TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/29 W232 2124516-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 29.06.2020
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Entscheidungsdatum

29.06.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §34
AsylG 2005 §54 Abs1 Z2
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9
EMRK Art2
EMRK Art3
EMRK Art8
FPG §52
FPG §55 Abs2
IntG §11 Abs2
IntG §9 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W232 2124519-2/20E

W232 2124517-2/17E

W232 2124516-2/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Simone BÖCKMANN-WINKLER als Einzelrichterin über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Ukraine und vertreten durch den Verein für Menschenrechte Österreich, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl jeweils vom 17.07.2017, Zln. 1.) 1050261004-150061851, 2.) 1050261102-150061860, 3.) 1050260900-150061991, zu Recht:

A)

I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. der angefochtenen Bescheide werden als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerden gegen die Spruchpunkte III. der angefochtenen Bescheide wird stattgegeben und festgestellt, dass gemäß § 9 BFA-VG eine die Beschwerdeführer betreffende Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig ist.

Der Erstbeschwerdeführerin wird gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 2 und § 54 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

Der Zweitbeschwerdeführerin und dem Drittbeschwerdeführer wird gemäß § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 und § 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 jeweils der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

III. In Erledigung der Beschwerden werden die Spruchpunkte IV. der angefochtenen Bescheide gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
:

I.       Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführer, Staatsangehörige der Ukraine und tatarischer Volksgruppenzugehörigkeit aus dem Gebiet der Krim, stellten am 19.01.2015 die diesem Verfahren zugrundeliegenden Anträge auf Gewährung internationalen Schutzes, nachdem sie zuvor – gemeinsam mit der zwischenzeitlich verstorbenen Mutter der Erstbeschwerdeführerin – in das Bundesgebiet eingereist waren. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter und gesetzliche Vertreterin der zum Einreisezeitpunkt minderjährigen Zweitbeschwerdeführerin und des minderjährigen Drittbeschwerdeführers.

2. Die Erstbeschwerdeführerin wurde am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt und am 25.02.2015 niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

3. Am 18.01.2016 erfolgte nach Zulassung ihres Verfahrens eine neuerliche niederschriftliche Einvernahme der Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl. Die Erstbeschwerdeführerin gab dabei hinsichtlich der Gründe ihrer Ausreise aus der Ukraine an, aufgrund einer schweren Erkrankung ihrer Mutter gemeinsam mit dieser und ihren beiden Kindern im August 2014 nach Polen ausgereist zu sein, um dort lebenserhaltende medizinische Hilfe für ihre Mutter zu erhalten. Als Krim-Tataren seien die Beschwerdeführer, welche aus der Stadt XXXX stammen würden, zudem in ihrem Herkunftsstaat gefährdet. Nachdem der Mutter der Erstbeschwerdeführerin auch in Polen keine entsprechende Behandlungsmöglichkeit zu Teil geworden wäre, habe sich die Familie im Jänner 2015 zur Weiterreise nach Österreich entschlossen. Die minderjährige Zweitbeschwerdeführerin wurde an den genannten Terminen ebenfalls niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einvernommen.

4. Mit im Familienverfahren ergangenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 10.03.2016 wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 19.01.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführer jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Begründend würde im Wesentlichen festgehalten, dass sich unter Zugrundelegung der Angaben der Beschwerdeführer keine diesen im Falle einer Rückkehr drohende Gefährdung ergeben würde, welche die Gewährung internationalen Schutzes erforderlich erscheinen ließe.

5. Mit Schreiben vom 05.04.2016 wurde durch den gewillkürten Vertreter der Beschwerdeführer Beschwerde im Rahmen des Familienverfahrens erhoben. In dieser wurden die erstinstanzlichen Bescheide unter näherer Begründung wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung aufgrund Feststellungs- und Begründungsmängeln im vollen Umfang angefochten.

6. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26.09.2016 wurde in Erledigung der Beschwerden die bekämpften Bescheide behoben und die Angelegenheiten gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013, zur Erlassung neuer Bescheide an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

7. Am 20.03.2017 und 07.07.2017 fanden nach Einholung einer Anfragebeantwortung der Staatendokumentation (insbesondere zur aktuellen Lage der Krimtataren in der Ukraine und zu der von der Erstbeschwerdeführerin vorgebrachten Ermordung ihres Ehemannes im Zusammenhang mit Geschäftsanteilen einer Fabrik) vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ergänzende niederschriftliche Einvernahmen statt. Die Erstbeschwerdeführerin führte abschließend aus, dass ukrainische Behörden nicht helfen würden. Es sei praktisch nicht möglich eine Meldeadresse zu bekommen. Ohne Meldeadresse bekomme man keine Arbeit und jetzt habe es sich noch verschärft. Die Kinder der Krimtataren, die von der Halbinsel Krim in die Ukraine flüchten, würden die ukrainischen Behörden den Eltern wegnehmen. Außerdem würde ihr Sohn bald 15 werden, sie würden ihn nach ukrainischen Gesetzen für die Anti Terroroperationen im Osten anwerben.

8. Mit im Familienverfahren ergangenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.07.2017 wurden neuerlich die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz vom 19.01.2015 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die Beschwerdeführer jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführer in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Absatz 1 bis 3 FPG wurde ausgesprochen, dass die Frist für die freiwillige Ausreise der Beschwerdeführer zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

Beweiswürdigend führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Wesentlichen aus, dass in keiner Weise glaubhaft sei, dass die Beschwerdeführer aufgrund einer Verfolgung bzw. Furcht vor solcher ihr Heimatland verlassen hätten, der Grund für ihre Ausreise sei primär die Erkrankung der Mutter der Erstbeschwerdeführerin gewesen. Da der Familie keine Verfolgung in der Ukraine drohe, habe sie dort nichts zu befürchten und gerate dort auch nicht eine existenzielle Notlage.

9. Mit Schreiben vom 08.08.2017 wurde gegen diese Bescheide Beschwerde erhoben. Mit Schreiben vom 13.04.2018 wurde eine Beschwerdeergänzung samt Beilagen vorgelegt. Verwiesen wurde im Wesentlichen darauf, dass die Beschwerdeführer einerseits von russischen Behörden aufgrund der Nichtannahme des russischen Passes bzw. wegen der Ablehnung der russischen Staatsangehörigkeit verfolgt, andererseits würden sie von der ukrainischen Behörde als „nicht Ukrainer“ diskriminiert und unter Druck gesetzt werden. Die Beschwerdeführer hätten niemanden in der Ukraine, der sie unterstützen würde und es gebe für sie keine Möglichkeit eine vorübergehende oder dauerhafte Unterkunft zu finden, somit liege keine Möglichkeit für eine Fluchtalternative vor. Verwiesen wurde zuletzt auf die gute Integration der Familie, wobei Arbeitszusagen für die Erst- und Zweitbeschwerdeführerin vorgelegt wurden. Vorgelegt wurden weiters mehrere Dokumente aus dem Herkunftsland, unter anderem die Sterbeurkunde des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin und ein ihn betreffendes gerichtsmedizinisches Gutachten.

10. Am 26.06.2018 langte die vom Bundesverwaltungsgericht aufgetragene schriftliche Übersetzung der in russischer Sprache vorgelegten Dokumente ein.

11. Mit Schreiben von 11.09.2018, 30.11.2018, 24.05.2019, 19.03.2020, 23.03.2020 und 22.05.2020 wurden Dokumente zum Integrationsnachweis der Beschwerdeführer vorgelegt.

12. Mit Schreiben vom 15.06.2020 wurden ärztliche Befunde betreffend die Erstbeschwerdeführerin vorgelegt, aus denen (ua) die Diagnose: „invasives muzinöses Mammakarzinom links laterocranial ER+++ Pgr+++“ hervorgeht.

13. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.06.2020 in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die russische Sprache eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren persönlichen Umständen im Herkunftsstaat und zu ihrer Integration befragt wurden. Die Erstbeschwerdeführerin wurde ausführlich zu ihren Fluchtgründen befragt. Zu den ins Verfahren genommenen Länderberichten wurde keine Stellungnahme abgegeben.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerden gegen die angefochtenen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der durchgeführten mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.       Feststellungen:

1.1. Zu den Personen und zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführer:

Die Erstbeschwerdeführerin führt den Namen XXXX und ist am XXXX geboren. Sie ist die Mutter der mittlerweile volljährigen Zweitbeschwerdeführerin, XXXX , geboren am XXXX und dem minderjährigen Drittbeschwerdeführer, XXXX , geboren am XXXX . Sie sind ukrainische Staatsangehörige. Die Mutter der Erstbeschwerdeführerin war Jüdin, ihr Vater Tatare. Die Familie bekennt sich zum christlichen Glauben.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde in Usbekistan geboren und zog Ende 1992 auf die Krim, wo sie zur Schule gegangen ist und geheiratet hat. Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer wurden in der Stadt XXXX auf der Halbinsel Krim geboren. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin und Vater der Zweitbeschwerdeführerin und des Drittbeschwerdeführers verstarb 2007. Nach dem Tod des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin zog die Familie zur Mutter der Erstbeschwerdeführerin nach XXXX . Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer besuchten auf der Halbinsel Krim die Schule. Die Erstbeschwerdeführerin verdiente dort nach dem Tod ihres Ehemannes den Lebensunterhalt der Familie als Verkäuferin und zuletzt als Immobilienmaklerin. Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland zog die gesamte Familie Anfang Juli 2014 nach XXXX . Im September 2014 reiste die Familie nach Polen und im Jänner 2015 weiter nach Österreich, wo sie am 19.01.2015 die gegenständlichen Anträge auf internationalen Schutz einbrachten. Die nach Österreich mitgereiste Mutter der Erstbeschwerdeführerin ist in Österreich im Jahr 2016 verstorben. Die Beschwerdeführer verfügen über kein greifbares familiäres Netzwerk in der Ukraine.

Die Erstbeschwerdeführerin leidet im Entscheidungszeitpunkt an chronischer Hepatitis B, die keiner Behandlung aber Kontrollen bedarf. Vor Kurzem wurde bei der Erstbeschwerdeführerin Brustkrebs diagnostiziert und stehen ihr derzeit Untersuchungen bevor, um das Ausmaß der Erkrankung und die weitere Behandlung abzuklären. Die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer sind gesund.

In Österreich beziehen die Beschwerdeführer Grundversorgung. Sie leben gemeinsam in einer privaten Mietwohnung. Der Drittbeschwerdeführer besuchte in Österreich die Hauptschule und eine polytechnische Schule. Seit 02.07.2018 befindet er sich in einem Lehrverhältnis, wobei er derzeit etwa € 760,-- Lehrlingsentschädigung erhält. Die Zweitbeschwerdeführerin besuchte in Österreich ein Gymnasium, wobei sie die Schule nicht abgeschlossen hat. Die Zweitbeschwerdeführerin hat ein Zeugnis zur Integrationsprüfung des ÖSD (Niveau B1) in Vorlage gebracht, der Drittbeschwerdeführer die A2 Prüfung positiv abgelegt, beide sprechen fließend deutsch. Die Erstbeschwerdeführerin kann sich auf Deutsch verständigen. Die Familie, insbesondere die Zweitbeschwerdeführerin und der Drittbeschwerdeführer, verfügt in Österreich über einen großen Freundes- und Bekanntenkreis. Die Erst- und die Zweitbeschwerdeführerin konnten mehrere Arbeitszusagen und einen aktuellen Arbeitsvorvertrag vorlegen.

Die Beschwerdeführer sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.

Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführer ihre Heimat aufgrund asylrelevanter Verfolgung verlassen haben. Der ausschlaggebende Grund für das Verlassen ihres Herkunftsstaates war die medizinische Versorgung der Mutter der Erstbeschwerdeführerin.

Die Beschwerdeführer wären im Fall der Rückkehr in die Ukraine nicht gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder von der Todesstrafe bedroht. Sie würden auch nicht in eine existenzgefährdende Notlage geraten und wäre ihnen nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in der Ukraine:

1.2.1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.05.2019 - letzte Kurzinformation eingefügt am 30.08.2019:

Sicherheitslage

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten Donezk und Luhansk sowie auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019).

Durch die Besetzung der Krim, die militärische Unterstützung von Separatisten im Osten und die Verhängung wirtschaftlicher Sanktionen gegen die Ukraine, kann Russland seinen Einfluss auf den Verlauf des politischen Lebens in der Ukraine aufrechterhalten. Menschen, die in den besetzten Gebieten des Donbass leben, sind stark russischer Propaganda und anderen Formen der Kontrolle ausgesetzt (FH 4.2.2019).

Nach UN-Angaben kamen seit Beginn des bewaffneten Konflikts über 10.000 Menschen um; es wurden zahlreiche Ukrainer innerhalb des Landes binnenvertrieben oder flohen ins Ausland. Das im Februar 2015 vereinbarte Maßnahmenpaket von Minsk wird weiterhin nur schleppend umgesetzt. Die Sicherheitslage hat sich seither zwar deutlich verbessert, Waffenstillstandsverletzungen an der Kontaktlinie bleiben aber an der Tagesordnung und führen regelmäßig zu zivilen Opfern und Schäden an der dortigen zivilen Infrastruktur. Der politische Prozess im Rahmen der Trilateralen Kontaktgruppe (OSZE, Ukraine, Russland) stockt trotz hochrangiger Unterstützung im Normandie-Format (Deutschland, Frankreich, Ukraine, Russland). Besonders kontrovers in der Ukraine bleibt die im Minsker Maßnahmenpaket vorgesehene Autonomie für die gegenwärtig nicht kontrollierten Gebiete, die u.a. aufgrund der Unmöglichkeit, dort Lokalwahlen nach internationalen Standards abzuhalten, noch nicht in Kraft gesetzt wurde. Dennoch hat das ukrainische Parlament zuletzt die Gültigkeit des sogenannten „Sonderstatusgesetzes“ bis Ende 2019 verlängert (AA 22.2.2019).

Ende November 2018 kam es im Konflikt um drei ukrainische Militärschiffe in der Straße von Kertsch erstmals zu einem offenen militärischen Vorgehen Russlands gegen die Ukraine. Das als Reaktion auf diesen Vorfall für 30 Tage in zehn Regionen verhängte Kriegsrecht endete am 26.12.2018, ohne weitergehende Auswirkungen auf die innenpolitische Entwicklung zu entfalten. (AA 22.2.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Der russische Präsident, Vladimir Putin, beschloss am 24.4.2019 ein Dekret, welches Bewohnern der selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk den Erwerb der russischen Staatsbürgerschaft im Eilverfahren erleichtert ermöglicht. Demnach soll die Entscheidung der russischen Behörden über einen entsprechenden Antrag nicht länger als drei Monate dauern. Internationale Reaktionen kritisieren dies als kontraproduktiven bzw. provokativen Schritt. Ukrainische Vertreter sehen darin die Schaffung einer rechtlichen Grundlage für den offiziellen Einsatz der russischen Streitkräfte gegen die Ukraine. Dafür gibt es einen historischen Präzedenzfall. Als im August 2008 russische Truppen in Georgien einmarschierten, begründete der damalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew das mit seiner verfassungsmäßigen Pflicht, „das Leben und die Würde russischer Staatsbürger zu schützen, wo auch immer sie sein mögen“. In den Jahren zuvor hatte Russland massenhaft Pässe an die Bewohner der beiden von Georgien abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien ausgegeben (FAZ 26.4.2019; vgl. SO 24.4.2019).

Halbinsel Krim

Auf der Krim haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben (AA 22.2.2019). Im Feber 2014 besetzten russische Truppen die Halbinsel Krim militärisch. Im März wurde die Krim nach einem Scheinreferendum schließlich annektiert und zum Teil der Russischen Föderation erklärt. Die Vereinten Nationen verurteilten diesen Schritt und riefen dazu auf, dies nicht anzuerkennen. Auf der Krim gilt seither de facto russisches Recht, es wurde eine russische Regierung installiert, die von Sergey Aksyonov als „Premierminister“ des “Staatsrats der Republik Krim“ geführt wird. Der “Staatsrat“ ist für die tägliche Verwaltung und andere Regierungsfunktionen zuständig. Es werden unverhältnismäßig repressive Gesetze verhängt und angewendet. Die russischen Sicherheitsbehörden auf der Krim schränken die Menschenrechte ein. Die schwerwiegendsten Probleme beinhalten: Verschwindenlassen; Folter, einschließlich strafweise psychiatrische Einweisung; Misshandlung von Inhaftierten als Strafe oder zur Erpressung von Geständnissen; harte Haftbedingungen und Überführung von Gefangenen nach Russland; willkürliche Festnahme und Inhaftierung, auch aus politischen Gründen; allgegenwärtige Missachtung der Privatsphäre; schwerwiegende Einschränkungen der Meinungsfreiheit und der Medien einschließlich Schließungen und Gewalt gegen Journalisten; Beschränkungen des Internets; grobe und weit verbreitete Unterdrückung der Versammlungsfreiheit; starke Einschränkung der Vereinigungsfreiheit, einschließlich Verbot der Selbstverwaltung (Mejlis) der Krimtataren; Einschränkung von Bewegungsfreiheit und Teilnahme am politischen Prozess; systemische Korruption; und systematische Diskriminierung von Krimtataren und ethnischen Ukrainern. Die russischen Behörden unternehmen kaum Schritte, um Menschenrechtsverletzungen strafrechtlich zu verfolgen, wodurch eine Atmosphäre der Straflosigkeit und Gesetzlosigkeit geschaffen wurde (USDOS 13.3.2019b).

Die Einwohner der Krim wurden pauschal in die Russische Föderation eingebürgert und es wurde begonnen, sie mit russischen Inlandspässen, seit September 2014 auch mit russischen Auslandsreisepässen, auszustatten. Besorgniserregend sind weiterhin Meldungen, wonach exponierte Vertreter der tatarischen Minderheit aufgrund politisch motivierter Vorwürfe inhaftiert werden, verschwinden, nicht mehr auf die Krim zurückreisen dürfen bzw. vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Außerdem werden tatarische Vereine in ihrer Handlungsfähigkeit beschnitten und unter Druck gesetzt, teilweise auch kriminalisiert oder zur Auflösung gezwungen. Die gewählte Versammlung der Krimtataren wird von den de-facto- Behörden als terroristische Vereinigung eingestuft, ihre Mitglieder verfolgt. Versuche, die tatarische Minderheit in eine den de-facto-Behörden willfährige Parallelstruktur einzubinden, blieben bisher ohne nennenswerten Erfolg. Unabhängige Medien werden unterdrückt, dem unabhängigen Fernsehsender der Tataren ATR wurde die Lizenz entzogen; er hat seinen Sitz nach Kiew verlegt. Eine offene Zivilgesellschaft gibt es nicht mehr. Religiöse Literatur gilt den Behörden als extremistisch. Auch jüngste Berichte von UNHCR, Amnesty International sowie des Hochkommissars für Menschenrechte der Vereinten Nationen listen eine Reihe von Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten auf der Krim auf, die von einer Einschränkung des Versammlungsrechts über willkürliche Verhaftungen bis hin zu Entführungen, Folter und Ermordung reichen. Versuche der Vereinten Nationen, der OSZE oder des Europarats eine kontinuierliche Beobachtung der Menschenrechtssituation auf der Krim vorzunehmen, sind bisher gescheitert. Die Einwohner der Krim werden von der Russischen Föderation, wenn sie nicht ihr Widerspruchsrecht genutzt und damit u.a. den Anspruch auf kostenlose medizinische Versorgung verloren haben, als russische Staatsangehörige behandelt (AA 22.2.2019).

Seit der russischen Annexion der Halbinsel Krim häufen sich Berichte über den Versuch der systematischen Einschränkung der Versammlungsfreiheit durch die russischen Behörden unter dem Vorwand sicherheitspolitischer Erwägungen. Dies wirkt sich insbesondere auf die Aktivitäten der Krimtataren, jedoch auch auf Vertreter der ukrainischen Minderheit aus (ÖB 2.2019; vgl. HRW 17.1.2019).

Seit 2014 sind konstant Menschenrechtsverletzungen seitens der russischen Behörden zu beobachten: Gefangene legen Geständnisse ab, die durch Misshandlung und Folter erlangt wurden. Individuen bestimmter Gruppen werden in psychiatrische geschlossene Anstalten zwangseingewiesen. Anwälte können nicht uneingeschränkt ihrer Arbeit nachgehen. Menschen, die keinen russischen Pass haben, wird der Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verwehrt.

Weiters besteht Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung und Genderidentität. Menschen mit abweichender politischer Meinung werden verhaftet und unter Bezugnahme auf russische Antiterror-Gesetzgebung zu Haftstrafen verurteilt. Auch werden Personen entführt oder verschwinden plötzlich. Wenige bis keine dieser Fälle werden ausreichend strafverfolgt. Besonders die ethnische Gruppe der Krimtataren, aber auch Ukrainer anderer ethnischer oder religiöser Gruppen, sind von Menschenrechtsverletzungen betroffen. Die Meinungs-, Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit wird massiv eingeschränkt (ÖB 2.2019).

Ukrainer von der Krim mit russischen Reisepässen

Die Gesetzgebung der Ukraine sieht die einzige Staatsbürgerschaft vor. Wenn ein ukrainischer Staatsbürger legal die Staatsbürgerschaft der Russischen Föderation annehmen möchte, muss er auf die ukrainische Staatsbürgerschaft verzichten. Von den russischen Behörden werden jedoch, entgegen ukrainischen und internationalen rechtlichen Normen, russische Reisepässe an die Bevölkerung der Krim mit ukrainischer Staatsbürgerschaft ausgegeben. Diese Reisepässe der Russischen Föderation für Einwohner der Krim, werden international nur von einigen Ländern anerkannt (Nordkorea, Bolivien, Nicaragua, Armenien) (VB 28.1.2019). Die Frage der Staatsangehörigkeit der Einwohner der Krim ist damit eigentlich ungeklärt. Da die Beendigung der Staatsbürgerschaft der Ukraine erst durch einen entsprechenden Erlass des Präsidenten der Ukraine erfolgen kann, ist davon auszugehen, dass nach ukrainischem Recht die Einwohner der Krim Staatsbürger der Ukraine geblieben sind (BFH 30.6.2016).

Krim-Bewohner, die über keinen ukrainischen Reisepass, sondern nur über von russischen Behörden auf der Krim ausgestellte Reisedokumente verfügen, haben Schwierigkeiten bei der Einreise auf das ukrainische Festland, da diese Dokumente nicht anerkannt werden. Alle Krim-Bewohner wurden von der Russischen Föderation zu russischen Staatsbürgern erklärt. Krim-Bewohner, welche die russische Staatsbürgerschaft nicht annehmen, gelten als Ausländer und benötigen eine Aufenthaltserlaubnis. Die Ablehnung der russischen Staatsbürgerschaft kann zur Ausweisung bzw. Abschiebung führen. In einigen Fällen wurden Krim-Bewohner von den Behörden gezwungen, ihren ukrainischen Reisepass abzugeben, was Auslandsreisen entsprechend erschwert (USDOS 13.3.2019b).

Im November 2018 wurde ein Einreiseverbot in die Ukraine für männliche russische Staatsbürger im Alter von 16 bis 60 Jahren verhängt, das weiterhin gilt. Wenn Einwohner der Krim die Grenzeals Bürger der Russischen Föderation passieren wollen, gilt dieses Verbot auch für sie. Wenn sie jedoch noch einen gültigen ukrainischen Pass vorweisen können, gilt dieses Verbot für sie nicht (VB 28.1.2019).

Russen / Russischsprachige

Russisch ist in der Ukraine keineswegs die Sprache einer kleinen Minderheit und wird nicht bloß regional begrenzt gesprochen. Zwar haben sich bei der Volkszählung 2001 nur 17 Prozent der Bevölkerung zu ethnischen Russen erklärt, aber es sprechen bedeutend größere Gruppen der Bevölkerung in ihren Familien und im Alltag Russisch. In derselben Volksbefragung gaben 34 Prozent der Befragten an, in ihrer Alltagskommunikation Russisch zu verwenden, 64 Prozent hingegen Ukrainisch. In genaueren Untersuchungen wurde 1994 festgestellt, dass 37 Prozent nur Russisch, 33 Prozent nur Ukrainisch und 29 Prozent beide Sprachen gleichermaßen nutzen. Bis 2008 hatte sich das Verhältnis etwas zugunsten der Staatssprache geändert, aber nicht grundlegend gewandelt. Nun waren die entsprechenden Zahlen: 31, 45 und 25 Prozent. Russisch wird also im Durchschnitt des Landes von ca. der Hälfte der Bevölkerung aktiv verwendet und damit nur etwas weniger häufig als Ukrainisch (DS 19.10.2017).

Aus einer Analyse von Meinungsumfragen aus den Jahren 2012, 2014 und 2017 geht hervor, dass russischsprachige Staatsbürger der Ukraine keine homogene Gemeinschaft bilden, die sich durch ihre bevorzugte Sprache vom Rest der Bevölkerung abhebt, sondern dass sie seit Ende der Sowjetunion eine allmähliche Verwandlung von Sowjetbürgern zu Ukrainern vollzogen haben, ohne ihren Sprachgebrauch groß zu verändern. Die meisten von ihnen sprechen weiterhin vorwiegend Russisch, ohne dass es jedoch entscheidend für ihre Selbstidentifikation wäre. Vor dem Hintergrund der Aggression Russlands gegen die Ukraine seit dem Jahr 2014 haben sich die meisten Russischsprachigen in der Ukraine, selbst in den vermeintlich prorussischen Regionen im Osten und Süden, eher mit ihren Mitbürgern als mit ihren sprachlichen „Brüdern“ auf der anderen Seite der Grenze verbündet. Trotzdem brachte das einen großen Teil der Bevölkerung der Ukraine nicht dazu, den Sprachgebrauch radikal zu verändern. Obwohl viele Menschen, die zuvor fast ausschließlich Russisch gesprochen haben, nun stärker bereit zu sein scheinen, in bestimmten Bereichen etwas Ukrainisch zu verwenden, handelt es sich dabei keineswegs um einen umfassenden Wechsel von einer Sprache zur anderen. Die meisten Menschen in der heutigen Ukraine nutzen sowohl Ukrainisch als auch Russisch in ihrem Alltag, wenn auch zu einem sehr unterschiedlichen Anteil. 21 Prozent (2017) kombinieren die beiden Sprachen in mehr oder weniger gleich großen Teilen. Die Förderung des Ukrainischen führte nicht zu einer systematischen Diskriminierung der Russischsprachigen (UA 22.2.2018).

Es gibt in der Ukraine generell keine Diskriminierung der russischen Sprache. Seit Beginn des Konflikts in der Ostukraine im Jahr 2014, fördert die ukrainische Politik jedoch in bestimmten Bereichen aktiv die ukrainische Sprache, was von der Mehrheit der Menschen unterstützt wird. Manche russische soziale Netzwerke wurden in der Ukraine abgeschaltet, weil sie von russischen Sicherheitsdiensten genutzt wurden, auch um kriegsrelevante Daten abzuschöpfen. Ebenso wurden manche russischsprachige Bücher sowie Radio- und Fernsehsendungen wegen antiukrainischer Propaganda verboten. Der Import russischer Bücher ist seit 2017 generell erschwert.

Schließlich verabschiedete das Parlament 2017 ein Gesetz, das die elektronischen Massenmedien, die landesweit senden, verpflichtet, 75% der Zeit in ukrainischer Sprache auszustrahlen. Für die regionalen Radio- und Fernsehstationen gilt eine Quote von 50%. Ein wichtiges Medium der Ukrainisierung ist seit vielen Jahren das Schul- und Vorschulwesen. Heute besuchen fast 90% der Schüler Schulen mit ukrainischer Unterrichtssprache. Dieser Anteil ist höher als der Anteil der ukrainischen Muttersprachler an der Bevölkerung, entspricht aber in etwa dem Anteil der Bürger, die sich als Ukrainer identifizieren. Neun Prozent der Schüler lernen an Schulen mit russischer Unterrichtssprache, 25 Prozent der Schüler haben Russisch als obligatorisches Unterrichtsfach. Gegen dieses Gesetz hat insbesondere die ungarische Regierung lautstarken Protest auf internationaler Bühne bis in die Nato hinein erhoben. In der Praxis funktioniert die allgegenwärtige ukrainisch-russische Zweisprachigkeit im Alltag in aller Regel erstaunlich reibungslos (UA 29.11.2017). Fälle von Einschüchterung oder Angriffen gegen ethnische Russen oder Vertreter der In der russischsprachigen Gemeinschaft in der Ukraine, sind sporadische Einzelfälle (Cedoca 10.1.2018). Ende April 2019 hat das ukrainische Parlament ein Gesetz zur Stärkung der ukrainischen Sprache verabschiedet. Das Gesetz verpflichtet vor allem Beamte auf allen Ebenen, wie Lehrer, Ärzte, Soldaten usw. in Zukunft Ukrainisch zu sprechen, da andernfalls Geldstrafen drohen. Zudem wird die Quote für ukrainischsprachige Fernseh- und Radioprogramme weiter erhöht. Während Russland die neue Regelung verurteilte, kündigte der frisch gewählte designierte Präsident Selenskiy an, das Gesetz nach seinem Amtsantritt im Juni zu überprüfen. Der scheidende ukrainische Präsident Petro Poroschenko befürwortet das Gesetz. Das Gesetz wird in drei Jahren voll wirksam. Bis dahin sollen Zentren zum Erlernen der ukrainischen Sprache im Land eröffnet werden (DS 25.4.2019, Reuters 25.4.2019).

Sicherheitsbehörden

Die Sicherheitsbehörden unterstehen generell effektiver ziviler Kontrolle. Die Sicherheitskräfte verhindern oder reagieren im Allgemeinen auf gesellschaftliche Gewalt. Zuweilen wenden sie jedoch selbst übermäßige Gewalt an, um Proteste aufzulösen, oder verabsäumen es in einzelnen Fällen, Opfer vor Belästigung oder Gewalt zu schützen (z.B. im Falle der Zerstörung eines Roma-Camps durch Nationalisten, gegen die die Polizei nicht einschritt). Der ukrainischen Regierung gelingt es meist nicht, Beamte, die Verfehlungen begangen haben, strafrechtlich zu verfolgen oder zu bestrafen (USDOS 13.3.2019).

Das sichtbarste Ergebnis der ukrainischen Polizeireform ist die Gründung der Nationalen Polizei nach europäischen Standards, mit starker Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, als von der Politik grundsätzlich unabhängiges Exekutivorgan, die im Juli 2015 in vorerst 32 Städten ihre Tätigkeit aufnahm. Mit November 2015 ersetzte die Nationale Polizei offiziell die bestehende und aufgrund von schweren Korruptionsproblemen in der Bevölkerung stark diskreditierte „Militsiya“. Alle Mitglieder der Militsiya hatten grundsätzlich die Möglichkeit, in die neue Truppe aufgenommen zu werden, mussten hierfür jedoch einen „Re-Attestierungsprozess“ samt umfangreichen Schulungsmaßnahmen und Integritätsprüfungen durchlaufen. Im Oktober 2016 verkündete die damalige Leiterin der Nationalen Polizei den erfolgreichen Abschluss dieses Prozesses, in dessen Zuge 26% der Polizeikommandanten im ganzen Land entlassen, 4.400 Polizisten befördert und im Gegenzug 4.400 herabgestuft wurden. Zentrale Figur der Polizeireform war die ehemalige georgische Innenministerin Khatia Dekanoidze, die jedoch am 14. November 2016 aufgrund des von ihr bemängelnden Reformfortschrittes, zurücktrat. Zu ihrem Nachfolger wurde, nach einem laut Einschätzung der EU Advisory Mission (EUAM) offenen und transparenten Verfahren, im Feber 2017 Serhii Knyazev bestellt. Das Gesetz „Über die Nationalpolizei“ sieht eine Gewaltenteilung zwischen dem Innenminister und dem Leiter der Nationalen Polizei vor. Der Innenminister ist ausschließlich für die staatliche Politik im Rechtswesen zuständig, der Leiter der Nationalen Polizei konkret für die Polizei. Dieses europäische Modell soll den Einfluss des Ministers auf die operative Arbeit der Polizei verringern. Dem Innenministerium unterstehen seit der Reform auch der Staatliche Grenzdienst, der Katastrophendienst, die Nationalgarde und der Staatliche Migrationsdienst. Festzustellen ist, dass der Innenminister in der Praxis immer noch die Arbeit der Polizei beeinflusst und die Reform somit noch nicht vollständig umgesetzt ist. Das nach dem Abgang von Katia Dekanoidze befürchtete Zurückrollen diverser erzielter Reformen, ist laut Einschätzung der EUAM, jedenfalls nicht eingetreten. Das im Juni 2017 gestartete Projekt „Detektive“ – Schaffung polizeilicher Ermittler/Zusammenlegung der Funktionen von Ermittlern und operativen Polizeieinsatzkräften, spielt in den Reformen ebenfalls eine wichtige Rolle. Wie in westeuropäischen Staaten bereits seit langem praktiziert, soll damit ein- und derselbe Ermittler für die Erhebung einer Straftat, die Beweisaufnahme bis zur Vorlage an die Staatsanwaltschaft zuständig sein. Bislang sind in der Ukraine, wie zu Sowjetzeiten, immer noch die operative Polizei für die Beweisaufnahme und die Ermittler für die Einreichung bei Gericht zuständig. Etwas zögerlich wurde auch die Schaffung eines „Staatlichen Ermittlungsbüros (SBI)“ auf den Weg gebracht und mit November 2017 ein Direktor ernannt. Das SBI hat die Aufgabe, vorgerichtliche Erhebungen gegen hochrangige Vertreter der Staates, Richter, Polizeikräfte und Militärangehörige durchzuführen, sofern diese nicht in die Zuständigkeit des Nationalen Antikorruptions-Büros (NABU) fallen. Die Auswahl der Mitarbeiter ist jedoch noch nicht abgeschlossen. Mit Unterstützung der EU Advisory Mission (EUAM) wurde 2018 auch eine „Strategie des Innenministeriums bis 2020“ sowie ein Aktionsplan entwickelt.(ÖB 2.2019).

Die Nationalpolizei muss sich mit einer, das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung beeinträchtigenden Zunahme der Kriminalität infolge der schlechten Wirtschaftslage und des Konflikts im Osten, einer noch im alten Denken verhafteten Staatsanwaltschaft und der aus sozialistischen Zeiten überkommenen Rechtslage auseinandersetzen. Über Repressionen durch Dritte, für die der ukrainische Staat in dem von ihm kontrollierten Staatsgebiet mittelbar die Verantwortung trägt, indem er sie anregt, unterstützt oder hinnimmt, liegen keine Erkenntnisse vor (AA 22.2.2019).

Folter und unmenschliche Behandlung

Folter sowie grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung und Bestrafung, die gegen die Menschenwürde verstößt, ist gemäß Artikel 28 der ukrainischen Verfassung verboten. Die Ukraine ist seit 1987 Mitglied der UN-Anti-Folter-Konvention (CAT) und seit 1997 Teilnehmerstaat der Anti-Folter-Konvention des Europarats (AA 22.2.2019).

Trotzdem gibt es Berichte, dass Strafverfolgungsbehörden an solchen Misshandlungen beteiligt waren. Obwohl Gerichte keine unter Zwang zustandegekommene Geständnisse mehr als Beweismittel verwenden, gibt es Berichte über von Exekutivbeamten durch Folter erzwungene Geständnisse. Menschenrechtsgruppen und die Vereinten Nationen bemängeln die Maßnahmen, angebliche Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitsbehörden zu ermitteln bzw. zu bestrafen, insbesondere angebliche Fälle von Folter, Verschwindenlassen, willkürlichen Inhaftierungen etc. durch den ukrainischen Geheimdienst (SBU), speziell wenn das Opfer aus Gründen der nationalen Sicherheit inhaftiert war/ist oder verdächtig war/ist „pro-russisch“ eingestellt zu sein. Straflosigkeit ist somit weiterhin ein Problem. Während die Behörden manchmal Anklagen gegen Angehörige der Sicherheitsbehörden erheben, kommt es bei einschlägigen Ermittlungen oft nicht zu Anklagen, während die mutmaßlichen Täter weiter ihrer Arbeit nachgehen. Laut Bericht einer NGO kommt es nur in drei Prozent der Strafverfahren gegen Strafverfolgungsbehörden wegen körperlichen Missbrauchs von Festgenommenen zu einer Anklage. Das Innenministerium gibt an, dass Sicherheitskräfte 80 Stunden an verpflichtenden Menschenrechtsschulungen erhalten. Polizeiakademien bieten ebenfalls Kurse zu Menschenrechten, Rechtsstaatlichkeit, Verfassungsrechten, Toleranz und Nichtdiskriminierung, Verhütung häuslicher Gewalt und Folter (USDOS 13.3.2019).

2017 hat das ukrainische Innenministerium bis 1. Dezember ca. 2.000 Beschwerden bezüglich Menschenrechtsverstößen durch Polizeibeamte erhalten. 125 Ermittlungen wurden eingeleitet (davon 83 wegen Körperverletzung, 3 wegen Folter). Im selben Zeitraum begann die Staatsanwaltschaft 43 Untersuchungen (davon 22 wegen Körperverletzungen, 6 wegen Folter). Mit der Gründung des State Bureau of Investigation (SBI) ist dieses u.a. auch für die Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen Sicherheitsbeamte zuständig. Einige Häftlinge berichteten, dass ihre Beschwerden bezüglich Misshandlung bei der Festnahme trotz sichtbarer Verletzungen von Richtern ignoriert wurden (CoE 6.9.2018).

Von der ukrainischen Seite der Kontaktlinie zu den Separatistengebieten der Ostukraine gibt es Berichte über Entführungen bzw. nicht-kommunizierte Haft bei nahezu völliger Straflosigkeit. Dies geschieht vor allem durch den Geheimdienst (SBU); die Opfer werden der Zusammenarbeit mit dem russischen Geheimdienst (FSB) oder bewaffneten Gruppen verdächtigt. Die ukrainischen Behörden sollen sich bei diesen Verhaftungen mitunter auch nationalistischer Gruppen bedient haben, welche die Gefangenen dann dem SBU übergaben. Auch von Misshandlung und Folter ist die Rede, wenn auch nicht in der Systematik und in dem Maßstab wie in den Separatistengebieten (USDOS 13.3.2019). Der SBU bestreitet dies trotz anderslautender Erkenntnisse der Beobachtungsmission des UN-Hochkommissars für Menschenrechte. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlungen gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden wegen illegaler Haft aufgenommen (AA 22.2.2019).

Wehrdienst und Rekrutierungen

Die Wehrpflichtigen in der Ukraine werden folgendermaßen unterteilt:

-) Stellungspflichtige (Pre-conscripts)

-) Wehrpflichtige (Conscripts)

-) aktive Soldaten

-) zum Wehrdienst verpflichtete Personen (persons liable for military service) – sie haben bereits den Grundwehrdienst geleitet und können nötigenfalls wieder temporär mobilisiert werden

-) Reservisten – zum Wehrdienst verpflichtete Personen, die freiwillig regelmäßige Waffenübungen absolvieren. (BFA/OFPRA 5.2017)

Die Pflicht zur Ableistung des Grundwehrdienstes besteht für Männer im Alter zwischen 20 und 27 Jahren. Er dauert grundsätzlich eineinhalb Jahre, für Wehrpflichtige mit Hochschulqualifikation (Magister) 12 Monate. Am 01.05.2014 wurde die früher beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht widerrufen. Danach erfolgten insgesamt sechs Mobilisierungswellen, die hauptsächlich Reservisten, aber auch Grundwehrdienstleistende (letztere zu einer sechsmonatigen Ausbildung) erfassten. Merkmale wie Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung spielen bei der Heranziehung keine Rolle. Wehrpflichtige werden nur auf der Grundlage eines entsprechenden Beschlusses des Ministerkabinetts und in festgelegten Zeiträumen und Anzahl einberufen. So gab es 2018 zwei Einberufungszeiträume, April/Mai und Oktober/Dezember, in denen insgesamt 18.000 Wehrpflichtige einberufen wurden. Davon haben ca. 9.000 Soldaten ihren Wehrdienst in den Streitkräften abgeleistet. Wehrpflichtige wurden nur bis Mitte November 2016 und ausschließlich auf freiwilliger Basis nach der sechsmonatigen Grundausbildung in der Ostukraine eingesetzt; seither geschieht dies nicht mehr. Wehrpflichtige müssen einen Wohnortwechsel binnen einer Woche anzuzeigen. Sollte künftig eine Vollmobilisierung erfolgen, wäre ein Wohnortwechsel durch die Wehrüberwachungsbehörde vorab zu genehmigen. Klagen von Vertretern der ungarischen und rumänischen Minderheit, diese Gruppen würden überproportional zum Wehrdienst herangezogen, sind mittlerweile entkräftet und werden nicht mehr wiederholt. Zwangsarbeit und Zwangsrekrutierungen finden staatlicherseits nicht statt (AA 22.2.2019).

Binnenvertriebene (IDPs) sind grundsätzlich wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/OFPRA 5.2017).

An den Wehrpflichtigen ergeht in der Praxis ein Einberufungsbescheid des regional zuständigen Militärkommissariats postalisch oder durch persönliche Zustellung (BFA/OFPRA 5.2017).

Gesetzlich vorgesehen ist eigentlich eine persönliche Zustellung, weswegen postalisch zugestellte Bescheide Quellen zufolge ungültig seien (Lifos 15.7.2016).

Binnenvertriebene (IDPs) sind ebenso wehrpflichtig, sie stellen für das Verteidigungsministerium aber keine Priorität dar, nicht zuletzt wegen etwaiger Sicherheitsbedenken (Gegenspionage) (BFA/ OFPRA 5.2017).

Frauen mit militärisch nutzbaren Spezialkenntnissen und körperlicher Eignung (und geeigneter familiärer Situation) gelten ebenso als zum Wehrdienst verpflichtete Personen. Im Kriegsfall können sie einberufen werden. In Friedenszeiten können sie freiwillig aktiven oder Reservedienst leisten (BFA/OFPRA 5.2017).

Wehrersatzdienst

Das Gesetz über den Ersatzdienst vom 12.12.1991 (Nr. 1975-XII) regelt das Recht auf Kriegsdienstverweigerung und die Möglichkeit, den Ersatzdienst unter Erfüllung bestimmter Voraussetzungen abzuleisten. Spätestens zwei Monate vor dem Einberufungstermin muss der Wehrpflichtige bei der für den jeweiligen Wohnort zuständigen Behörde einen begründeten Antrag einreichen. Als Grund ist nur die religiöse Überzeugung bei entsprechender Zugehörigkeit zu einer anerkannten Religionsgemeinschaft zulässig (AA 22.2.2019), und zwar:

1. Adventists-Reformists

2. Seventh Day Adventists

3. Evangelical Christians

4. Evangelical Christians-Baptists

5. "The Penitents" - the Slavic Church of the Holy Ghost

6. Jehovah's Witnesses

7. Charismatic Christian Churches (and churches assimilated to them according to registered

statutes)

8. Union of Christians of the Evangelical Faith – Pentecostals (and churches

assimilated to them according to registered statutes)

9. Christians of Evangelical Faith;

10. Society for Krishna Consciousness

(BFA/OFPRA 5.2017)

Bei Kriegs- oder Ausnahmezustand kann das Recht der Wahl zwischen Wehr- und Ersatzdienst gesetzlich für bestimmte Zeit eingeschränkt werden. Der Ersatzdienst dauert 27 Monate, für Hochschulabsolventen (Magister) 18 Monate. Er wird in staatlichen Sozial-, Gesundheits- und Kommunaleinrichtungen oder beim Roten Kreuz abgeleistet. Der Ersatzdienst hat in der Ukraine kaum Tradition und ist in der Gesellschaft noch wenig verankert. Über die Zahl der Ersatzdienstleister macht das ukrainische Verteidigungsministerium keine offiziellen Angaben. NGO-Vertreter gehen von bislang 7.500 Anträgen aus (AA 22.2.2019). Es gibt Berichte, dass der Wehrersatzdienst auch in der Praxis zugänglich ist, wenn die nötigen Dokumente vorgelegt werden. Es gibt aber auch Berichte, dass Bestechungsgelder verlangt worden wären, um diesen Zugang zu erhalten. Rechtlich ist es auch möglich, wenn auch mit engen Zeitfenstern, dass nach der Einberufung konvertierte Wehrpflichtige noch in den Genuss des Ersatzdienstes kommen können (BFA/OFPRA 5.2017).

Im Juni 2016 bestätigte der High Specialized Court of Ukraine das Urteil eines Bezirksgerichts von 2014, dass Verweigerer aus Gewissensgründen auch im Falle der Mobilisierung das Recht auf einen Ersatzdienst haben. Es gab keine weiteren Strafverfolgungen bezüglich des Ersatzdienstes. Im September 2016 wurde vom selben Gerichtshof ein Urteil aufgehoben, mit dem ein Verweigerer aus Gewissensgründen wegen Flucht vor der Mobilisierung zu zwei Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Im Juni 2016 unterstütze der Kharkiv District Administrative Court die Beschwerde eines Verweigerers aus Gewissensgründen, der zum Wehrdienst einberufen werden sollte (USDOS 10.8.2016).

Wehrdienstverweigerung / Desertion

Wenn eine Person ordnungsgemäß von der Einberufung informiert wurde, ihr aber nicht folgt, kann dies gemäß Art. 210 mit einem Bußgeld bestraft werden und es folgt eine zweiter Einberufungsbefehl. Wird diesem wieder nicht gefolgt, kann wieder gemäß Art. 210 ein Bußgeld verhängt werden. Folgt die Person dem Befehl immer noch nicht, wird der Fall wegen des Verdachts der Wehrdienstverweigerung der Polizei übergeben (Lifos 15.7.2016; vgl. BFA/OFPRA 5.2017).

Die Entziehung vom Wehrdienst wird nach Art. 335 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bestraft. Eine Mobilisierungsentziehung kann gemäß Art. 336 StGB mit bis zu fünf Jahren bestraft werden. Für Entziehung von der Wehrerfassung sieht Art. 337 eine Geldstrafe bis zu 50 Mindestmonatslöhnen oder Besserungsarbeit bis zu zwei Jahren oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vor. Für Entziehung von einer Wehrübung ist eine Geldstrafe bis zu 70 Mindestmonatslöhnen oder Freiheitsentziehung bis zu sechs Monaten vorgesehen (AA 22.2.2019).

Desertion ist gemäß Art. 408 des ukrainischen Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe von zwei bis fünf Jahren strafbar. Wenn sie organisiert in einer Gruppe oder mit Waffe erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zehn Jahren. Wenn die Desertion unter der Geltung von Kriegsrecht oder im Gefecht erfolgt, liegt das Strafmaß bei fünf bis zwölf Jahren. Es gibt eigene Strafen für Soldaten im Falle von Selbstverstümmelung oder anderen Formen sich dem Dienst zu entziehen, die in Art. 409 beschrieben sind (BFA/OFPRA 5.2017).

Grundsätzlich ist es möglich, dass Ukrainer bei Rückkehr aus dem Ausland strafverfolgt werden, weil sie sich der Mobilisierung entzogen haben, da diese Personen in ein Einheitliches Staatsregister der Personen, die sich der Mobilisierung entziehen, eingetragen wurden. Zugriff auf dieses Register haben der ukrainische Generalstab und das Innenministerium. In der Praxis gibt es trotz zahlreicher Fahndungen jedoch nur wenige Anklagen und kaum Verurteilungen (VB 21.3.2017). Die Verantwortung für das „Meiden der Einberufung“ bei der Mobilisierung kann jedoch nur entstehen, wenn die Person in entsprechender Weise darüber informiert wurde, bzw. die Ladung bewusst abgelehnt wurde (VB 7.9.2018).

Allgemeine Menschenrechtslage

Der Schutz der Menschenrechte durch die Verfassung ist gewährleistet. Die Möglichkeit von Nichtregierungsorganisationen (NGOs), sich im Bereich Menschenrechte zu betätigen, unterliegt keinen staatlichen Restriktionen (AA 22.2.2019).

Die Verfassung sieht eine vom Parlament bestellte Ombudsperson vor, den parlamentarischen Menschenrechtsbeauftragten. Das Amt wird derzeit von Lyudmila Denisova bekleidet. Ihr Büro arbeitet bei verschiedenen Projekten zur Überwachung von Menschenrechtspraktiken in Gefängnissen und anderen staatlichen Institutionen häufig mit NGOs zusammen. Die Ombudsperson bemühte sich in der Vergangenheit speziell um Krimtataren, Binnenvertriebene, Roma, Behinderte, sexuelle Minderheiten und Gefängnisinsassen. Die Ombudsperson kann auch Ermittlungen wegen Misshandlung durch Sicherheitskräfte einleiten und ist auch bei Problemen mit der Justiz jederzeit ansprechbar (USDOS 13.3.2019).

Gleichberechtigung von Männern und Frauen ist in Verfassung und Gesetzen ausdrücklich vorgesehen. Tatsächlich werden Frauen jedoch häufig schlechter bezahlt und sind in Spitzenpositionen unterrepräsentiert (AA 22.2.2019). 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI- oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört (AA 22.2.2019; vgl. USDOS 13.3.2019). Durch den bewaffneten Konflikt kommt es vermehrt zu häuslicher Gewalt und Gender Based Violence (GBV), von der vor allem Frauen betroffen sind. Ein neues Gesetz, das häusliche Gewalt als Straftatbestand deklariert, wurde im Dezember 2017 angenommen. Es gibt jedoch kaum ausreichend psychosoziale und medizinische (Notfall-) Einrichtungen mit geschultem Personal (ÖB 2.2019).Frauen und Mitglieder von Minderheitengruppen können am politischen Leben in der Ukraine teilnehmen. Diese Rechte werden jedoch durch Faktoren wie den Konflikt im Osten, Analphabetismus und das Fehlen von Ausweisdokumenten (häufig bei Roma) geschmälert. Das Gesetz über Kommunalwahlen schreibt eine 30%-Quote für Frauen auf Parteilisten vor, die jedoch nicht wirksam durchgesetzt wird. Die gesellschaftliche Diskriminierung von sexuellen Minderheiten beeinträchtigt ihre Fähigkeit, sich an politischen Prozessen und Wahlprozessen zu beteiligen (FH 4.2.2019).

Versammlungsfreiheit ist laut Verfassung garantiert und die Regierung respektiert dieses Recht generell, aber einfachgesetzlich haben die Behörden breite Möglichkeiten das Demonstrationsrecht einzuschränken. 2018 wurden Demonstrationen von LGBTI- oder Frauenrechtsgruppen regelmäßig von rechtsgerichteten Gruppen gestört. Die Polizei schützte zwar den 2018 Kiew Pride-Marsch mit tausenden Beamten, kleinere Veranstaltungen von Minderheiten oder oppositionellen Gruppen wurden jedoch nicht immer ausreichend geschützt (USDOS 13.3.2019; vgl. FH 4.2.2019).

Zu den Pflichten des Veranstalters von friedlichen Versammlungen zählt unter anderem die Anmeldung der Veranstaltung im Vorfeld bei den örtlich zuständigen Behörden. Die Fristen, die in diesem Zusammenhang anzuwenden sind, sind jedoch nicht klar geregelt und variieren je nach vertretener Auffassung zwischen drei und zehn Tagen. Diese Unklarheit lässt den öffentlichen Behörden einen relativ großen Freiraum, Versammlungen zu untersagen. Tatsächlich wird die Abhaltung von friedlichen Versammlungen von den Behörden regelmäßig abgelehnt. Als gängige Begründungen dienen die zu späte Ankündigung der Demonstration, der Mangel an verfügbaren Polizisten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der gleichzeitige Besuch einer offiziellen ausländischen Delegation oder das gleichzeitige Stattfinden einer anderen Veranstaltung am gleichen Ort. Auch die Definition der „Friedlichkeit“ einer Versammlung ist nicht immer unstrittig (ÖB 2.2019).

Verfassung und Gesetze sehen Vereinigungsfreiheit vor und die Regierung respektiert dieses Recht im Allgemeinen. Menschenrechtsgruppen und internationale Organisationen kritisieren jedoch ein Gesetz vom März 2017, das für zivilgesellschaftliche Organisationen und Journalisten, die sich mit Antikorruptionsangelegenheiten befassen, gewisse Offenlegungserfordernisse vorsieht. Dies wird weithin als Einschüchterungsmaßnahme gesehen. Menschenrechtsorganisationen berichten von einer wachsenden Anzahl ungeklärter Angriffe auf Mitglieder von Organisationen der Zivilgesellschaft (mehr als 50 Angriffe binnen 12 Monaten), die ihrer Ansicht nach ein Klima der Straflosigkeit geschaffen hätten, weil die Regierung diese nicht ordentlich untersucht habe. Es gibt Vorwürfe gegen die Regierung, diese würde Aktivisten als Vergeltungsmaßnahme für ihre Tätigkeit strafrechtlich verfolgen (USDOS 13.3.2019).Sowohl natürliche als auch juristische Personen können einen Verein gründen. Die Vereinsgründung kann nur aus im Gesetz eng definierten Gründen untersagt werden (ÖB 2.2019). Nach dem Ende der Ära Janukowitsch sind zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen mit einer Vielzahl sozialer, politischer, kultureller und wirtschaftlicher Zielsetzungen entstanden oder wiederbelebt worden. Viele von ihnen können die Entscheidungsfindung auf verschiedenen Regierungsebenen beeinflussen. Ein klar gegen Russland gerichtetes Gesetz gegen „ausländische Agenten, die unter dem Einfluss eines Aggressorstaats agieren“, wurde im September 2018 vorgelegt. Seitens der Zivilgesellschaft gibt es Bedenken, dass dieses Gesetz generell NGOs mit ausländischen Geldgebern treffen könnte. Gewalt gegen Aktivisten der Zivilgesellschaft nahm im Jahr 2018 zu. Zu den Bedrohten gehören Aktivisten, die sich gegen Korruption oder für die Rechte von LGBTI-Personen einsetzen (FH 4.2.2019).

Verfassung und Gesetze sehen Meinungsfreiheit vor, auch für Pressevertreter. Die Behörden respektieren diese Rechte jedoch nicht immer. Mit einigen Ausnahmen können Personen in Gebieten, die unter staatlicher Kontrolle stehen, die Regierung im Allgemeinen öffentlich und privat kritisieren und Angelegenheiten von öffentlichem Interesse erörtern, ohne Angst vor offiziellen Repressalien zu haben. Die Gesetze verbieten Aussagen, welche die territoriale Integrität des Landes bedrohen, Kriege fördern, Rassen- oder Religionskonflikte auslösen oder die russische Aggression gegen das Land unterstützen, und die Regierung verfolgt Personen gemäß dieser Gesetze. Die Regierung setzte Maßnahmen um Informationen, Medien oder einzelne Journalisten zu verbieten bzw. zu blockieren, wenn diese als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachtet werden oder Positionen geäußert haben, die nach Ansicht der Behörden die Souveränität und territoriale Integrität des Landes untergraben. Die betrifft vor allem Medien russischer Herkunft oder pro-russischer Ausrichtung. Unabhängige Medien sind aktiv und bringe eine weite Bandbreite an Meinungen zum Ausdruck. In Privatbesitz befindliche Medien - die erfolgreichsten gehören einflussreichen Oligarchen - transportieren oft die Ansichten ihrer Eigentümer, günstige Berichterstattung für ihre Verbündeten und Kritik an politischen und geschäftlichen Rivalen. Unabhängige Medien haben Schwierigkeiten zu konkurrieren. Problematische Praktiken wirken sich weiterhin auf die Medienfreiheit aus, darunter Selbstzensur, günstige Berichterstattung gegen Geld („Jeansa“) und verzerrte Berichterstattung in Medienunternehmen, deren Eigentümer enge Verbindungen zur Regierung oder zu politischen Oppositionspartnern haben. Gewalt gegen Journalisten ist weiterhin ein Problem. Menschenrechtsgruppen beklagen mangelnde Gegenmaßnahmen der Regierung. 2018 wurden bis September Angaben zufolge 22 Angriffe und 24 Drohungen gegen Journalisten gemeldet, verglichen mit 19 Angriffen und 22 Drohungen im selben Zeitraum 2017. Besonders betroffen ist Berichterstattung, welche als nicht ausreichend patriotisch empfunden wird. Rufmordklagen gegen Journalisten werden von Personen des öffentlichen Interesses immer wieder eingesetzt oder angedroht, um die Berichterstattung zu beeinflussen. Berichten zufolge hat sich die Freiheit des Internet in der Ukraine zum zweiten Mal in Folge verschlechtert, weil die Behörden stärker gegen Meinungsbekundungen von Social Media-Nutzern vorgehen, die als kritisch gegenüber der Position der Ukraine im Donbass-Konflikt wahrgenommen werden. Einer Medienbeobachtungsgruppe zufolge haben die Behörden 2017 gegen 40 Benutzer oder Administratoren von Social-Media-Plattformen strafrechtliche Ermittlungen eingeleitet, weil ihre Inhalte die verfassungsmäßige Ordnung des Landes untergraben oder die nationale Sicherheit gefährdet hätten; 37 von ihnen wurden vor Gericht gestellt. Besonders “separatistische“ oder „extremistische“ Aktivitäten wurden 2018 besonders geahndet; User wurden festgenommen zu Geld- oder Haftstrafen verurteilt (USDOS 13.3.2019).

Das unabhängige Institute of Mass Information registrierte von Januar bis November 2018 201 Verletzungen der Medienfreiheit. Von diesen Vorfällen betrafen 28 Gewalt sowie 27 Drohungen und Einschüchterungen. Die Gerichte und Strafverfolgungsbehörden der Ukraine versagen manchmal beim Schutz der Rechte von Journalisten (FH 4.2.2019).

Mit Ausnahme eines Verbots der Kommunistischen Partei von 2015 gibt es keine formellen Hindernisse für die Gründung und den Betrieb politischer Parteien. In den letzten Jahren sind mehrere politische Parteien entstanden. Ein Gesetz aus dem Jahr 2016 regelt die staatliche Finanzierung im Parlament vertretener Parteien. Oppositionsgruppen sind im Parlament vertreten, und ihre politischen Aktivitäten werden im Allgemeinen nicht durch administrative Beschränkungen behindert. Neue Kleinparteien haben Schwierigkeiten mit etablierten Parteien zu konkurrieren, welche die Unterstützung politisch vernetzter Oligarchen genießen (FH 4.2.2019).

Die Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der ungestörten Religionsausübung wird von der Verfassung garantiert und von der Regierung in ihrer Politik gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften respektiert (AA 22.2.2019). Laut Befragungen sind 68,2 Prozent der Ukrainer christlich-orthodox. Davon gehören 26,5 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Kiewer Partiartchats (UOC-KP), 12 Prozent zur ukrainisch-orthodoxen Kirche des Moskauer Partiartchats (UOC-MP), 1,1 Prozent zur ukrainisch-autokephalen Kirche (UAOC) und 24,3 Prozent bezeichnen sich als „schlicht orthodox“. 7,8 Prozent der Ukrainer sind griechisch-katholisch, 1,3 Prozent jüdisch, 1 Prozent römisch-katholisch, 0,8 Prozent protestantisch und 0,2 Prozent muslimisch. Weitere 7 Prozent identifizieren sich als „Christen“ und 12,6 Prozent geben an, dass sie keiner religiösen Gruppe angehören (USDOS 29.5.2018). Kleinere religiöse Gruppen berichten jedoch weiterhin von einer gewissen Diskriminierung. Im Oktober 2018 erhielten ukrainisch-orthodoxe Kleriker die Erlaubnis der religiösen Behörden in Istanbul, dem historischen Sitz der östlichen orthodoxen Kirche, zur Errichtung einer eigenen autokephalen Kirche außerhalb der kanonischen Gerichtsbarkeit der russisch-orthodoxen Kirche. Im Dezember wurde diese neue orthodoxe Kirche der Ukraine gegründet, um die bestehenden Denominationen zu vereinigen. Der Kreml und die Kirchenführer in Moskau lehnen diesen Schritt entschieden ab. Es gibt Berichte, dass der ukrainische Geheimdienst aus Furcht vor Provokationen russisch-orthodoxe Kirchen und Priesterheime durchsuchte und Kleriker, die als loyal zu Moskau gelten, zum Verhör vorgeladen wurden. Diese Auseinandersetzung hindert jedoch die meisten Menschen nicht wesentlich daran, den Glauben ihrer Wahl zu praktizieren (FH 4.2.2019).

Ethnische Minderheiten

Die Misshandlung von Angehörigen von Minderheitengruppen und die Belästigung von Ausländern mit nicht-slawischem Aussehen sind weiterhin ein Problem. NGOs zufolge haben fremdenfeindliche Vorfälle 2018 erheblich zugenommen. Für eine Anklage als Hassverbrechen (Straftaten, die aus ethnischem, nationalem oder religiösem Hass resultieren) ist der Nachweis eines Vorsatzes erforderlich,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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