX 09.2015 zwischen 11.00 und 11.30 Uhr habe die Miliz einen Herrn namens XXXX , der ein guter Freund sei, vorbeigeschickt. Dieser habe 180 Millionen Dinar (Anm.: etwa EUR 127.213) verlangt, anderenfalls sein Bruder getötet würde. Er habe diese Summe jedoch nicht gehabt. Auch habe er Angst um das Leben seines Bruders gehabt. Am XXXX 09.2015 sei dieser Mann noch einmal zum BF gekommen, habe ihn informiert, dass auch er entführt werden solle und den BF am nach XXXX geführt und ein Visum organisiert. Der BF habe den Irak noch am selben Tag verlassen. Weitere Fluchtgründe nannte er nicht.
Im Rahmen der Niederschriftaufnahme legte der BF mehrere Bestätigungen für Integrationsmaßnahmen, Dienstausweise, einen Personalausweis, Sprachzertifikate sowie medizinische Befunde und Laborbefunde vor.
1.4. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das BFA den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich des Antrages auf internationalen Schutz vom 05.10.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.) und des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt werde, dass die Abschiebung in den Irak gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.). Die belangte Behörde begründete dies im Kern damit, dass der BF lediglich abstrakte und unkonkrete Behauptungen aufgestellt habe. Es sei ihm nicht gelungen, konkret gegen ihn gerichtete Verfolgungshandlungen glaubhaft zu machen zumal seine Familie unbehelligt in der Heimat lebe.
1.5. Gegen den zum XXXX 02.2018 datierten Bescheid erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin erklärte er, dass er den Bescheid - gestützt auf die Beschwerdegründe „inhaltliche Rechtswidrigkeit“ und „Mangelhaftigkeit des Verfahrens“ - vollumfänglich anfechte und die Beschwerde mit den Anträgen verbinde, 1.) den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben und dass ihm der Status des Asylberechtigten gemäß § 3 AsylG zuerkannt werden möge, 2.) in eventu, gemäß § 8 AsylG der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt werden möge, 3.) in eventu ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt werde, 4.) in eventu der Bescheid behoben und an das Bundesamt zur neuerlichen Verhandlung zurückverwiesen werde, 5.) die Rückkehrentscheidung und die Zulässigkeit der Abschiebung aufgehoben werden mögen und 6.) eine mündliche Verhandlung anberaumt werde. Er brachte in der Beschwerde vor, dass er nach wie vor von Milizen bedroht werde und als Sunnit Verfolgung ausgesetzt sei da er die Forderungen nicht erfüllt und keine Zahlungen geleistet habe. Ob der derzeitigen Sicherheitslage sei eine Rückkehr in andere Gebiete des Irak auszuschließen.
1.6. Am 22.03.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor.
1.7. Anlässlich einer am 14.01.2020 vor dem BVwG durchgeführten mündlichen Verhandlung wurde der BF im Beisein seiner Rechtsvertreterin (im Folgenden: RV), einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und einer Bediensteten des Österreichischen Roten Kreuzes einvernommen.
1.8. Mit Eingabe vom 11.03.2019 langte beim BVwG eine Stellungnahme zu der am 20.02.2019 eingelangten ACCORD-Anfragebeantwortung bezüglich der medizinischen Versorgung des BF in seinem Heimatstaat ein.
1.9. Mit Eingabe vom 14.05.2019 langte beim BVwG eine Stellungnahme zu dem am 03.05.2019 eingelangten psychiatrischen Gutachten ein.
1.10. Mit Eingaben vom 22.05., 28.05., 03.06., 26.07., 08.08., 27.11. und 18.12.2019 langten von Seiten des BF Befunde und Stellungnahmen zu seinem psychischen Zustand beim BVwG ein.
1.11. Mit Eingabe vom 14.08.2019 langte die Vollmachtsauflösung der Rechtsvertretung des BF beim BVwG ein.
1.12. Mit Eingabe vom 17.09.2019 langte beim BVwG eine Stellungnahme zu dem am 29.08.2019 eingelangten medizinischen Gutachten ein.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Identitätsfeststellungen
Der BF führt die im Spruch angegebene Identität, XXXX , geboren am XXXX , und ist irakischer Staatsangehöriger. Er gehört der Ethnie der irakischen Araber an und bekennt sich zur sunnitisch-islamischen Religionsgemeinschaft. Seine Muttersprache ist arabisch. Er ist verheiratet und hat Sorgepflichten für drei Kinder. Die Angehörigen seiner Kernfamilie leben im Irak [Erstbefragung AS 11; Niederschrift-BFA AS 116].
Er hat seinen Hauptwohnsitz seit dem XXXX 12.2015 im Bundesgebiet (seit dem XXXX 07.2019 an der Anschrift XXXX ) [Auszug aus dem Zentralen Melderegister-ZMR].
1.2. Zur Ausreise, Reise, Einreise der beschwerdeführenden Partei in Österreich und ihrer darauffolgenden Asylantragstellung:
Zuletzt lebte der BF in XXXX , im Stadtteil XXXX [Niederschrift-BFA AS 116; VH-Niederschrift S. 2].
Er ist am XXXX 09.2015 mit dem Flugzeug legal von Bagdad ausgehend nach Istanbul aus dem Irak ausgereist. Von Izmir setzte er – schlepperunterstützt - mit einem Schlauchboot nach Samos über und reiste weiter nach Athen. Er gelangte dann über die Balkanroute nach Österreich, die Grenze überschritt er zu Fuß und fuhr dann mit dem Bus nach Wien. Sein Zielland war immer Österreich. Er wurde nie in einem Lager untergebracht oder erkennungsdienstlich behandelt. Die Reise dauerte von XXXX 09. bis 25.09.2015, wurde unter teilweiser Hilfe eines Schleppers organisiert und kostete etwa USD 1.300. Eine EURODAC-Abfrage verlief negativ [Erstbefragung AS 17; EURODAC-Abfrage AS 39; VH-Niederschrift S. 11f].
1.3. Zur individuellen Situation des Beschwerdeführers im Heimatstaat:
Im Herkunftsstaat besuchte er elf Jahre die Grund- und Mittelschule in XXXX ; über weitere Ausbildungen verfügt er nicht. Im Herkunftsstaat arbeitete er als XXXX und XXXX und war Eigentümer eines XXXX und XXXX . Mit diesem Labor, welches im Ort XXXX gelegen war, brachte er etwa 700.000 irakische Dinar (etwa EUR 500) ins verdienen [VH-Niederschrift S. 10].
Die Kernfamilie des BF führt den selben Clannamen wie der BF. Diese besteht aus dessen Ehefrau XXXX , geboren XXXX mit welcher er seit dem XXXX traditionell und standesamtlich verheiratet ist und seinen drei Kindern XXXX , geboren XXXX , geboren XXXX , geboren XXXX . In seiner Heimat leben seine Brüder XXXX , geboren XXXX und XXXX , geboren XXXX sowie seine drei Schwestern XXXX und XXXX , deren Geburtsdaten vom BF nicht genannt werden konnten. Die Eltern des BF verstarben in den Jahren 2000 und 2003 jeweils eines natürlichen Todes wegen [Niederschrift-BFA AS 117; VH-Niederschrift S. 6, S. 10 und S. 12]. Die noch lebenden Angehörigen seiner Kernfamilie leben im Herkunftsstaat.
1.4. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:
Der BF hatte weder mit der Polizei noch mit den Verwaltungsbehörden noch mit den Gerichten des Herkunftsstaates ein Problem. Er wurde zu keinem Zeitpunkt von staatlichen Organen oder von einer bewaffneten Gruppierung wegen seiner Zugehörigkeit zur Glaubensrichtung der Sunniten bzw. zur (Mehrheits-)ethnie der Araber oder aus politischen Gründen, etwa wegen einer Zugehörigkeit zu einer politischen Partei des Herkunftsstaates verfolgt noch war er jemals Mitglied einer politischen Bewegung oder bewaffneten Gruppierung [VH-Niederschrift S. 11].
Das Fluchtvorbringen des BF, nach einer versuchten Erpressung aus dem Irak geflohen zu sein, erweist sich als nicht glaubhaft. Eine systematische Verfolgung von staatlicher Seite liegt nicht vor.
Weitere Fluchtgründe brachte er nicht vor.
Insgesamt vermochte der BF nicht glaubhaft zu machen, dass er im Herkunftsstaat einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch eine (schiitische) Miliz ausgesetzt gewesen wäre.
1.5. Zu etwaigen Integrationsschritten im Bundesgebiet:
Der BF hat nachweislich an mehreren Deutschkursen und Integrationsveranstaltungen teilgenommen. Seine Integration wird auch durch ein vorliegendes Empfehlungsschreiben durch die Kursleiterin eines Deutschkurses bestätigt [Empfehlungsschreiben AS 59; Teilnahmebestätigungen „ XXXX “ und „ XXXX “ AS 61f; Kursantrittsbestätigung AS 65; Teilnahmebestätigung „ XXXX “ AS 67; Zertifikat XXXX AS 69; Teilnahmebestätigung Werte- und Orientierungskurs AS 125].
Der Beschwerdeführer geht keiner zur Sozialversicherung gemeldeten Tätigkeit nach und bezieht Leistungen aus der Grundversorgung [AJ-Web Auszug; GVS-Auszug].
1.6. Zur Lage im Irak wird festgestellt:
Nachdem es den irakischen Sicherheitskräften (ISF) gemeinsam mit schiitischen Milizen, den sogenannten Popular Mobilisation Forces (PMF), mit Unterstützung durch die alliierten ausländischen Militärkräfte im Laufe des Jahres 2016 gelungen war, die Einheiten der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) sowohl aus den von ihr besetzten Teilen der südwestlichen Provinz Al Anbar bzw. deren Metropolen Fallouja und Ramadi als auch aus den nördlich an Bagdad anschließenden Provinzen Diyala und Salah al Din zu verdrängen, beschränkte sich dessen Herrschaftsgebiet in der Folge auf den Sitz seiner irakischen Kommandozentrale bzw. seines „Kalifats“ in der Stadt Mossul, Provinz Ninava, sowie deren Umgebung bis hin zur irakisch-syrischen Grenze. Ab November 2016 wurden die Umgebung von Mossul sowie der Ostteil der Stadt bis zum Ufer des Tigris sukzessive wieder unter die Kontrolle staatlicher Sicherheitskräfte gebracht, im Westteil wurde der IS von den irakischen Sicherheitskräften und ihren Verbündeten, die aus dem Süden, Norden und Westen in das Zentrum der Stadt vordrangen, in der Altstadt von Mossul eingekesselt. Der sunnitische IS wiederum versuchte, parallel zu diesen Geschehnissen, durch vereinzelte Selbstmordanschläge in Bagdad und anderen Städten im Süd- sowie Zentralirak seine wenn auch mittlerweile stark eingeschränkte Fähigkeit, die allgemeine Sicherheitslage zu destabilisieren, zu demonstrieren. Anfang Juli 2017 erklärte der irakische Premier Abadi Mossul für vom IS befreit. In der Folge wurden auch frühere Bastionen des IS westlich von Mossul in Richtung der irakisch-syrischen Grenze wie die Stadt Tal Afar durch die Militärallianz vom IS zurückerobert. Zuletzt richteten sich die Operationen der Militärallianz gegen den IS auf letzte Überreste seines früheren Herrschaftsgebiets im äußersten Westen der Provinz Anbar sowie eine Enklave um Hawija südwestlich von Kirkuk.
Die Sicherheitslage innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohuk, Erbil und Suleimaniya, ist angesichts der Maßnahmen der regionalen Sicherheitskräfte wie Grenzkontrollen und innerregionale Aufenthaltsbestimmungen als stabil anzusehen. Seit Oktober 2017 befindet sich die kurdische Regionalregierung in Konflikt mit der irakischen Zentralregierung in der Frage der Kontrolle über die von kurdischen Sicherheitskräften bislang besetzt gehaltenen Grenzregionen südlich der Binnengrenze der Autonomieregion zum übrigen irakischen Staatsgebiet, insbesondere die Region um die Stadt Kirkuk betreffend. Zuletzt kam es zu einer Besetzung dieser Region sowie weiterer Landstriche entlang der Binnengrenze durch die irakische Armee und der Zentralregierung nahestehende Volksmobilisierungseinheiten, während sich die kurdischen Sicherheitskräfte aus diesen Bereichen zurückzogen. Eine Einreise in die drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion ist angesichts eines Luftraumembargos der Nachbarstaaten Türkei und Iran gegen die kurdische Regionalregierung auf direkte Weise aktuell nur auf dem Landweg möglich.
Die Sicherheitslage in den südirakischen Provinzen, insbesondere in der Provinz Basra, war, als Folge einer Sicherheitsoffensive staatlicher Militärkräfte im Gefolge interkonfessioneller Gewalt im Jahr 2007, ab 2008 stark verbessert und bis 2014 insgesamt stabil. Auch war die Region nicht unmittelbar von der Invasion der Truppen des IS im Irak in 2013 und 2014 betroffen. Die Gegenoffensive staatlicher Sicherheitskräfte und deren Verbündeter gegen den IS in Anbar und den nördlicher gelegenen Provinzen bedingte zuletzt eine Verlagerung von Militär- und Polizeikräften in den Norden, die wiederum eine größere Instabilität im Süden, verbunden vor allem mit einem Anstieg an krimineller Gewalt mit sich brachte.
Die Sicherheitslage im Großraum Bagdad war durch die genannten Ereignisse im Wesentlichen ebenfalls nicht unmittelbar beeinträchtigt. Es waren jedoch vereinzelte Anschläge bzw. Selbstmordattentate auf öffentliche Einrichtungen oder Plätze mit einer teils erheblichen Zahl an zivilen Opfern zu verzeichnen, die, ausgehend vom Bekenntnis des - als sunnitisch zu bezeichnenden - IS dazu, sich gegen staatliche Sicherheitsorgane oder gegen schiitische Wohnviertel und Städte richteten, um dort ein Klima der Angst sowie religiöse Ressentiments zu erzeugen und staatliche Sicherheitskräfte vor Ort zu binden. Hinweise auf eine etwaig religiös motivierte Bürgerkriegssituation finden sich in den Länderberichten nicht, ebenso auch nicht in Bezug auf die Säuberung von ethnischen oder religiösen Gruppierungen bewohnte Gebiete.
1.6.1. Die Asa’ib Ahl al-Haqq (Liga der Rechtschaffenen oder Khaz’ali-Netzwerk, League of the Righteous, kurz: AAH) ist eine der unter der PMF zusammengefassten schiitischen Milizen. Diese Miliz wurde 2006 von Qais al-Khaz’ali gegründet und bekämpfte zu jener Zeit die US-amerikanischen Truppen im Irak. Ausgegangen wird von einer Truppengröße von mindestens 3.000 Mann; einige Quellen sprechen von 10.000 bis 15.000 Kämpfern. Die Miliz erhält starke Unterstützung vom Iran und ist, wie die Badr-Organisation und Kata’ib Hizbullah, vor allem westlich und nördlich von Bagdad aktiv. Seitens der Regierung wurde 2016 der Versuch unternommen, Teile der PMF in die staatliche Sicherheitsstruktur einzugliedern und unter die Kontrolle des Premierministers zu stellen - ein Projekt, dessen Ausgang noch immer unklar ist.
Eine landesweite und systematische Verfolgung von Angehörigen der sunnitischen Glaubensgemeinschaft oder der palästinensischen Minderheit durch diese Miliz besteht nicht. Den Berichten zum Herkunftsstaat der bfP lässt sich nicht entnehmen, dass staatliche Organe wegen einer korrekten Amtsführung ins Visier dieser Miliz gelangt wären.
Anlassbezogen ist jedoch nicht hervorgekommen, dass der Beschwerdeführer einer asylrelevanten Bedrohung durch schiitische Milizen oder durch die Polizei des Herkunftsstaates ausgesetzt gewesen wäre.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges- amt- bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 27.08.2020
- - ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (11.12.2019): ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, https://www.ecoi.net/en/document/2021156.html, Zugriff am 27.08.2020
- BFA Staatendokumentation: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Irak: Von schiitischen Milizen dominierte Gebiete (Ergänzung zum Länderinformationsblatt), 04.01.2018 https://www.ecoi.net/en/file/local/1422124/5618_1516263925_irak-sm-von-schiitischen-milizen-dominierte-gebiete-2018-01-04-ke.doc Zugriff am 27.08.2020
- - GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff am 27.08.2020
- - FPRI - Foreign Policy Research Institute (19.8.2019): The Future of the Iraqi Popular Mobilization Forces, https://www.fpri.org/article/2019/08/the-future-of-the-iraqi-popular-mobilization-forces/, Zugriff am 27.08.2020
- - Süß, Clara-Auguste (21.8.2017): Al-Hashd ash-Sha’bi: Die irakischen „Volksmobilisierungseinheiten“ (PMU/PMF), in BFA Staatendokumentation: Fact Finding Mission Report Syrien mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1410004/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 27.08.2020
- UK Home Office: Country Policy and Information Note Iraq: Sunni (Arab) Muslims, 06/2017 https://www.ecoi.net/en/file/local/1403272/1226_1499246656_iraq-sunni-arabs-cpin-v2-0-june-2017.pdf Zugriff am 27.08.2020
- UNHCR – UN High Commissioner for Refugees: Iraq: Relevant COI for Assessments on the Availability of an Internal Flight or Relocation Alternative (IFA/IRA); Ability of Persons Originating from (Previously or Currently) ISIS-Held or Conflict Areas to Legally Access and Remain in Proposed Areas of Relocation, 12.04.2017, https://www.ecoi.net/en/file/local/1397131/1930_1492501398_58ee2f5d4.pdf Zugriff am 27.08.2020
- - Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff am 27.08.2020
1.6.2. Berufsgruppen:
Aus den Länderinformationen zum Herkunftsstaat der bfP geht hervor, dass Polizisten, Soldaten, Journalisten, Menschenrechtsverteidiger, Intellektuelle, Richter und Rechtsanwälte und alle Mitglieder des Sicherheitsapparats besonders gefährdet seien (AA 12.01.2019).
Inhaber von Geschäften, in denen Alkohol verkauft wird - fast ausschließlich Angehörige von Minderheiten, vor allem Jesiden und Christen (AA 12.1.2019; vgl. USDOS 21.6.2019), Zivilisten, die für internationale Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen oder ausländische Unternehmen arbeiten sowie medizinisches Personal werden ebenfalls immer wieder Ziel von Entführungen oder Anschlägen (AA 12.1.2019).
Der BF war laut eigenen Angaben zuletzt als Eigentümer und Leiter eines XXXX tätig und brachte etwa 700.000 irakische Dinar (umgerechnet etwa EUR 500) ins Verdienen. Er gehörte damit keiner Berufsgruppe an, die in den Länderberichten als besonders gefährdet angesehen werden und hat er als Eigentümer und Leiter XXXX aus diesem Grund weder eine Verfolgung noch eine Bedrohung zu befürchten.
Quellen:
- - AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 27.08.2020
- - USDOS - US Department of State (21.6.2019): 2018 Report on International Religious Freedom: https://www.ecoi.net/de/dokument/2011175.html, Zugriff am 27.08.2020
1.6.3. Medizinische Versorgung:
Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche, wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).
Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser mit eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).
Der BF leidet unter Bluthochdruck und Herzproblemen, einer posttraumatischen Belastungsstörung sowie ängstlich depressiven Episoden mit Hinweisen auf psychotisches Erleben. Hierfür nimmt er Risperdal 2mg (zwei Tabletten täglich), Sertralin 100 mg (zwei Tabletten täglich), Temesta 2,5 mg (zweieinhalb tabletten täglich), Pregabalin 200 mg (zwei Tabletten täglich), Circadin 2 mg (eine Tablette täglich), Saroten 25 mg (zwei Tabletten täglich), Sedogelat forte (bei Bedarf bis zu acht Tabletten täglich), Nozinan 100 mg (eineinhalb Tabletten täglich), Amelior plus HCT 40mg/10mg/25mg (eine Tablette täglich) und Bisoprolol 5mg (eine halbe Tablette täglich) und bei Bedarf noch zusätzlich Temesta 2,5mg (eine halbe bis eine Tablette maximal zweimal täglich) [psychiatrisches Gutachten in OZ 22; Patientenbrief vom 19.11.2019 in OZ 42]. Am 04.08.2019 wurde er wegen eines bestehenden Priapismus stationär im Krankenhaus aufgenommen und unter Narkose operiert. Da eine Besserung ausblieb, erfolgte eine zweite Operation. Er wurde über mögliche dauerhafte Schäden des corpus cavernosum aufgeklärt, da auch die zweite Operation nicht vollständige Linderung brachte. Einen dritten Eingriff lehnte der BF nach Rücksprache ab und wurde am 07.08.2019 entlassen [Patientenbrief vom 07.08.2019 in OZ 34]. Er ist in psychotherapeutischer Behandlung.
Aufgrund der in OZ 15 ersichtlichen ACCORD-Anfragebeantwortung kann festgestellt werden, dass die medizinische Versorgung des BF in seiner Heimat grundsätzlich gewährleistet ist.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff am 27.08.2020
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff am 30.06.2020
- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff am 27.08.2020
- UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff am 27.08.2020
- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff am 27.08.2020
1.7. Aus den Angaben des BF lassen sich keine Anhaltspunkte dahingehend entnehmen, dass er mit den Behörden, der Polizei oder den Gerichten des Herkunftsstaates - etwa wegen seines Religionsbekenntnisses, seiner ethnischen Zugehörigkeit zur Mehrheitsbevölkerung der Araber oder aus politischen Gründen - Probleme gehabt hätte.
Es gibt auch keinerlei Hinweise in die Richtung, dass er oder die Angehörigen seiner Kernfamilie jemals politisch aktiv gewesen wären oder die Genannten einer politisch aktiven Bewegung oder einer bewaffneten Gruppierung des Herkunftsstaates als Mitglieder angehört hätten.
Er hatte mit den Angehörigen derselben Glaubensrichtung bzw. mit den Angehörigen einer anderen im Herkunftsstaat beheimateten Glaubensrichtung keine Probleme.
Bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat wird der Beschwerdeführer keiner - aus in seiner Person gelegenen Gründen oder aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort - asylrelevanten Gefahr infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes ausgesetzt sein.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Verfahrensgang:
Der oben unter Punkt I. dargestellte Verfahrensgang und die in der Folge getroffenen (sachverhaltsbezogenen) Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt der vorgelegten Verwaltungsakten des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes, sowie aus den niederschriftlich protokollierten Angaben des BF anlässlich seiner Befragung durch die Organe der belangten Behörde.
2.2. Zur Person der beschwerdeführenden Partei:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache zur Identität, Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit sowie der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers Feststellungen getroffen wurden, beruhen diese im Wesentlichen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen, die vom BF vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, andererseits vor den Organen der belangten Behörde getätigt wurden, sowie auf den im Akt befindlichen Kopien der vorgelegten persönlichen Dokumente und Urkunden.
Diese Feststellungen gelten ausschließlich für die Identifizierung der Person des BF im gegenständlichen verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
Die Feststellungen zu seinem psychischen Zustand konnten anhand der übermittelten Gutachten und Stellungnahmen getroffen werden, deren Echtheit und Expertise nicht in Zweifel steht. Hiermit kann auch in Einklang gebracht werden, dass der Beschwerdeführer die Unterfertigung der Verhandlungsniederschrift mit der Begründung verweigerte, die dort ersichtlichen Aussagen nicht getätigt zu haben (handschriftlicher Vermerk auf S. 25 der Niederschrift).
2.3. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers:
Die zu seiner Ausreise aus dem Irak, zur weiteren Reiseroute und zur Einreise ins Bundesgebiet getroffenen Konstatierungen ergeben sich aus seinen glaubhaften Angaben anlässlich seiner niederschriftlichen Einvernahme vor den Organen der Sicherheitsbehörde, die im Wesentlichen unstrittig geblieben sind und der gegenständlichen Entscheidung daher im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu Grunde gelegt werden konnten.
Das Vorbringen des BF zu den Gründen für das Verlassen des Herkunftsstaates und zu seiner Situation im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat beruht einerseits auf seinen Angaben vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde, sowie auf den vor den Organen der belangten Behörde gemachten Angaben.
Vor den Organen der öffentlichen Sicherheitsbehörde hatte der BF angegeben, dass er und sein Bruder Drohungen erhalten hätten und dass sein Bruder entführt worden sei. Die Drohungen hätten nicht aufgehört, woraufhin er mehrfach den Wohnort gewechselt haben will. Da er als Angehöriger der sunnitischen Minderheit weiterhin Drohungen von schiitischen Institutionen erhalten haben soll, habe er im Irak nicht mehr leben können und deshalb das Land verlassen. Ob sein Bruder noch am Leben sei, könne er nicht sagen. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben und das seiner Familie, von staatlicher Seite gebe es jedoch keine Bedrohungen.
Vor der belangten Behörde bestätigte der BF seine Fluchtgründe. Er präzisierte diese dahingehend, am XXXX 09.2015 um 9 Uhr gemeinsam mit seinem Bruder ( XXXX ) bedroht worden zu sein. Drei Personen der Miliz Alhaq (hier ist die Asa’ib al ahl Haqq gemeint) hätten seine Fabrik gestürmt. Diese Personen seien im Stadtviertel und auch ihm namentlich bekannt. Sie hätten den BF gegrüßt und sich ohne fragen hingesetzt. Eine der Personen habe 25 Millionen Dinar (Anm.: etwa EUR 17.668) verlangt, um ihre Kämpfer zahlen zu können. Daraufhin habe er gesagt, er sei gegen deren Taten, habe jedoch nicht verweigern können. Er habe gesagt, dass seine Fabrik nicht so viel einbringe. Er sei gefragt worden, ob ihm seine Fabrik oder sein Leben wichtiger sei, dann seien die drei Personen wieder gegangen. Der BF habe daraufhin auch die Fabrik verlassen und zu Hause auf seinen Bruder gewartet. Nachdem er ihn nicht erreicht habe, habe ihm ein Mitarbeiter der Fabrik erzählt, dass sein Bruder von den drei Personen mitgenommen worden sei. Er habe Anzeige erstatten wollen, der Polizist habe diese jedoch nicht aufgenommen. Am XXXX 09.2015 zwischen 11 und 11.30 Uhr habe die Miliz einen Herrn, der ein guter Freund sei vorbeigeschickt. Dieser habe 180 Millionen Dinar (Anm.: etwa EUR 127.213) verlangt, anderenfalls sein Bruder getötet würde. Er habe diese Summe jedoch nicht gehabt und Angst um das Leben seines Bruders gehabt. Am XXXX 09.2015 sei dieser Mann noch einmal zum BF gekommen und habe ihn informiert, dass auch er am selben Tag entführt werde. Dieser habe den BF am gleichen Tag nach XXXX geführt, ein Visum organisiert und der BF habe den Irak verlassen. Weitere Fluchtgründe nannte er nicht.
Die Aussage des BF vor dem BVwG vermochte kein Gefährdungsbild durch eine Erpressung zu verdeutlichen. Wie bereits vor der belangten Behörde gab der Beschwerdeführer bei der hg. mündlichen Verhandlung an, mit dem Tode bedroht worden zu sein, wenn er einen geforderten Betrag von 25 Millionen irakischer Dinar nicht bezahlen würde. Mit diesem Geld hätte die Miliz Waffen und Soldaten bezahlen wollen. Er sei gegen deren Unternehmungen gewesen und hätte sich daher geweigert, zu bezahlen. Die Abläufe und auch das Eintreffen der Milizionäre wurden übereinstimmend mit seinen Angaben vor der belangten Behörde dargelegt. In Zusammenschau mit jenen Angaben, die er vor dem psychiatrischen Sachverständigen machte und die zusätzlich von seiner Therapeutin übermittelt wurden verstrickte er sich jedoch in Ungereimtheiten, die die Glaubhaftigkeit seines Fluchtgrundes erschüttern. So gab er vor dem Bundesverwaltungsgericht an, seit dem XXXX 12.2017 keinen Kontakt mehr zu seiner Ehefrau gehabt zu haben (S. 6 der VH-Niederschrift), meinte jedoch laut den Angaben in OZ 34, bereits drei Monate nach seiner Flucht (sohin Anfang 2016), den Kontakt verloren zu haben. Bei der hg. mündlichen Verhandlung gab er zudem an, dass seine Frau und die drei Kinder bei seinem letzten Telefonat nach XXXX übersiedelt seien (VH-Niederschrift S. 6), da die Milizen sein Haus zerstört hätten. Auch sei seine XXXX von den Milizen übernommen worden (AS 118 und 120). In OZ 34 gab er an, dass seine XXXX überfallen und sein Bruder ermordet worden sei. Ihm seien nur zehn Minuten Zeit geblieben, um sich aus der XXXX in Sicherheit zu bringen. Hiermit steht im Widerspruch, dass die Angehörigen der Miliz laut Aussage vor dem BFA zwar in die XXXX gestürmt seien, ihn jedoch begrüßten und sich ohne Fragen hinsetzten. Von einem Überfall sprach der BF zu diesem Zeitpunkt nicht. Vor dem BFA gab er zudem an, noch nach Hause gegangen zu sein und auf seinen Bruder gewartet zu haben. Erst nachdem er von Mitarbeitern über dessen vermeintliche Entführung informiert worden sein will, habe er sich Sorgen gemacht und Angst bekommen. Laut Aussage vor dem BFA sei zwei Tage nach besagtem Vorfall eine befreundete Person zu ihm gekommen und habe mehr Geld gefordert. Von einer Flucht aus der Fabrik binnen weniger Minuten ist hier also nicht auszugehen. Dieselbe Person, die nicht Mitglied der Miliz, sondern von dieser nur geschickt worden sei, um Druck auszuüben, habe dem BF schlussendlich zur Flucht verholfen. Es erscheint unklar, warum in einem solchen Fall eine wiederholte Warnung und Erpressung hätte stattfinden sollen, wenn die Miliz es ausschließlich auf das Geld des BF abgesehen hätte. Auch erscheint dem erkennenden Gericht nicht glaubwürdig, dass eine Person, die den BF zunächst unter Druck gesetzt haben soll, diesen dann bei der Flucht unterstützt haben soll.
Vor dem BFA gab der BF zudem an, bereits im Sommer desselben Jahres gefragt worden zu sein, ob er sich den Milizen anschließen wolle. Geld sei zu dem Zeitpunkt nicht gefordert worden, erst einige Tage später sei um eine „Spende“ gebeten worden (AS 119). Unklar ist, warum die Miliz in diesem Fall nicht sofort bei einem ersten Versuch Geld erpresste, an welchem der BF in seinem Haus aufgesucht wurde.
Weitere Widersprüche fanden sich im Zusammenhang mit den letzten Tagen des BF in seiner Heimat. Im Rahmen der Erstbefragung gab er an, mehrfach den Wohnort gewechselt zu haben (AS 17). Nach Vorhalt vor dem BFA, bei welchem er angab im Irak nie den Wohnort gewechselt zu haben, korrigierte er sich dahingehend, dass dies nur die letzten drei Tage vor seiner Flucht betroffen hätte. Dies ist nicht in Einklang mit der bereits erwähnten Warnung durch den Freund zu bringen, der den BF am XXXX 09.2015 aufgesucht haben soll. Wenn man davon ausgeht, dass der erste „Überfall“ auf die Fabrik am XXXX 09.2015 war und das letzte Treffen mit besagtem Freund am XXXX 09.2015 direkt zur Ausreise führte, so stellt sich die Frage, wie der BF für dieses Gespräch gefunden hätte werden sollen, will er sich doch zu diesem Zeitpunkt in XXXX und XXXX aufgehalten haben (AS 117 und 121).
Es wird nicht verkannt, dass der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG die Erstbefragung nicht vordergründig der Ermittlung der Fluchtgründe, sondern der Erforschung der Identität und Reiseroute dient. Dennoch sind die für die Ausreise maßgeblichen Motive zu würdigen, wenn diese im Lauf des Verfahrens eine starke Veränderung erfahren. Die unterschiedlichen Angaben in Hinblick auf die letzten Tage vor der Ausreise lassen ein Bild erkennen, dass der BF ein tatsachenwidriges Gedankenkonstrukt ersann um sein Verfahren ins für ihn Positive zu lenken.
Der BF konnte im gesamten Verfahrensverlauf nicht darlegen, dass es tatsächlich zu einer Bedrohung von Seiten einer Miliz gekommen ist. Die Widersprüche im Zusammenhang mit dem Kontakt zu seiner Familie und die nicht glaubhaft vorgebrachten Punkte zu der Bedrohung durch eine Miliz führen diesbezüglich zu einem Bild, dass die Angaben des BF vielmehr ein Konstrukt seiner Gedanken sind, welche mit der Lebensrealität in seiner Heimat keinerlei Verbindung hat.
Die getroffenen Konstatierungen waren somit im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu treffen.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die länderkundlichen Feststellungen zur allgemeinen Lage im Irak gründen auf dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes und auf den als notorisch zu qualifizierenden aktuellen Ereignissen im Herkunftsstaat der bfP in Verbindung mit den dazu ergänzend eingesehenen länderkundlichen Informationsquellen. Diesen war auch kein über die oben erörterten, vom BF selbst dargebotenen Verfolgungsgründe hinausgehender Sachverhalt zu entnehmen, der allenfalls Anhaltspunkte für eine aus sonstigen Gründen dem BF drohende individuelle Gefährdung beinhaltet hätte.
2.5. Zur Integration des BF in Österreich
Die Feststellungen zu den vom Beschwerdeführer in Österreich gesetzten Integrationsschritten (Deutschkursbesuch, Teilnahme an Integrationsmodulen) ergaben sich aus den diesbezüglichen glaubhaften Nachweisen im Akt. Die Echtheit des vom BF vorgelegten Empfehlungsschreibens steht außer Zweifel und bestätigt die soziale Integration des BF.
Der Bezug aus Leistungen der Grundversorgung und dass der BF keiner Erwerbstätigkeit nachgeht ergibt sich aus den diesbezüglichen Abfragen der Versicherungsdaten und einem Auszug aus dem GVS-Betreuungsinformationssystem. Die Unbescholtenheit konnte durch einen Auszug aus dem Strafregister belegt werden.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
3.1.1. Die gegen den Bescheid der belangten Behörde vom XXXX 02.2018 erhobene Beschwerde des BF ist rechtzeitig und legte die belangte Behörde die Beschwerdesachen dem Bundesverwaltungsgericht vor.
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF., entscheidet über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Bundesverwaltungsgericht.
3.1.2. Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt die Entscheidung in der gegenständlichen Rechtssache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
3.2. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
3.2.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 AsylG 2005 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 55/1955, idF des Protokolls über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, BGBl. Nr. 78/1974 (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK), droht.
Als Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK ist anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffes ist nach ständiger Rechtsprechung des VwGH die „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ (vgl. VwGH vom 22.12.1999, Zl. 99/01/0334; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011). Eine solche liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 21.09.2000, Zl. 2000/20/0286).
Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen, der sich eignet, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen (VwGH vom 24.11.1999, Zl. 99/01/0280). Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH vom 19.12.1995, Zl. 94/20/0858; vom 23.09.1998, Zl. 98/01/0224; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318; vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370; vom 06.10.1999, Zl. 99/01/0279 mwN; vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233; vom 21.12.2000, Zl. 2000/01/0131 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Die Verfolgungsgefahr muss aktuell sein, was bedeutet, dass sie zum Zeitpunkt der Entscheidung vorliegen muss (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318 und vom 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Bereits gesetzte vergangene Verfolgungshandlungen können im Beweisverfahren ein wesentliches Indiz für eine bestehende Verfolgungsgefahr darstellen, wobei hierfür dem Wesen nach eine Prognose zu erstellen ist (VwGH vom 05.11.1992, Zl. 92/01/0792 und vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0318). Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der GFK genannten Gründen haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 nennt, und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatstaates bzw. des Staates ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein, wobei Zurechenbarkeit nicht nur ein Verursachen bedeutet, sondern eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr bezeichnet (VwGH vom 16.06.1994, Zl. 94/19/0183).
Von einer mangelnden Schutzfähigkeit des Staates kann nicht bereits dann gesprochen werden, wenn der Staat nicht in der Lage ist, seine Bürger gegen jedwede Übergriffe seitens Dritter präventiv zu schützen. Es ist erforderlich, dass der Schutz generell infolge Fehlens einer nicht funktionierenden Staatsgewalt nicht gewährleistet wird (vgl. VwGH vom 01.06.1994, Zl. 94/18/0263 und vom 01.02.1995, Zl. 94/18/0731). Die mangelnde Schutzfähigkeit hat jedoch nicht zur Voraussetzung, dass überhaupt keine Staatsgewalt besteht - diesfalls wäre fraglich, ob von der Existenz eines Staates gesprochen werden kann -, die ihren Bürgern Schutz bietet. Es kommt vielmehr darauf an, ob in dem relevanten Bereich des Schutzes der Staatsangehörigen vor Übergriffen durch Dritte aus den in der GFK genannten Gründen eine ausreichende Machtausübung durch den Staat möglich ist. Mithin kann eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewendet werden kann (VwGH vom 22.03.2000, Zl. 99/01/0256).
Verfolgungsgefahr kann nicht ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Einzelverfolgungsmaßnahmen abgeleitet werden, vielmehr kann sie auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden, und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein (VwGH vom 09.03.1999, Zl. 98/01/0370 und vom 22.10.2002, Zl. 2000/01/0322).
Die Voraussetzungen der GFK sind nur bei jenem Flüchtling gegeben, der im gesamten Staatsgebiet seines Heimatlandes keinen ausreichenden Schutz vor einer konkreten Verfolgung findet (VwGH vom 08.10.1980, VwSlg. 10.255 A). Steht dem Asylwerber die Einreise in Landesteile seines Heimatstaates offen, in denen er frei von Furcht leben kann, und ist ihm dies zumutbar, so bedarf er des asylrechtlichen Schutzes nicht; in diesem Fall liegt eine sog. „inländische Fluchtalternative“ vor. Der Begriff „inländische Fluchtalternative“ trägt dem Umstand Rechnung, dass sich die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, wenn sie die Flüchtlingseigenschaft begründen soll, auf das gesamte Staatsgebiet des Heimatstaates des Asylwerbers beziehen muss (VwGH vom 08.09.1999, Zlen. 98/01/0503 und 98/01/0648).
Grundlegende politische Veränderungen in dem Staat, aus dem der Asylwerber aus wohlbegründeter Furcht vor asylrelevanter Verfolgung geflüchtet zu sein behauptet, können die Annahme begründen, dass der Anlass für die Furcht vor Verfolgung nicht (mehr) länger bestehe. Allerdings reicht eine bloße - möglicherweise vorübergehende - Veränderung der Umstände, die für die Furcht des betreffenden Flüchtlings vor Verfolgung mitbestimmend waren, jedoch keine wesentliche Veränderung der Umstände iSd. Art. 1 Abschnitt C Z 5 GFK mit sich brachten, nicht aus, um diese zum Tragen zu bringen (VwGH vom 21.01.1999, Zl. 98/20/0399 und vom 03.05.2000, Zl. 99/01/0359).
3.2.2. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet:
Ein in seiner Intensität asylrelevanter Eingriff in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen führt dann zur Flüchtlingseigenschaft, wenn er an einem in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK festgelegten Grund, nämlich die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politische Gesinnung anknüpft.
Eine gegen seine Person gerichtete Verfolgungsgefahr von staatlicher Seite aus solchen Gründen wurde vom Beschwerdeführer weder im Verfahren vor der belangten Behörde, noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht glaubhaft gemacht.
Soweit er in der Beschwerde geltend gemacht hat, dass er von einer schiitischen Miliz erpresst worden sei und in Folge seiner Flucht seine Fabrik übernommen und sein Haus zerstört wurde gelang es ihm nicht, dieses Vorbringen glaubhaft zu machen. Eine nach fünf Jahren Abwesenheit weiterhin bestehende Bedrohung durch Milizen scheint - speziell unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Milizen laut Angaben des BF dessen einzige Einnahmequelle übernommen haben - ebenso nicht glaubhaft. Abgesehen von dieser einen Situation und einem bereits vorhergehenden Versuch, Geld zu erpressen, gab es keine direkte Bedrohung durch Milizen gegen den BF persönlich. Die im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Ungereimtheiten und Inkonsistenzen führen dazu, dass ein asylrechtlich relevantes Bedrohungsbild nicht hinreichend festgestellt werden konnte. Auch die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung reicht nicht aus, um den Status eines Asylberechtigten zu erhalten (VwGH vom 15.12.2015, Ra 2015/18/0100). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, und konnten solche auch vom BF nicht glaubhaft gemacht werden, dass ihm eine über die allgemeinen im Irak herrschende Gefahr hinausgehende Gruppenverfolgung drohen würde.
Zusammenfassend lässt sich eine aktuelle Verfolgungsgefahr des BF im Falle seiner Rückkehr aus einem der in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe nicht erkennen und ist es dem BF nicht gelungen darzutun, dass ihm in seinem Herkunftsstaat asylrelevante Verfolgung droht.
3.2.3. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides ist sohin zu bestätigen.
3.3. Zu Spruchpunkt II. der angefochtenen Bescheide:
3.3.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Gemäß § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn der beschwerdeführenden Partei eine innerstaatliche Fluchtalternative im Sinne des § 11 offen steht.
Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs. 1 oder aus den Gründen des Abs. 3 oder 6 abzuweisen, so hat gemäß § 8 Abs. 3a AsylG eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
Somit ist vorerst zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde. Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH vom 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; vom 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; vom 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; vom 26.06.1997, ZI. 95/18/1291 und vom 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in seiner Sphäre gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH vom 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).
Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH vom 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH vom 14.10.1998, Zl. 98/01/0122 und vom 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).
Unter „realer Gefahr“ ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen („a sufficiently real risk“) im Zielstaat zu verstehen (VwGH vom 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (z.B. VwGH vom 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; vom 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438 und vom 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).
Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH vom 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; vom 08.06.2000, Zl. 99/20/0203 und vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Geg