TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/24 W257 2171796-1

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Veröffentlicht am 24.01.2020
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Entscheidungsdatum

24.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55

Spruch

W257 2171796-1/18E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Herbert MANTLER, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, vertreten durch „MigrantInnenverein St. Marx“, Pulverturmgasse 4/2/R1, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, vom 08.09.2017, Zahl: XXXX , nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 25.09.2019 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1, 10 Abs. 1 Z 3, 57 AsylG 2005, § 9 BFA-VG und §§ 52, 55 FPG als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

1.       Verfahrensgang:

1.1.    Der Beschwerdeführer (in der Folge: „BF/2A“) reiste gemeinsam mit seiner Familie, zusammengefasst bestehend aus

?        ?XXXX , geboren am XXXX (hier abgekürzt als: „BF1“), Verfahrenszahl W257 XXXX , IFA- Zahl: XXXX , Vater zu BF3 u. BF4, Bruder zu BF1/A, BF2/A und BF3/A;

?        ?XXXX , geboren am XXXX , (hier abgekürzt als: „BF2“), Verfahrenszahl W257 XXXX , IFA- Zahl: XXXX , Mutter zu BF3 und BF4;

?        ?XXXX , geboren am XXXX (hier abgekürzt als: „BF3“), Verfahrenszahl W257 XXXX , IFA- Zahl: XXXX , mj. Sohn der BF1 und BF2;

?        ?XXXX   , geboren am XXXX  , (hier abgekürzt als: „BF4“),  Verfahrenszahl W257 XXXX  IFA- Zahl: XXXX  , mj. Sohn der BF1 und BF2, in Österreich nachgeboren;

sowie
?         ?XXXX ,  geboren am XXXX , (hier abgekürzt als: „BF1/A“) , Verfahrenszahl W257 XXXX ,  IFA- Zahl: XXXX , gegenständlicher BF;

?        ?XXXX , geboren am XXXX , (hier abgekürzt als: „BF2/A“) Verfahrenszahl W257 XXXX , IFA- Zahl: XXXX , Bruder zu BF1, BF2/A und BF3/A;

?        ?XXXX , geboren am XXXX , (hier abgekürzt als: „BF3/A“), Verfahrenszahl W257 XXXX  IFA- Zahl: XXXX , Bruder zu BF1, BF1/A und BF2/A

an einem unbestimmten Zeitpunkt in das Österreich Bundesgebiet ein und stellte bei Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 06.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. BF2 vertritt minderjährigen leiblichen Kinder BF3 und BF4.

1.2.    Alle volljährigen BF brachten getrennt voneinander und übereinstimmend vor, dass sie aus dem Iran geflohen seien. Sie würden der Volksgruppe der Qeselbash bzw der Tadschiken angehören und seien Moslems in sunnitischer Glaubensausrichtung. Sie seien wegen der Unsicherheit vor ca 6 Monaten von der Ortschaft in der Nähe von Kabul namens XXXX in Afghanistan legal mit dem Flugzeug in den Iran geflohen und anschließend seien sie nach Europa geflüchtet. Sie hätten für die Einreise in den Iran alle ein dreimonatiges Visum erhalten. Es würden jeden Tag in Afghanistan Bombenanschläge verübt und dabei unschuldige Menschen getötet werden. BF2/A und BF/3A gaben an, dass sein Bruder BF1/A vor ca. eineinhalb bis zwei Jahren bei einem Bombenanschlag verletzt worden sei. BF1 meinte vor ca 4 bis 5 Jahren. BF1 meinte, dass sie keine finanziellen Probleme gehabt hätten.

BF2/A und BF/3A wäre 12 Jahre in Kabul zur Schule gegangen und wäre im Iran zuletzt Verkäufer gewesen. BF1 wäre nur 6 Monate zur Schule gegangen.

Alle volljährigen BF gaben an, dass sich der Vater, die Mutter, eine Schwester und ein Bruder in Kabul befinden würden.

1.3.    Am 12.10.2017 erfolgte die Einvernahme vor der Behörde, dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: „BFA“). Dabei wurde übereinstimmend folgendes Fluchtvorbringen von den BF (getrennt voneinander befragt), vorgetragen:

Der Vater wäre der älteste Sohn der Familie gewesen und hätte er von seinen Vorfahren Grundstücke im Ausmaß von 30 Jirib (Anm.: eine Grundstücksgröße) vererbt bekommen. Sein Vater hätte davon jeden seiner Brüder 5 Jirib weitergegeben. Zu dieser Zeit hätten die Taliban regiert. Der Bruder des Vaters namens XXXX hätte Geld gebraucht und hätte seinen Anteil dem Vater verkauft. Später, als die Regierung der Taliban beendet gewesen wäre, hätte der Onkel wieder versucht an das zuvor verkaufte Grundstück zu gelangen. Mittlerweile wären allerdings die Grundstückspreise gestiegen, weswegen der Vater den aktuellen – und nicht den damaligen - Grundstückspreis von seinem Bruder verlangt hätte. Dieser jedoch hätte verlangt, dass er das Grundstück zu den damaligen Preisen zurückkaufen könne. Dies wäre der Grund für den Streit zwischen dem Vater des BF1, BF/1A bis BF/3A gewesen. Der Onkel wäre öfters zu Ihnen gekommen und hätte sie bedroht. Der Onkel wurde bei der Einvernahme noch nicht als „mächtig“ oder der „Mafia“ zugehörend geschildert.

Eines Tages, ca. 6 Monate nach der Hochzeit seines Bruders, wäre der Bruder BF1 blutig nach Hause gekommen. Es hätte sich herausgestellt, dass ein Sohn des Onkels, ihn mit dem Messer verletzt hätte. Sie wären auch wegen dem Onkel bei der Polizei gewesen, doch die Polizei hätte nichts gemacht. Deswegen hätte sein Vater entschieden BF1 mit seiner Frau in den Iran gehen solle. Diese Streitigkeiten hätte sich auf die ganze Familie ausgedehnt, weswegen alle wegen diesen Fluchtgrund geflohen seien. Außer dem Vorfall mit BF1 wäre kein BF in Afghanistan persönlich belangt bzw bedroht worden.

Zwei bis drei Monate vor der Ausreise in den Iran wäre ein weiterer Bruder, nämlich BF1/A, durch einen Bombenanschlag verletzt worden. Sie könne nicht nach Afghanistan zurück und ein eigenes Leben aufbauen, weil die Cousins schon auf ihnen warten würden und ihr Blut haben wolle. Aus dem Iran wäre er geflohen, weil er Angst gehabt hätte, dass er in den syrischen Krieg geschickt werden hätte können. In der Zeit, als er sich im Iran befunden hätte, wäre auch sein BF1 zweimal nach Afghanistan abgeschoben worden und wäre aber wieder in den Iran eingereist.

BF2 wiederholte die Angaben des BF1. Sie brachte keinen eigenen Fluchtgrund vor, ebengleiches galt für die von Ihr vertretenen Kindern.

Die Brüder hätten alle für den Iran ein Visum bekommen und seien alle mit dem Flugzeug in den Iran gereist. BF1 befand sich bereits im Iran, als die anderen Brüder 2015 nachreisten. Sie befanden sich danach noch 10 Monate im Iran, arbeiteten auf Baustellen und als Verkäufer, als sie schließlich von dort über die Türkei nach Österreich geflüchtet wären. Österreich sei das Zielland gewesen, weil hier bereits zwei Verwandte leben würden.

1.4.    Mit dem im Spruch erwähnten Bescheiden, wies das BFA den Antrag der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erkannte ihnen den Status eines Asylberechtigten, ebenso wie gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan nicht zu (Spruchpunkt II.), erteilte ihnen keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gegen die BF gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt III.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung der BF nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise der BF 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). Der Spruchpunkt wurde in ihrer Sprache übersetzt.

1.5.    Der Asylstatus wurde den BF deswegen nicht zuerkannt, weil die BF keine glaubhafte Verfolgungshandlung, vorgebracht hätte. Der subsidiäre Schutz wurde ihnen nicht zuerkannt, weil keine Gefahr im Falle der Rückkehr nach Kabul erkannt worden wäre. Die Behörde hätte bei BF2 keine westliche Orientierung feststellen können.

1.6.    Die BF erhoben dagegen fristgerecht Beschwerden im vollem Umfang, vertreten durch die Diakonie als Mitglied der ARGE Rechtsberatung. Die Beschwerden bemängelten die unrichtige Tatsachenfeststellung und die daraus falschen abgeleiteten rechtlichen Schlussfolgerungen. Auch hier wurde der Onkel noch nicht als „mächtig“ oder „der Mafia zugehörend“ geschildert.

1.7.    Die gegenständlichen Beschwerden und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge kurz „BVwG“) am 28.09.2017 vom BFA vorgelegt.

1.8.    Am 02.10.2017 langte hinsichtlich der Verfahren BF1/A, BF2/A und BF3/A ein Foto von einem Schriftstück in persischer Sprache ein. Die damalige Rechtsvertretung der BF schrieb in dem E-Mail dazu:

„...Der Brief ist der Sprache Dari verfasst...Übersetzung (von N.N., Verein Menschenrechte Österreich) ... „Mein Sohn XXXX wurde von einigen bösen Menschen (Gangstern) geschlagen, da er zur Volksgruppe der (Schiiten) gehört. Bei dem Angriff wurde meinem Kind der rechte Arm gebrochen...““

1.9.    Am 17.10.2017 langte eine Vollmachtsbekanntgabe der jetzigen Rechtsvertreterin ein.

1.10.   Am 26.09.2019 langt eine Stellungnahme der Rechtsvertreterin ein. Darin ist wird darauf hingewiesen, dass sich die Sicherheitslage in Afghanistan verschlechtert hätte. Zudem wird auf die UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2019 verwiesen und die darin genannten Risikopersonen exemplarisch aufgezählt. Kabul käme generell als innerstattliche Fluchtalternative nicht mehr in Frage. Zudem hätte der VfGH unter E3870/2018 ebenso entschieden, dass Kabul nicht mehr sicher sei. Herat und Mazar-e Sahrif wären auch unsicherer geworden. In beiden Städten käme es entsprechend Berichten zu einer Unterversorgung der Zivilbevölkerung. Laut dem Bericht von Frau Stahlmann würden junge Männer einer erheblichen Gefahr ausgesetzt sein und diese würden konstant ausgenutzt werden (Seite 9). Die BF würden einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein, weil sie einer Blutrache ausgesetzt seien. Zudem würden sie bei einer Rückkehr als „verwestlicht“ wahrgenommen werden und auch aus diesem Grund einer Verfolgung ausgesetzt sein (Seite 11).

1.11.   Am 16.07.2019 langte hinsichtlich BF1 ein Fristsetzungsantrag ein, welcher am 25.09.2019 zurückgezogen wurde. Der VwGH beschoss in der Folge unter Fr 2019/19/0041-4, dass das Verfahren hinsichtlich des Fristsetzungsantrages eingestellt wird.

1.12.   Am 22.07.2019 wurden die Verfahrensparteien zur einer Verhandlung am 25.09.2019 eingeladen. Aus zeitlichen Gründen musste die Verhandlung auf den 20.11.2019 vertagt werden. Abermals aus zeitlichen Gründen musste die Verhandlung auf den 10.01.2020 vertagt werden. Bei den letzten beiden Terminen wurden die Brüder BF2/A BF3/A teilweise gemeinsam einvernommen. BF1/A wurde am 25.09.2019, gemeinsam mit BF1 und BF2 (diese vertritt BF3 und BF4) einvernommen.

1.13.   Ihnen wurden folgender Länderberichte zur Stellungnahme unter Wahrung des Parteiengehörs mit der Einladung zur mündlichen Verhandlung am 25.09.2019 übermittelt: „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 04.06.2019“, sowie die UNHCR-Richtlinie vom 30.08.2018. Es langte von keiner der Verfahrensparteien eine Stellungnahme ein. Zwischenzeitlich erschien eine neue Fassung dieses Länderinformationsblattes, weswegen den Parteien am 18.12.2019 die Fassung „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019“, zum Parteiengehör zugesandt wurde. Eine Stellungnahme langte von keiner der Verfahrensparteien ein.

1.14.   Alle volljährigen BF stützten sich im Grunde auf das Fluchtvorbringen mit den Grundstücksverkäufen bzw dem Onkel (sh dazu Punkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.). Vor dem Gericht wurde der Onkel einhellig als „sehr mächtig“ bezeichnet. Teilweise wurde er mit „der Maifa“ in Verbindung gebracht. Darüberhinausgehend die folgenden Vorbringen:

1.15.   Die zusammengefasste Aussage von BF1 vor dem BVwG am 25.09.2019:

Im Kern widerholte er die Aussagen wie vor der Behörde. Ergänzend dazu wurde folgendes zusammengefasst ausgeführt: Die Familie würde sich bereits seit ca einem Jahr nicht mehr in Afghanistan befinden und bereits im Iran wohnen. Er hätte fünf Brüder und zwei Schwestern. Zwei der Brüder würden sich im Iran befinden, die restlichen seien in Österreich. Neben der Erläuterung seiner Verwandtschaft gab er an, dass er 2 ½ Jahre in Afghanistan gelebt hätte. Er hätte in Afghanistan als Schneider und als Taxifahrer mit dem eigenen Fahrzeug gearbeitet wäre 2013 zum ersten Mal in den Iran gereist. Von dort wäre er, weil die Lage gefährlich gewesen sei, einmal freiwillig nach Afghanistan zurückgekehrt. Einmal sei er nach Afghanistan abgeschoben worden. Als er das letzte Mal – im Jahr 2015 - von Afghanistan in den Iran reiste, nahm er drei seiner Brüder mit. Einer konnte legal ausreisen, die beiden anderen mittels einen Schlepper. Hier gab der BF erstmals an, dass sein Onkel „einflussreich“ gewesen sei (Seite 13 der gerichtlichen Niederschrift). Der Onkel wäre mächtig und skrupellos gewesen.

Der Angriff auf seine Person sei im Jahr 2012 gewesen, ca 2 Wochen nach seiner Hochzeit (Seite 15). Seine Brüder konnten dazumals nicht gleich mit ihm ausreisen, weil sie noch klein gewesen wären und nicht angegriffen worden seien. Es sei nur er angegriffen worden. Erst als die Brüder älter wurden, meinte der Vater, dass nun auch seine Brüder ausreisen sollten. Seine Brüder hätten keine Auseinandersetzungen mit dem Onkel gehabt.

1.16.   Die zusammengefasste Aussage von BF2 vor dem BVwG am 25.09.2019:

Sie sei in Herat, Afghanistan, geboren und aufgewachsen. Sie hätte 10 Jahre die Schule besucht, allerdings nicht abgeschlossen. Ihre Eltern würden sich derzeit in der Türkei befinden. Sie hätte keinen Beruf ausgeübt. Sie hätte in Afghanistan als Frau keinerlei Rechte besessen und hätte erst hier erfahren, dass es anders sein kann. Sie würde hier in Österreich die Freiheit sehr genießen.

1.17.   Die zusammengefasste Aussage von BF/1A vor dem BVwG am 25.09.2019:

Er sei gesund und sei mit seinen Brüdern vom Iran nach Österreich geflohen. Sie hätten in Afghanistan keine finanziellen Probleme gehabt, sondern sie hätten Probleme wegen der Sicherheit. Man würde sie innerhalb von zwei Monaten umbringen. Er und seine Brüder würden in Afghanistan Arbeit finden, das wäre kein Problem.

Sie seien wegen den Grundstücksstreitigkeiten, welche der Vater mit seinem mächtigen Bruder hatte, geflohen.

1.18.   Die zusammengefasste Aussage von BF/2A vor dem BVwG am 20.11.2019:

Er sei nicht gesund und würde an Atembeschwerden leiden. Er hätte 160 Tabletten bekommen. In Kabul hätte er 11 ½ Jahre die Schule besucht und sonst hätte er nichts gearbeitet. Im Iran wäre er Straßenverkäufer gewesen, sowie hätte er auf Baustellen als Hilfsarbeiter gearbeitet. Alle seine Verwandten würden noch in Afghanistan leben. Er hätte zu ihnen, jedoch keinen Kontakt mehr. In Ergänzung zu der bisherigen Darstellung bringt brachte der Beschwerdeführer vor, dass sein Onkel eine mächtige Person gewesen sei. Der Onkel wäre bei der „Mafia“ gewesen und hätte der Taliban Gruppierungen namens Hekmatyar angehört. Er wäre immer mit zwei Bodyguards unterwegs gewesen und hätte Waffen bei sich getragen. Seine Tätigkeit könne er nicht genau sagen, weil sehr vieles „hinter dem Vorhang“ passieren sei. Auf der Frage, ob einmal persönlich bedroht wurde, brachte er – entgegen der bisherigen Darstellung - vor, dass er sehr wohl persönlich bedroht worden sei. Auf Nachfrage des Richters, wie konkret die Bedrohung stattgefunden habe, vermeinte er: „Er hat uns mit dem Tode bedroht. Er ist immer wieder gekommen und sagte zu meinem Vater. „Ich werde deine Söhne umbringen.“ Wir waren der wunde Punkt meines Vaters, das hatte herausgefunden, er wollte uns alle vernichten. Deshalb hat man Vater uns nach den Ereignissen nach und nach weggeschickt.“ Er wiederholte auch die Messerattacke an seinem Bruder XXXX (BF1), welcher in weiterer Folge von seinem Vater in den Iran geschickt worden sei. Auf die Frage, wie oft der Onkel gekommen sei und ihm bedroht hätte, meinte er, dass er immer wieder gekommen sei. Auf die Frage, wie oft er in der Woche gekommen sei, vermeinte er, dass er 3 bis 4 Mal in der Woche gekommen sei und sie mit dem Tode gedroht hätte. Dies hätte ab dem Zeitpunkt der „Karsai Regierung“ stattgefunden. Seitens des Richters wurde ihm vorgehalten, dass diese Regierung seit 2004 bestehe und 2014 beendet worden sei. Nachgefragt, ob in diesem Zeitraum der Onkel jedes Woche 3 bis 4 Mal gekommen sei und sie mit dem Tode bedroht hätte, brachte er dezidiert vor, dass dies genauso geschehen sei. Auf die Frage, warum der Vater, wenn die Bedrohungslage 2012 (der Zeitpunkt der Messerattacke auf den Bruder) bzw. 2013 (Zeitpunkt der Bombe) so prekär gewesen sei, sie nicht sofort weggeschickt hätte, sondern sie erst 2015 weggeschickt hätte, brachte er vor, dass sie nicht viel Geld gehabt hätten, als dass sie sofort weggehen hätten können. Somit wären sie ca. noch eineinhalb bis zwei Jahren in Afghanistan verblieben und hätten erst danach Afghanistan in Richtung Iran verlassen können.

1.19.   Die zusammengefasste Aussage von BF/3A vor dem BVwG am 20.11.2019:

Er gab ergänzend an, dass seine Eltern samt zwei Brüdern mittlerweile im Iran leben würden.

In Afghanistan würden noch die Tanten und Onkel väterlicherseits sowie ein weiterer Onkel mütterlicherseits leben. Sie wären insgesamt sechs Brüder. Zwei Brüder würden sich bei den Eltern im Iran befinden, vier Brüder seien hier in Österreich, wobei er einer davon sei. Einer dieser Brüder im Iran hätte gemeinsam mit einem Bruder, welche bereits in Österreich ist in Kabul ein Taxigewerbe ausgeführt. Zusätzlich hätten sie in Kabul (genauer ausgeführt in XXXX , einen Stadtteil von Kabul) Geld von der Landwirtschaft bekommen.

1.20.   Am 10.01.2020 wurden BF/2A und BF/3A hinsichtlich ihrer Integrationsbestrebungen bzw seiner Integrationsverfestigung genauer befragt.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

2.       Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.

2.1.    Hinsichtlich seiner Person:

Der Beschwerdeführer ist in Afghanistan, in Kabul, im Stadtteil XXXX geboren, und dort aufgewachsen. Die Kernfamilie besteht aus Vater, Mutter, sechs Brüdern und zwei Schwestern. Mittlerweile lebt eine Schwester in den USA eine Schwester befindet sich nach wie vor bei den Eltern. Vier der sechs volljährigen Brüder befinden sich in Österreich wovon einer der Beschwerdeführer ist.

Ein Bruder und eine Schwester befinden sich nach wie vor bei den Eltern.

Er ging in Kabul sieben Jahre zur Schule und übte dort keinen Beruf aus. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten.

Der BF ist gesund.

Es kann nicht festgestellt werden, ob sich seine Eltern, sein Bruder und seine Schwester (Rest der Kernfamilie) im Iran befinden.

Folgende Familienangehörigen– ausgenommen jene Personen, welche mit ihnen gemeinsam nach Österreich eingereist sind – umfassen die Großfamilie:

?        Verwandte väterlicherseits:

Vier Onkel, wobei ein Onkel in der Türkei lebt, welcher gleichzeitig der Schwiegervater von BF1 ist (Vater zu BF2), die anderen Onkel leben in Afghanistan, eine Tante in der Türkei

Vier Onkel ( XXXX ), eine Tante; alle leben in Kabul in Karte Naw, ein Cousin in Deutschland

?        Verwandte mütterlicherseits:

Vier Onkel in Kabul und sieben Tanten.

Hinsichtlich BF1, BF1/A, BF2/A, BF3/A: Ein Vater und eine Mutter, zwei Brüder und eine Schwester im Iran. Eine Schwester in Amerika. Ein Großcousin und eine Cousine mütterlicherseits leben in Österreich.

Die Familie lebte in einem Einfamilienhaus und besitzt bzw besaß zudem Grundstücke.

Folgende Verwandte leben außerhalb von Afghanistan:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der bzw. die BF zu den Verwandten in Afghanistan keinen Kontakt mehr haben.

Er ist in Österreich strafrechtlich nicht vorbestraft.

2.2.    Hinsichtlich seines Fluchtgrundes:

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat einer systematischen Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, dh. wegen der Zugehörigkeit zu einer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt war oder ihm in Falle einer Rückkehr derartiges droht.

2.3.    Hinsichtlich einer möglichen Rückkehr

- Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in seiner Heimatstadt Kabul, liefe der Beschwerdeführer nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

- Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in Herat oder Mazar-e Sahrif, liefe der Beschwerdeführer ebenso nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten.

2.4.    Hinsichtlich seines Privatlebens in Österreich

Der Beschwerdeführer ist seit seiner Antragstellung im Mai 2015 aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG 2005 durchgehend rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Er bezieht seit seiner Antragstellung Leistungen aus der vorübergehenden Grundversorgung. Der Beschwerdeführer verfügt in Österreich über Verwandte (sh dazu die Feststellungen bei seiner Person.). Er besucht derzeit an ein BORG den Übergangslehrgang für Jugendlich mit geringer Kenntnissen der deutschen Unterrichtssprache und bereitet sich auf den Pflichtschulabschluss vor. Er wohnt gemeinsam mit seinem Bruder BF2/A in der Nähe von XXXX . Mit ihnen lebt noch eine weitere Person in einer Wohnung, welche ca 400.- Euro an Miete kostet.

Es gibt keinen Hinweis auf nachhaltige Integrationsbestrebungen.

2.5.    Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Folgend wird das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 13.11.2019. Diese Information wurde zum Parteigengehör gehoben (sh dazu den Verfahrensgang, Punkt Fehler! Verweisquelle konnte nicht gefunden werden.).

Länderinformationsblatt

der Staatendokumentation

Afghanistan

Gesamtaktualisierung am 13.11.2019
0.         Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind (AA 15.4.2019). Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern (CIA 24.5.2019) leben ca. 32 Millionen Menschen (CSO 2019).

Im Jahr 2004 wurde die neue Verfassung angenommen (BFA 7.2016; vgl. Casolino 2011), die vorsieht, dass kein Gesetz gegen die Grundsätze und Bestimmungen des Islam verstoßen darf und alle Bürgerinnen und Bürger Afghanistans, Mann wie Frau, gleiche Rechte und Pflichten vor dem Gesetz haben (BFA 3.2014; vgl. Casolino 2011, MPI 27.1.2004).

Die Verfassung der islamischen Republik Afghanistan sieht vor, dass der Präsident der Republik direkt vom Volk gewählt wird und sein Mandat fünf Jahre beträgt (Casolino 2011). Implizit schreibt die Verfassung dem Präsidenten auch die Führung der Exekutive zu (AAN 13.2.2015) und die Provinzvorsteher, sowie andere wichtige Verwaltungsbeamte, werden direkt vom Präsidenten ernannt und sind diesem rechenschaftspflichtig. Viele werden aufgrund persönlicher Beziehungen ausgewählt (EC 18.5.2019).

In Folge der Präsidentschaftswahlen 2014 wurde am 29.09.2014 Mohammad Ashraf Ghani als Nachfolger von Hamid Karzai in das Präsidentenamt eingeführt. Gleichzeitig trat sein Gegenkandidat Abdullah Abdullah das Amt des Regierungsvorsitzenden (CEO) an - eine per Präsidialdekret eingeführte Position, die Ähnlichkeiten mit der Position eines Premierministers aufweist. Ghani und Abdullah stehen an der Spitze einer Regierung der nationalen Einheit (National Unity Government, NUG), auf deren Bildung sich beide Seiten in Folge der Präsidentschaftswahlen verständigten (AA 15.4.2019; vgl. AM 2015, DW 30.9.2014). Bei der Präsidentenwahl 2014 gab es Vorwürfe von Wahlbetrug in großem Stil (RFE/RL 29.5.2019). Die ursprünglich für den 20. April 2019 vorgesehene Präsidentschaftswahl wurde mehrfach verschoben, da die Wahlbehörden auf eine landesweite Wahl so kurz nach der Parlamentswahl im Oktober 2018 nicht vorbereitet waren. Der Oberste Gerichtshof Afghanistans konnte die Herausforderungen für die Wahlkommission nachvollziehen und verlängerte die Amtszeit von Präsident Ashraf Ghani bis zu der auf den 28.9.2019 verschobenen Präsidentschaftswahl (DZ 21.4.2019).

Parlament und Parlamentswahlen

Die afghanische Nationalversammlung ist die höchste legislative Institution des Landes und agiert im Namen des gesamten afghanischen Volkes (Casolino 2011). Sie besteht aus zwei Kammern: dem Unterhaus oder Volksvertretung (Wolesi Jirga) mit 250 Abgeordneten (für 5 Jahre gewählt), sowie dem Oberhaus oder Ältestenrat (Meschrano Jirga) mit 102 Abgeordneten (AA 15.4.2019).

Das Oberhaus setzt sich laut Verfassung zu je einem Drittel aus Vertretern der Provinz- und Distrikträte zusammen. Das letzte Drittel der Senatoren wird durch den Präsidenten bestimmt (AA 15.4.2019). Die Hälfte der vom Präsidenten entsandten Senatoren müssen Frauen sein. Weiters vergibt der Präsident zwei Sitze für die nomadischen Kutschi und zwei weitere an behinderte Personen. Auch ist de facto ein Sitz für einen Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft reserviert (USDOS 13.3.2019).

Die Sitze im Unterhaus verteilen sich proportional zur Bevölkerungszahl auf die 34 Provinzen. Verfassungsgemäß sind für Frauen 68 Sitze, für die Minderheit der Kutschi zehn Sitze und für Vertreter der Hindu- bzw. Sikh-Gemeinschaft ein Sitz reserviert (AAN 22.1.2017; vgl. USDOS 13.3.2019, Casolino 2011).

Die Rolle des Parlaments bleibt begrenzt. Ob das neue Parlament, das sich nach den Wahlen vom Oktober 2018 erst mit erheblicher Verzögerung im April 2019 konstituierte, eine andere Rolle einnehmen kann, muss sich zunächst noch erweisen. Zwar beweisen die Abgeordneten mit kritischen Anhörungen und Abänderungen von Gesetzentwürfen in teils wichtigen Punkten, dass das Parlament grundsätzlich funktionsfähig ist, doch nutzt das Parlament auch seine verfassungsmäßigen Rechte, um die Arbeit der Regierung destruktiv zu behindern, Personalvorschläge der Regierung z.T. über längere Zeiträume zu blockieren und sich Zugeständnisse wohl auch durch finanzielle Zuwendungen an einzelne Abgeordnete abkaufen zu lassen. Insbesondere das Unterhaus hat sich dadurch sowohl die Regierung der Nationalen Einheit als auch die Zivilgesellschaft zum Gegner gemacht. Generell leidet die Legislative unter einem kaum entwickelten Parteiensystem und mangelnder Rechenschaft der Parlamentarier gegenüber ihren Wählern (AA 2.9.2019).

Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt (USIP 11.2013). Mit dreijähriger Verzögerung fanden zuletzt am 20. und 21. Oktober 2018 – mit Ausnahme der Provinz Ghazni – Parlamentswahlen statt (AA 15.4.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (RFE/RL 20.10.2019).

Bei den Wahlen zur Nationalversammlung am 20. und 21.10.2018 gaben etwa vier Millionen der registrierten 8,8 Millionen Wahlberechtigten ihre Stimme ab. In der Provinz Kandahar musste die Stimmabgabe wegen eines Attentats auf den Provinzpolizeichef um eine Woche verschoben werden und in der Provinz Ghazni wurde die Wahl wegen politischer Proteste, welche die Wählerregistrierung beeinträchtigten, nicht durchgeführt (s.o.). Die Wahl war durch Unregelmäßigkeiten geprägt, darunter Betrug bei der Wählerregistrierung und Stimmabgabe, Einschüchterung der Wähler, und einige Wahllokale mussten wegen Bedrohungen durch örtliche Machthaber schließen. Die Taliban und andere Gruppierungen behinderten die Stimmabgabe durch Drohungen und Belästigungen. Durch Wahl bezogene Gewalt kamen 56 Personen ums Leben und 379 wurden verletzt. Mindestens zehn Kandidaten kamen im Vorfeld der Wahl bei Angriffen ums Leben, wobei die jeweiligen Motive der Angreifer unklar waren (USDOS 13.3.2019).

Wegen Vorwürfen des Betruges und des Missmanagements erklärte Anfang Dezember 2018 die afghanische Wahlbeschwerdekommission (ECC) alle in der Provinz Kabul abgegebenen Stimmen für ungültig (RFE/RL 6.12.2018). Die beiden Wahlkommissionen einigten sich in Folge auf eine neue Methode zur Zählung der abgegebenen Stimmen (TN 12.12.2018). Die Provinzergebnisse von Kabul wurden schließlich am 14.5.2019, fast sieben Monate nach dem Wahltag, veröffentlicht. In einer Ansprache bezeichnete Präsident Ghani die Wahl als „Katastrophe“ und die beiden Wahlkommissionen als „ineffizient“ (AAN 17.5.2019).

Politische Parteien

Die afghanische Verfassung erlaubt die Gründung politischer Parteien, solange deren Programm nicht im Widerspruch zu den Prinzipien des Islam steht (USDOS 29.5.2018). Um den Parteien einen allgemeinen und nationalen Charakter zu verleihen, verbietet die Verfassung jeglichen Zusammenschluss in politischen Organisationen, der aufgrund von ethnischer, sprachlicher (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004) oder konfessioneller Zugehörigkeit erfolgt (Casolino 2011; vgl. MPI 27.1.2004, USDOS 29.5.2018). Auch darf keine rechtmäßig zustande gekommene Partei oder Organisation ohne rechtliche Begründung und ohne richterlichen Beschluss aufgelöst werden (MPI 27.1.2004).

Das kaum entwickelte afghanische Parteiensystem weist mit über 70 registrierten Parteien eine starke Zersplitterung auf (AA 2.9.2019). Die politischen Parteien haben ihren Platz im politischen System Afghanistans noch nicht etablieren können (DOA 17.3.2019). Die meisten dieser Gruppierungen erscheinen mehr als Machtvehikel ihrer Führungsfiguren denn als politisch-programmatisch gefestigte Parteien (AA 2.9.2019; vgl. AAN 6.5.2018, DOA 17.3.2019). Ethnische Zugehörigkeit, persönliche Beziehungen und ad hoc geformte Koalitionen spielen traditionell eine größere Rolle als politische Organisationen (AA 2.9.2019).

Das derzeitige Wahlsystem ist personenbezogen, die Parteien können keine Kandidatenlisten erstellen, es sind keine Sitze für die Parteien reserviert und es ist den Parteien untersagt, Fraktionen im Parlament zu gründen. Der Parteivorsitz wird nicht durch parteiinterne Abläufe bestimmt, sondern wird eher wie ein partimoniales Erbgut gesehen, das von einer Generation an die nächste, vom Vater zum Sohn, übergeben wird. Die Menschen vertrauen den Parteien nicht und junge, gebildete Leute sind nicht gewillt, solchen Parteien beizutreten (DOA 17.3.2019).

Die Hezb-e Islami wird von Gulbuddin Hekmatyar, einem ehemaligen Warlord, der zahlreicher Kriegsverbrechen beschuldigt wird, geleitet. Im Jahr 2016 kam es zu einem Friedensschluss und Präsident Ghani sicherte den Mitgliedern der Hezb-e Islami Immunität zu. Hekmatyar kehrte 2016 aus dem Exil nach Afghanistan zurück und kündigte im Jänner 2019 seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2019 an (CNA 19.1.2019).

Im Februar 2018 hat Präsident Ghani in einem Plan für Friedensgespräche mit den Taliban diesen die Anerkennung als politische Partei in Aussicht gestellt (DP 16.6.2018). Bedingung dafür ist, dass die Taliban Afghanistans Verfassung und einen Waffenstillstand akzeptieren (NZZ 27.1.2019). Die Taliban reagierten nicht offiziell auf den Vorschlag (DP 16.6.2018; s. folgender Abschnitt, Anm.).

Friedens- und Versöhnungsprozess

Hochrangige Vertreter der Taliban sprachen zwischen Juli 2018 (DZ 12.8.2019) – bis zum plötzlichen Abbruch durch den US-amerikanischen Präsidenten im September 2019 (DZ 8.9.2019) – mit US-Unterhändlern über eine politische Lösung des nun schon fast 18 Jahre währenden Konflikts. Dabei ging es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan nicht zu einem sicheren Hafen für Terroristen wird. Die Gespräche sollen zudem in offizielle Friedensgespräche zwischen der Regierung in Kabul und den Taliban münden. Die Taliban hatten es bisher abgelehnt, mit der afghanischen Regierung zu sprechen, die sie als “Marionette“ des Westens betrachten – auch ein Waffenstillstand war Thema (DZ 12.8.2019; vgl. NZZ 12.8.2019; DZ 8.9.2019).

Präsident Ghani hatte die Taliban mehrmals aufgefordert, direkt mit seiner Regierung zu verhandeln und zeigte sich über den Ausschluss der afghanischen Regierung von den Friedensgesprächen besorgt (NYT 28.1.2019; vgl. DP 28.1.2019, MS 28.1.2019). Bereits im Februar 2018 hatte Präsident Ghani die Taliban als gleichberechtigten Partner zu Friedensgesprächen eingeladen und ihnen eine Amnestie angeboten (CR 2018). Ein für Mitte April 2019 in Katar geplantes Dialogtreffen, bei dem die afghanische Regierung erstmals an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen wäre, kam nicht zustande (HE 16.5.2019). Im Februar und Mai 2019 fanden in Moskau Gespräche zwischen Taliban und bekannten afghanischen Oppositionspolitikern, darunter der ehemalige Staatspräsident Hamid Karzai und mehreren Warlords, statt (Qantara 12.2.2019; vgl. TN 31.5.2019). Die afghanische Regierung war weder an den beiden Friedensgesprächen in Doha, noch an dem Treffen in Moskau beteiligt (Qantara 12.2.2019; vgl. NYT 7.3.2019), was Unbehagen unter einigen Regierungsvertretern auslöste und die diplomatischen Beziehungen zwischen den beiden Regierungen beeinträchtigte (REU 18.3.2019; vgl. WP 18.3.2019).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die „große Ratsversammlung“ (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den innerafghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil (HE 16.5.2019).

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1.         Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison – was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt – dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierungen und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten – als Reaktion auf einen Anschlag – absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).

So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit – insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).

Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).

Abb. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle 2015-2018 in ganz Afghanistan gemäß Berichten des UN-Generalsekretärs (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UN-Daten (UNGASC 7.3.2016; UNGASC 3.3.2017; UNGASC 28.2.2018; UNGASC 28.2.2019))

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle – eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle – ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).

Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet – 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).

Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit 29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).

Folgender Tabelle kann die Anzahl an sicherheitsrelevanten Vorfällen pro Jahr im Zeitraum 2016-2018, sowie bis einschließlich August des Jahres 2019 entnommen werden:

Tab. 1: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten(INSO o.D.))

[Grafik]

Abb. 2: Anzahl sicherheitsrelevante Vorfälle in Afghanistan lt. INSO 2016-8.2019, monatlicher Überblick (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf INSO-Daten (INSO o.D.))

[Grafik]

Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):

Abb. 3: Sicherheitsrelevante Vorfälle nach Quartalen und Vorfallsarten im Zeitraum 1.1.2018-30.9.2019 (Global Incident Map, Darstellung der Staatendokumentation; BFA Staatendokumentation 4.11.2019)

[Grafik]

Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).

Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).

Zivile Opfer

Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) – dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September – im Gegensatz zu 2019 – von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).

Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl – Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) – 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).

Tab. 2: Zivile Opfer im Zeitverlauf 1.1.2009-30.9.2019 nach UNAMA (Darstellung der Staatendokumentation beruhend auf UNAMA-Daten (UNAMA 24.2.2019; UNAMA 17.10.2019))

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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