Entscheidungsdatum
25.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W245 2177789-2/4E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Bernhard SCHILDBERGER, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Iran, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 13.05.2020, Zahl: XXXX , betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer XXXX (in der Folge auch „BF“), ein iranischer Staatsbürger, reiste illegal ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz.
I.2. Im Rahmen der erfolgten Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er den Iran verlassen deshalb verlassen habe, weil er seine Religion gewechselt habe, weshalb er von seiner Familie und den Behörden unmenschlich behandelt worden sei. Schließlich hätten sie (wohl gemeint: der BF, seine damalige Lebensgefährtin, die er in der Türkei kennen gelernt habe, und deren Kind) die Türkei verlassen, weil er nur in der Türkei gewesen sei, um nach Europa zu kommen.
I.3. Bei der Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge „belangte Behörde“, auch „bB“) am 12.09.2017 gab der BF an, dass sein Leben im Iran in Gefahr gewesen sei. Wenn er festgenommen worden wäre, würde er für eine lange Zeit verhaftet werden. Da er im Iran zum Christentum konvertiert sei, habe er Probleme im Iran. Dies sei sein Fluchtgrund.
Erst auf Nachfrage durch den Leiter der Einvernahme machte der BF weitere Angaben, etwa wie er im Iran christliche Gruppen gefunden habe, seit wann er Angst habe, verhaftet zu werden, und zu seiner behaupteten Bedrohung durch staatliche Behörden. Nach seiner Ausreise aus dem Iran habe er in der Türkei eine Kirche besucht. Nach seiner Ankunft in Österreich habe er sich nach dem Besuch verschiedener christlicher Gemeinden schließlich der XXXX angeschlossen.
I.4. Mit dem Bescheid vom 25.10.2017 wies die bB den Antrag auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I und II). Sie erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung, sprach die Zulässigkeit der Abschiebung in den Iran aus (Spruchpunkt III) und setzte für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt IV).
Die Behörde erachtete das Vorbringen des BF zu seinen Fluchtgründen für nicht glaubhaft. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der BF zum Christentum konvertiert sei.
I.5. Dagegen erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch „BVwG“), in der er die Einvernahme einer namentlich genannten XXXX sowie des Pastors von „ XXXX “ beantragte.
I.6. Mit Schreiben vom 09.09.2019 ersuchte das BVwG den BF unter Einräumung einer dreiwöchigen Frist konkret um näher bezeichnete Mitwirkung im Verfahren: Der BF sollte insbesondere schriftlich seine Glaubensaktivitäten seit der Einreise in Österreich vollständig darlegen, dem BVwG alle bislang nicht vorgebrachten bzw. neuen Tatsachen (insbesondere betreffend seine Glaubensaktivitäten und Lebenssituation in Österreich) sowie allfällige sonstige wesentliche Änderungen oder Ergänzungen zum bisherigen Vorbringen bekannt geben und alle Beweismittel vorlegen. Überdies sollte der BF dem BVwG aktuelle Bescheinigungen, Beschreibungen und Beurteilungen seiner Glaubensaktivitäten durch offizielle Repräsentanten seiner Glaubensgemeinschaft unter Angabe ladungsfähiger Adressen übermitteln. Ferner ersuchte das BVwG den BF, darzulegen, ob die in der Beschwerde gestellten Anträge auf zeugenschaftliche Einvernahmen noch aufrecht seien.
I.7. Der BF erstattete daraufhin eine kurze Stellungnahme, in der er u. a. erklärte, die Beziehung zu seiner früheren Lebensgefährtin sei nicht mehr aufrecht, er habe seit einem Monat eine neue Beziehung mit einer namentlich genannten Frau. Den Antrag auf Einvernahme der XXXX hielt der BF ausdrücklich aufrecht, den Antrag auf Einvernahme des Pastors von „ XXXX “ hingegen nicht. Der BF legte das Zeugnis zur Integrationsprüfung A1 und eine Teilnahmebestätigung zu einem Deutschkurs A2 vor. Er kündigte ferner an, ein aktuelles Schreiben der XXXX nachzureichen. Ein entsprechendes Schreiben legte der BF erst in der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 22.11.2019 vor.
I.8. In dieser Verhandlung vernahm das BVwG neben dem BF, der mit einem Vertreter der bevollmächtigten Rechtsberatungsorganisation erschein, die vom BF beantragte XXXX (als Zeugin) ein. Die belangte Behörde hatte schon im Vorfeld erklärt, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Teilnahme daran zu verzichten. In der Ladung zur Verhandlung hatte das BVwG den BF abermals konkret um Mitwirkung im Verfahren ersucht; der BF erstattete keine weitere Eingabe. In der mündlichen Verhandlung legte er weitere Bescheinigungsmittel vor.
I.9. Im Anschluss an die Verhandlung wies das BVwG die Beschwerde mit mündlich verkündetem Erkenntnis vom 22.11.2019 zur Gänze als unbegründet ab. Der BF beantragte mit Eingabe vom 27.11.2019 die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses.
I.10. Am 20.01.2020 wurde dem BF die schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses zugestellt. Dagegen wurde kein Rechtsmittel erhoben, sohin erwuchs das Erkenntnis in Rechtskraft.
I.11. Am 05.02.2020 stellte der BF den gegenständlichen Folgeantrag. Im Rahmen der am selben Tag erfolgten Befragung (Erstbefragung nach AsylG - Folgeantrag Asyl) durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der BF an, dass er dieselben Fluchtgründe wie bei seiner ersten Befragung habe. Wenn er in den Iran zurückkehren müsse, werde er aufgehängt oder getötet. Bei einer Rückkehr habe er Angst um sein Leben.
I.12. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 15b AsylG 2005 iVm § 7 Abs. 1 VwGVG vom 05.02.2020 wurde dem BF mitgeteilt, dass er sich bis zur Entscheidung über seinen Asylantrag in XXXX aufzuhalten habe.
I.13. Mit Verfahrensanordnung gemäß § 29 Abs. 3 und § 15a AsylG 2005 vom 11.02.2020 wurde dem BF mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen sowie den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufzuheben. Zudem wurde dem BF mit einer weiteren Verfahrensanordnung vom 11.02.2020 erklärt, dass er bis zum 27.02.2020 verpflichtet sei, ein Rückkehrberatungsgespräch in Anspruch zu nehmen.
I.14. Bei der Einvernahme durch die bB am 27.02.2020 gab der BF an, dass er bereits im Vorverfahren (siehe dazu oben Punkt 0 bis 0) alle Fluchtgründe gesagt habe und diese noch aufrecht seien. Nach Vorhalt, dass sein am XXXX gestellter Asylantrag abgewiesen worden sei, gab der BF an, dass sein Leben in Gefahr sei und er nicht zurückkehren könne. Seine Fluchtgründe hätten sich nicht geändert. Er habe nach wie vor dieselben Fluchtgründe wie im Erstverfahren; bei einer Rückkehr werde er getötet. Er sei evangelischer Christ.
Auf konkrete Nachfrage führte der BF aus, dass sich hinsichtlich seiner Konversion seit dem Vorverfahren nichts geändert habe.
Ferner erklärte der BF bei seiner Einvernahme bei der bB, dass er in den Iran zurückgekehrt wäre, wenn er dort keine Probleme gehabt hätte. Er habe noch immer Narben von den Schlägen, welche er im Iran erhalten habe.
Zur Lage im Iran gab der BF an, dass dort eine Diktatur herrsche. Es gebe dort keine Religionsfreiheit. Bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat würde er die Demokratie, welche er in Österreich habe, verlieren.
Erst am Ende der Befragung wies der BF darauf hin, dass er neue Fluchtgründe habe. Dazu gab der BF an, dass er vor 10 oder 11 Jahren gegen die jetzige Regierung bzw. die Machthaber demonstriert habe. Er sei auch geschlagen worden. Man sehe die Verletzungen noch heute. Er sei sechs Monate und 10 Tage im Gefängnis gewesen. Er hätte 13 Millionen Tuman Strafe bezahlen müssen. Er sei auf Bewährung freigelassen worden. Er sei ständig verfolgt und beobachtet worden. Er habe keine offizielle oder amtliche Tätigkeit ausüben dürfen. Dann habe er seinen Glauben gewechselt und sei auch deshalb bedroht und verfolgt worden und er habe deswegen den Iran verlassen müssen. Wenn er zurückkehren müsse, werde er eingesperrt und getötet, weil er als Kämpfer gegen die (jetzige) Regierung eingestuft werde.
Auf mehrfache Nachfrage ergänzte der BF, dass er im Jahr 2009 in Teheran, am Revolutionsplatz demonstriert habe. Es hätten vier- bis fünftausend Personen an der Demonstration teilgenommen. Er sei zwei, drei Mal auf der Straße gewesen. Dazu gebe es auch Videos auf XXXX . Der BF sei auf den Videos nicht sichtbar. Er sei im Sommer 2009 festgenommen worden. An das genaue Datum könne er sich nicht mehr erinnern. Er sei deshalb festgenommen worden, weil er an der Demonstration teilgenommen habe; er habe nicht randaliert. Die Polizei habe ihn einfach geschlagen, festgenommen und für die erste Woche in einem Kleiderschrank eingesperrt. Er habe eine Narbe am Kopf. Ansonsten habe er nichts. Es seien viele festgenommen und getötet worden. Die staatlichen Beamten seien in Zivil bekleidet gewesen. Die zivilen Beamten würde man aufgrund ihrer Bärte und Hemden erkennen. Nähere Angaben könne er nicht machen. Nach der Festnahme sei er auf eine Polizeistation gebracht worden. Der Beamte, welcher den BF auf der Polizeistation befragt habe, habe XXXX geheißen. In welcher Polizeistation dies gewesen sei, könne er nicht angeben, weil er geschlagen worden sei und bewusstlos gewesen sei. Er habe nicht gewusst, wo er gewesen sei. Er habe gedacht, dass er in einem Spittal sei. Er habe erst nach einer Woche gemerkt, dass er in einem Keller sei. Von der Polizeistation sei er anschließend in ein Gefängnis namens XXXX verlegt worden. In der Polizeistation sei er eine Woche eingesperrt gewesen. Danach habe er sechs Monate und 10 Tage im Gefängnis XXXX verbracht. Es sei ein geheimes Gefängnis gewesen. Wann er wieder freigelassen worden sei, wisse er nicht, da es schon sehr lange her sei. Er habe nicht versucht, rechtliche Schritte gegen die Polizei zu unternehmen, da dies nicht möglich sei. Der BF sei kein Mitglied einer politischen Partei gewesen. Es gebe auch keine Mitgliedskarte. Er sei kein aktives Mitglied gewesen; er habe bei Demonstrationen gegen die jetzige Regierung teilgenommen.
Zur Narbe am Kopf wurde bei der Einvernahme durch die bB festgestellt, dass der BF am Hinterkopf eine schön verheilte Narbe habe. Dazu ergänzte der BF, dass ihm eine medizinische Behandlung nicht erlaubt gewesen sei. Er habe eine Woche einen Verband bekommen. Anschließend sei er ins Gefängnis geschickt worden.
I.15. Mit Bescheid vom 13.05.2020 wies das BFA den Folgeantrag des BF auf internationalen Schutz vom 05.02.2020 hinsichtlich des Status eines Asylberechtigten sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (in der Folge "AVG") wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkt I. und II.). Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (in der Folge "FPG") idgF, erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Absatz 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Iran zulässig sei (Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.). Ferner wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.). Schließlich wurde dem BF gemäß § 15b Abs. 1 AsylG 2005 aufgetragen, ab 05.02.2020 im Quartier XXXX Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).
Zu den Fluchtgründen führte die bB aus, dass der BF im gegenständlichen Verfahren keinen Sachverhalt vorgebracht habe, welcher nach dem Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei. Das Vorbringen im gegenständlichen Verfahren, wonach der BF bei einer Rückkehr in den Iran eingesperrt oder getötet werde, weil er ein paar Mal bei einer politischen Demonstration teilgenommen habe, weise keinen glaubhaften Kern auf.
I.16. Mit Verfahrensanordnung vom 15.05.2020 wurde dem BF gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG XXXX , als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren zur Seite gestellt. Ebenso wurde dem BF am 15.05.2020 eine schriftliche Information über die Verpflichtung zur Ausreise ausgefolgt.
I.17. Gegen diesen Bescheid der bB richtete sich die am 28.05.2020 fristgerecht erhobene Beschwerde.
I.18. Die gegenständliche Beschwerde und der bezugshabende Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge auch „BVwG“) am 03.06.2020 von der bB vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
II.1.1. Zum sozialen Hintergrund des BF:
Der BF führt den Namen XXXX , geboren am XXXX , ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Iran und Angehöriger der Volksgruppe der Türken bzw. der Volksgruppe der Türken und der Perser. Er wurde als Moslem (Schiit) geboren; mittlerweile bezeichnet sich der BF als Christ, evangelisch A.B.
Die Muttersprache des BF ist Farsi. Zudem spricht er Türkisch (mittelmäßig). Ferner hat er geringe Englisch- und Deutschkenntnisse.
Der BF wurde in Teheran, im Iran geboren, wo er auch bis zu seiner Ausreise lebte.
Der BF reiste im Herbst 2014, ca. im November, illegal vom Iran in die Türkei, wo er sich bis Oktober 2015 aufhielt. Im Oktober 2015 verließ er die Türkei und reiste illegal in Österreich ein, wo er am XXXX einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, der mit Erkenntnis des BVwG vom 22.11.2019 abgewiesen wurde.
Der BF ist gesund.
Der BF besuchte in seinem Herkunftsstaat acht oder neun Jahr die Schule und übte anschließend bis zu seiner Ausreise den Beruf des Schneiders aus. Er arbeitete zeitweise gemeinsam mit einem seiner Brüder, mit dem er ein Design-Unternehmen führte. In den letzten Jahren vor seiner Ausreise war er unselbstständig erwerbstätig. Der BF lebte vor seiner Ausreise allein in Teheran. Der Lebensstandard des BF und seiner Familie war mittel.
Der BF hat in seinem Herkunftsstaat Familie/Verwandte, namentlich seine neun Geschwister, die in Teheran oder in der Nähe der Stadt leben, weiters zahlreiche Neffen und Nichten sowie mehrere Tanten. Der Vater des BF verstarb 2002, die Mutter 2008. Der BF hat mit seinen Geschwistern, vor allem mit einem Bruder, sowie seinen Neffen und Nichten regelmäßig Kontakt.
Im Strafregister der Republik Österreich scheint in Bezug auf den BF keine Verurteilung auf.
II.1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:
II.1.2.1. Zu den Feststellungen im Erkenntnis vom BVwG vom 22.11.2019, L527 2177789-1/16E:
Der Beschwerdeführer ist aus seinem Herkunftsstaat nicht geflohen, er wurde dort nicht verfolgt und nicht bedroht. Namentlich wurde er nie von Behörden in seinem Herkunftsstaat verfolgt; es gab keine Übergriffe oder Misshandlungen durch Vertreter von Behörden. Der Beschwerdeführer war im Iran nie in Haft, wurde nie strafrechtlich verurteilt und es besteht auch kein Haftbefehl gegen ihn. Die iranischen Behörden such(t)en nicht bzw. der iranische Staat sucht(e) nicht nach dem Beschwerdeführer.
Der Beschwerdeführer war in seinem Herkunftsstaat weder aus Gründen der Religion noch aus anderen Gründen (einer aktuellen, unmittelbaren persönlichen und konkreten Gefahr von) intensiven staatlichen Übergriffen oder intensiven Übergriffen von Privatpersonen ausgesetzt. Er hatte weder wegen seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch wegen seiner politischen Gesinnung und auch nicht wegen seiner sozialen Stellung oder Religion Probleme.
Abgesehen von oberflächlichen Informationen hatte der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise aus seinem Herkunftsstaat keine Kenntnisse über das Christentum. Der Beschwerdeführer hatte sich vor seiner Ausreise aus dem Iran nicht mit dem christlichen Glauben auseinandergesetzt, ihn nicht praktiziert und auch nicht beschlossen, Christ zu werden. Der Beschwerdeführer hat auch nicht versucht, den christlichen Glauben im Iran jemandem näherzubringen. Im Iran hat er keine Hauskirche oder anderweitige christliche Treffen besucht und auch nicht über das Internet an christlichen Sitzungen oder an Bibelunterricht oder Ähnlichem teilgenommen. Dergleichen und ein Abfall vom Islam wurden und werden dem Beschwerdeführer auch nicht unterstellt.
Nach seiner Einreise in Österreich hat der Beschwerdeführer zunächst zeitweise verschiedene christliche Gemeinden besucht. Anschließend nahm er ca. ein Jahr lang am Leben von XXXX teil, wo er sich nach ca. vier Monaten Unterricht am 19.11.2016 taufen ließ. Im Frühjahr/Sommer 2017 fand der Beschwerdeführer Zugang zur XXXX . Seither nimmt der Beschwerdeführer nahezu jede Woche am deutschsprachigen Sonntagsgottesdient teil. In dieser evangelischen Pfarrgemeinde hat er auch an einer Bibelrunde und an einem Taufkurs teilgenommen; er ließ sich aber nicht nach dem Ritus der XXXX taufen. Ob die in der Gemeinde XXXX durchgeführte Taufe von der XXXX anerkannt wird, ist nicht abschließend geklärt. Der BF hat in der Pfarrgemeinde beim „Nachkirchenkaffee“ geholfen; in Zukunft möchte er als Yogatrainer für interessierte Kirchenmitglieder tätig werden. Im Übrigen engagiert(e) sich der Beschwerdeführer nicht in der Pfarrgemeinde.
Der Beschwerdeführer meldete am 19.04.2017 bei einer österreichischen Verwaltungsbehörde den Austritt aus der islamischen Kirche/Religionsgemeinde.
Der Beschwerdeführer hat oberflächliche Kenntnisse vom Christentum und von den Grundlagen des evangelischen/protestantischen Glaubens.
Der Beschwerdeführer hat sich nicht tatsächlich, und schon gar nicht aus Überzeugung, vom islamischen Glauben abgewandt. Die Austrittserklärung aus der islamischen Kirche/Religionsgemeinde ist allein asyltaktisch motiviert. In den vergangenen Jahren hat er zwar ein gewisses Interesse am Christentum entwickelt und sich damit befasst, er ist aber nicht aus innerer Überzeugung zum Christentum konvertiert und der christliche Glaube ist nicht wesentlicher Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers. Seine Hinwendung zum Christentum erweist sich als eine Scheinkonversion, die der Erlangung des Status des Asylberechtigten dienen soll. Es ist daher auch nicht davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat weiterhin mit dem christlichen Glauben befassen oder nach dem christlichen Glauben leben oder sich privat oder öffentlich zum christlichen Glauben bekennen würde. Der Beschwerdeführer missioniert nicht und würde in seinem Herkunftsstaat auch nicht christlich missionieren.
Jene Personen im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, die von seiner Hinwendung zum Christentum wissen, namentlich seine Familienangehörigen, haben damit kein Problem.
Die Behörden im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers haben von der – nicht aus innerer Überzeugung geschehenen – Konversion keine Kenntnis und es ist auch nicht davon auszugehen, dass sie vom christlichen Engagement und der Taufe des Beschwerdeführers im Falle der Rückkehr in den Iran Kenntnis erlangen würden. Dasselbe gilt im Hinblick auf den - ebenso wenig aus Überzeugung - erklärten Austritt aus der islamischen Kirche/Religionsgemeinde.
Selbst für den Fall, dass weitere Angehörige, das übrige soziale Umfeld, sonstige Privatpersonen oder die Behörden im Herkunftsstaat von der Austrittserklärung, den religiösen Aktivitäten des Beschwerdeführers in Österreich Kenntnis haben oder erlangen sollten, liefe der Beschwerdeführer nicht ernstlich Gefahr, im Zusammenhang damit, im Zusammenhang mit der behaupteten Konversion zum Christentum oder wegen eines allenfalls unterstellten Glaubensabfalls bei einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat intensiven Übergriffen durch den Staat, andere Bevölkerungsteile oder sonstige Privatpersonen ausgesetzt zu sein. Dem Beschwerdeführer würde nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit physische oder psychische Gewalt oder Strafverfolgung oder eine andere aktuelle sowie unmittelbare persönliche und konkrete Verfolgung, Bedrohung oder sonstige Gefährdung drohen.
II.1.2.2. Zum Folgeantrag des BF:
Im Folgeantrag, brachte der BF neuerlich eine Verfolgung wegen seiner Konversion zum Christentum vor. Dieses Vorbringen ist ident mit seinem dahingehenden bisherigen Vorbringen.
Das zusätzliche Vorbringen, wonach der BF bei einer Rückkehr in den Iran eingesperrt und getötet wird, weil er ein paar Mal bei einer politischen Demonstration teilgenommen hat, weist keinen glaubhaften Kern auf.
II.1.3. Zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF:
Im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers bestehen zwar latente Spannungen und es kommt verschiedentlich zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften und Demonstranten sowie (vor allem in Minderheitenregionen) zu terroristischen Zwischenfällen, im gesamten Iran herrscht aber nicht ein derart hohes Niveau an willkürlicher Gewalt, dass der Beschwerdeführer allein durch seine Anwesenheit einem realen Risiko für seine körperliche Unversehrtheit oder sein Leben ausgesetzt wäre. Der Beschwerdeführer stammt außerdem nicht aus einer Minderheitenregion, wie dem Nordwesten des Iran oder der Region um den Persischen Golf, sondern, wie bereits festgestellt, aus Teheran, wo Geschwister und weitere Verwandte nach wie vor ohne Probleme leben.
Allein der Umstand, dass eine Person (im Ausland) einen Asylantrag gestellt hat, löst bei der Rückkehr in den Iran keine staatlichen Repressionen aus. In der Regel dürften die Umstände der Wiedereinreise den iranischen Behörden gar nicht bekannt werden. Im gegebenen Fall ist den iranischen Behörden nicht bekannt, dass und mit welcher Begründung der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Wenn Rückkehrer in einzelnen Fällen zu ihrem Auslandsaufenthalt befragt werden, geht damit keine psychische und auch keine physische Folter einher. Selbst Personen, die das Land illegal verlassen haben, können von den iranischen Auslandsvertretungen ein Passersatzpapier bekommen und in den Iran zurückkehren, jedenfalls wenn sie sonst keine weiteren Straftaten begangen haben.
Ungeachtet der angespannten Wirtschaftslage und der ebenso angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt ist die Grundversorgung jedenfalls durch staatliche Hilfe und das islamische Spendensystem gesichert. Im Iran besteht ein differenziertes Sozialversicherungssystem; kostenfreie Bildung und Gesundheitsversorgung sind als Teil des Sozialwesens für alle iranischen Bürger gewährleistet. Das Gesundheitssystem ist fast flächendeckend, in Städten haben 100 % der Bevölkerung Zugang zu ärztlicher Versorgung. Seit der islamischen Revolution hat sich das Gesundheitssystem konstant stark verbessert. Die medizinische Versorgung ist in Teheran und anderen großen Städten ausreichend bis gut. Freilich ist die spezialisierte, medizinische Versorgung in weiten Landesteilen medizinisch, hygienisch, technisch und organisatorisch nicht auf der Höhe der Hauptstadt und nicht vergleichbar mit europäischem Standard.
Unter Bedachtnahme auf die festgestellte Lage im Herkunftsstaat und auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers (insbesondere Schulbildung, Arbeitsfähigkeit, Berufserfahrung, Gesundheitszustand, Sozialisation im Herkunftsstaat, familiäre Anknüpfungspunkte) ist festzustellen, dass dem Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr die wirtschaftliche Wiedereingliederung möglich sein wird. Er wird in der Lage sein, jedenfalls die notdürftigsten Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz, auch in medizinischer Hinsicht, zu decken. Außergewöhnliche Umstände, die dem entgegenstünden, sind weder in Bezug auf die allgemeine Lage im Iran noch auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers feststellbar.
Im Hinblick auf sein Vorleben im Iran und in Österreich besteht keine reale Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat der Todesstrafe unterworfen, inhaftiert oder sonst einer dem Art 2 oder 3 EMRK widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein könnte.
II.1.4. Zum Leben des BF in Österreich:
Der BF hält sich seit Oktober 2015 in Österreich auf.
Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten in Österreich. Er verfügt hier über einen Freundes- und Bekanntenkreis, dem wenige österreichische Staatsangehörige beziehungsweise in Österreich dauerhaft aufenthaltsberechtigte Personen angehören. Konkret hat der Beschwerdeführer einen einzigen österreichischen Freund, mit diesem trainiert er gemeinsam. Wenn der Beschwerdeführer in einem Park Yoga-Übungen macht, kommt er gelegentlich mit österreichischen Staatsangehörigen ins Gespräch. Er hat auch ein Zeitungsinterview zum Thema „Yoga“ gegeben; überhaupt beschäftigt sich der Beschwerdeführer viel und gerne mit Yoga. Zwischen dem Beschwerdeführer und seinen Bekannten/Freunden besteht kein ein- oder wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis und auch keine über ein herkömmliches Freundschaftsverhältnis hinausgehende Bindung.
Der Beschwerdeführer lernte in der Türkei eine iranische Staatsangehörige, die zu diesem Zeitpunkt bereits eine Tochter hatte, kennen, mit der er gemeinsam nach Österreich reiste und mit der er hier eine Zeit lang eine Lebensgemeinschaft führte; sie alle stellten in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Diese Lebensgemeinschaft besteht nicht mehr. Seit ca. September 2019 führt der Beschwerdeführer eine intime Beziehung zu einer polnischen Staatsangehörigen. Zwischen ihr und dem Beschwerdeführer besteht kein (wechselseitiges) Abhängigkeitsverhältnis, die beiden haben keine Kinder und leben nicht in einem gemeinsamen Haushalt; die Freundin des Beschwerdeführers ist auch nicht schwanger.
Der Beschwerdeführer bezieht seit Anfang November 2015 laufend Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung für Asylwerber; er wohnt in einer organisierten Unterkunft der XXXX . Im Sozialbericht des Caritas Teams wird der Beschwerdeführer als zuverlässig, verantwortungsvoll, hilfsbereit, engagiert und pflichtbewusst charakterisiert. Er sei stets bemüht, Freunde mit vielfältigen Kulturen zu gewinnen und pflege mit dem Betreuer-Team stets eine konstruktive und lösungsorientierte Kommunikationsbasis. Amtswege oder sonstige Termine erledige er stets selbstständig.
Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, die es ihm erlaubten, die in der Verhandlung am 22.11.2019 in deutscher Sprache gestellten (einfachen) Fragen halbwegs flüssig zu beantworten. Er hat in Österreich mehrere Deutschkurse besucht: Deutsch A2, Integration ab Tag 1, VHS Ottakring VHS.3.16.14, seit 04.11.2019; Deutsch A2, Integration ab Tag 1, VHS Ottakring VHS.3.16.13, von 05.08.2019 bis 28.10.2019; Deutsch A1, Integration ab Tag 1, von 26.03.2019 bis 21.06.2019; „Alpha-Kurs“ im Rahmen des Projekts „Deutsch für Alle“, von Juni 2016 bis Dezember 2016. Er hat ferner die Integrationsprüfung A1, bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf Niveau A1 und zu Werte- und Orientierungswissen, bestanden (Prüfungsdatum: 26.06.2019). Der Beschwerdeführer hat zudem im Jahr 2016 an mehreren jeweils eintägigen Info-Modulen (Bildung, Zusammenleben, Gesundheit, Wohnen) des Magistrats der Stadt Wien sowie am 10.05.2018 am Werte- und Orientierungskurs des Österreichischen Integrationsfonds teilgenommen.
Der Beschwerdeführer ist für ehrenamtliche Tätigkeiten angemeldet und hat vor ca. zwei Jahren zuletzt gemeinnützig für „wieder wohnen“ – Betreute Unterkünfte für wohnungslose Menschen XXXX gearbeitet. In der evangelischen Pfarrgemeinde XXXX hat der Beschwerdeführer beim „Nachkirchenkaffee“ geholfen; in Zukunft möchte er als Yogatrainer für interessierte Kirchenmitglieder tätig werden. Im Übrigen war und ist der Beschwerdeführer weder ehrenamtlich/gemeinnützig tätig noch erwerbstätig. Abgesehen von der Teilnahme am Gemeinschaftsleben der besagten Pfarrgemeinde/Kirche ist der Beschwerdeführer nicht in Vereinen oder Organisationen aktiv; er ist ansonsten auch nicht Mitglied von Vereinen oder Organisationen in Österreich.
II.1.5. Zur maßgeblichen Situation im Iran:
Die Länderfeststellungen zur Lage im Iran basieren auf nachstehenden Quellen:
? Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Iran in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 14.06.2019 (in der Folge auch „LIB“).
II.1.5.1. Politische Lage (LIB, Kapitel 2):
Die komplexen Strukturen politischer Macht in der Islamischen Republik Iran sind sowohl von republikanischen als auch autoritären Elementen gekennzeichnet. Höchste politische Instanz ist der "Oberste Führer der Islamischen Revolution" [auch Oberster Rechtsgelehrter, Oberster Führer oder Revolutionsführer], Ayatollah Seyed Ali Hosseini Khamenei, der als Ausdruck des Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" (Vormundschaft des Islamischen Rechtsgelehrten) über eine verfassungsmäßig verankerte Richtlinienkompetenz verfügt, Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und das letzte Wort in politischen Grundsatz- und ggf. auch Detailfragen hat. Er wird von einer vom Volk auf acht Jahre gewählten Klerikerversammlung (Expertenrat) auf unbefristete Zeit bestimmt und kann diesen theoretisch auch absetzen. Das Herrschaftsprinzips des "velayat-e faqih" besagt, dass nur ein herausragender Religionsgelehrter in der Lage sei, eine legitime Regierung zu führen bis der 12. Imam, die eschatologische Heilsfigur des schiitischen Islam, am Ende der Zeit zurückkehren und ein Zeitalter des Friedens und der Gerechtigkeit einleiten werde. Dieser Rechtsgelehrte ist das Staatsoberhaupt Irans mit dem Titel „Revolutionsführer“.
Das iranische Regierungssystem ist ein semipräsidentielles, d.h. an der Spitze der Regierung steht der vom Volk für vier Jahre direkt gewählte Präsident (Amtsinhaber seit 2013 Hassan Rohani, wiedergewählt: Mai 2017). Er steht der Regierung vor, deren Kabinett er ernennt. Die Kabinettsmitglieder müssen allerdings vom Parlament bestätigt werden. Der Präsident ist der Leiter der Exekutive. Zudem repräsentiert er den Staat nach außen und unterzeichnet internationale Verträge. Dennoch ist seine faktische Macht beschränkt, da der Revolutionsführer in allen Fragen das letzte Wort hat bzw. haben kann.
Der Revolutionsführer ist wesentlich mächtiger als der Präsident, ihm unterstehen u.a. die Revolutionsgarden (Pasdaran oder IRGC) inklusive der mehrere Millionen Mitglieder umfassenden, paramilitärischen Basij-Milizen und die gesamte Judikative. Für die entscheidenden Fragen ist letztlich der Oberste Führer verantwortlich. Obwohl der Revolutionsführer oberste Entscheidungsinstanz und Schiedsrichter ist, kann er zentrale Entscheidungen nicht gegen wichtige Machtzentren treffen. Politische Gruppierungen bilden sich um Personen oder Verwandtschaftsbeziehungen oder die Zugehörigkeit zu bestimmten Gruppen (z.B. Klerus). Diese Zugehörigkeiten und Allianzen unterliegen dabei einem ständigen Wandel.
Ebenfalls alle vier Jahre gewählt wird die Islamische Beratende Versammlung oder Majles, ein Einkammerparlament mit 290 Abgeordneten, das gewisse legislative Kompetenzen hat und Ministern das Vertrauen entziehen kann.
Der Wächterrat (12 Mitglieder, sechs davon vom Obersten Führer ernannte Geistliche, sechs von der Judikative bestimmte Juristen) hat mit einem Verfassungsgerichtshof vergleichbare Kompetenzen (Gesetzeskontrolle), ist jedoch insgesamt wesentlich mächtiger als ein westliches Verfassungsgericht. Ihm obliegt u.a. auch die Genehmigung von Kandidaten bei Wahlen. Der Wächterrat ist somit das zentrale Mittel zur Machtausübung des Revolutionsführers.
Der Expertenrat wählt und überwacht den Revolutionsführer auf Basis der Verfassung. Die 86 Mitglieder des Expertenrats werden alle acht Jahre vom Volk direkt gewählt. Für die Zulassung der Kandidaten ist der Wächterrat zuständig.
Der Schlichtungsrat besteht aus 35 Mitgliedern, die vom Revolutionsführer unter Mitgliedern der Regierung, des Wächterrats, des Militärs und seinen persönlichen Vertrauten ernannt werden. Er hat zum einen die Aufgabe, im Streitfall zwischen verschiedenen Institutionen der Regierung zu vermitteln, zum anderen hat er festzustellen, was die langfristigen "Interessen des Systems“ sind. Diese sind unter allen Umständen zu wahren. Der Systemstabilität wird in der Islamischen Republik alles untergeordnet. Falls nötig, können so in der Islamischen Republik etwa auch Gesetze verabschiedet werden, die der Scharia widersprechen, solange sie den Interessen des Systems dienen.
Die Basis des Wahlsystems der Islamischen Republik sind die Wahlberechtigten, also jeder iranische Bürger ab 16 Jahren. Das Volk wählt das Parlament, den Präsidenten sowie den Expertenrat in geheimen und direkten Wahlen. Das System der Islamischen Republik kennt keine politischen Parteien. Theoretisch tritt jeder Kandidat für sich alleine an. In der Praxis gibt es jedoch Zusammenschlüsse von Abgeordneten, die westlichen Vorstellungen von Parteien recht nahekommen. Am 26. Februar 2016 fanden die letzten Wahlen zum Expertenrat und die erste Runde der Parlamentswahlen statt. In den Stichwahlen vom 29. April 2016 wurde über 68 verbliebene Mandate der 290 Sitze des Parlaments abgestimmt. Aus den Wahlen gingen jene Kandidaten gestärkt hervor, die das Wiener Atomabkommen und die Lockerung der Wirtschaftssanktionen nach dem “Implementation Day” am 16. Januar 2016 unterstützen. Zahlreiche Kandidaten waren im Vorfeld durch den Wächterrat von einer Teilnahme an der Wahl ausgeschlossen worden. Nur 73 Kandidaten schafften die Wiederwahl. Im neuen Parlament sind 17 weibliche Abgeordnete vertreten.
Das iranische Wahlsystem entspricht nicht internationalen demokratischen Standards. Der Wächterrat, der von konservativen Hardlinern und schlussendlich auch vom Obersten Rechtsgelehrten Khamenei kontrolliert wird, durchleuchtet alle Kandidaten für das Parlament, die Präsidentschaft und den Expertenrat. Üblicherweise werden Kandidaten, die nicht als Insider oder nicht vollkommen loyal zum religiösen System gelten, nicht zu Wahlen zugelassen. Bei Präsidentschaftswahlen werden auch Frauen aussortiert. Das Resultat ist, dass die iranischen Wähler nur aus einem begrenzten und aussortierten Pool an Kandidaten wählen können. Von den 1.499 Männern und 137 Frauen, die sich im Rahmen der Präsidentschaftswahl 2017 für die Kandidatur zum Präsidentenamt registrierten, wurden sechs männliche Kandidaten vom Wächterrat zugelassen. Die Wahlen an sich liefen im Prinzip frei und fair ab, unabhängige Wahlbeobachter waren aber nicht zugelassen. Ablauf, Durchführung sowie Kontroll- und Überprüfungsmechanismen der Wahlen sind in technischer Hinsicht grundsätzlich gut konzipiert.
Die Erwartung, dass durch den 2015 erfolgten Abschluss des Atomabkommens (JCPOA) Reformkräfte im Iran gestärkt würden, hat sich in den Parlamentswahlen im Februar bzw. April (Stichwahl) 2016 erfüllt. Die Reformer und Moderaten konnten starke Zugewinne erreichen, so gingen erstmals alle Parlamentssitze für die Provinz Teheran an das Lager der Reformer. Auf Reformbestrebungen bzw. die wirtschaftliche Öffnung des Landes durch die Regierung Rohanis wird von Hardlinern in Justiz und politischen Institutionen mit verstärktem Vorgehen gegen „unislamisches“ oder konterrevolutionäres Verhalten reagiert. Es kann daher auch nicht von einer wirklichen Verbesserung der Menschenrechtslage gesprochen werden. Ein positiver Schritt Ende 2017 war die Aufhebung der Todesstrafe für die meisten Drogendelikte, was im ersten Halbjahr 2018 zu einer signifikanten Reduktion der vollstreckten Todesurteile (-60%) führte. Jedoch gab es 2018 mit der Einschränkung des Zugangs zu unabhängigen Anwälten in „politischen“ Fällen und der zunehmenden Verfolgung von Umweltaktivisten auch zwei eindeutig negative Entwicklungen.
Reformorientierte Regimekritiker sind weiterhin starken Repressionen ausgesetzt und unterstützen im Wesentlichen den im politischen Zentrum des Systems angesiedelten Präsidenten Rohani.
II.1.5.2. Sicherheitslage (LIB, Kapitel 3):
Den komplexen Verhältnissen in der Region muss stets Rechnung getragen werden. Bestimmte Ereignisse und Konflikte in Nachbarländern können sich auf die Sicherheitslage im Iran auswirken.
Latente Spannungen im Land haben wiederholt zu Kundgebungen geführt, besonders im Zusammenhang mit (religiösen) Lokalfeiertagen und Gedenktagen. Dabei ist es in verschiedenen iranischen Städten bisweilen zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen den Sicherheitskräften und Demonstranten gekommen, die Todesopfer und Verletzte gefordert haben, wie beispielsweise Ende Dezember 2017 und im Januar 2018.
Das Risiko von Anschlägen besteht im ganzen Land. Am 22. September 2018 forderte ein Attentat auf eine Militärparade in Ahvaz (Provinz Khuzestan) zahlreiche Todesopfer und Verletzte. Am 7. Juni 2017 wurden in Teheran Attentate auf das Parlament und auf das Mausoleum von Ayatollah Khomeini verübt. Sie haben über zehn Todesopfer und zahlreiche Verletzte gefordert. In den Grenzprovinzen im Osten und Westen werden die Sicherheitskräfte immer wieder Ziel von bewaffneten Überfällen und Anschlägen. In Iran kommt es, meistens in Minderheitenregionen, unregelmäßig zu Zwischenfällen mit terroristischem Hintergrund. Seit den Pariser Anschlägen vom November 2015 haben iranische Behörden die allgemeinen Sicherheitsmaßnahmen im Grenzbereich zu Irak und zu Pakistan, aber auch in der Hauptstadt Teheran, erhöht. Im ganzen Land, besonders außerhalb von Teheran, kann es immer wieder zu politisch motivierten Kundgebungen mit einem hohen Aufgebot an Sicherheitskräften kommen.
In der Provinz Sistan-Belutschistan (Südosten, Grenze zu Pakistan/Afghanistan) kommt es regelmäßig zu Konflikten zwischen iranischen Sicherheitskräften und bewaffneten Gruppierungen. Die Bewegungsfreiheit ist eingeschränkt und es gibt vermehrte Sicherheits- und Personenkontrollen. Wiederholt wurden Ausländer in der Region festgehalten und längeren Verhören unterzogen. Eine Weiterreise war in manchen Fällen nur noch mit iranischer Polizeieskorte möglich. Dies geschah vor dem Hintergrund von seit Jahren häufig auftretenden Fällen bewaffneter Angriffe auf iranische Sicherheitskräfte in der Region. Die Grenzzone Afghanistan, östliches Kerman und Sistan-Belutschistan stehen teilweise unter dem Einfluss von Drogenhändlerorganisationen sowie von extremistischen Organisationen. Sie haben wiederholt Anschläge verübt und setzen teilweise Landminen auf Überlandstraßen ein. Es kann hier jederzeit zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften kommen.
In der Provinz Kurdistan und der ebenfalls von Kurden bewohnten Provinz West-Aserbaidschan gibt es wiederholt Anschläge gegen Sicherheitskräfte, lokale Repräsentanten der Justiz und des Klerus. In diesem Zusammenhang haben Sicherheitskräfte ihr Vorgehen gegen kurdische Separatistengruppen und Kontrollen mit Checkpoints noch einmal verstärkt. Seit März 2011 gab es in der Region wieder verstärkt bewaffnete Zusammenstöße zwischen iranischen Sicherheitskräften und kurdischen Separatistenorganisationen wie PJAK und DPIK, mit Todesopfern auf beiden Seiten. Insbesondere die Grenzregionen zum Irak und die Region um die Stadt Sardasht waren betroffen. Trotz eines im September 2011 vereinbarten Waffenstillstandes kam es im Jahr 2015 und verstärkt im Sommer 2016 zu gewaltsamen Konflikten. In bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen iranischen Sicherheitskräften und Angehörigen der DPIK im September 2016 nahe der Stadt Sardasht wurden zehn Personen und drei Revolutionsgardisten getötet. Seit Juni 2016 kam es in der Region zu mehreren derartigen Vorfällen. Bereits 2015 hatte es nahe der Stadt Khoy, im iranisch-türkischen Grenzgebiet (Provinz West-Aserbaidschan), Zusammenstöße mit mehreren Todesopfern gegeben. Seit 2015 kommt es nach iranischen Angaben in der Provinz Khuzestan und in anderen Landesteilen, auch in Teheran, wiederholt zu Verhaftungen von Personen, die mit dem sogenannten Islamischen Staat in Verbindung stehen und Terroranschläge in Iran geplant haben sollen. Im iranisch-irakischen Grenzgebiet sind zahlreiche Minenfelder vorhanden (in der Regel Sperrzonen). Die unsichere Lage und die Konflikte in Irak verursachen Spannungen im Grenzgebiet. Gelegentlich kommt es zu Schusswechseln zwischen aufständischen Gruppierungen und den Sicherheitskräften. Bisweilen kommt es auch im Grenzgebiet zur Türkei zu Schusswechseln zwischen militanten Gruppierungen und den iranischen Sicherheitskräften. Schmuggler, die zwischen dem iranischen und irakischen Kurdistan verkehren, werden mitunter erschossen, auch wenn sie unbewaffnet sind.
II.1.5.3. Rechtsschutz / Justizwesen (LIB, Kapitel 4):
Seit 1979 ist Iran eine Islamische Republik, in welcher versucht wird, demokratische und islamische Elemente miteinander zu verbinden. Die iranische Verfassung besagt, dass alle Gesetze sowie die Verfassung auf islamischen Grundsätzen beruhen müssen. Mit einer demokratischen Verfassung im europäischen Sinne kann sie daher nicht verglichen werden. Das in der iranischen Verfassung enthaltene Gebot der Gewaltentrennung ist praktisch stark eingeschränkt. Der Revolutionsführer ernennt für jeweils fünf Jahre den sogenannten Chef der Judikative. Dieser ist laut Art.157 der Verfassung die höchste Autorität in allen Fragen der Justiz; der Justizminister hat demgegenüber vorwiegend Verwaltungskompetenzen. Die Unabhängigkeit der Gerichte ist in der Verfassung festgeschrieben, unterliegt jedoch Begrenzungen. Immer wieder wird deutlich, dass Exekutivorgane, v.a. der Sicherheitsapparat, trotz des formalen Verbots, in Einzelfällen massiven Einfluss auf die Urteilsfindung und die Strafzumessung nehmen. Zudem ist zu beobachten, dass fast alle Entscheidungen der verschiedenen Staatsgewalten bei Bedarf informell durch den Revolutionsführer und seine Mitarbeiter beeinflusst und gesteuert werden können. Auch ist das Justizwesen nicht frei von Korruption. Nach belastbaren Aussagen von Rechtsanwälten ist ca. ein Drittel der Richter bei entsprechender Gegenleistung zu einem Entgegenkommen bereit. In Iran gibt es eine als unabhängige Organisation aufgestellte Rechtsanwaltskammer („Iranian Bar Association“; IBA). Allerdings sind die Anwälte der IBA staatlichem Druck und Einschüchterungsmaßnahmen, insbesondere in politischen Verfahren, ausgesetzt. Die Liste der Verteidiger in politischen Verfahren ist auf 20 Anwälte beschränkt worden, die z. T. dem Regime nahestehen. Das Justizsystem wird als Instrument benutzt, um Regimekritiker und Oppositionelle zum Schweigen zu bringen.
Obwohl das Beschwerderecht rechtlich garantiert ist, ist es in der Praxis eingeschränkt, insbesondere bei Fällen, die die nationale Sicherheit oder Drogenvergehen betreffen.
Richter werden nach religiösen Kriterien ernannt. Internationale Beobachter kritisieren weiterhin den Mangel an Unabhängigkeit des Justizsystems und der Richter und dass die Verfahren internationale Standards der Fairness nicht erfüllen. Iranische Gerichte, insbesondere die Revolutionsgerichte, verletzen immer wieder die Regeln für faire Gerichtsverfahren. Geständnisse, die wahrscheinlich unter Anwendung von Folter erlangt wurden, werden als Beweis vor Gericht verwendet. Die Behörden setzen sich ständig über die Bestimmungen hinweg, welche die Strafprozessordnung von 2015 für ein ordnungsgemäßes Verfahren vorsieht, wie das Recht auf einen Rechtsbeistand unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft.
In der Normenhierarchie der Rechtsordnung Irans steht die Scharia an oberster Stelle. Darunter stehen die Verfassung und das übrige kodifizierte Recht. Die Richter sind nach der Verfassung angehalten, bei der Rechtsanwendung zuerst auf Grundlage des kodifizierten Rechts zu entscheiden. Im Zweifelsfall kann jedoch gemäß den Art. 167 und 170 der iranischen Verfassung die Scharia vorrangig angewendet werden.
In der Strafjustiz existieren mehrere voneinander getrennte Gerichtszweige. Die beiden wichtigsten sind die ordentlichen Strafgerichte und die Revolutionsgerichte. Daneben sind die Pressegerichte für Taten von Journalisten, Herausgebern und Verlegern zuständig. Die “Sondergerichte für die Geistlichkeit“ sollen abweichende Meinungen unter schiitischen Geistlichen untersuchen und ihre Urheber bestrafen. Sie unterstehen direkt dem Revolutionsführer und sind organisatorisch außerhalb der Judikative angesiedelt.
Die Zuständigkeit der Revolutionsgerichte beschränkt sich auf folgende Delikte:
? Straftaten betreffend die innere und äußere Sicherheit des Landes, bewaffneter Kampf gegen das Regime, Verbrechen unter Einsatz von Waffen, insbesondere "Feindschaft zu Gott" und "Korruption auf Erden";
? Anschläge auf politische Personen oder Einrichtungen;
? Beleidigung des Gründers der Islamischen Republik Iran und des jeweiligen Revolutionsführers;
? Spionage für fremde Mächte;
? Rauschgiftdelikte, Alkoholdelikte und Schmuggel;
? Bestechung, Korruption, Unterschlagung öffentlicher Mittel und Verschwendung von Volksvermögen.
Gerichtsverfahren, vor allem Verhandlungen vor Revolutionsgerichten, finden nach wie vor unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und sind extrem kurz. Manchmal dauert ein Verfahren nur wenige Minuten.
Die iranische Strafrechtspraxis unterscheidet sich stark von jener der europäischen Staaten: Körperstrafen sowie die Todesstrafe werden verhängt. Nach Art. 278 iStGB können in bestimmten Fällen des Diebstahls Amputationen von Gliedmaßen – auch für Ersttäter – vom Gericht angeordnet werden. Amputation eines beispielsweise Fingers bei Diebstahl fällt unter Vergeltungsstrafen („Qisas“), ebenso wie die Blendung, die auch noch immer angewendet werden kann. Durch Erhalt eines Abstandsgeldes („Diya“) kann der ursprünglich Verletzte jedoch auf die Anwendung einer Blendung verzichten.
Aussagen hinsichtlich einer einheitlichen Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis sind nur eingeschränkt möglich, da diese sich durch scheinbare Willkür auszeichnet. Rechtlich möglich wird dies vorrangig durch unbestimmte Formulierungen von Straftatbeständen und Rechtsfolgen sowie eine uneinheitliche Aufsicht der Justiz über die Gerichte. Auch willkürliche Verhaftungen kommen vor und führen dazu, dass Personen ohne ein anhängiges Strafverfahren festgehalten werden. Darüber hinaus ist die Strafverfolgungspraxis auch stark von aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bestimmt. Im August 2018 wurde angesichts der kritischen Wirtschaftslage ein Sondergericht für Wirtschaftsstraftaten eingerichtet, das bislang schon sieben Menschen wegen Korruption zum Tode verurteilt hat.
Wohl häufigster Anknüpfungspunkt für Diskriminierung im Bereich der Strafverfolgung ist die politische Überzeugung. Beschuldigten bzw. Angeklagten werden grundlegende Rechte vorenthalten, die auch nach iranischem Recht garantiert sind. Untersuchungshäftlinge werden bei Verdacht eines Verbrechens unbefristet ohne Anklage festgehalten, ihre Familien werden nicht oder sehr spät informiert. Oft erhalten Gefangene während der laufenden Ermittlungen keinen rechtlichen Beistand, weil ihnen dieses Recht verwehrt wird oder ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Insbesondere bei politisch motivierten Verfahren gegen Oppositionelle erheben Gerichte oft Anklage aufgrund konstruierter oder vorgeschobener Straftaten. Die Strafen sind in Bezug auf die vorgeworfene Tat zum Teil unverhältnismäßig hoch. Hinsichtlich der Ausübung von Sippenhaft liegen gegensätzliche Informationen vor, sodass eine belastbare Aussage nicht möglich ist.
Hafterlass ist nach Ableistung der Hälfte der Strafe möglich. Amnestien werden unregelmäßig vom Revolutionsführer auf Vorschlag des Chefs der Justiz im Zusammenhang mit hohen religiösen Feiertagen und dem iranischen Neujahrsfest am 21. März ausgesprochen. Bei Vergeltungsstrafen können die Angehörigen der Opfer gegen Zahlung eines Blutgeldes auf den Vollzug der Strafe verzichten. Unter der Präsidentschaft Rohanis hat die Zahl der Aussetzung der hohen Strafen bis hin zur Todesstrafe wegen des Verzichts der Angehörigen auf den Vollzug der Strafe stark zugenommen.
Rechtsschutz ist oft nur eingeschränkt möglich. Anwälte, die politische Fälle übernehmen, werden systematisch eingeschüchtert oder an der Übernahme der Mandate gehindert. Der Zugang von Verteidigern zu staatlichem Beweismaterial wird häufig eingeschränkt oder verwehrt. Die Unschuldsvermutung wird mitunter – insbesondere bei politisch aufgeladenen Verfahren – nicht beachtet. Zeugen werden durch Drohungen zu belastenden Aussagen gezwungen. Es gibt zahlreiche Berichte über durch Folter und psychischen Druck erzwungene Geständnisse. Insbesondere Isolationshaft wird genutzt, um politische Gefangene und Journalisten psychisch unter Druck zu setzen. Gegen Kautionszahlungen können Familienmitglieder die Isolationshaft in einzelnen Fällen verhindern oder verkürzen.
II.1.5.4. Sicherheitsbehörden (LIB, Kapitel 5):
Diverse Behörden teilen sich die Verantwortung für die innere Sicherheit; etwa das Informationsministerium, die Ordnungskräfte des Innenministeriums, die dem Präsidenten berichten, und die Revolutionsgarden (Sepah-e Pasdaran-e Enghelab-e Islami - IRGC), welche direkt dem Obersten Führer Khamenei berichten. Die Basij-Kräfte, eine freiwillige paramilitärische Gruppierung mit lokalen Niederlassungen in Städten und Dörfern, sind zum Teil als Hilfseinheiten zum Gesetzesvollzug innerhalb der Revolutionsgarden tätig. Basij-Einheiten sind oft bei der Unterdrückung von politischen Oppositionellen oder bei der Einschüchterung von Zivilisten, die den strikten Moralkodex nicht befolgen, involviert. Organisatorisch sind die Basij den Pasdaran (Revolutionsgarden) unterstellt und ihnen gehören auch Frauen und Kinder an. Basijis sind ausschließlich gegenüber dem Obersten Führer loyal und haben oft keinerlei reguläre polizeiliche Ausbildung, die sie mit rechtlichen Grundprinzipien polizeilichen Handelns vertraut gemacht hätten. Basijis haben Stützpunkte u.a. in Schulen und Universitäten, wodurch die permanente Kontrolle der iranischen Jugend gewährleistet ist. Schätzungen über die Zahl der Basijis gehen weit auseinander und reichen bis zu mehreren Millionen.
Die Polizei unterteilt sich in Kriminalpolizei, Polizei für Sicherheit und öffentliche Ordnung (Sittenpolizei), Internetpolizei, Drogenpolizei, Grenzschutzpolizei, Küstenwache, Militärpolizei, Luftfahrtpolizei, eine Polizeispezialtruppe zur Terrorbekämpfung und Verkehrspolizei. Die Polizei hat auch einen eigenen Geheimdienst. Eine Sonderrolle nehmen die Revolutionsgarden ein, deren Auftrag formell der Schutz der Islamischen Revolution ist. Als Parallelarmee zu den regulären Streitkräften durch den Staatsgründer Khomeini aufgebaut, haben sie neben ihrer herausragenden Bedeutung im Sicherheitsapparat im Laufe der Zeit Wirtschaft, Politik und Verwaltung durchsetzt und sich zu einem Staat im Staate entwickelt. Militärisch kommt ihnen eine höhere Bedeutung als dem regulären Militär zu. Sie verfügen über eigene Gefängnisse und eigene Geheimdienste sowie engste Verbindungen zum Revolutionsführer. Die Revolutionsgarden sind eng mit der iranischen Wirtschaft verbunden. Sie betreiben den Imam Khomeini International Airport in der iranischen Hauptstadt und verfügen damit allein durch Start- und Landegebühren über ein äußerst lukratives Geschäft. Auch an den anderen Flug- und Seehäfen im Land kontrollieren die Truppen der IRGC Irans Grenzen. Sie entscheiden, welche Waren ins Land gelassen werden und welche nicht. Sie zahlen weder Zoll noch Steuern. Sie verfügen über Land-, See- und Luftstreitkräfte, kontrollieren Irans strategisches Waffenarsenal und werden auf eine Truppenstärke von mehr als 120.000 geschätzt. Außerdem sind die Revolutionswächter ein gigantisches Wirtschaftsunternehmen, das Augenkliniken betreibt, Kraftfahrzeuge, Autobahnen, Eisenbahnstrecken und sogar U-Bahnen baut. Sie sind eng mit der Öl- und Gaswirtschaft des Landes verflochten, bauen Staudämme und sind im Bergbau aktiv. Heute gehören Khamenei und den Revolutionsgarden rund 80% der iranischen Wirtschaft. Sie besitzen außer den größten Baufirmen auch Fluggesellschaften, Minen, Versicherungen, Banken, Elektrizitätswerke, Telekommunikationsfirmen, Fußballklubs und Hotels. Für die Auslandsaktivitäten gibt das Regime Milliarden aus. Längst ist aus den Revolutionsgarden ein bedeutender Machtfaktor geworden – gesellschaftlich, wirtschaftlich, militärisch und politisch. Sehr zum Leidwesen von Hassan Rohani. Der wiedergewählte Präsident versucht zwar, die Garden und ihre Chefebene in die Schranken zu weisen. Das gelingt ihm jedoch kaum. Die paramilitärischen Einheiten schalten und walten nach wie vor nach Belieben. Nicht nur in Iran, sondern in der Region. Es gibt nur wenige Konflikte, an denen sie nicht beteiligt sind. Libanon, Irak, Syrien, Jemen – überall mischen die Revolutionsgarden mit und versuchen, die islamische Revolution zu exportieren. Ihre Al-Quds-Brigaden sind als Kommandoeinheit speziell für Einsätze im Ausland trainiert.
Das Ministerium für Information ist als Geheimdienst mit dem Schutz der nationalen Sicherheit, Gegenspionage und der Beobachtung religiöser und illegaler politischer Gruppen beauftragt. Aufgeteilt ist dieser in den Inlandsgeheimdienst, Auslandsgeheimdienst, Technischen Aufklärungsdienst und eine eigene Universität (Imam Ali Universität). Dabei kommt dem Inlandsgeheimdienst die bedeutendste Rolle bei der Bekämpfung der politischen Opposition zu. Der Geheimdienst tritt bei seinen Maßnahmen zur Bekämpfung der politischen Opposition nicht als solcher auf, sondern bedient sich überwiegend der Basij und der Justiz. Das reguläre Militär (Artesh) erfüllt im Wesentlichen Aufgaben der Landesverteidigung und Gebäudesicherung. Neben dem „Hohen Rat für den Cyberspace“ beschäftigt sich die iranische Cyberpolice mit Internetkriminalität mit Fokus auf Wirtschaftskriminalität, Betrugsfällen und Verletzungen der Privatsphäre im Internet sowie der Beobachtung von Aktivitäten in sozialen Netzwerken und sonstigen politisch relevanten Äußerungen im Internet. Sie steht auf der EU-Menschenrechtssanktionsliste.
Die Regierung hat volle Kontrolle über die Sicherheitskräfte und über den größten Teil des Landes, mit Ausnahme einiger Grenzgebiete. Irans Polizei ist traditionellerweise verantwortlich für die innere Sicherheit und im Falle von Protesten oder Aufständen. Sie wird von den Revolutionsgarden (IRGC) und den Basij Milizen unterstützt. Im Zuge der steigenden inneren Herausforderungen verlagerte das herrschende System die Verantwortung für die innere Sicherheit immer mehr zu den IRGC. Die Polizeikräfte arbeiten ineffizient. Getrieben von religiösen Ansichten und Korruption, geht die Polizei gemeinsam mit den Kräften der Basij und der Revolutionsgarden rasch gegen soziale und politische Proteste vor, ist aber weniger eifrig, wenn es darum geht, die Bürger vor kriminellen Aktivitäten zu schützen (BTI 2018). Der Oberste Führer hat höchste Autorität unter allen Sicherheitsorganisationen. Straffreiheit innerhalb des Sicherheitsapparates ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beschuldigen reguläre und paramilitärische Sicherheitskräfte (wie zum Beispiel die Basij), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen zu haben. Es gibt keinen transparenten Mechanismus, um Missbräuche der Sicherheitskräfte zu untersuchen oder zu bestrafen. Es gibt nur wenige Berichte, dass die Regierung Täter diszipliniert. Eine nennenswerte Ausnahme stellt der Fall des früheren Teheraner Staatsanwaltes dar, der im November 2017 für seine mutmaßliche Verantwortung für Folter und Todesfälle unter Demonstranten im Jahr 2009, zu zwei Jahren Haft verurteilt wurde.
Mit willkürlichen Verhaftungen kann und muss jederzeit gerechnet werden, da die Geheimdienste (der Regierung und der Revolutionsgarden) sowie die Basijis nicht einmal nach iranischen rechtsstaatlichen Standards handeln. Auch Verhaltensweisen, die an sich (noch) legal sind, können das Misstrauen der Basijis hervorrufen. Bereits auffälliges Hören von (insb. westlicher) Musik, ungewöhnliche Bekleidung oder Haarschnitt, die Äußerung der eigenen Meinung zum Islam, Partys oder gemeinsame Autofahrten junger nicht miteinander verheirateter Männer und Frauen könnte den Unwillen zufällig anwesender Basijis bzw. mit diesen sympathisierenden Personen hervorrufen. Willkürliche Verhaftungen oder Verprügelungen durch Basijis können in diesem Zusammenhang nicht ausgeschlossen werden.
In Bezug auf die Überwachung der Bevölkerung, ist nicht bekannt, wie groß die Kapazität der iranischen Behörden ist. Die Behörden können nicht jeden zu jeder Zeit überwachen, haben aber eine Atmosphäre geschaffen, in der die Bürger von einer ständigen Beobachtung ausgehen.
II.1.5.5. Folter und unmenschliche Behandlung (LIB, Kapitel 6):
Folter ist nach Art. 38 der iranischen Verfassung verboten. Verschiedenen Berichten zufolge schließen Verhörmethoden und Haftbedingungen in Iran in einzelnen Fällen seelische und körperliche Folter sowie unmenschliche Behandlung nicht aus. Dazu kommt es vorrangig in nicht registrierten Gefängnissen, aber auch aus offiziellen Gefängnissen wird von derartigen Praktiken berichtet, insbesondere dem berüchtigten Trakt 209 im Teheraner Evin-Gefängnis, welcher unmittelbar dem Geheimdienstministerium untersteht. Foltervorwürfen von Inhaftierten gehen die Behörden grundsätzlich nicht nach. Die Justizbehörden verhängen und vollstrecken weiterhin grausame und unmenschliche Strafen, die Folter gleichkommen. In einigen Fällen werden die Strafen öffentlich vollstreckt. Zahlreiche Personen, unter ihnen auch Minderjährige, erhalten Strafen von bis zu 100 Peitschenhieben. Sie wurden wegen Diebstahls oder tätlichen Angriffen verurteilt, aber auch wegen Taten, die laut Völkerrecht nicht strafbar sind, wie z. B. außereheliche Beziehungen, Anwesenheit bei Feiern, an denen sowohl Männer als auch Frauen teilnehmen, Essen in der Öffentlichkeit während des Fastenmonats Ramadan oder Teilnahme an friedlichen Protestkundgebungen. Gerichte verhängten Amputationsstrafen, die vom Obersten Gerichtshof bestätigt wurden. Die Behörden vollstrecken auch erniedrigende Strafen.
Bei Delikten, die im krassen Widerspruch zu islamischen Grundsätzen stehen, können jederzeit Körperstrafen ausgesprochen und auch exekutiert werden. Bereits der Besitz geringer Mengen von Alkohol kann zur Verurteilung zu Peitschenhieben führen (eine zweistellige Zahl an Peitschenhieben ist dabei durchaus realistisch). Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass Personen zu Peitschenhieben verurteilt werden, die selbs