TE Vfgh Erkenntnis 1995/11/30 WI-9/95

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.11.1995
beobachten
merken

Index

L0 Verfassungs- und Organisationsrecht
L0350 Gemeindewahl

Norm

B-VG Art26
B-VG Art95
B-VG Art117 Abs2
B-VG Art141 Abs1
B-VG Art141 Abs1 lita
EMRK 1. ZP Art3
StV Wien 1955 Art8
Nö GRWO 1994 §21 Abs4 litb
Nö GRWO 1994 §32
Nö GRWO 1994 §48
VfGG §70 Abs1

Leitsatz

Keine Stattgabe der Anfechtung einer Gemeinderatswahl; keine Verletzung der verfassungsgesetzlich verbürgten Freiheit der Wahlen durch Vorgänge im Zusammenhang mit Verständigungsschreiben über Wahltag, Wahlzeit uä; keine Beschwer der anfechtenden Wählergruppe durch die unrichtige Anführung eines akademischen Grades eines Wahlwerbers der Anfechtungswerberin; keine sonstigen Rechtswidrigkeiten mit Einfluß auf das Wahlergebnis

Spruch

Der Wahlanfechtung wird nicht stattgegeben.

Begründung

Entscheidungsgründe:

1.1.1. Am 19. März 1995 fand die mit Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung vom 18. Oktober 1994, LGBl. 0350/66-0, ausgeschriebene Wahl zum Gemeinderat der Gemeinde Haugschlag, Bezirk Gmünd, statt.

1.1.2. Dieser Wahl lagen von den Wählergruppen "Österreichische Volkspartei" (ÖVP), "Sozialdemokratische Partei Österreichs" (SPÖ), "Unabhängige Wahlgemeinschaft und Freiheitliche" (UWF) und "Mehr INformation Nützt Allen" (MINNA) eingebrachte, von der Gemeindewahlbehörde überprüfte und gemäß §34 der NÖ Gemeinderatswahlordnung 1994 (GWO), LGBl. 0350-0, kundgemachte Wahlvorschläge zugrunde.

1.1.3. Laut Feststellung der Gemeindewahlbehörde entfielen von den 471 abgegebenen gültigen Stimmen - 6 wurden als ungültig gewertet - auf die

   ÖVP                              255 (9 Mandate),

   UWF                              114 (4 Mandate),

   SPÖ                               82 (2 Mandate),

   MINNA                             20 (0 Mandate).

1.2. E S-P erhob als zustellungsbevollmächtigte Vertreterin der Wählergruppe MINNA mit einem am 2. April 1995 bei der Gemeinde eingebrachten Schriftsatz gemäß §§56 und 57 GWO (Administrativ-)Beschwerde (wegen näher bezeichneter Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens), die mit Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung vom 3. Mai 1995, ZII/1-139-95, als unbegründet abgewiesen wurde.

   1.3.1.1. Mit der vorliegenden, auf Art141 B-VG gestützten

Wahlanfechtung beantragt die Wählergruppe MINNA, "der

Verfassungsgerichtshof möge ... das Wahlverfahren zur Wahl des

Gemeinderats der Gemeinde Haugschlag vom 19. März 1995 von der

Auflegung des Wählerverzeichnisses ... an als rechtswidrig

aufheben."

1.3.1.2. Die anfechtende Wählergruppe führte darin ua. folgendes aus:

"Gemäß Art117 Abs2 B-VG finden Wahlen in den Gemeinderat auf Grund des gleichen, unmittelbaren, geheimen und persönlichen Verhältniswahlrechts aller Staatsbürger statt. Allgemein legt Abs2 für die Wahl des Gemeinderats die Prinzipien fest, die auch für die Wahl des Nationalrats (Art26) und des Landtags (Art95) gelten. Dem nicht ausdrücklich, wohl aber in Art26 Abs1 erschließbar festgelegten Grundsatz des freien Wahlrechts entspricht aber die Unzulässigkeit des Eingriffs in die Wahlwerbung bezüglich der Nationalratswahl und deren gezielte Beeinflussung durch den Staat (VfSlg. 3000, 4527). Demnach muß aber auch der Eingriff in die Wahlwerbung bezüglich der Gemeinderatswahl und deren gezielte Beeinflussung durch die Gemeinde und ihre Organe unzulässig sein. Dies auch dann, wenn die Aufnahme eines entsprechenden Verbots in die GWO vom Gesetzgeber verabsäumt wurde.

Im Zug der Vorbereitungen für die Wahl vom 19. März 1995 geschah folgendes:

   In der Gemeinde Haugschlag wurden Postsendungen in

verschlossenen Fensterkuverts, Absender 'Gemeinde Haugschlag',

Aufdruck 'Postgebühr bar bezahlt' ... ausgeliefert, welche sowohl

die 'Verständigungskarten ... für die Gemeinderatswahl 1995' als

auch Namensstimmzettel ... für E S enthielten. Die Stimmzettel

waren mit dem Hinweis 'ersetzt den amtlichen Stimmzettel'

versehen. Herr E S ist Bürgermeister und Vorsitzender der

Gemeindewahlbehörde. ... Es unterliegt keinem Zweifel, daß hier

eine massive Beeinflussung der Wahlwerbung durch die Gemeinde vorliegt.

   Die 'Verständigungskarten' wurden nicht an alle

Wahlberechtigten versandt. ... Zwar ist ihre Ausgabe vom Gesetz

nicht vorgeschrieben; es ist jedoch unumstritten, daß speziell bei älteren und weniger agilen Menschen, welche die direkte Rückfrage scheuen, durch Nichterhalt der Verständigungskarten leicht der Eindruck hervorgerufen werden kann, nicht wahlberechtigt zu sein. Dieser Eindruck ist in einer Gemeinde, die, wie Haugschlag, einen hohen Anteil an Zweitwohnsitzern aufweist und wo daher bei nicht überdurchschnittlich gut über die Rechtslage Informierten diesbezüglich oft Unsicherheit herrscht, leicht herzustellen. Außerdem soll nicht unerwähnt bleiben, daß sämtliche Verständigungskarten erst am 13. März 1995 zugestellt wurden. Viele nicht regelmäßig wöchentlich anwesende Wahlberechtigte wurden daher von dieser 'Serviceleistung' des Bürgermeisters nicht mehr vor der Wahl erreicht, und es darf unterstellt werden, daß dieser Effekt beabsichtigt war. ...

Mir wurden übrigens zwei Fälle bekannt ..., in denen sogar die Rückfrage im Gemeindeamt zunächst fälschlich dahingehend beantwortet wurde, die betreffenden Personen seien nicht wahlberechtigt, was erst nach Intervention meinerseits korrigiert wurde. Ich verweise übrigens auch darauf, daß die Wahlbeteiligung in Haugschlag eine der niedrigsten im Bezirk Gmünd (71,84 %) war.

In der Auswirkung auf das Wahlergebnis nicht leicht quantifizierbar, aber dennoch bemerkenswert erscheint uns dies:

Einem Wahlwerber der Wahlpartei MINNA wurde unterstellt, einen akademischen Titel ('Dr.') zu Unrecht zu führen. Herr F L, 3874 Griesbach 7, hat niemals behauptet, zur Führung dieses Titels berechtigt zu sein, was ich zweifelsfrei anhand seines Meldezettels feststellen konnte. Leider hatte ich Namen, Titel und Adresse aus dem Wählerverzeichnis der Gemeinde Haugschlag entnommen und auch dementsprechend in den Wahlvorschlag aufgenommen. Erst am 13. März 1995 gelangte mir zur Kenntnis, daß bezüglich des Titels ein Irrtum vorliegt, was ich auch umgehend der Gemeindewahlbehörde und der Bezirkswahlbehörde zur Kenntnis brachte... Bei der Bezirkswahlbehörde erfuhr ich durch Herrn Dr. S und Frau B, daß es bereits zu spät sei, diesen 'Formfehler' zu berichtigen und überdies auch dazu, den Wahlvorschlag zurückzuziehen. Am 16. März 1995 erkundigte ich mich beim Herrn Bürgermeister E S, aus welchen Unterlagen die Gemeindewahlbehörde den akademischen Grad entnommen hat, nachdem besagter Titel auf dem Meldezettel von F L nicht angeführt ist. Im Laufe dieses Telefongesprächs erklärte mir Herr Bürgermeister S ua., daß er schon lange wisse, daß Herr F L keinen akademischen Titel hat, sich aber gerne so ansprechen lasse. Anwesend bei diesem Gespräch war auch I K, Gemeindesekretärin der Gemeinde Haugschlag.

Ich verweise darauf, daß §32 der GWO die Prüfung und Verbesserung der Wahlvorschläge vorsieht. Tatsächlich erhielt ich am 20. Februar 1995 ein Schriftstück von der Gemeindewahlbehörde Haugschlag, in dem ich aufgefordert wurde, meinen Wahlvorschlag innerhalb von drei Tagen zu berichtigen, angegeben war aber nur, daß außer dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter auch dessen Stellvertreter enthalten sein müsse... Ich verweise auf §30 Abs2 der GWO, der diesen Punkt dahingehend regelt, daß bei Nichtangabe des zustellungsbevollmächtigten Stellvertreters automatisch der erstangeführte Wahlwerber als Stellvertreter gilt.

Die Landes-Hauptwahlbehörde erkannte in diesem Punkt keine Rechtswidrigkeit... Die Rechtswidrigkeit im Vorgehen der Gemeindewahlbehörde unter dem Vorsitz von Bürgermeister E S scheint uns durch §21 Abs4 litb GWO, der vorsieht, daß die Behebung von Formfehlern (zB falsche Schreibweise eines Namens, falsches Geburtsjahr usw.) auch noch nach Auflegung des Wählerverzeichnisses, also jederzeit möglich sein muß, und durch §32 GWO, der vorsieht, daß mangelhafte Wahlvorschläge dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter zurückgestellt werden müssen, als erwiesen.

Es unterliegt keinem Zweifel, daß der Kandidat F L der Lächerlichkeit in grober Weise preisgegeben wurde, was das Wahlergebnis zweifellos erheblich beeinflußt hat. Personen, welche angeben, sie würden ohne die Affäre um den 'falschen Doktor' die Liste MINNA gewählt haben, müssen wir leider davor schützen, dem Herrn Bürgermeister namentlich zur Kenntnis gebracht zu werden.

Diese Rechtswidrigkeiten waren auf das Wahlergebnis von Einfluß, da bei ihrer Unterlassung ein anderes Mandatsergebnis zustande gekommen wäre."

1.3.2.1. Die Landes-Hauptwahlbehörde beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung legte die Wahlakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte darin, die Wahlanfechtung als unbegründet abzuweisen.

1.3.2.2. Sie führte ua. aus:

"Verbotsbestimmungen enthält die GWO in ihrem §37. Ein Handeln des Bürgermeisters, wie es in der Wahlanfechtung kritisiert wird, erscheint weder auf Grund dieser Vorschrift noch sonst einer anderen Verwaltungsvorschrift als rechtswidrig. Die Landes-Hauptwahlbehörde vertritt daher die Auffassung, daß die streitgegenständliche Maßnahme nicht mit Rechtswidrigkeit belastet ist.

Im übrigen kann der vorliegende Sachverhalt nicht unter das Tatbestandselement 'der Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens' subsumiert werden: Die Landes-Hauptwahlbehörde geht davon aus, daß unter dem Begriff 'Wahlverfahren' jene Tätigkeiten zu verstehen sind, die von den zum Vollzug der Wahlvorschriften berufenen Behörden - im behördlichen Bereich ihrer Tätigkeit - ausgeübt werden. Zum Vollzug der GWO sind die in ihrem §6 Abs1 angeführten Behörden sowie die Landesregierung in Angelegenheiten der Wahlausschreibung und Festsetzung von Terminen nach dem

1. Abschnitt des genannten Gesetzes berufen. Nicht jedes Geschehen mit Bezug auf die Gemeinderatswahl, das sich zwischen der Wahlausschreibung und der Kundmachung des Wahlergebnisses ereignet, ist demnach auch schon (Teil des) Wahlverfahren(s): So stellt bspw. die Sammlung von Unterstützungsunterschriften durch Wählergruppen, die sich an der Wahlwerbung beteiligen wollen (§29 Abs2 lite GWO), keinen Bestandteil des Wahlverfahrens dar. Das Betreiben einer Wahlwerbung innerhalb der Verbotszone ist verboten und daher rechtswidrig, stellt aber ebensowenig eine Rechtswidrigkeit des behördlichen Wahlverfahrens dar; und zwar auch dann nicht, wenn es vom Bürgermeister betrieben wird. Die Beschwerde wirft dem Bürgermeister der Gemeinde Haugschlag Rechtswidrigkeiten vor, doch ist der Bürgermeister nach dem Gesetz zur Durchführung und Leitung der Gemeindewahl nicht zuständig (vgl. §6 Abs1 GWO).

Versendet nun der Bürgermeister Informationsschreiben betreffend Wahllokal und Wahlzeit gemeinsam mit auf seinen Namen lautenden nichtamtlichen Stimmzetteln, so stellt diese Vorgangsweise inhaltlich Wählerinformation und Wahlwerbung dar, ist jedoch keineswegs Teil des behördlichen Wahlverfahrens. Ausgehend von dieser Überlegung hat die Landes-Hauptwahlbehörde erkannt, daß die in der Wahlanfechtung bekämpfte Vorgangsweise keine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens darstellt.

Die Anfechtungswerberin bekämpft die in der Kundmachung der Wahlvorschläge offenbar unzutreffende Beifügung des akademischen Grades 'Dr.' beim Bewerber F L als rechtswidrig, doch war es die Anfechtungswerberin selbst, die dem Namen des betreffenden Bewerbers den akademischen Grad 'Dr.' auf ihrem Wahlvorschlag vorangestellt hat; dies ganz abgesehen davon, daß der Betreffende selbst die Zustimmung zu seiner Aufnahme in den Wahlvorschlag mit seiner eigenhändigen Unterschrift erklärt hat. Auch der Hinweis auf §21 Abs4 litb GWO vermag keine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens aufzudecken, denn die erwähnte Gesetzesstelle regelt die Beseitigung von Formfehlern im Wählerverzeichnis und nicht etwa im Wahlvorschlag. Im übrigen betrifft die von der Anfechtungswerberin herangezogene Bestimmung des §32 GWO, wonach mangelhafte Wahlvorschläge zur Verbesserung zurückzustellen sind, die in §29 Abs2 GWO umschriebenen Voraussetzungen eines zulässigen Wahlvorschlags, nicht aber die fehlerhafte Beifügung oder Unterlassung eines akademischen Grades bzw. Titels.

Die Landes-Hauptwahlbehörde vertritt sohin die Auffassung, daß die unzutreffende Beifügung des akademischen Grades des oben genannten Bewerbers im Wahlvorschlag keine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens darstellt."

1.3.3. Dazu langte eine Replik der Anfechtungswerberin ein.

1.4.1. Abs4 des mit "Auflegung des Wählerverzeichnisses" überschriebenen §21 GWO hat folgenden Wortlaut:

"(4) Nach Beginn der Auflegung dürfen Änderungen im Wählerverzeichnis nur mehr aufgrund des Einspruchs- und Berufungsverfahrens vorgenommen werden. Davon sind insbesondere ausgenommen:

a)

die Beseitigung offenbarer Unrichtigkeiten (z.B. die Eintragung Verstorbener) und

b)

die Behebung von Formfehlern (z.B. falsche Schreibweise eines Namens, falsches Geburtsjahr)."

1.4.2. Die Abs2 und 4 des mit "Prüfung und Verbesserung der Wahlvorschläge" übertitelten §32 GWO lauten:

"(2) Mangelhafte Wahlvorschläge müssen dem zustellungsbevollmächtigten Vertreter zur Behebung der Mängel innerhalb von drei Tagen sofort zurückgestellt werden. Wenn der Mangel nicht fristgerecht behoben wird, muß die Wahlbehörde von Amts wegen die Parteiliste richtigstellen und erforderlichenfalls Namen von Wahlwerbern streichen. Wenn der Wahlvorschlag verspätet überreicht wird, die Unterstützungserklärungen in der notwendigen Anzahl fehlen oder die Zustimmung aller Wahlwerber zur Aufnahme in den Wahlvorschlag fehlt, unterbleibt die Zurückstellung zur Verbesserung. Der Wahlvorschlag muß dann als unzulässig zurückgewiesen werden. Gleiches gilt, wenn der Wahlvorschlag keinen einzigen Wahlwerber enthält.

...

(4) Die von der Gemeindewahlbehörde nach Abs2 und 3 getroffenen Entscheidungen können gesondert nicht bekämpft werden."

1.4.3. Abs5 des §48 GWO mit der Überschrift "Bezeichnung eines Bewerbers durch den Wähler" lautet:

"(5) Ein Stimmzettel, der nur die Bezeichnung eines Bewerbers aufweist, gilt als gültige Stimme für die Wahlpartei des vom Wähler eingetragenen Bewerbers. Enthält der Stimmzettel die Bezeichnung einer oder mehrerer Wahlparteien und die Bezeichnung eines oder mehrerer Bewerber einer der bezeichneten oder einer anderen Wahlpartei, so gilt der Stimmzettel als gültige Stimme für die Wahlpartei der/des vom Wähler eingetragenen Bewerber/s."

2. Über die Wahlanfechtung wurde erwogen:

2.1.1.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof ua. über die Anfechtung von Wahlen zu den allgemeinen Vertretungskörpern, so auch über die Anfechtung einer Gemeinderatswahl (zB VfSlg. 8973/1980). Nach Art141 Abs1 Satz 2 B-VG kann eine solche Anfechtung auf die behauptete Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens gegründet werden.

2.1.1.2. Nach §68 Abs1 VerfGG 1953 muß die Wahlanfechtung binnen vier Wochen nach Beendigung des Wahlverfahrens, wenn aber in dem anzuwendenden Wahlgesetz ein Instanzenzug vorgesehen ist, binnen vier Wochen nach Zustellung des in letzter Instanz ergangenen Bescheids eingebracht werden.

2.1.1.3. Ein derartiger, die unmittelbare Anfechtung der Wahl zum Gemeinderat der Gemeinde Haugschlag beim Verfassungsgerichtshof ausschließender Instanzenzug ist gemäß den Bestimmungen der §§56 und 57 GWO vorgesehen. Danach kann die Wahl binnen vierzehn Tagen nach Verlautbarung des Wahlergebnisses ua. vom zustellungsbevollmächtigten Vertreter einer Partei, die in der Gemeinde einen Wahlvorschlag vorgelegt hat, mit (Administrativ-)Beschwerde bekämpft werden, und zwar "wegen behaupteter Unrichtigkeit der Ermittlung des Wahlergebnisses oder wegen angeblich gesetzwidriger Vorgänge im Wahlverfahren".

Über die bei der Gemeinde schriftlich zu erhebende Beschwerde entscheidet die Landes-Hauptwahlbehörde (§58 GWO) als einzige (Administrativ-)Instanz.

2.1.2.1. Die von E S-P am 2. April 1995 gemäß §§56 und 57 GWO wegen Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens erhobene Beschwerde wurde mit Bescheid der Landes-Hauptwahlbehörde vom 3. Mai 1995 als unbegründet abgewiesen (s. Pkt. 1.2.).

2.1.2.2. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufs der vierwöchigen Frist zur Anfechtung der in Rede stehenden Gemeinderatswahl vor dem Verfassungsgerichtshof ist somit der 4. Mai 1995, das ist der Tag der Zustellung des Bescheids der Landes-Hauptwahlbehörde an E S-P.

Die am 1. Juni 1995 zur Post gegebene Wahlanfechtungsschrift wurde also rechtzeitig eingebracht.

2.1.3. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen zutreffen, ist die Wahlanfechtung zulässig.

2.2.1. Den Art26, 95 und 117 Abs2 B-VG liegt das Prinzip der "Reinheit", verstanden im Sinn von "Freiheit" der Wahlen (zum Nationalrat, zu den Landtagen und zu den Gemeinderäten) zugrunde. Wie der Verfassungsgerichtshof schon im Erkenntnis VfSlg. 7387/1974, S 164 (s. auch VfSlg. 8694/1979, S 322 f.) aussprach, verbürgt die - gemäß ArtII Z3 des BVG BGBl. 59/1964 im Verfassungsrang stehende - Bestimmung des Art8 des StV Wien allen Staatsbürgern (auch) ein freies Wahlrecht. Art3 des

1. ZPzEMRK verpflichtet ausdrücklich zur Abhaltung freier (und geheimer) Wahlen unter Bedingungen, welche die freie Äußerung der Meinung des Volkes bei der Wahl der gesetzgebenden Organe gewährleisten. Einem freien Wahlrecht entspricht die "Freiheit der politischen Willensbildung und Betätigung" und das einleitend genannte Postulat der "Reinheit der Wahlen", in deren Ergebnis der wahre Wille der Wählerschaft zum Ausdruck kommen soll (s. VfSlg. 2037/1950); die Wahlwerbung darf nicht sinnwidrig beschränkt und der Wähler in der Freiheit seiner Wahl nicht in rechtlicher oder faktischer Weise beeinträchtigt werden (vgl. Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht7 RN 310; sa. VfSlg. 3000/1956, 4527/1963, 7821/1976; VfGH 30.8.1994 WI-6/94).

2.2.2. Durch die in der Anfechtungsschrift als rechtswidrig gerügten Vorgänge im Zusammenhang mit den - von der Gemeinde vor dem Wahltag versendeten - Verständigungsschreiben über Wahltag, Wahlzeit usw. wurde die verfassungsgesetzlich verbürgte Freiheit der Wahlen nicht verletzt. Wie die Landes-Hauptwahlbehörde der Sache nach richtig vorbringt, handelt es sich bei diesen Verständigungsschreiben nach der Aktenlage um eine (gesetzlich nicht vorgeschriebene) Serviceleistung außerhalb des Wahlverfahrens, auf die in dieser Form kein Anspruch bestand. Daß der Bürgermeister diesen Schreiben auf seinen Namen lautende nichtamtliche Stimmzettel anschließen ließ (und insoweit unter Umständen gegen seine Amtspflichten verstieß), überschreitet hier noch nicht die zum Schutz der Wahlfreiheit gesetzlich gezogenen Schranken, zumal damit nach Lage des Falls keine Wahlwerbung verbunden war. Dies abgesehen davon, daß der von der anfechtenden Wählergruppe mißbilligte Hinweis auf diesen Stimmzetteln:

"Ersetzt den amtlichen Stimmzettel" gesetzlich gedeckt ist (s.

§48 Abs5 GWO; sa. VfGH 28.9.1995 WI-11/95). Aus den in der Anfechtungsschrift zitierten Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 3000/1956 und 4527/1963) läßt sich für den Standpunkt der Anfechtungswerberin nichts Entscheidendes gewinnen. Im dem Erkenntnis VfSlg. 3000/1956 zugrundeliegenden Fall hatte ein "Bürgermeister die Autorität der Gemeinde gegen eine Wahlpartei im Wahlkampf eingesetzt", und zwar dadurch, daß er das Plakat dieser Wahlpartei von Objekten, die zum Teil nicht im Eigentum der Gemeinde standen, entfernen ließ, also eine Maßnahme traf, zu der nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs nur der Presserichter unter den gesetzlichen Bedingungen berufen gewesen wäre. Eine damit annähernd vergleichbare Auswirkung der Stimmzettelversendung auf die eigene Wahlwerbung behauptet die Anfechtungswerberin hier nicht. Nach dem Erkenntnis VfSlg. 4527/1963 wiederum kann die Freiheit einer Wahl zwar grundsätzlich auch durch den Einsatz wirtschaftlicher Mittel der öffentlichen Hand beeinträchtigt werden; der damaligen Wahlanfechtung wurde indessen ua. deswegen nicht Folge gegeben, weil - was nach dem bereits Gesagten auch auf den vorliegenden Fall voll zutrifft - von einer unmittelbaren Behinderung der Wahlwerbung der wahlanfechtenden Gruppe überhaupt nicht gesprochen werden konnte.

Die Anfechtungswerberin macht ferner geltend, daß einem ihrer Wahlwerber wahlbehördlich unterstellt worden sei, zu Unrecht einen akademischen Grad zu führen. Darin wird eine Verletzung des §21 Abs4 litb GWO und des §32 GWO erblickt, doch ist diesem Vorbringen allein schon deshalb der Boden entzogen, weil die Anfechtungswerberin - wie die Akten belegen und die Landes-Hauptwahlbehörde in ihrer Gegenschrift zu Recht herausstellt - den besagten akademischen Grad auf ihrem Wahlvorschlag dem Namen des Bewerbers selbst voranstellte und dieser Kandidat der Aufnahme in den Vorschlag in dieser Form (dh. unter Anführung eines akademischen Grades) durch eigenhändige Unterschrift zustimmte. Daß die Wahlbehörde die eigene Einlassung des Kandidaten zur Person keiner amtlichen Nachprüfung unterzog, kann die anfechtende Wählergruppe nicht beschweren.

Nach dem Anfechtungsvorbringen erhielten schließlich zwei namentlich genannte Personen auf ihre Anfrage im Gemeindeamt hin die - später korrigierte - Antwort, sie seien nicht wahlberechtigt. Der Verfassungsgerichtshof vermag der in der Anfechtungsschrift vertretenen Auffassung nicht beizutreten, daß darin eine Rechtswidrigkeit des Wahlverfahrens liege, die auf das Wahlergebnis von Einfluß sein könnte.

2.2.3. Aus diesen Erwägungen war die Wahlanfechtung als unbegründet abzuweisen.

2.3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Satz 1 VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Wahlen Reinheit der, Stimmzettel, Wahlvorschlag, Wahlwerbung, Wahlrecht aktives, Wahlrecht freies

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1995:WI9.1995

Dokumentnummer

JFT_10048870_95W00I09_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten