TE Bvwg Erkenntnis 2020/5/28 I403 2223830-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.05.2020
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Entscheidungsdatum

28.05.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs3
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

I403 2223830-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX, StA. Ägypten, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.09.2019, Zl. XXXX, zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 19.01.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet. Er gab bei der Erstbefragung am 20.01.2015 an, dass er Ägypten aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe. Das Verfahren wurde am 13.02.2015 wegen unbekannten Aufenthalts des Beschwerdeführers eingestellt.

Der Beschwerdeführer stellte am 02.07.2019 gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Er gab an, bereits seit Oktober 2014 im Bundesgebiet zu sein und Ägypten wegen Erbstreitigkeiten verlassen zu haben. Seine Eltern und sein Onkel seien gestorben und auch sein Leben sei bedroht gewesen.

Mit im Spruch genannten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.09.2019 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 02.07.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ägypten abgewiesen (Spruchpunkt II.). Dem Beschwerdeführer wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz erlassen, und es wurde festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt IV. und V.). Es wurde eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG festgelegt (Spruchpunkt VI.). Das Vorbringen des Beschwerdeführers wurde für nicht glaubhaft befunden.

Mit Schriftsatz vom 26.09.2019 wurde dagegen Beschwerde erhoben und beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde stattgeben und dem Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, in eventu des subsidiär Schutzberechtigten Folge geben, in eventu die Rückkehrentscheidung und die Entscheidung über die Zulässigkeit der Abschiebung beheben und eine mündliche Verhandlung anberaumen.

Beschwerde und Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 27.09.2019 vorgelegt. Aufgrund der schlechten Qualität der in Arabisch verfassten Beilagen zur Beschwerde wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben des Bundesverwaltungsgerichtes vom 08.10.2019 aufgefordert, eine Übersetzung sowie die Originaldokumente vorzulegen. Mit Schreiben der Rechtsvertretung vom 31.10.2019 wurde mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer kein Geld habe, um die Unterlagen übersetzen zu lassen, dass er sich aber bemühe, sich die Originale schicken zu lassen. Der Beschwerdeführer übermittelte in weiterer Folge die Originale von drei Sterbeurkunden (seiner Eltern und seines Onkels), allerdings keine Übersetzung und auch nicht die Originale der sonstigen der Beschwerde beigelegten Dokumente.

Die für den 31.03.2020 am Bundesverwaltungsgericht anberaumte mündliche Verhandlung musste aufgrund der Covid-19-Pandemie auf den 27.05.2020 verschoben werden. In der Verhandlung wiederholte der Beschwerdeführer im Beisein seiner Rechtsvertretung sein Fluchtvorbringen.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Ägyptens, Angehöriger der Volksgruppe der Araber und bekennt sich zur islamischen Glaubensrichtung. Seine Muttersprache ist Arabisch. Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.

Der unbescholtene Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er ist gesund und erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer stammt aus dem Gouvernement ad-Daqahliyya, nördlich von Kairo, besuchte zwölf Jahre lang die Schule und arbeitete als Hilfsarbeiter auf dem Bau.

In Ägypten leben seine drei Schwestern, zu denen der Beschwerdeführer in Kontakt steht. Es kann nicht festgestellt werden, ob bzw. wann seine Eltern verstorben sind. Der Beschwerdeführer stammt aus einer wirtschaftlich gut situierten Familie.

Der Beschwerdeführer verließ Ägypten im Oktober 2014; er stellte am 19.01.2015 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz im Bundesgebiet; das Verfahren musste im Februar 2015 eingestellt werden, da der Beschwerdeführer untergetaucht war. Im Jänner 2016 befand er sich in Mailand. Seit 06.09.2018 ist er im Bundesgebiet gemeldet. Am 02.07.2019 stellte der Beschwerdeführer im Bundesgebiet seinen zweiten Antrag auf internationalen Schutz.

Der Beschwerdeführer hält sich seit fünf Jahren in Österreich auf und hat hier Freunde, führt aber kein Familienleben im Bundesgebiet. Bis zu seiner Betretung im Juli 2019 war er ohne entsprechende Beschäftigungsbewilligung an einem Marktstand tätig. Er hat keinen Deutschkurs besucht und keine Prüfung abgeschlossen.

1.2. Zu den Fluchtgründen:

Es ist nicht glaubhaft, dass er von den Brüdern seiner Mutter wegen Erbstreitigkeiten verfolgt wird.

1.3. Zur Rückkehrsituation:

Eine Rückkehr des Beschwerdeführers nach Ägypten ist möglich und zumutbar. Seine Geschwister leben in Ägypten und kann er wieder in den Kreis seiner dort ansässigen Familie zurückkehren. Der Beschwerdeführer ist jung und arbeitsfähig und ist nicht davon auszugehen, dass er bei einer Rückkehr in die Heimat in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation geraten würde.

1.4. Zur allgemeinen Lage in Ägypten:

Im angefochtenen Bescheid wurden zur allgemeinen Lage in Ägypten Feststellungen auf Basis des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation (aktualisiert am 24.Juli 2019) getroffen; die entscheidungsrelevanten Feststellungen lauten:

Sicherheitslage

Die terroristische Bedrohung ist auf ägyptischem Gebiet chronisch (FD 1.7.2019b). Es besteht landesweit weiterhin ein erhöhtes Risiko terroristischer Anschläge. Diese richten sich meist gegen ägyptische Sicherheitsbehörden, vereinzelt aber auch gegen ausländische Ziele und Staatsbürger (AA 1.7.2019; vgl. FD 1.7.2019a).

Das Risiko besteht auch bei politischen Kundgebungen, Demonstrationen und religiösen Veranstaltungen in Ballungsräumen. Insbesondere bei christlich-orthodoxen Feiertagen ist in der Umgebung von christlichen Einrichtungen erhöhte Vorsicht geboten (BMEIA 1.7.2019). Nach der Zündung eines Sprengkörpers am 19.5.2019 in Gizeh wird empfohlen wachsam zu sein und stark frequentierte Bereiche zu meiden (FD 1.7.2019a). In den letzten Jahren wurden mehrere Terroranschläge verübt. Nach einer Reihe von Anschlägen wurde im April 2017 für drei Monate der landesweite Ausnahmezustand ausgerufen. Dieser wird seitdem regelmäßig alle drei Monate verlängert (AA 1.7.2019; AI 26.2.2019; vgl. FD 1.7.2019). Die Maßnahme geht mit erhöhten Eingriffsbefugnissen für Sicherheitskräfte und Militär einher. Es kommt vor allem nachts zu verstärkten Kontrollen durch Sicherheitskräfte (AA 1.7.2019). Zu Demonstrationen kommt es seit der Wahl von Staatspräsident Al-Sisi im Mai 2014 kaum noch (AA 1.7.2019).

Es kam auch zu einem erneuten religiös motivierten Angriff, auf einen koptischen Pilgerbus in Minya, bei dem 29 Menschen getötet wurden (FD 1.7.2019). Seit 2016 ist es wiederholt zu Anschlägen auf koptische Christen und koptische Kirchen gekommen. Dabei gab es zahlreiche Tote und Verletzte (AA 1.7.2019). Am 28.12.2018 wurden bei der Aktivierung eines Sprengsatzes in der Nähe der Pyramiden von Gizeh vier Menschen getötet. Am 15.2.2019 versuchten die Sicherheitskräfte, drei in Kairo gefundene Sprengsätze zu entschärfen, von denen einer explodierte. Am 18.2.2019 tötete eine Person mit einem Sprengstoffgürtel drei Menschen (FD 1.7.2019b).

Vor Reisen in den Norden der Sinai-Halbinsel und das ägyptisch-israelische Grenzgebiet wird gewarnt (AA 1.7.2019). Am 9.2.2019 begann die ägyptische Armee ihre umfassende Operation „Sinai 2018“ gegen militante Islamisten auf der Sinai Halbinsel (AA 24.6.2019a; AI 26.2.2019).Es kam zu Angriffen auf Touristen am Strand und in Hotels. Ein besonders schwerer terroristischer Anschlag nach dem Freitagsgebet in einer Moschee im November 2017 im Dorf Bir el Abed im Nord-Sinai forderte mehr als 300 Menschenleben (AA 1.7.2019; vgl. AA 24.6.2019a; FD 1.7.2019b) und zahlreiche weitere verletzt (AA 1.7.2019). Bereits im August 2013 wurde im Gouvernorat Nordsinai der Ausnahmezustand verhängt und seitdem immer wieder verlängert. Es gilt auch eine nächtliche Ausgangssperre (AA 1.7.2019). Bereits Im April 2017 wurden in Folge von Anschlägen auf zwei Kirchen in Alexandria und Tanta 45 Menschen getötet und über 100 verletzt. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“ hat sich zu den Anschlägen bekannt. Staatspräsident Al-Sisi verhängte einen Tag später den Ausnahmezustand, der seitdem alle drei Monate verlängert wurde. Die Politik der Härte und des permanenten Ausnahmezustands hat die Terrorgefahr jedoch nicht beseitigen können (AA 24.6.2019a). Das Österreichische Außenministerium ruft für den Nordsinai ein partielles Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 5) aus wie auch für die Saharagebiete an den Grenzen zu Libyen (einschließlich Mittelmeergebiet) und zum Sudan (BMEIA 1.7.2019). Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) besteht in den restlichen Gebieten der Sinai-Halbinsel, inklusive der Ostküste im Bereich von Nuweiba bis Taba sowie auch für das Innere des Südsinai (BMEIA 1.7.2019). Es kommt auch weiterhin zu terroristischen Anschlägen, zuletzt am 2.11.2018 in der ägyptischen Provinz Minya, wo sieben koptische Pilger starben, und am 28.12.2018 sowie am 19.5.2019 in der Nähe der Pyramiden von Gizeh, wo ausländische Touristen zu Tode kamen oder verletzt wurden (AA 24.6.2019a). Am 24.6.2019 kam es auf dem Sinai zu einem Gefecht zwischen der Armee und Kämpfern des Islamischen Staates (IS). Laut Auskunft des Innenministeriums seien dabei sieben Polizisten und vier Kämpfer des IS getötet worden (BAMF 1.7.2019).

Vor Reisen in entlegene Gebiete der Sahara einschließlich der Grenzgebiete zu Libyen und Sudan wird gewarnt (AA 1.7.2019). Die ägyptischen Behörden haben die Grenzregionen zu Libyen und zum Sudan zu Sperrgebieten erklärt (AA 1.7.2019). Minenfelder sind häufig unzureichend gekennzeichnet, insbesondere auf dem Sinai, in einigen nicht erschlossenen Küstenbereichen des Roten Meeres, am nicht erschlossenen Mittelmeerküstenstreifen westlich von El Alamein und in Grenzregionen zu Sudan und Libyen (AA 1.7.2019).

Die Kriminalitätsrate ist in Ägypten vergleichsweise niedrig. Kleinkriminalität wie Taschendiebstähle und auch vereinzelte Übergriffe speziell auf Frauen haben etwas zugenommen (AA 1.7.2019).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt Deutschland (1.7.2019): Ägypten - Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/aegyptensicherheit/212622, Zugriff 1.7.3019

BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (1.7.2019): Briefing Notes 1 Juli 2019, Zugriff 1.7.2019

-AA - Auswärties Amt Deutschland (24.6.2019a): Ägypten - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/-/212652, Zugriff 1.7.2019

-AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 – Egypt, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003690/MDE1299162019ENGLISH.pdf, Zugriff 1.7.2019

-BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (1.7.2019): Reiseinformation, Ägypten - Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/aegypten/, Zugriff 1.7.2019

-FD - France diplomatique (1.7.2019a): Egypte - Dernière minute, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/egypte/, Zugriff 1.7.2019

-FD - France diplomatique (1.7.2019b): Egypte - Sécurité, https://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays-destination/egypte/#securite, Zugriff 1.7.2019

Grundversorgung

Subventionen zur Absicherung der Grundversorgung der ägyptischen Bevölkerung haben eine lange Tradition und zehren einen erheblichen Teil des Staatshaushaltes auf. Daran ändert auch das mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbarte Reformprogramm, das Kürzungen der staatlichen Subventionen für Elektrizität, Treibstoff, aber auch für Brotgetreide einschließt, nichts. So wurde z.B. nach Kürzung von Subventionen im Sommer 2017 und damit verbundenen Preissteigerungen die Zahl der Berechtigten für Lebensmittelkarten erhöht (bisher schon ca. 70 Mio. Personen) und auch der Umfang der über diese Karten zu beziehenden Güter nochmals ausgedehnt. Nicht-Ägypter haben nach hiesiger Kenntnis keinen Zugang zu diesem System (AA 22.2.2019). Im Rahmen des mit dem IWF verhandelten Reformprogramms versucht die Regierung, den notwendigen Strukturwandel in die Wege zu leiten. Das Wirtschaftswachstum lag 2017 bei 4,2 % und 2018 bei 5,3 %. Subventionen für Benzin, Diesel und Elektrizität werden von der Regierung sukzessive reduziert. Bis Juni 2021 ist eine vollständige Eliminierung aller Energiesubventionen vorgesehen (AA 24.6.2019c).

Ein weiteres Instrument der sozialen Sicherung liegt im Mietrecht begründet. Für einen Großteil von Mietverträgen, die in den 1950er und 1960er Jahren geschlossen wurden und seitdem innerhalb der Großfamilie weitergegeben wurden, gilt noch eine Mietpreisbindung, die im Altbestand zu teilweise grotesk niedrigen Mieten führt. Für neue Verträge seit ca. 1990 gelten ohnehin die Gesetze des Marktes. Im Rahmen der Erschließung von Wüstenregionen wird ein gewisser Prozentsatz an Land und Wohnungen an arme Bevölkerungsteile verlost (AA 22.2.2019).

Im Rahmen von zwei Sozialhilfeprogrammen KARAMA und TAKAFUL werden zudem verstärkte Schritte für eine gezielte Unterstützung der Ärmsten vorgenommen. Das Karama Projekt sieht monatliche Geldleistungen im Umfang von 40-80 USD an die Ärmsten der Armen sowie an ältere Menschen und Behinderte vor. Das konditionierte Takaful Projekt zielt auf die finanzielle Unterstützung von Familien mit Kindern ab, vorausgesetzt diese besuchen regelmäßig eine Schule (AA 22.2.2019).

Darüber hinaus existiert ein zwar in seiner Leistungsfähigkeit beschränktes, aber funktionierendes Sozialversicherungssystem, welches Arbeitslosen-, Kranken-, Renten- und Unfallversicherungselemente enthält und von Arbeitgebern und Arbeitnehmern gemeinsam bezahlt wird. Die größten Probleme ergeben sich hier aus relativ geringen tatsächlichen Auszahlungen und der Nichterfassung der großen Anzahl an Personen ohne formelle Erwerbsaktivitäten (informeller Sektor) bzw. solche die arbeitslos sind. Einen erheblichen Beitrag zur sozialen Sicherung leisten karitative Einrichtungen, vornehmlich auf religiöser Basis und finanziert aus Spenden und wohltätigen Stiftungen (AA 22.2.2019).

Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind hier nicht bekannt. Subventionsabbau droht – trotz langsam sinkender Inflation und sozialen Gegenmaßnahmen der Regierung die wirtschaftliche Situation vor allem der armen Segmente der Gesellschaft weiter zu verschlechtern. Bisher hat sich der latent in der Bevölkerung vorhandene Unmut nur punktuell manifestiert. Viel wird davon abhängen, wie schnell eine wirtschaftliche Erholung auch diese Schichten erfasst. Daneben zeichnet sich ab, dass Militär und auch Sicherheitsdienste in sozialen Bereichen, beispielsweise in der Verteilung von Lebensmitteln, einspringen und staatliche Aufgaben verstärkt substituieren (AA 22.2.2019).

Ägypten ist das nach Südafrika am stärksten industrialisierte Land Afrikas. Die Landwirtschaft spielt eine erhebliche Rolle. Der große informelle Sektor (v.a. Dienstleistungen; Schätzungen gehen von 30-40 % des BIP aus) nimmt zudem einen Großteil der Arbeitskräfte auf. Bei einem Netto-Bevölkerungswachstum von jährlich rund 2,5 Millionen Menschen ist die Arbeitslosigkeit und insbesondere Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch (offiziell wird die Jugendarbeitslosigkeit mit 28 % angegeben, Schätzungen gehen von höheren Zahlen aus). Ägypten hat ein großes Interesse an ausländischen Direktinvestitionen und fördert diese gezielt. Zahlreiche Handelshemmnisse und Bürokratie schrecken potenzielle Investoren jedoch ab. Staatliche Unternehmen sowie das ägyptische Militär spielen im Wirtschaftsleben eine starke Rolle. Jeder dritte Ägypter ist in der Landwirtschaft beschäftigt. Die landwirtschaftliche Nutzfläche erstreckt sich vor allem entlang des Nils sowie im Nildelta, macht aber nur rund 4 % der Gesamtfläche des Landes aus (AA 24.6.2019c).

Der Dienstleistungssektor absorbiert einen erheblichen Teil der Erwerbstätigen und erwirtschaftet große Teile des Bruttoinlandsproduktes. Einen maßgeblichen Beitrag leistet hierbei der Tourismusbereich (AA 24.6.2019c). Der Dienstleistungssektor ist der größte Wirtschaftssektor (GIZ 9.2018c). Er bietet rund 50 % der ägyptischen Arbeitskräfte eine Beschäftigung und trägt mit rund 49 % etwa die Hälfte zum BIP bei (GIZ 9.2018c). Ein schwer zu erfassender und vermutlich erheblicher Teil des Dienstleistungsbereichs arbeitet informell (AA 24.6.2019c).

Nach einer Studie der staatlichen Statistikbehörde CAPMAS gibt eine ägyptische Durchschnittsfamilie rund 40 % ihres Einkommens nur für Nahrungsmittel aus, Familien aus ärmeren Schichten bis zu 63 %. Die Einkommensverteilung hat sich in den letzten drei Jahrzehnten immer stärker zuungunsten der unteren Einkommensschichten entwickelt. Die meisten Ägypter verdienen jedoch wesentlich weniger als die Durchschnittslöhne und nur 60 % aller Lohnabhängigen haben überhaupt geregeltes Einkommen. Die dramatischen Preiserhöhungen für Grundlebensmittel in den letzten Jahren verschärften den Kaufkraftverlust und trafen vor allem die unteren Einkommensschichten, die nach Angaben von CAPMAS mehr als die Hälfte ihres Einkommens für Nahrungsmittel ausgeben (GIZ 9.2018).

Die staatlichen Maßnahmen zur Armutsbekämpfung werden heute weithin als unzulänglich kritisiert. Sie bestehen im Wesentlichen aus nicht zielgruppenorientierten Subventionen für Grundnahrungsmittel und Energie, extrem niedrigen Sozialhilfe- und Pensionszahlungen für bestimmte Bevölkerungsgruppen sowie Kredit-, und Entwicklungsprogrammen des Sozialfonds für Entwicklung (SfD), die jedoch weit hinter dem Bedarf zurückbleiben (GIZ 9.2018).

Die Armutsquote (2016/17) ist auf 27 % gestiegen (die höchste seit 2000). Über 10 Millionen Menschen in Ägypten haben weniger als 1 $ am Tag zur Verfügung. Rund 12,5 % der Bevölkerung sind arbeitslos und ca. 17 % der Familien werden von Frauenarbeit (im informellen Sektor) unterstützt (GIZ 9.2018).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt Deutschland (24.6.2019c): Ägypten: Wirtschaft, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/wirtschaft-/212624, Zugriff 9.7.2019

-AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 9.7.2019

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (9.2018): Ägypten - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/aegypten/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 9.7.2019

Medizinische Versorgung

In Kairo ist eine ausreichende Versorgung gewährleistet. Die medizinische Versorgung außerhalb Kairos hat sich in den letzten Jahren zwar deutlich verbessert, dennoch entspricht sie nach wie vor oft nicht westeuropäischem Standard (AA 9.7.2019). Es kommt zu gravierenden Qualitätsmängel in der staatlichen Versorgung - mangelnde Hygiene oder vernachlässigte Wartung von Geräten ebenso wie unterbezahltes Personal (GIZ 2.2018).

Das grundlegend funktionierende Sozialversicherungssystem mit Elementen der Kranken- und Unfallversicherung ist eingeschränkt leistungsfähig. Eine minimale kostenlose Grundversorgung ist gegeben. Notfälle werden behandelt; die Grundversorgung chronischer Krankheiten ist minimal und oft nur mit Zuzahlungen gegeben (AA 22.2.2019). Der Großteil der ägyptischen Bevölkerung ist über den Staat versichert. Problematisch ist, dass diese Versicherung an Ausbildung oder Arbeitsplatz gekoppelt ist, und Arbeitslose oder Arme daher ausschließt (GIZ 2.2018).

Aktuell soll ein neuer Gesetzesentwurf das Problem angehen und eine adäquate Krankenversicherung schrittweise auf alle Bevölkerungsgruppen ausdehnen (GIZ 2.2018). Ein Gesetz über umfassende Gesundheitsvorsorge wurde im Herbst 2017 verabschiedet, aber dessen Finanzierung ist noch nicht abschließend geregelt. Es gibt im Großraum Kairo über 100 staatliche Krankenhäuser, u. a. die Uni-Kliniken Kasr El Aini und Ain Shams. Die Versorgung mit Medikamenten im örtlichen Markt ist ausreichend. Importe werden staatlich kontrolliert (AA 22.2.2019).

Im September 2017 kam es zum ersten Ausbruch von Dengue-Fieber am Roten Meer (Alquaseer) seit mehreren Jahren. Inzwischen wurden auch Fälle aus Hurghada gemeldet (AA 9.7.2019).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt Deutschland (9.7.2019): Ägypten: Reise- und Sicherheitshinweise (Teilreisewarnung), https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/aegypten-node/aegyptensicherheit/212622#content_5, Zugriff 9.7.2019

-AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 9.7.2019

-GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (2.2018): Liportal, Ägypten – Gesellschaft, https://www.liportal.de/aegypten/gesellschaft/, Zugriff 9.7.2019

Rückkehr

Es gibt keine gesonderten Aufnahmeeinrichtungen. Zur Situation von Rückkehrern liegen keine Erkenntnisse vor. Staatliche Maßnahmen als Reaktion auf Asylanträge im Ausland sind nicht bekannt. Formale staatliche Institutionen für die Aufnahme von Rückkehrern sind nicht bekannt (AA 22.2.2019).

Quellen:

-AA - Auswärtiges Amt Deutschland (22.2.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Ägypten (Stand Januar 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/1458483/4598_1551702084_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-aegypten-stand-januar-2019-22-02-2019.pdf, Zugriff 9.7.2019

1.5. Zur Blutrache in Ägypten:

1.5.1. Anfragebeantwortung zu Ägypten: Blutrache und Schlichtungsmechanismen in der Provinz Assiut; Verhalten der Sicherheitskräfte; Vertreibung beziehungsweise Verbannung als Schlichtungsmechanismus [a-9884], 24. Oktober 2016, abrufbar unter: https://www.ecoi.net/de/dokument/1166550.html

„Al-Arab Online, das Online-Nachrichtenportal der in London herausgegebenen arabischsprachigen Zeitung Al-Arab, berichtet in einem Beitrag vom Jänner 2016, dass zahlreiche Forscher in Studien zu Problemen der ägyptischen Gesellschaft angegeben hätten, dass Blutfehden in den letzten Jahren im Süden des Landes hunderte Tote gefordert hätten.

Statistiken der Sicherheitskräfte hätten 196 Tote und 214 Verletzte allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2015 in den drei oberägyptischen Provinzen Assiut, Qena und Sohag erfasst, in denen es täglich Tote oder Verletzte gegeben habe. Die Praxis der Blutfehde werde in Oberägypten als ein Zeichen von Einfluss und Hegemonie wahrgenommen und die Stadt Al-Badari in Assiut zähle zu den Städten, in denen dieses Phänomen am stärksten verbreitet sei. Laut Angaben aus Sicherheitskreisen seien die meisten Einwohner der Stadt in eine Blutfehde verwickelt und zwischen manchen Familien bestehe eine Feindschaft, die länger als 50 Jahre zurückreiche. Die ausgehandelten Versöhnungsübereinkommen zwischen den Familien hätten Waffenstillständen geglichen, die wiederholt gebrochen worden seien. (Al-Arab, 12. Jänner 2016).

ONews Agency (ONA), eine ägyptische Nachrichtenwebseite, berichtet im September 2016, dass ein Aussöhnungsgremium in der Provinz Assiut in Zusammenarbeit mit dem Polizeipräsidium die Aussöhnung der beiden Familien „Hasanajn“ und „Mu’min“ im Dorf al-Hawatika im Bezirk Manfalout abgeschlossen habe. Die Blutfehde zwischen den beiden Familien, bei der drei Personen getötet und zwei Kinder verletzt worden seien, habe zwei Jahre lang angedauert. Die Fehde habe begonnen, als ein Bauer der Familie Hasanajn und der Fahrer einer Autorikscha bei einem Streit über den Vorrang im Verkehr getötet worden seien. Die Aussöhnung sei in Anwesenheit des Polizeipräsidenten von Assiut und weiterer führender Polizeikräfte, der Mitglieder des Aussöhnungsgremiums sowie von mehr als 1.000 Bewohnern der umliegenden Dörfer vollzogen worden.

Die ägyptische Zeitung Mobtada schreibt im August 2016, dass der Anstieg von Blutfehden in der Provinz Assiut, von denen es nach offiziellen Statistiken im letzten Jahr 415 Fälle gegeben habe, zu einem dringenden Bedürfnis geführt habe, ein Gremium zu bilden, welches dem Blutvergießen Einhalt gebieten könne. Daher habe die Provinz Assiut ein „Gremium der Aussöhnung und des Dienstes an der Gesellschaft“ gebildet, das Fehden beenden solle. Die Anzahl des zentralen Vorstandes des Aussöhnungsgremiums, das nach Beschluss des Provinzgouverneurs 2015 geschaffen worden sei, habe 51 Mitglieder. Der Unterausschuss umfasse 139 Mitglieder, die alle Bezirke der Provinz vertreten würden. Der Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen, der zugleich Vorstand des Aussöhnungsgremiums in Assiut sei, habe angegeben, dass das Gremium zwischen Jänner 2015 und Mai 2016 46 Blutfehden beendet habe. Es würden viele Aussöhnungssitzungen stattfinden, in denen das „Leichentuch“ ein zentrales Symbol der Versöhnung darstellen würde. An den Sitzungen würden hunderte Bürger der betroffenen Dörfer oder Bezirke sowie Mitglieder der an der Fehde beteiligten Familien teilnehmen. Der Polizeichef von Assiut habe angegeben, dass die Sicherheitskräfte nicht allein diese Gebräuche ausmerzen könnten, sondern die gemeinsamen Anstrengungen von allen notwendig seien. Er habe eine mögliche Unterstützung der Aussöhnungsgremien und der Familienältesten bei der Beendigung von Blutfehden hingewiesen und angegeben, dass die Verwaltung an einer Verbesserung der Sicherheitslage arbeite. Der Artikel enthält auch Bilder von Schlichtungs- beziehungsweise Aussöhnungssitzungen.

Al-Tahrir, eine ägyptische unabhängige Tageszeitung, schreibt in einem Artikel vom Juli 2016, dass im Ort Abnoub in der Provinz Assiut bei einem Racheakt drei Personen, darunter zwei Brüder, getötet und eine weitere Person verletzt worden seien. Der Hintergrund sei eine dreijährige Blutfehde zwischen den Familien „Hamd“ und „Hifnawi“ in der Ortschaft Al-Mandara Qibli im Bezirk Manfalout, die bis dato neun Tote und sechs Verletzte zur Folge gehabt habe.

Die Egyptian International Organisation for Human Rights and Development (EIOHRD) berichtet in einer Mitteilung auf ihrer Webseite vom Juli 2016, dass Sicherheitskräfte zusammen mit Männern des Aussöhnungsgremiums und örtlichen Führungspersönlichkeiten eine Blutfehde zwischen den Familien „Abd al-Al Ahmad“ aus Abnoub und „Al-Schujuhi“ aus al-Mutiaa beendet hätten. Unter der Führung der Sicherheitskräfte sei die Aussöhnung dadurch abgeschlossen worden, dass die Familie Abd al-Al Ahmad als Zeichen der Vergebung ein Leichentuch vom Täter angenommen und der Familie Al-Schujuhi vergeben habe.

Al-Wafd, eine von der ägyptischen Wafd-Partei herausgegebene Tageszeitung, berichtet im April 2016, dass aufgrund einer Blutfehde erneut Kämpfe zwischen den Familien „Al-Aawaschir“ und „Al-Schaajiba“ in der Stadt Al-Badari in Assiut ausgebrochen seien. Mitglieder beider Familien hätten das Feuer aufeinander eröffnet, dann seien die Sicherheitskräfte gerufen worden, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Die Fehde reiche drei Jahre zurück, als Mitglieder der Familie Al-Schaajiba drei Personen der Familie Al-Aawaschir bei ihrer Rückkehr aus der Stadt Assiut nach Al-Badari aufgelauert und das Feuer auf sie eröffnet hätten, was ihren Tod und den Tod des Fahrers zur Folge gehabt habe. Die Getöteten seien beschuldigt worden, zuvor die Häuser der Familie Al-Schaajiba sowie benachbarte Häuser angegriffen zu haben und sieben Familienmitglieder getötet sowie vier weitere verletzt zu haben. Die Generalstaatsanwaltschaft habe damals die Fälle von 14 Personen beider Familien an das Strafgericht verwiesen.

Al-Masriyoun, eine ägyptische Tageszeitung, berichtet im März 2016, dass es in einigen ägyptischen Provinzen Gegenden gebe, die sich außerhalb der Kontrolle der Sicherheitsbehörden befinden würden und zu denen diese keinen Zutritt mehr hätten. Erwähnt werden in Zusammenhang mit der Provinz Assiut unter anderem die im Nil gelegenen Inseln Bani Fiz, Al-Wasta und Al-Sahil. Die Einwohner von Bani Fiz im Süden der Provinz Assiut würden Granatäpfel anbauen und exportieren. Die Millionen Ägyptische Pfund, die man dadurch verdiene, würden in die Taschen der Waffenhändler fließen, wodurch Blutfehden zwischen den Familien entstehen würden. Seit Monaten sei eine Blutfehde innerhalb einer Familie wieder aufgeflammt, was Bewohner daran gehindert habe, ihre Häuser zu verlassen und die Kinder vom Schulbesuch abgehalten habe. Die Sicherheitskräfte würden sich mit diesem Problem nur von weitem befassen. Was die Insel Al-Sahil/Al-Awna im Bezir Sahil Salim in Assiut angehe, so habe es auch dort die Polizei nicht geschafft, mit den in Fehde befindlichen Familien zusammenzuarbeiten und sie zu einer Entwaffnung zu zwingen. Statt ihrer Maschinengewehre würden sie nur ihre alten Waffen abgeben.

Die unabhängige ägyptische Tageszeitung Al-Masry Al-Youm berichtet in einem Artikel vom Jänner 2016, dass das Aussöhnungsgremium zusammen mit dem Polizeipräsidium von Assiut eine fünf Jahre andauernde Fehde zwischen einer Familie des Dorfes Al-Khawalid und Familien des Dorfes Al-Gharib im Bezirk Sahil Salim beendet habe. Die Aussöhnung habe im Beisein des Provinzgouverneurs und des Polizeipräsidenten von Assiut sowie weiterer führender Polizeikräfte und Ermittlungsleiter sowie des Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen stattgefunden. Die Versöhnungszeremonie habe mit der Lesung von Koranversen begonnen. Die eine Konfliktpartei habe nach mehreren Ansprachen der Amtsträger dem Sohn des Getöteten der anderen Konfliktpartei ein symbolisches Leichentuch übergeben. Der Vater sei bereits 2011 bei einer Auseinandersetzung zwischen den Familien aus Versehen von Schüssen getötet worden.

Sada Elbalad, ein ägyptischer staatsnaher Fernsehsender, berichtet auf seiner englischsprachigen Webseite im Dezember 2015, dass der Strafgerichtshof in Assiut zehn Personen, die wegen Beteiligung an einer Blutfehde schuldig gesprochen worden seien, zum Tode verurteilt habe [Es handelt sich um die in der vorigen Quelle erwähnten Familien, Anm. ACCORD]. Der Streit der beiden Familien habe sich ursprünglich „an einem Laib Brot“ entzündet und habe elf Personen das Leben gekostet. Acht der zehn Angeklagten seien in Abwesenheit verurteilt worden. Ein weiterer Angeklagter sei zu einer Gefängnisstrafe von zehn Jahren verurteilt worden.

The Cairo Post, die englische Ausgabe der in Privatbesitz befindlichen ägyptischen Tageszeitung Youm7, berichtet im Oktober 2015, dass bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen zwei Familien in der Stadt Al-Badari in der Provinz Assiut am 13. Oktober den Schulunterricht einer Grundschule unterbrochen hätten. Die Stadt sei, besonders infolge der Aufstände 2011 und der mangelnden Sicherheit an der Grenze zu Libyen, bekannt für ihre Blutfehden und für ihre schwer bewaffneten EinwohnerInnen. Mitarbeiter der Polizeikräfte seien eingetroffen und hätten das Umfeld der Grundschule sowie die Häuser beider Familien abgeriegelt, während Staatsanwälte Ermittlungen eingeleitet hätten. Es seien keine Todesopfer gemeldet worden.

El Badil, eine unabhängige ägyptische Wochenzeitung, berichtet in einem Artikel vom Oktober 2014, dass sich das Phänomen der Blutfehde in der Provinz Assiut ausgeweitet habe, besonders in den Orten Al-Badari, Dajrout und Ghanajim, deren Bewohner besonders durch Clanstrukturen gekennzeichnet seien. Laut Angaben der Sicherheitsbehörden hätten Vorfälle im Rahmen von Blutfehden seit der Jännerrevolution 2011 bereits 1.031 Tote und 3077 Verletzte in der Provinz Assiut gefordert. Die meisten Vorfälle würden sich aufgrund von Auseinandersetzungen um landwirtschaftliche Nutzflächen ereignen, die schwerwiegendsten Fälle habe es zwischen Bewohnern der Dörfer Al-Iqal Bahari im Bezirk Al-Badari und Al-Mandara, Al-Scharaqwa, Al-Hawta Al-Scharqija und Al-Awamir im Bezirk Dajroud sowie der Dörfer Al-Azizija, Al-Mawazin und Al-Deir im Bezirk Al-Ghanajim gegeben. Der Polizeipräsident von Assiut habe angegeben, dass Vorfälle von Blutfehden sich so verbreitet hätten, dass alle für die Sicherheit verantwortlichen Behörden in Oberägypten, darunter insbesondere in der Provinz Assiut, damit zu kämpfen hätten. Ein großes Problem sei die Verbreitung von Waffen. Der Staatssekretär des Ministeriums für religiöse Stiftungen in Assiut habe angeführt, dass Blutrachevorfälle sich in der Provinz verbreitet hätten, da die Strafverfolgung vonseiten der Sicherheitsbehörden fehle und es keine schnellen Entscheidungen vonseiten der Gerichte, besonders der Strafgerichte, in Fällen von Blutrache gebe.

Egypt Independent, die englischsprachige Ausgabe der unabhängigen ägyptischen Tageszeitung Al-Masry Al-Youm, berichtet im Oktober 2014, dass im Rahmen einer Blutfehde, die sich an Grundstücksstreitigkeiten entzündet hätten, acht Personen getötet und vier weitere verletzt worden seien. Mitglieder der Familien Hifnawi, Hamd, Hassanein und Dardiri in den Dörfern Al-Hawatka und Al-Mandara im Bezirk Manfalout in Assiut seien an der Fehde beteiligt gewesen.

Masr Al-Arabiya, eine ägyptische Nachrichtenwebseite in Besitz des Mobilfunkanbieters O2, berichtet in einem Artikel vom November 2013 über den Ort Al-Badari, der sich circa 67 Kilometer südöstlich der Stadt Assiut befinde, und den Sicherheitskräften als ersten der fünf Brennpunkte in der Provinz hinsichtlich der Verbreitung von Waffen bezeichnen. Man würde Männer, Frauen und Kinder mit Waffen antreffen. Gemäß Angaben aus Sicherheitskreisen seien seit Beginn des Jahres 2013 bereits 135 Personen in Blutfehden getötet worden.

Der Artikel berichtet weiters, dass laut Aussagen der Bewohner des Ortes Al-Badari keine Polizei vor Ort sei und dass Mitglieder der beiden in einer Fehde befindlichen Familien Waffen und Munition mit sich führen würden und sich gelegentlich beschießen würden, was den Zugang zu diesen Gebieten unmöglich mache. Betonblöcke seien auf der Straße aufgestellt worden, die die Häuser der beiden Familien voneinander trennen würden.

Wie die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) am 2. November 2013 berichtet, seien im Gebiet Al-Badari im Gouvernement Assiut zehn Personen bei Ausschreitungen in Zusammenhang mit einer Fehde zwischen den Familien „Al-Schaajeba“ und „Al-Aawaschir“ ums Leben gekommen. Der Artikel erwähnt, dass derartige Fehden mit tödlichem Ausgang in Zentral- und Oberägypten häufig vorkämen.

Vertreibung beziehungsweise Verbannung als Schlichtungsmechanismus

Die Nichtregierungsorganisation Egyptian Initiative for Personal Rights (EIPR), die sich für den Schutz grundlegender Rechte und Freiheiten von Bürgern einsetzt, hat Daten über konfessionelle Auseinandersetzungen und deren Lösung durch gewohnheitsrechtliche Aussöhnungssitzungen im Zeitraum Jänner 2011 bis Juni 2015 gesammelt. EIPR führt an, dass in mehreren Fällen die Anwendung von Aussöhnungssitzungen unter Verletzung der durch die Verfassung gegebenen Rechte zur Verhängung kollektiver Bestrafungen geführt habe. Dabei seien verschiedene Formen der kollektiven Bestrafung allein auf Basis der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie oder Religion verhängt worden. Verbannungen, die gewaltsamen Vertreibungen gleichkommen würden, würden als eine der härtesten Strafen angesehen, die die ganze Familie betreffen würden, obwohl manche von ihnen nicht an der Straftat beteiligt gewesen seien beziehungsweise nicht einmal Verständnis für den Täter zeigen würden. Diese Personen würden bestraft, da sie Verbindungen zum Täter hätten.

Das US-amerikanische Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Bericht zur Religionsfreiheit vom Juli 2014 (Berichtszeitraum: 2013), dass die Regierung Schlichtungssitzungen, in denen Gewohnheitsrecht angewandt werde („customary reconciliation sessions“), zur Schlichtung von konfessionell motivierten Übergriffen und kommunaler Gewalt unterstützt habe. Den Sitzungen hätten normalerweise Vertreter der Provinzbehörden oder des Innenministeriums zusammen mit den Konfliktparteien vertretenden christlichen und muslimischen Religionsvertretern beigewohnt. Eine Bestrafung des Täters durch Verbannung aus dem Dorf, Kompensationszahlungen an die betroffenen Parteien oder eine Strafbestimmung im Falle eines künftigen Bruches der getroffenen Vereinbarungen würden zu den Mechanismen zählen, auf die man sich einige, um ein Ende des Konfliktes zu erreichen. In den meisten Fällen würden sich die Parteien auch darauf einigen, alle offiziellen Anklagen und Gerichtsverfahren fallen zu lassen.

Al-Masry Al-Youm schreibt in einem Artikel vom 15. Jänner 2016, dass ein Rat der Ältesten in Helwan (südlich von Kairo) in einer Gewohnheitsrechtssitzung eine Blutfehde zwischen zwei Familien beendet habe. Die Zeremonie, in der die eine Familie der anderen ein Leichentuch übergeben habe, habe nach Verhandlungen stattgefunden, die sieben Monate gedauert hätten. Die ausgehandelten Bestimmungen sähen vor, dass der Täter sein Haus verkaufen und die Region verlassen müsse, um weitere Auseinandersetzungen zwischen den beiden Familien zu verhindern.

Vetogate, eine ägyptische Nachrichtenwebseite, berichtet im Juni 2014, dass eine Aussöhnungssitzung zwischen einer koptischen und einer muslimischen Familie in Matareja [Provinz Dakahlia] die Verbannung der koptischen Familie sowie den Verkauf ihres Besitzes innerhalb von sechs Monaten beschlossen habe. Außerdem müsse die Familie eine Million und einhundert ägyptische Pfund [103.223 Euro nach damaligem Wechselkurs, Anm. ACCORD] Strafe zahlen, fünf Kälber und eine Fläche von 200 Quadratmetern abgeben. Zusätzlich dazu müsse sie der muslimischen Familie ein symbolisches Leichentuch übergeben. Der Sitzung hätten Sicherheitskräfte und Älteste aus der Region, gewohnheitsrechtliche Schlichter sowie Medienvertreter beigewohnt. Die Auseinandersetzung zwischen den Familien sei ein Nachbarschaftsstreit gewesen, während dessen die koptische Familie das Feuer auf die muslimische Familie eröffnet habe. Acht Personen seien verletzt worden und ein Mitglied der muslimischen Familie getötet worden.“

1.5.2. Anfragebeantwortung zu Ägypten: Blutrache mit mehreren Toten im Dorf Al-Badary im November 2013 sowie Vorkommen von Blutrache in Oberägypten; Schutz bei Blutrache durch Behörden in anderen Landesteilen [a-8718], 13. Juni 2014, abrufbar unter: https://www.ecoi.net/de/dokument/1273849.html

„Blutrache mit mehreren Toten im Dorf Al-Badary im November 2013 sowie Vorkommen von Blutrache in Oberägypten

Wie die französische Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) am 2. November 2013 berichtet, seien im Gebiet El Badari im Gouvernement Assiut zehn Personen bei Ausschreitungen in Zusammenhang mit einer Fehde zwischen den Familien El-Shaieba und El-Aawashir ums Leben gekommen. Der Artikel erwähnt, dass derartige Fehden mit tödlichem Ausgang in Zentral- und Südägypten häufig vorkämen.

Mehrere Medienartikel berichten, dass im April 2014 im Zuge einer Fehde zwischen einem arabischen Clan und einer nubischen Familie im Gouvernement Assuan mindestens 23 Personen getötet worden seien (Al Jazeera, 5. April 2014; AP, 5. April 2014; El Watan, 9. April 2014; Reuters, 5. April 2014).

In einem Artikel vom Oktober 2013 berichtet AP, dass bei einer Fehde zwischen zwei koptischen christlichen Familien in der Stadt Malawi (Gouvernement Minya) fünf Menschen getötet und neun weitere verletzt worden seien.

Derselbe Artikel merkt weiters an, dass Fehden, darunter solche, in denen es um Land gehe, im ländlichen Ägypten verbreitet seien. Jedoch sei deren Häufigkeit seit dem Sturz von Präsident Mubarak sprunghaft angestiegen.

Schutz bei Blutrache durch Behörden in anderen Landesteilen

In den ACCORD derzeit zur Verfügung stehenden Quellen konnten im Rahmen der zeitlich begrenzten Recherche keine spezifischen Informationen bezüglich des behördlichen Schutzes vor Blutrache in anderen Landesteilen gefunden werden.

Die folgenden Berichte beziehen sich allgemein auf behördlichen Schutz, darunter Schutz vor Blutrache allgemein: Das US-Außenministerium (US Department of State, USDOS) schreibt in seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom Februar 2014 (Berichtsjahr 2013), dass die Nationale Polizei für den Gesetzesvollzug im gesamten Land zuständig sei. Weiters hätten unter anderem die Zentralen Sicherheitskräfte sowie die Streitkräfte Befugnisse im Bereich der inneren Sicherheit inne. Wie das USDOS bemerkt, seien die Ermittlungsfähigkeiten der Polizei weiterhin schwach ausgeprägt. Besonders in Fällen von sexueller Gewalt werde nur unzureichend ermittelt. Einzelpersonen hätten Zugang zu zivilen Gerichten und könnten dort Klage wegen Menschenrechtsverletzungen einreichen. Jedoch würden die geltenden Standards für die Beweiswürdigung, die eingeschränkte Ermittlungsfähigkeit und mangelnder Wille zur Verurteilung mutmaßlicher Menschenrechtsverletzungen dazu führen, dass Gerichte Anklagen wegen fehlender Beweise oder widersprüchlicher Zeugenaussagen abweisen bzw. Angeklagte freisprechen würden.

Die Deutsche Presse-Agentur (DPA) berichtet im März 2014, dass ein Gericht 14 Männer, die aus zwei Familien stammen würden, wegen einer Blutrache an einem Kaufmann und dessen Tochter im Jahr 2010 in einem Dorf nördlich von Kairo zum Tode verurteilt habe. Die Todesurteile müssten vom Großmufti bestätigt werden, und es bestehe die Möglichkeit, Berufung gegen die Urteile einzulegen.

Die Nachrichtenagentur AP zitiert im Zusammenhang mit der oben erwähnten Blutfehde im Gouvernement Assuan vom April 2014 einen nubischen Ortsansässigen, der im Zuge der Ausschreitungen zwei Familienmitglieder verloren habe. Seinen Angaben zufolge habe seine Familie bei Ausbruch der Ausschreitungen die Polizei kontaktiert. Diese habe sie jedoch angewiesen, mit dem Problem „selbst fertig zu werden“. Nach Angaben des Innenministeriums habe die Polizei versucht, eine Waffenruhe auszuhandeln und es seien drei Personen festgenommen worden.

Die französischsprachige algerische Zeitung El Watan schreibt in Zusammenhang mit demselben Vorfall, dass solche schlechten Sicherheitsverhältnisse in allen Randgebieten des Landes zu beobachten seien und Oberägypten dabei keine Ausnahme darstelle. Das Nicht-Eingreifen der Polizei könne mehrere Ursachen haben. Die Bevölkerung Oberägyptens sei dafür bekannt, sich der Zentralverwaltung zu widersetzen. Anstatt sich an die Polizei zu wenden, würden sie eher auf Formen der Streitschlichtung setzen, die auf Gewohnheitsrecht beruhen würden. Das Gewohnheitsrecht erweise sich in vielen Fällen als Garant für den sozialen Frieden.“

1.6. Zur allgemeinen Covid-19-Pandemie:

Auch ergeben sich angesichts der aktuellen COVID-19 Pandemie keinerlei Rückführungshindernisse im Hinblick auf die Beschwerdeführer:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet. In Österreich gibt es mit Stand 28.05.2020, 16:00 Uhr, 16.550 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen und 673 Todesfälle (https://coronavirus.datenfakten.at/; Zugriff am 28.05.2020); in Ägypten wurden 19.666 Infektionen bestätigt, 816 Personen sind gestorben (Stand: 28.05.2020, vgl. https://www.worldometers.info/coronavirus/country/egypt/; Zugriff am 28.05.2020). In Relation zur Einwohnerzahl liegt die Infektionsrate in Ägypten somit prozentual noch deutlich unter jener von Österreich.

Nach dem aktuellen Stand verläuft die Viruserkrankung bei ca. 80 % der Betroffenen leicht und bei ca. 15% der Betroffenen schwerer, wenn auch nicht lebensbedrohlich. Bei ca. 5 % der Betroffenen verläuft die Viruserkrankung derart schwer, dass Lebensgefahr gegeben ist und intensivmedizinische Behandlungsmaßnahmen notwendig sind. Diese sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren Personen und der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten, Immunschwächen, etc.) auf. Dass der Beschwerdeführer derzeit an einer COVID-19-Infektion leiden würde, wurde nicht vorgebracht. Bei jungen Menschen ohne Schwächung des Immunsystems verläuft eine Infektion mit COVID-19 zudem mit nur geringen Symptomen vergleichbar einer Grippe. Bei Personen in der Altersgruppe bis 49 Jahre, ist die Sterblichkeit sehr gering und liegt unter 1 %. Es fehlen daher bei einer Infektion mit COVID-19 die geforderten außergewöhnlichen Umstände iSd Art. 3 EMRK.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Volljährigkeit, seiner Staatsangehörigkeit, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache sowie zu seinem Familienstand gründen sich aus den diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und in der Verhandlung.

Dass der Beschwerdeführer aus einer wirtschaftlich gut situierten Familie stammt und Kontakt zu seinen Schwestern hat, ergibt sich aus seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung am 27.05.2020.

Dass der Beschwerdeführer Ägypten im Oktober 2014 verließ, ergibt sich aus seinen entsprechenden Angaben in der Erstbefragung am 02.07.2019; sein Aufenthalt in Wien im Jänner 2015 und in Mailand im Jänner 2016 ergibt sich durch die entsprechenden EURODAC-Treffer (auch wenn der Beschwerdeführer in der Erstbefragung am 02.07.2019 ebenso wie in der Verhandlung am 27.05.2020 bestritt, 2016 in Italien gewesen zu sein; er habe nur im Oktober 2014 Italien innerhalb von 8 Stunden durchquert, um von der Küste nach Österreich zu gelangen).

Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht fest. In der Verhandlung am 27.05.2020 gab der Beschwerdeführer an, dass er versucht habe, sich an der Botschaft in Wien einen Reisepass ausstellen zu lassen, dass ihm dies aber verweigert worden sei, weil er die notwendigen Dokumente (zB Geburtsurkunde) nicht bei sich gehabt hätte. Auf die Frage der erkennenden Richterin, warum er sich diese Dokumente nicht von seinen Schwestern schicken habe lassen, meinte er, er müsse persönlich dort sein, um die Dokumente ausstellen zu lassen. Aus Sicht des Gerichtes erscheint es nicht wahrscheinlich, dass die ägyptische Botschaft dem Beschwerdeführer keinen Reisepass ausstellt.

Dass der Beschwerdeführer unbescholten ist, geht aus dem Auszug aus dem österreichischen Strafregister hervor.

Die Feststellung zu seinem Gesundheitszustand ergibt sich aus dem Umstand, dass er zu keinem Zeitpunkt eine gesundheitliche Beeinträchtigung vorbrachte. Auch in der Verhandlung am 27.05.2020 bestätigte er, gesund zu sein und keine Medikamente zu benötigen.

Die Feststellungen zu seinem Privat- und Familienleben ergeben sich aus seinen Aussagen in der mündlichen Verhandlung am 27.05.2020.

2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer bringt vor, Ägypten aufgrund von Erbstreitigkeiten verlassen zu haben; ihm werde von seinen Verwandten nach dem Leben getrachtet. Dieses Vorbringen ist aus den folgenden Gründen nicht glaubhaft:

Zunächst ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer angegeben hatte, im Oktober 2014 in das Bundesgebiet eingereist zu sein. Einen Antrag auf internationalen Schutz stellte er allerdings erst Monate später, nämlich am 19.01.2015. Zudem begründete er diesen Antrag damit, dass er Ägypten aus wirtschaftlichen Gründen verlassen habe; Rückkehrbefürchtungen wurden nicht geäußert. Wenn der Beschwerdeführer tatsächlich um sein Leben gefürchtet hätte, ist davon auszugehen, dass er dies auch in seinem ersten Verfahren angesprochen hätte. In der Verhandlung am 27.05.2020 begründete er dies damit, dass er nicht gewusst habe, dass man im Asylverfahren Probleme schildern solle; ihm sei gesagt worden, man solle Probleme in Ägypten nicht erwähnen, sonst bekomme man Probleme in Österreich. Es erscheint aus Sicht der erkennenden Richterin aber nicht nachvollziehbar, dass man im Rahmen eines Verfahrens auf internationalen Schutz davon ausgeht, dass man die Gründe, aufgrund derer man seinen Herkunftsstaat verlassen hat, nicht nennen soll. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung am 19.01.2015 die Bedrohung seines Lebens mit keinem Wort erwähnte, spricht gegen das Vorliegen einer solchen Bedrohung. Das Verfahren musste zudem eingestellt werden, weil der Beschwerdeführer unbekannten Aufenthaltes war – auch diese fehlende Mitwirkung am ersten Asylverfahren spricht gegen ein tatsächliches Schutzbedürfnis des Beschwerdeführers.

In der Erstbefragung des gegenständlichen Verfahren am 02.07.2019 gab der Beschwerdeführer dann an, dass seine Eltern von Verwandten im Rahmen eines fingierten Autounfalls getötet worden seien; ihm selbst habe man dann als einzigem männlichen Nachkommen nach dem Leben getrachtet, doch habe ihn sein Onkel zunächst versteckt. Nachdem sein Aufenthaltsort bekanntgeworden sei, sei er von vermummten Personen angegriffen worden und habe er sich 25 Tage im Koma befunden.

In der Befragung durch die belangte Behörde am 05.09.2019 schilderte der Beschwerdeführer die angebliche Bedrohung seiner Person näher: Seine Mutter habe ein Grundstück geerbt, weshalb es zu einer Auseinandersetzung mit ihren Brüdern gekommen sei. Zunächst sei sein Vater in einen fingierten Unfall verwickelt worden und habe ein Jahr lang einen Gips tragen müssen. Die Familie des Beschwerdeführers habe sich entschlossen, das Dorf zu verlassen, doch ehe es dazu gekommen sei, hätten die Brüder seiner Mutter einen Autounfall herbeigeführt. Der Beschwerdeführer, seine Eltern und ein Onkel hätten sich im Wagen befunden; außer dem Beschwerdeführer seien alle verstorben (seine Mutter sofort, Onkel und Vater zwei Tage später). Der Beschwerdeführer habe sich dann in einer anderen Provinz bei einem Onkel väterlicherseits versteckt; nachdem man ihn dort entdeckt habe, sei er mit einem Messer verletzt worden und habe 22 Tage im Koma gelegen. Sein Onkel habe dann die Ausreise organisiert.

Aufgrund verschiedener, im Bescheid näher ausgeführter Unstimmigkeiten im Vorbringen kam die belangte Behörde nachvollziehbar zum Ergebnis, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft ist. Dem Beschwerdeführer wurde dennoch im Rahmen der mündlichen Verhandlung nochmals unter Zuhilfenahme eines Dolmetschers für die arabische Sprache die Gelegenheit gewährt, sein Vorbringen zu erläutern. Nach Durchführung dieser Verhandlung bestehen keine Zweifel daran, dass es sich bei den behaupteten Erbstreitigkeiten um eine konstruierte Geschichte handelt, dies aufgrund der folgenden Erwägungen:

Der Beschwerdeführer wiederholte in der mündlichen Verhandlung, dass seine Mutter 2004 oder 2005 einen Teil eines Grundstückes geerbt habe, was von fünf ihrer Brüder (ein anderer Bruder der Mutter sei auf der Seite der Familie des Beschwerdeführers gestanden) strikt abgelehnt wurde und zu einer Bedrohung der Familie des Beschwerdeführers geführt habe. Der Beschwerdeführer musste allerdings mehrmals gefragt werden, ehe er diese Bedrohungen konkret schilderte, wie der folgenden Ausschnitt aus dem Verhandlungsprotokoll vom 27.05.2020 zeigt:

RI: Wann und wie wurde Ihre Familie erstmals bedroht?

BF: Nach dem Tod meines Großvaters. Es gab ein Testament. In der Tradition in unserem Ort bekommen Frauen kein Erbe, aber meine Mutter hat meine Onkel mütterlicherseits großgezogen, danach bekam sie eine Krankheit an der Leber und deswegen hat mein Opa entschieden, ihr einen Teil des Grundstückes zu vererben.

RI: Wie wurde Ihre Familie bedroht?

BF: Als das Testament gelesen wurde, waren meine Onkel gegen meine Mutter. Aber mein Vater und seine Brüder haben das nicht akzeptiert, weil das war das Recht meiner Mutter.

RI wiederholt die Frage.

BF: Es gab einen Streit zwischen den Brüdern meines Vaters und den Brüdern meiner Mutter. Und der älteste Bruder meiner Mutter hat meinem Vater mit dem Messer ins Bein gestochen und mein Vater trug ein Jahr lang einen Gips.

Abgesehen davon, dass auffällt, dass der Beschwerdeführer bei vagen und oberflächlichen Angaben bleibt, zeigt sich hier ein erster Widerspruch zu seinen Aussagen vor der belangten Behörde am 05.09.2019, als er meinte: „Die Brüder meiner Mutter haben einen Unfall für meinen Vater geplant. Mein Vater war verletzt und hatte seinen Fuß ein Jahr im Gips.“. Während sein Vater nach den Angaben vor dem BFA aufgrund eines inszenierten Unfalls verletzt worden war, schreibt der Beschwerdeführer dies im Rahmen der Verhandlung einer Messerstecherei zu. Er konnte auch nicht schlüssig darlegen, warum sein Vater ein Jahr lang einen Gips trug, was aus Sicht der erkennenden Richterin eine ungewöhnlich lange Zeit wäre.

Der Beschwerdeführer gab an, dass es danach zu einem inszenierten Autounfall gekommen sei, bei dem seine Eltern und sein Onkel getötet worden seien. Diesbezüglich traten allerdings massive Widersprüche in seinen Aussagen hervor. Während der Beschwerdeführer in der Erstbefragung explizit erklärt hatte, dass seine Mutter am 19.11.2006 und sein Vater am 21.11.2006 gestorben seien (im weiteren Verlauf der Erstbefragung meinte er dann, dass seine Eltern 2007 ermordet worden seien, dies mag aber einem Missverständnis mit dem Dolmetscher geschuldet sein), sprach er in der Einvernahme durch die belangte Behörde davon, dass seine Mutter am Donnerstag (dem Tag des Unfalls) und sein Vater am Sonntag verstorben seien. Der 19.11.2016 war ein Samstag, der 21.11.2016 ein Montag – somit liegt hier ein Widerspruch zwischen Erstbefragung und Einvernahme vor. Dieser Widerspruch mag aber einer Erinnerungslücke geschuldet sein, kann doch nach Jahren nicht erwartet werden, dass man sich an Wochentage exakt erinnert. Dagegen kann aber erwartet werden, dass man sich an die Sterbedaten seiner Eltern erinnert: In der Beschwerde war nämlich im Gegensatz zur Erstbefragung die Rede davon, dass seine Mutter am Mittwoch, 16.11.2016, und sein Vater am Samstag, 19.11.2016, an den Folgen des Unfalls gestorben seien. Es war daher von ganz anderen Tage die Rede. In der mündlichen Verhandlung wiederum überraschte der Beschwerdeführer mit der Behauptung, dass seine Eltern beide am gleichen Tag, nämlich am 16.11.2006 verstorben seien. Damit konfrontiert, dass er bei der Erstbefragung von zwei verschiedenen Sterbedaten, nämlich vom 19.11.2006 und vom 21.11.2006 gesprochen habe, meinte er, dass er damals die in den Sterbeurkunden angegebene Daten genannt habe. Abgesehen davon, dass es keine Erklärung dafür gibt, warum in den Sterbeurkunden die falschen Daten stehen sollten, gab der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem BFA explizit an, dass sein Vater und sein Onkel zwei Tage nach seiner Mutter gestorben seien. Hier besteht ein unauflöslicher Widerspruch zu der Aussage in der Verhandlung, dass beide Elternteile am gleichen Tag verstorben wären. Auch die vorgelegten Sterbeurkunden konnten nichts zur Klärung beitragen: Mit der Beschwerde waren in Kopie die drei Sterbeurkunden von Mutter, Vater und Onkel vorgelegt worden. Der Beschwerdeführer gab in der Verhandlung an, diese per WhatsApp von seinem Schwager zugeschickt bekommen zu haben. Aufgrund der Aufforderung des Gerichts, die Originale vorzulegen, habe sein Schwager ihm die Originale geschickt, welche im Rahmen der mündlichen Verhandlung erörtert wurden. Hierbei stellte sich allerdings heraus, dass die angebliche Original-Sterbeurkunde des Vaters mit der mit der Beschwerde in Kopie vorgelegten Sterbeurkunde des Vaters nicht übereinstimmte (Abweichen der äußeren Form, aber auch des Sterbedatums). Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung des Vorverfahrens noch angegeben hatte, dass seine Eltern 1998 verstorben waren, dass er im gegenständlichen Verfahren keine übereinstimmenden Angaben zu den Sterbedaten seiner Eltern machte und dass Zweifel an der Echtheit der vorgelegten Sterbeurkunden angebracht erscheinen, kommt das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss, dass nicht festgestellt werden kann, ob bzw. wann seine Eltern verstorben sind und dass es jedenfalls nicht glaubwürdig ist, dass sie im November 2006 infolge eines inszenierten Autounfalls ums Leben kamen.

Zudem sprach der Beschwerdeführer im Verwaltungsverfahren nie davon, dass er selbst maßgebliche Verletzungen vom Autounfall davongetragen hätte, während er in der mündlichen Verhandlung erstmals davon sprach, dass er nach dem Unfall 21 Tage im Koma gelegen habe; allerdings war er nicht in der Lage den Grund hierfür zu nennen:

BF: Ich lag 21 Tage im Koma im Krankenhaus. Meine rechte Schulter war offen und ein Gelenk am Ellenbogen war gebrochen.

RI: Weshalb lagen Sie im Koma?

BF: Das war vom Unfall. Das Auto hat sich überschlagen.

RI: Welche Verletzung hat dazu geführt, dass Sie im Koma lagen?

BF: Ich weiß es nicht, aber ich wachte auf und befand mich im Krankenhaus. Ich hatte eine Verletzung im Oberarmbereich und dann am Gelenk einen Bruch und zwei Verletzungen am Kopf. Ich hatte eine Infusion.

Während er in der Verhandlung von einer Verletzung und einem Bruch im Armbereich und zwei Verletzungen am Kopf sprach, wird in einer von ihm mit der Beschwerde vorgelegten Kopie, die im Kopf des Schreibens auf ein Krankenhaus hinweist und das Datum 16.11.2006 trägt, auf den Bruch des linken Beins und des linken Arms verwiesen.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurde der Dolmetscher ersucht, neben diesem Schriftstück auch die zwei anderen (der Beschwerde in Kopie beigelegten) Schreiben in den wesentlichen Punkten zu übersetzen. Dabei handelte es sich einerseits um eine weitere Bestätigung des Krankenhauses vom selben Tag, wonach der Vater des Beschwerdeführers verstorben sei und um einen Polizeibericht, ebenfalls vom selben Tag, über einen Unfall auf der Schnellstraße. Von der erkennenden Richterin war im Vorfeld der Verhandlung eine Übersetzung beauftragt worden, doch war dies aufgrund der schlechten Qualität der Kopien nicht möglich. Der Beschwerdeführer erklärte, keinen Zugang zu den Originalen zu haben. Die Rechtsvertreterin verzichtete in der Verhandlung auf eine wörtliche Übersetzung der gesamten Doku

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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