TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/30 W116 2227275-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 30.06.2020
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Entscheidungsdatum

30.06.2020

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z15
AsylG 2005 §2 Abs1 Z22
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §3 Abs4
AsylG 2005 §3 Abs5
AsylG 2005 §34 Abs2
AsylG 2005 §34 Abs4
AsylG 2005 §75 Abs24
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W116 2227275-1/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Mario DRAGONI als Einzelrichter über die Beschwerde des minderjährigen XXXX , geb. XXXX , StA. Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2019, Zl. 1229079205-190472273, zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG stattgegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status eines Asylberechtigten zuerkannt. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der minderjährige Beschwerdeführer reiste gemeinsam mit seinem Onkel illegal nach Österreich ein und stellte am 09.05.2019 im Beisein eines Dolmetschers für die arabische Sprache und einer Rechtsberaterin einen Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der am selben Tag durchgeführten Erstbefragung gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, dass sie mit einem Bus in die Türkei ausgereist seien und sich anschließend in Griechenland aufgehalten hätten. Danach seien sie mit einem LKW nach Österreich gereist. Zu seinen Fluchtgründen und der Rückkehrsituation gab er an, dass Soldaten zu ihnen gekommen seien und sie gewarnt hätten, dass sie umgebracht werden würden, wenn sie nicht die Stadt verlassen würden.

2.       Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl:

2.1.    Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.12.2019, zugestellt am 06.12.2019, wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 02.12.2020 erteilt (Spruchpunkt III.).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf herkunftsstaatsbezogene Feststellungen zur allgemeinen Lage in Syrien, stellte die Identität des Beschwerdeführers fest und begründete die abweisende Entscheidung im Wesentlichen damit, dass glaubhaft sei, dass seine Mutter aufgrund der Sicherheitslage und des Krieges Syrien verlassen habe. Außerdem habe sie selbst angegeben, vor der Ausreise weder jemals bedroht worden zu sein noch Probleme mit den Behörden oder Dritten gehabt zu haben. Für den Beschwerdeführer habe sie keine Fluchtgründe ins Treffen geführt. Zu den Ausführungen seiner Mutter, dass dem Beschwerdeführer im Falle des Verbleibs in Syrien der Militärdienst drohe, sei anzuführen, dass dies zutreffen möge, jedoch dies frühestens in elf Jahren der Fall wäre, sodass ein zeitlicher Zusammenhang nicht erkannt werden könne.

Im gegenständlichen Fall liege ein Familienverfahren gemäß § 34 AsylG vor. Da keinem anderen Familienmitglied des Beschwerdeführers der Status eines Asylberechtigten zuerkannt worden sei, komme auch für ihn die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten aufgrund des vorliegenden Familienverfahrens nicht in Betracht. Da der Beschwerdeführer nicht straffällig sei, gegen seine Bezugsperson kein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei, das Familienleben in einem anderen Staat nicht fortgesetzt werde könne und seiner Mutter der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt worden sei, erhalte auch er den gleichen Schutz.

2.2.    Mit Verfahrensanordnung gemäß § 63 Abs. 2 AVG vom 04.12.2019 wurde dem Beschwerdeführer gemäß § 52 Abs. 1 BFA-VG die ARGE Rechtsberatung – Diakonie und Volkshilfe als Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

2.3.    Gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides wurde fristgerecht eine (gemeinsame) Beschwerde erhoben, welche am 23.12.2019 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl einlangte. Darin wird im Wesentlichen Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht. In der Beschwerdebegründung wurde nach Darstellung des Verfahrensganges darauf hingewiesen, dass sich aus den von der belangten Behörde zugrunde gelegten Länderberichten und aus Feststellungen im angefochtenen Bescheid ergebe, dass ethnische/religiöse Zugehörigkeit sowie Herkunft, Wohnort und Familienzugehörigkeit Faktoren im Krieg darstellen würden und es zu einer Verfolgung von Frauen und Kindern, auch aufgrund ihrer Familienzugehörigkeit, komme. Trotzdem sei der Sachverhalt zur Beurteilung einer der Mutter des Beschwerdeführers insofern drohenden Verfolgung von der belangten Behörde nicht erhoben und insbesondere mit dieser im Rahmen ihrer Einvernahme nicht erörtert worden. Wäre die Behörde ihrer amtswegigen Ermittlungspflicht nachgekommen, hätte sie zu der Feststellung gelangen können, dass schon aufgrund des längeren Auslandsaufenthaltes und der Stellung ihres Asylantrags davon auszugehen sei, dass die Mutter des Beschwerdeführers bei einer allfälligen Rückkehr in ihre Heimat das Interesse der syrischen Behörden auf sich ziehen und damit in deren Blickfeld geraten würde und ihr bereits aus diesem Grund von den syrischen Staatsorganen eine regimekritische Haltung unterstellt werden könnte. Zudem sei bereits ihrem im Bundegebiet lebenden Bruder der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden. Entgegen den Ausführungen der belangten Behörde sei daher anzunehmen, dass die Mutter des Beschwerdeführers von den syrischen Staatsorganen als regimekritisch eingestuft werde und daher eine Verhaftung und Bestrafung bis hin zu Misshandlungen und allenfalls sogar Tötung zu erwarten hätte. Außerdem wäre die belangte Behörde bei Beachtung ihrer Ermittlungspflicht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Vater des Beschwerdeführers als Reservist Syrien verlassen habe, um nicht vom Militär eingezogen zu werden. Zudem hätte die belangte Behörde ermitteln können, dass die Mutter des Beschwerdeführers mangels funktionierender Schutzmöglichkeiten des syrischen Staates aufgrund der jetzigen Bürgerkriegssituation allfälligen Verfolgungen bzw. Rekrutierungsversuchen bzw. Bedrohungen von bewaffneten Gruppierungen schutzlos ausgesetzt wäre. Im Übrigen verstoße dieses Beschwerdevorbringen nicht gegen das Neuerungsverbot, da gemäß § 20 Abs. 1 Z 2 BVA-VG in einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl neue Tatsachen und Beweismittel vorgebracht werden dürfen, wenn das Verfahren vor dem Bundesamt mangelhaft gewesen sei.
Im Folgenden wurde ein Auszug aus den UNHCR-Erwägungen zum Schutzbedarf von Personen, die aus der Arabischen Republik Syrien fliehen, vom November 2015, betreffend die Situation von Frauen zitiert. Zu diesem Thema wurde darüber hinaus auf weitere Länderberichte verwiesen. Hinsichtlich des gesamten Fluchtvorbringens wurde eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.09.2017, W214 2148107-1, angeführt, aus welcher im Wesentlichen hervorgehe, dass die Schwelle dafür, von Seiten des syrischen Regimes als oppositionell betrachtet zu werden, niedrig sei.
Den Beschwerdeausführungen zur inhaltlichen Rechtswidrigkeit sind zunächst Verweise auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr sowie zur Indizwirkung der UNHCR-Empfehlungen zu entnehmen. Nachdem auf die deutsche Rechtsprechung zur Verfolgung alleine wegen einer illegalen Ausreise und der Asylantragsstellung in einem westlichen Staat sowie auf eine dementsprechende Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen wurde, wurde festgehalten, dass im gegenständlichen Fall eine Kumulation von Gefährdungsfaktoren vorliege und bei einer Gesamtbetrachtung bei der Mutter des Beschwerdeführers mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr einer Verfolgung aufgrund der unterstellten politischen Gesinnung bzw. die Gefahr stellvertretender Verfolgung, somit aufgrund der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie und aufgrund geschlechtsspezifischer Verfolgung bestehe. Schließlich wurde der Inhalt des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zur Situation von Familienangehörigen von Deserteuren, Wehrdienstverweigerern und Oppositionellen samt den Konsequenzen, mit denen betroffene Familien seitens der Regierung zu rechnen hätten, wiedergegeben und unter anderem der Antrag gestellt, der Mutter des Beschwerdeführers den Status der Asylberechtigten zuzuerkennen.

3.       Das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:

3.1.    Die gegenständliche Beschwerde und die bezughabenden Verwaltungsakten wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgelegt und sind am 09.01.2020 beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt.

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat über die zulässigen Beschwerden erwogen:

1.       Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf der Grundlage der vorliegenden Akten, insbesondere des gestellten Antrages auf internationalen Schutz vom 09.05.2019, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der Einsichtnahme in die bezughabenden Verwaltungsakten sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, Fremdeninformationssystem, Strafregister und Grundversorgungs-Informationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1.    Zur Person und zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

Der minderjährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Syriens und Angehöriger der Volksgruppe der Kurden.

Der Beschwerdeführer verließ Syrien im März 2018 gemeinsam mit seiner Familie und flüchtete mit einem Bus in die Türkei und weiter mit einem Schlauchboot nach Griechenland. Danach reiste er gemeinsam mit seinem Onkel mit einem LKW nach Österreich, wo er am 09.05.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Darin gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen und seiner Rückkehrsituation an, dass Soldaten zu ihnen gekommen seien und sie gewarnt hätten, dass sie umgebracht werden würden, wenn sie nicht die Stadt verlassen würden. Festgestellt wird, dass die Mutter des Beschwerdeführers, welche am 22.07.2019 gemeinsam mit einem weiteren Sohn illegal in das Bundesgebiet einreiste und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte, keine eigenen Fluchtgründe des Beschwerdeführers vorbrachte.

Der Beschwerdeführer ist der Sohn der syrischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , der mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag, W116 2227273-1/4E, insbesondere aufgrund ihrer (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung wegen der Wehrdienstverweigerung ihrer Brüder und einer deshalb drohenden Verfolgung durch das syrische Regime gemäß § 3 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt wurde.

Im gegenständlichen Fall liegt ein Familienverfahren iSd § 34 AsylG 2005 vor.

Es ist nicht ersichtlich, dass dem minderjährigen Beschwerdeführer die Fortsetzung des bestehenden Familienlebens mit seiner asylberechtigten Mutter in einem anderen Staat möglich wäre.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

2.       Beweiswürdigung:

2.1.    Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers und zu seinem Fluchtvorbringen:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers, seiner Staatsangehörigkeit und Volksgruppenzugehörigkeit gründen sich auf seine diesbezüglich glaubhaften Angaben und die Angaben seiner Familienangehörigen. Die Identität des Beschwerdeführers wurde auch bereits vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl festgestellt. Die Feststellungen zur Fluchtroute beruhen auf seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben.

Der Zeitpunkt der Antragstellung und die Ausführungen zum Verfahrensverlauf ergeben sich aus dem Akteninhalt. Dass beim Beschwerdeführer keine eigenen individuellen Fluchtgründe vorliegen, ergibt sich insbesondere aus dem Inhalt des von seiner Mutter am 22.07.2019 gestellten Antrages auf internationalen Schutz.

Die Feststellung, dass es sich beim Beschwerdeführer um den Sohn der XXXX , geboren am XXXX , handelt, gründet sich auf die diesbezüglich übereinstimmenden sowie gleichbleibenden und damit glaubwürdigen Angaben der Mutter des Beschwerdeführers im Verfahren und auf das von seinem Onkel vorgelegte Familienbuch. Dass der Mutter des Beschwerdeführers insbesondere aufgrund ihrer (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung wegen der Wehrdienstverweigerung ihrer Brüder und einer deshalb drohenden Verfolgung durch das syrische Regime gemäß § 3 AsylG 2005 mit Erkenntnis vom heutigen Tag gemäß § 3 AsylG 2005 der Status einer Asylberechtigten zuerkannt wurde, ergibt sich aus dem Gerichtsakt zu W116 2227273-1/4E.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des zwölfjährigen Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister und resultiert zudem aus der fehlenden Deliktsfähigkeit.

3.       Rechtliche Beurteilung:

3.1.1.  Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Eine derartige Regelung wird in den einschlägigen Materiengesetzen (BFA-VG, AsylG 2005) nicht getroffen und es liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

3.1.2.  Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 i.d.F. BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

3.1.3.  Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht. Im Übrigen gilt § 24 VwGVG.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann – soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist – das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegenstehen.

Im vorliegenden Beschwerdefall ergibt sich, dass aus dem Akteninhalt der Verwaltungsakten die Grundlage des bekämpften Bescheides in Verbindung mit der Beschwerde unzweifelhaft nachvollziehbar ist. Der maßgebliche Sachverhalt war aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde als geklärt anzusehen. Auch die gebotene Aktualität ist unverändert gegeben, zumal die dem Bescheid zugrunde gelegten Länderfeststellungen unverändert die zur Beurteilung des konkreten Falls notwendige Aktualität aufweisen.

3.2.    Zu Spruchpunkt A):

3.2.1.  Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist).

Flüchtling iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist, wer sich aus der begründeten Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.

3.2.2.  Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung liegt dann vor, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde (vgl. VwGH 09.03.1999, 98/01/0370). Verlangt wird eine „Verfolgungsgefahr“, wobei unter Verfolgung ein Eingriff von erheblicher Intensität in die vom Staat zu schützende Sphäre des Einzelnen zu verstehen ist, welcher geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen haben und muss ihrerseits Ursache dafür sein, dass sich die betreffende Person außerhalb ihres Heimatlandes bzw. des Landes ihres vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein. Zurechenbarkeit bedeutet nicht nur ein Verursachen, sondern bezeichnet eine Verantwortlichkeit in Bezug auf die bestehende Verfolgungsgefahr (vgl. VwGH 27.01.2000, 99/20/0519). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.03.1995, 95/19/0041; 26.02.2002, 99/20/0509 mwN; 17.09.2003, 2001/20/0177) ist eine Verfolgungshandlung nicht nur dann relevant, wenn sie unmittelbar von staatlichen Organen (aus Gründen der GFK) gesetzt worden ist, sondern auch dann, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, die nicht von staatlichen Stellen ausgehen, sofern diese Handlungen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – asylrelevant wären. Eine von dritter Seite ausgehende Verfolgung kann nur dann zur Asylgewährung führen, wenn sie von staatlichen Stellen infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abgewandt werden kann (vgl. VwGH 22.03.2003, 99/01/0256 mwN).

Nach der Rechtsprechung des VwGH ist der Begriff der „Glaubhaftmachung“ im AVG oder in den Verwaltungsvorschriften iSd ZPO zu verstehen. Es genügt daher diesfalls, wenn der [Beschwerdeführer] die Behörde von der (überwiegenden) Wahrscheinlichkeit des Vorliegens der zu bescheinigenden Tatsachen überzeugt. Diesen trifft die Obliegenheit zu einer erhöhten Mitwirkung, dh er hat zu diesem Zweck initiativ alles vorzubringen, was für seine Behauptung spricht (Hengstschläger/Leeb, AVG § 45 Rz 3 mit Judikaturhinweisen). Die „Glaubhaftmachung“ wohlbegründeter Furcht setzt positiv getroffene Feststellungen seitens der Behörde und somit die Glaubwürdigkeit der „hierzu geeigneten Beweismittel“, insbesondere des diesen Feststellungen zugrundeliegenden Vorbringens des Asylwerbers voraus (vgl. VwGH 19.03.1997, 95/01/0466). Die Frage, ob eine Tatsache als glaubhaft gemacht zu betrachten ist, unterliegt der freien Beweiswürdigung der Behörde (VwGH 27.05.1998, 97/13/0051).

Relevant kann darüber hinaus nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Bescheiderlassung vorliegen, auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen zu befürchten habe (VwGH 19.10.2000, 98/20/0233).

Wie bereits im Rahmen der Beweiswürdigung dargestellt wurde, wurde für den Beschwerdeführer im Verfahren keine ihn betreffende, auf den in der GFK taxativ aufgezählten Gründen beruhende Bedrohung oder Verfolgung in Syrien vorgebracht, weshalb keine individuelle asylrelevante Verfolgung im Herkunftsstaat festgestellt werden kann.

Im vorliegenden Fall liegt jedoch ein Familienverfahren im Sinne des § 34 AsylG 2005 bezüglich der Verfahren des Beschwerdeführers und seiner Mutter vor.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 22 AsylG 2005 ist Familienangehöriger, wer Elternteil eines minderjährigen Kindes, Ehegatte oder zum Zeitpunkt der Antragstellung minderjähriges lediges Kind eines Asylwerbers oder eines Fremden ist, dem der Status des subsidiär Schutzberechtigten oder des Asylberechtigten zuerkannt wurde, sofern die Ehe bei Ehegatten bereits im Herkunftsstaat bestanden hat.

Gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 hat die Behörde aufgrund eines Antrages eines Familienangehörigen eines Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden ist, dem Familienangehörigen mit Bescheid den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn dieser nicht straffällig geworden ist (§ 2 Abs. 3); die Fortsetzung eines bestehenden Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK mit dem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, in einem anderen Staat nicht möglich ist und gegen den Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, kein Verfahren zur Aberkennung dieses Status anhängig ist (§ 7).

Gemäß § 34 Abs. 4 AsylG 2005 hat die Behörde Anträge von Familienangehörigen eines Asylwerbers gesondert zu prüfen; die Verfahren sind unter einem zu führen; unter den Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 erhalten alle Familienangehörigen den gleichen Schutzumfang.

Der Mutter des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom heutigen Tag, W116 2227273-1/4E, gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten insbesondere aufgrund ihrer (zumindest unterstellten) politischen Gesinnung wegen der Wehrdienstverweigerung ihrer Brüder und einer deshalb drohenden Verfolgung durch das syrische Regime zuerkannt und gemäß § 3 Abs. 5 AsylG festgestellt, dass ihr kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Da der Mutter des minderjährigen Beschwerdeführers der Status der Asylberechtigten zuerkannt wurde, ist gemäß § 34 Abs. 2 AsylG 2005 auch dem Beschwerdeführer der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, zumal keine Sachverhaltselemente, die unter einen der Tatbestände des § 34 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 zu subsumieren wären, erkennbar sind.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Der Beschwerde ist daher gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG iVm § 3 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 2 AsylG 2005 stattzugeben und festzustellen, dass dem Beschwerdeführer kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz am 09.05.2019 gestellt wurde, wodurch insbesondere die §§ 2 Abs. 1 Z 15 und 3 Abs. 4 AsylG 2005 idF des Bundesgesetzes BGBl. I 24/2016 („Asyl auf Zeit“) gemäß § 75 Abs. 24 leg. cit. im konkreten Fall bereits Anwendung finden.

Gemäß § 3 Abs. 4 AsylG 2005 kommt einem Fremden, dem der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung zu. Diese Aufenthaltsberechtigung verlängert sich kraft Gesetzes nach Ablauf dieser Zeit auf eine unbefristete Gültigkeitsdauer, sofern die Voraussetzungen für eine Einleitung eines Aberkennungsverfahrens nicht vorliegen oder ein Aberkennungsverfahren eingestellt wird. Dementsprechend verfügt der Beschwerdeführer nun über eine auf drei Jahre befristete Aufenthaltsberechtigung.

Zu B)   Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen Rechtsprechung, des Weiteren ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten zu Spruchteil A wiedergegeben. Insoweit die in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu früheren Rechtslagen ergangen ist, ist diese nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.

Schlagworte

Asyl auf Zeit Asylgewährung von Familienangehörigen Asylverfahren befristete Aufenthaltsberechtigung Familienangehöriger Familienverfahren Flüchtlingseigenschaft

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W116.2227275.1.00

Im RIS seit

14.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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