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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten betreffend einen Staatsangehörigen des Iraks; mangelnde Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat bzw zur innerstaatlichen FluchtalternativeSpruch
I. 1. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen den Ausspruch, dass die Abschiebung in den Irak zulässig sei, und gegen die Festsetzung einer vierzehntägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wurde, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl Nr 390/1973, verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seiner Rechtsvertreterin die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer, ein 1997 geborener irakischer Staatsangehöriger, gehört der Volksgruppe der Kurden an und ist Moslem. Er stellte nach illegaler Einreise am 15. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid vom 23. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowie den Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak ab. Ferner wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer erlassen, sowie festgestellt, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gesetzt.
3. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit am 19. Juni 2019 mündlich verkündetem und am 23. Juli 2019 schriftlich ausgefertigtem Erkenntnis als unbegründet ab. Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer hinsichtlich seines Fluchtvorbringens keine Glaubwürdigkeit zukomme. Die Abweisung der Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wird darauf gestützt, dass der Beschwerdeführer als gesunder und arbeitsfähiger Mann mit Berufserfahrung fähig sein werde, "im irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen". Im Übrigen wird auf die deutliche Entspannung der Sicherheitslage und der allgemeinen Lage sowie die damit verbundene Besserung der humanitären und wirtschaftlichen Lage im Irak verwiesen.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Der Beschwerdeführer bringt unter anderem vor, das Bundesverwaltungsgericht habe keine fehlerfreie und vollständige Beurteilung der Zumutbarkeit einer Rückkehr in den Herkunftsstaat des Beschwerdeführers vorgenommen.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift aber abgesehen.
II. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde durch das Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels, der Erlassung einer Rückkehrentscheidung, der Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und der Festsetzung einer vierzehntägigen Frist für die freiwillige Ausreise richtet, ist sie auch begründet:
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
2.2. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich einer möglichen Verletzung des Beschwerdeführers in seinen durch Art2 und 3 EMRK gewährleisteten Rechten erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen gesunden und arbeitsfähigen Mann handle, der über Familienangehörige im Irak verfüge und "aufgrund seiner erlernten Profession als Moped-Mechaniker im Irak Erfahrungen am Arbeitsmarkt sammeln konnte und damit auch hinkünftig eine Chance hat, am irakischen Arbeitsmarkt unterzukommen". Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Irak sei der Beschwerdeführer mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner Verfolgungsgefahr aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung ausgesetzt. Es lägen auch keine sonstigen Gründe vor, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat Irak entgegenstünden. Zur – allgemeinen – Lage im Irak wird wörtlich festgestellt (angefochtenes Erkenntnis, S 4):
"1.3. Zu den Feststellungen zur Lage im Irak:
Wie aus den aktuellen Länderberichten (Stand 09.04.2019) und den dort angeführten Quellen zu entnehmen ist, hat sich die Sicherheitslage im Irak zuletzt stabilisiert, insbesondere innerhalb der drei Provinzen der kurdischen Autonomieregion des Nordiraks, nämlich Dohik, Erbis und Suleimaniya. Auch wenn sich der Irak nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen erholt, sollten sich die Wachstumsaussichten dank der allmählichen Belebung der Investitionen für den Wiederaufbau verbessern. Somit scheint sich das Land nach langen Jahren bewaffneter Auseinandersetzungen wieder in Richtung einer gewissen Normalität zu bewegen."
2.3. Im Rahmen der Beweiswürdigung führt das Bundesverwaltungsgericht lediglich aus, dass sich "[d]ie Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat […] auf den aktuellen Länderinformationsbericht der Staatendokumentation für den Irak samt den dort publizierten Quellen und Nachweisen" stützen, und dass "[d]ie sich auf dieser Basis ergebende deutliche Entspannung der Sicherheitslage und der allgemeinen Lage im Irak sowie [die] damit verbundene[…] Besserung der humanitären und wirtschaftlichen Lage" in der mündlichen Verhandlung mit dem Beschwerdeführer und seiner Rechtsvertretung erörtert worden und unwidersprochen geblieben seien (angefochtenes Erkenntnis, S 9).
2.4. Das Bundesverwaltungsgericht stellt zwar fest, dass der Beschwerdeführer aus Prdee stammt, hat es jedoch unterlassen, konkrete Feststellungen dahingehend zu treffen, ob ihm eine Rückkehr in diese Region möglich ist, beziehungsweise ob eine konkrete innerstaatliche Fluchtalternative besteht, die ihm eine Einreise dorthin und einen Aufenthalt in einer Weise ermöglicht, die den Anforderungen des Art3 EMRK Rechnung trägt. Dadurch hat das Bundesverwaltungsgericht Willkür geübt (zu diesen Anforderungen in den Irak betreffenden Fällen vgl VfGH 11.6.2018, E4317/2017 und 23.9.2019, E1809/2019, jeweils mwN).
2.5. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Zulässigerklärung der Rückkehrentscheidung beziehungsweise der Abschiebung in den Herkunftsstaat Irak unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise richtet, ist es somit mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der Asylberechtigung richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen insoweit nicht anzustellen.
Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung der Asylberechtigung richtet, abzusehen.
IV. Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit seine Beschwerde gegen die Abweisung des Antrages auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung einer Rückkehrentscheidung, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung und gegen die Festsetzung einer vierzehntätigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen wird, in dem durch das Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Former rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten. Ein Ersatz der Eingabengebühr ist nicht zuzusprechen, weil der Beschwerdeführer Verfahrenshilfe (auch) im Umfang des §64 Abs1 Z1 lita VfGG genießt.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E2860.2019Zuletzt aktualisiert am
15.10.2020