TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/2 W211 2220023-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.07.2020
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Entscheidungsdatum

02.07.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §3 Abs1
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch

W211 2220023-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a SIMMA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA: Syrien, gegen Spruchpunkt I. des Bescheids des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , XXXX , nach der Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die Beschwerdeführerin, eine syrische Staatsangehörige, stellte am XXXX 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Bei ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag gab die Beschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund befragt zusammengefasst an, bereits 2015 wegen des Krieges das Land verlassen zu haben. Das Haus sei zerstört worden, und man habe keine Arbeit gehabt. Die Eltern und die Geschwister würden sich auch im Ausland befinden.

2. Bei der Einvernahme der Beschwerdeführerin am XXXX 2019 durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab sie zusammengefasst an, Araberin zu sein und im Jahr 2015 Syrien verlassen zu haben. Es würden zwei Geschwister und eine Tante väterlicherseits in Österreich leben. Sie habe Syrien wegen des Krieges verlassen und in Österreich Asyl beantragt, weil es ein sicheres Land sei. Andere Gründe habe sie nicht. Sie habe keine persönlichen Probleme gehabt; sie seien aber vom syrischen Staat bzw. vom Regime bombardiert worden. Nach ihrer Befürchtung im Falle einer Rückkehr nach Syrien befragt gab die Beschwerdeführerin an, dass der Krieg nicht zu Ende und die Sicherheit noch nicht gegeben sei.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde der Antrag der Beschwerdeführerin bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.), ihr gemäß § 8 Abs. 1 AsylG der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihr eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Gegen den Spruchpunkt I. des Bescheides wurde rechtzeitig eine Beschwerde eingebracht, in der zusammengefasst vorgebracht wurde, dass der Beschwerdeführerin wegen ihres Bruders, aber auch wegen ihrer Asylantragstellung in Österreich Verfolgung durch das syrische Regime drohen würde. Sie befürchte weiter, als alleinstehende Frau in Syrien bedroht zu werden.

5. Am XXXX 2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit einer Dolmetscherin für die arabische Sprache und in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihres Vertreters eine mündliche Verhandlung durch, in deren Rahmen die Beschwerdeführerin zu ihren Fluchtgründen Stellung nehmen konnte und aktuelle Länderberichte ins Verfahren eingebracht wurden. Die belangte Behörde erschien nicht zur Verhandlung.

Die Beschwerdeführerin und ihre Rechtsvertretung machten von der Möglichkeit einer Frist für eine schriftliche Stellungnahme nicht Gebrauch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Beschwerdeführerin:

Die Beschwerdeführerin ist eine volljährige Araberin und syrische Staatsangehörige, die in der Stadt Aleppo lebte. Sie absolvierte die Schule und die Matura und arbeitete als Friseurin in einem Friseursalon.

Sie reiste am XXXX 2015 unter Benutzung ihres Reisepasses in den Libanon aus und reiste von dort aus am XXXX 2015 in die Türkei. Der Reisepass der Beschwerdeführerin wurde am XXXX 2015 in Latakia ausgestellt und ist noch bis XXXX 2021 gültig.

Ein Bruder und eine Schwester der Beschwerdeführerin verließen Syrien vor der Beschwerdeführerin, jedenfalls vor dem XXXX 2015. Die Beschwerdeführerin selbst reiste mit ihren Eltern aus.

Die Beschwerdeführerin hat – außer der Tante, die bereits in Österreich lebt – einen Onkel und fünf weitere Tanten väterlicherseits und einen Onkel und zwei Tanten mütterlicherseits. Jede Tante und jeder Onkel haben noch im Schnitt drei Kinder. Es kann nicht festgestellt werden, dass sich von den Tanten, Onkeln, Cousins und Cousinen tatsächlich niemand mehr in der Heimatregion/in Aleppo aufhält.

Die Beschwerdeführerin ist nunmehr in Österreich nach islamischem Ritus verheiratet und schwanger.

1.2. Zur relevanten Situation in Syrien wird festgestellt wie folgt:

1.2.1. Syrien: Situation der Frauen; Sippenhaftung; Ausreise, Einreise, Bewegungsfreiheit:

Frauen in Syrien haben eine relativ lange Historie der Emanzipation. Vor dem Konflikt war Syrien eines der vergleichsweise fortschrittlicheren Länder der Arabischen Welt in Bezug auf Frauenrechte (BFA 8.2017). Dennoch werden Frauen - teilweise aufgrund der Interpretationen der religiösen Gesetze – von verschiedenen Teilen des Familien- und Strafrechts und der Gesetze zu Personenstand, Arbeit, Erbschaft, Pensionierung, sozialer Sicherheit und Staatsbürgerschaft, diskriminiert (USDOS 13.3.2019).

Die Situation von Frauen verschlechterte sich durch den andauernden Konflikt dramatisch. Da Frauen immer wieder Opfer unterschiedlicher Gewalthandlungen der verschiedenen Konfliktparteien werden, zögern Familien, Frauen und Mädchen das Verlassen des Hauses zu erlauben. Sie nehmen diese aus der Schule, was zur Minderung der Rolle von Frauen und zu ihrer Isolation in der Gesellschaft führt (BFA 8.2017). Vor dem Konflikt nahmen 13% der Frauen am Arbeitsmarkt teil, verglichen mit 73% der Männer. Die Teilhabe sowohl von Männern als auch Frauen am Arbeitsmarkt hat durch Gewalt und Unsicherheit abgenommen. Zuletzt ist in einigen Gebieten, wie in Damaskus, Raqqa und Dara‘a, die Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt gezwungenermaßen wieder gestiegen, da viele Männer ihre Familien derzeit nicht unterstützen können (USDOS 13.3.2019).

Außerhalb der Gebiete, die unter der Kontrolle des Regimes stehen, unterscheiden sich die Bedingungen für Frauen sehr stark voneinander. Sie reichen von sexueller Versklavung und erdrückenden Kleidungsvorschriften in Gebieten unter Kontrolle von Extremisten einerseits, bis hin zu formaler Gleichberechtigung in den Gebieten unter Kontrolle der kurdischen Partei der Demokratischen Union (PYD), wo Regierungssitze immer von einer Frau und einem Mann besetzt sind (FH 1.2018). In jenen oppositionellen Gebieten, welche von radikal-islamistischen Gruppen kontrolliert werden, sind Frauen besonders eingeschränkt. Es ist schwer für sie, für einfache Erledigungen das Haus zu verlassen. Die Situation hängt jedoch von der Region ab (BFA 8.2017).

Extremistische Gruppierungen wie der sogenannte Islamische Staat (IS) oder Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS) setzen Frauen in den von ihnen kontrollierten Gebieten diskriminierenden Beschränkungen aus. Solche Beschränkungen sind z.B. strikte Kleidervorschriften, Einschränkungen bei der Teilnahme am öffentlichen Leben, bei der Bewegungsfreiheit und beim Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt (USDOS 13.3.2019, MRG 5.2018). Generell wird die Lage junger unverheirateter Frauen in Syrien allgemein, im Speziellen jedoch in den von radikal-islamistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten, als prekär bezeichnet (BFA 8.2017).

Sexuelle Gewalt: Mit keiner oder nur schwacher Rechtsdurchsetzung und begrenztem effektiven Schutz in diesem Bereich haben alle Arten von Gewalt gegen Frauen an Verbreitung und Intensität zugenommen, darunter Versklavung, Zwangsheirat mit Vertretern bewaffneter Gruppen, häusliche Gewalt und Vergewaltigung (WB 6.2.2019). Vergewaltigungen sind weit verbreitet, auch die Regierung und deren Verbündete setzten Vergewaltigung gegen Frauen, aber auch gegen Männer und Kinder, welche als der Opposition zugehörig wahrgenommen werden, ein, um diese zu terrorisieren oder zu bestrafen. Das tatsächliche Ausmaß von sexueller Gewalt in Syrien lässt sich nur schwer einschätzen, weil viele Vergehen nicht angezeigt werden (USDOS 13.3.2019). Vergewaltigungen und andere sexuelle Gewalt durch Wächter und Sicherheitskräfte sind Teil der Foltertechniken in Haftanstalten (USDOS 13.3.2019; vgl. SHRC 24.1.2019).

Vergewaltigung außerhalb der Ehe ist zwar laut Gesetz strafbar, die Regierung setzt diese Bestimmungen jedoch nicht effektiv um. Außerdem kann der Täter eine Strafminderung erlangen, wenn er das Opfer heiratet, um so das soziale Stigma einer Vergewaltigung zu vermeiden (USDOS 13.3.2019). Die gesellschaftliche Tabuisierung von sexueller Gewalt führt zu einer Stigmatisierung von Frauen, die in Haft waren, zur Erniedrigung von Opfern, Familien und Gemeinschaften und zu einer hohen Dunkelziffer bezüglich der Fälle von sexueller Gewalt. Eltern oder Ehemänner verstoßen oftmals Frauen, die während der Haft vergewaltigt wurden oder wenn eine Vergewaltigung auch nur vermutet wird (BFA 8.2017; vgl. USDOS 3.3.2017, SHRC 24.1.2019). Es gibt Fälle von Frauen, die nach einer Vergewaltigung Opfer von Ehrenmorden werden (USDOS 13.3.2019; vgl. SHRC 24.1.2019, MRG 5.2018). Berichten zufolge kam es seit dem Ausbruch des Konfliktes zu einem Anstieg an Ehrenmorden infolge weit verbreiteter Fälle von sexueller Gewalt und Gesetzlosigkeit (USDOS 13.3.2019). Bei sogenannten Ehrenverbrechen in der Familie, die in ländlichen Gebieten bei fast allen Glaubensgemeinschaften vorkommen, besteht kein effektiver staatlicher Schutz (AA 13.11.2018).

Alleinstehende Frauen: Alleinstehende Frauen sind in Syrien aufgrund des Konfliktes einem besonderen Risiko von Gewalt oder Schikane ausgesetzt, jedoch hängt dies von der sozialen Schicht und der Position der Frau bzw. ihrer Familie ab. Man kann die gesellschaftliche Akzeptanz von alleinstehenden Frauen aber in keinem Fall mit europäischen Standards vergleichen, und Frauen sind potentiell Belästigungen ausgesetzt. In Syrien ist es fast undenkbar als Frau alleine zu leben, da eine Frau ohne Familie keine gesellschaftlichen und sozialen Schutzmechanismen besitzt. Beispielsweise würde nach einer Scheidung eine Frau in den meisten Fällen wieder zurück zu ihrer Familie ziehen. Vor dem Konflikt war es für Frauen unter bestimmten Umständen möglich alleine zu leben, z.B. für berufstätige Frauen in urbanen Gebieten (BFA 8.2017).

Der Zugang von alleinstehenden Frauen zu Dokumenten hängt von deren Bildungsgrad, individueller Situation und bisherigen Erfahrungen ab. Beispielsweise werden ältere Frauen, die immer zu Hause waren, mangels vorhandener Begleitperson und behördlicher Erfahrung nur schwer Zugang zu Dokumenten bekommen können (BFA 8.2017). Die Wahrnehmung von alleinstehenden Frauen durch die Gesellschaft unterscheidet sich von Gebiet zu Gebiet. Damaskus-Stadt ist weniger konservativ als andere Gebiete und es wird von Frauen berichtet, die dort in der Vergangenheit alleine lebten. In konservativen Gegenden bekommen allein lebende Frauen jedoch „einen gewissen Ruf“ (SD 30.7.2018).

Der Wegfall des Ernährers im Zuge des Konflikts stellt viele Frauen vor das Problem ihre Familien versorgen zu müssen. So stieg die Anzahl der Haushalte mit weiblichen Vorständen im Zuge des Konflikts (WB 6.2.2019)

Im Dezember 2017 hat das von Hay‘at Tahrir al-Sham (HTS) gestützte Syrian Salvation Government (SSG) in der Provinz Idlib eine Entscheidung verkündet, laut welcher alle Witwen in ihrem Kontrollgebiet mit einem Scharia-konformen männlichen Familienangehörigen wohnen müssen. Die Meldung warnt auch vor Bestrafung für „jeden, der sich nicht nach dieser Regelung richtet“, es ist jedoch unklar wie die Entscheidung umgesetzt wurde (SD 14.12.2017).

Sippenhaftung bei Deserteuren: Deserteure werden härter bestraft als Wehrdienstverweigerer. Deserteure riskieren, inhaftiert, gefoltert und getötet zu werden. Repressalien gegenüber Familienmitgliedern können insbesondere bei Familien von „high profile“-Deserteuren der Fall sein, also z.B. Deserteure, die Soldaten oder Offiziere getötet haben oder sich der bewaffneten Opposition angeschlossen haben (Landinfo 3.1.2018).

Menschenrechtslage: Die syrische Verfassung sieht die Baath-Partei als die regierende Partei vor und stellt sicher, dass sie die Mehrheit in allen Regierungs- und Volksverbänden hat. Ein Dekret von 2011 erlaubt die Bildung anderer politischer Parteien, jedoch nicht auf Basis von Religion, Stammeszugehörigkeit oder regionalen Interessen. Die Regierung erlaubt nur regierungsnahen Gruppen offizielle Parteien zu gründen und zeigt wenig Toleranz gegenüber anderen politischen Parteien, auch jenen, die mit ihr verbündet sind. Parteien wie das Communist Union Movement, die Communist Action Party und die Arab Social Union werden schikaniert. Gesetze, welche die Mitgliedschaft in illegalen Organisationen verbieten, wurden auch verwendet um Hunderte Mitglieder von Menschenrechts- und Studentenorganisationen zu verhaften. Es gibt auch zahlreiche Berichte zu anderen Formen der Belästigung von Menschenrechtsaktivisten, Oppositionellen oder Personen, die als oppositionell wahrgenommen werden, von Reiseverboten, Enteignung und Überwachung bis hin zu willkürlichen Festnahmen, „Verschwindenlassen“ und Folter (USDOS 13.3.2019).

Es sind zahllose Fälle bekannt, bei denen Personen für als regierungsfeindlich angesehene Tätigkeiten ihrer Verwandten inhaftiert und gefoltert werden, darunter sollen auch Fälle sein, bei denen die gesuchten Personen ins Ausland geflüchtet sind (AA 13.11.2018). Frauen mit familiären Verbindungen zu Oppositionskämpfern werden z.B. als Vergeltung oder zur Informationsgewinnung festgenommen. Außerdem werden Personen festgenommen, die Kontakte zu Verwandten oder Freunden unterhalten, die in oppositionell kontrollierten Gebieten leben (UNHRC 31.1.2019).

Einreise, Ausreise, Bewegungsfreiheit: Die syrische Regierung kann die Ausstellung von Reisepässen oder anderen wichtigen Dokumenten aufgrund der politischen Einstellung einer Person, deren Verbindung zu oppositionellen Gruppen oder der Verbindung zu einem geographischen Gebiet, in dem die Opposition dominiert, verweigern. Das syrische Regime verlangt außerdem ein Ausreisevisum und schließt regelmäßig den Flughafen Damaskus und Grenzübergänge, angeblich aus Sicherheitsgründen. Die Regierung verbietet durchgängig die Ausreise von Mitgliedern der Opposition. Viele Personen erfahren erst von einem Ausreiseverbot, wenn ihnen die Ausreise verweigert wird. Grund oder Gültigkeitsdauer werden häufig nicht genannt (USDOS 13.3.2019).

Durch die Wiedereroberung vormals von Rebellen gehaltener Gebiete durch die Regierung, konnten manche wichtige Verkehrswege wieder eröffnet werden. Dies verbessert den Personen- und Warenverkehr in von der Regierung gehaltenen Gebieten. Die Bedingungen sind immer noch schwierig, und an den Straßen befinden sich nach wie vor zahlreiche Checkpoints, an denen Soldaten regelmäßig Bestechungsgelder verlangen sollen. Die Situation ist aber nicht vergleichbar mit anderen Phasen des Krieges, in denen viele Gebiete unerreichbar waren. Es ist jedoch noch immer schwierig von Rebellen gehaltene Gebiete, zum Beispiel in Idlib oder Nordaleppo, zu erreichen (Reuters 27.9.2018).

1.2.2. Kontrolllage in Aleppo:

Mit Stand März 2020 ist Aleppo Stadt unter der Kontrolle der syrischen Regierungseinheiten (p 71). In Aleppo finden immer noch Kämpfe mit Milizen statt, durch die Nähe zu Rebellengebieten besteht die Gefahr von Beschüssen. Im Februar 2020 und nach Gebietsgewinnen der syrischen Einheiten in westlich gelegenen ländlichen Gebieten fand der erste innerstaatliche Flug von Aleppo nach Damaskus seit 2012 wieder statt (p 75f)

1.2.3. „Reflexverfolgung“ in Syrien:

Familienangehörige verhaftet und gefoltert: Im selben Bericht des irischen Refugee Documentation Centre (26. März 2013) wird von Familienangehörigen berichtet, die von den Sicherheitskräften verhaftet und gefoltert wurden, um Oppositionelle zu erpressen oder zur Aufgabe zu zwingen. Auch Kinder sollen von Maßnahmen betroffen gewesen sein, die sich zum einen gegen Angehörige bewaffneter Gruppierungen, zum anderen aber auch gegen politische Aktivistinnen und Aktivisten, Regierungskritiker und -kritikerinnen, wie auch gegen Mitglieder von Menschenrechtsgruppen richteten. Die meisten Verhaftungen wurden im Geheimen und auf Befehl eines Sicherheitsapparates durchgeführt. Dabei fehlte in vielen Fällen eine offizielle Begründung für die Verhaftung und es handelte sich um willkürliches Vorgehen.

Reflexverfolgung durch verschiedene Konfliktparteien findet weiterhin statt. Sowohl das Assad-Regime wie auch andere Konfliktparteien wandten und wenden dieses Vorgehen weiterhin systematisch an, wie aus verschiedenen aktuellen Publikationen hervorgeht.

In den jüngsten Erwägungen von United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR) zum Schutz für Personen aus Syrien (November 2015) wird darauf hingewiesen, dass eine ganze Reihe von Bürgerkriegsparteien (z.B. Armee, regierungsfreundliche Milizen, regierungsfeindliche Gruppierungen, sowie ISIS) diese Strategie verfolgen. So werden ganze Familien, Stämme, religiöse und ethnische Gruppen, sowie Städte und Dörfer zum Ziel von Vergeltungsaktionen. Der UNHCR Bericht hält explizit fest, dass die Dynamik der Reflexverfolgung eine ganz entscheidende Charakteristik des anhaltenden syrischen Konflikts darstellt. Betroffen sind demnach beispielsweise Familienangehörige von mutmasslichen Protestierenden, Aktivistinnen und Aktivisten, Mitgliedern von Oppositionsparteien und bewaffneten regierungsfeindlichen Gruppierungen, Dienstverweigerern und Überläufern. Laut UNHCR sind Fälle bekannt, in denen es durch Reflexverfolgung zu willkürlichen Festnahmen, Isolationshaft, Folter und anderen Misshandlungen, sexueller Gewalt, sowie standrechtlichen Hinrichtungen kam.

Reflexverfolgung durch das syrische Regime: Der Bericht von Human Rights Watch zur Menschenrechtssituation in Syrien vom 29. Januar 2015 weist ebenfalls darauf hin, dass die syrischen Sicherheitskräfte Familienangehörige von gesuchten Personen festnehmen, um diese dazu zu bewegen, sich den Behörden auszuliefern. Auch Kinder seien von diesen Maßnahmen betroffen. Die Untersuchungskommission des UNO Menschenrechtsrates zu Syrien bestätigt diese Aussagen in ihrem Bericht vom 11. August 2016.

Der Finnish Immigration Service (FIS) beschreibt in seinem Bericht vom 23. August 2016 die Konsequenzen die eine Desertion oder Wehrdienstverweigerung auf Familienangehörige haben kann. Demnach werden oftmals männliche, teilweise aber auch weibliche Familienmitglieder inhaftiert bis der Deserteur zum Dienst zurückkehrt. Zudem wird durch Plünderung des Besitzes oder Ausschluss aus der Gemeinschaft massiver Druck auf die Familie ausgeübt damit sie den Aufenthaltsort des Flüchtigen bekannt gibt. Männliche Verwandte werden dabei teilweise anstelle des Deserteurs in den Militär-oder Reservedienst einberufen. Im Falle dass ein ziviler Angestellter des Militärs aus dem Dienst ausscheidet, können seiner Familie laut FIS die gleichen Konsequenzen drohen.

Amnesty International führt in seinem Bericht vom 5. November 2015 in diesem Zusammenhang konkrete Beispiele von Familienmitgliedern von Regimegegnern oder Deserteuren auf, die inhaftiert und in Haft vermutlich verstorben sind. In seinem Bericht über die Menschenrechtspraxis in Syrien im Jahr 2015 (13. April 2016) schreibt das US Department of State (USDOS), dass die Regierung und ihre Milizen weiterhin in Misshandlungen und Folter von Oppositionsmitgliedern und Zivilpersonen sowie deren Angehörigen verstrickt sind. USDOS nimmt dabei auch Bezug auf Berichte, nach denen Regierungsbeamte inhaftierte sowie verletzte und kranke Personen misshandelten und als Kriegstaktik Frauen und Männer vergewaltigten.

1.3. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin wegen der Ausreise bzw, Flucht ihres Bruders im Jahr 2015 einer Bedrohung durch das syrische Regime ausgesetzt war oder im Falle einer Rückkehr ausgesetzt sein würde.

Es kann weiter nicht festgestellt werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr Bedrohungen als alleinstehende Frau ohne familiären bzw. männlichen Schutz ausgeliefert wäre.

Eine Gefährdung der Beschwerdeführerin wegen ihrer Ausreise aus Syrien kann ebenfalls nicht festgestellt werden.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellungen zur Beschwerdeführerin, wie ihre Volksgruppenzugehörigkeit, ihre Herkunft und ihre Herkunftsregion und ihre Ausbildung und Berufstätigkeit beruhen auf den unstrittigen und glaubhaften Angaben der Beschwerdeführerin im Laufe des Verfahrens.

Die Daten zu ihrem Pass und ihrer Ausreise ergeben sich aus der Kopie ihres Reisepasses im Verwaltungsakt (AS 49ff) und werden von der Beschwerdeführerin auch so bestätigt.

Die Feststellungen zu den Geschwistern gründen sich auf die Angaben der Beschwerdeführerin, die insbesondere auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung ausführte, dass diese vor der Beantragung ihres Reisepasses aus Syrien ausgereist sind (vgl. S. 8 des Verhandlungsprotokolls).

Die Angaben zur Anzahl ihrer weiteren Verwandten beruhen auf den Angaben der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung (vgl. S. 5 des Verhandlungsprotokolls). Die Beschwerdeführerin macht aber nicht glaubhaft, dass all diese Verwandten Syrien tatsächlich verlassen haben sollen und sie dort über keine Verwandten mehr verfügt: Auszug aus dem Verhandlungsprotokoll:

„ [...] R: Wer von Ihren Verwandten lebt noch in Syrien, und wo?

P: Alle meine Verwandten leben hier in Österreich. Niemand lebt mehr in Syrien. Damit meine ich meinen Bruder und eine Schwester hier. Meine Eltern sind in XXXX . Sie haben die weiße Karte bekommen. Und ich habe eine Tante väterlicherseits. Und mein Mann auch.

R: Was ist mit der erweiterten Familie, z.B. Tanten und Onkel?

P: Nein, alle haben das Land verlassen, aber ich weiß nicht, wo sie genau sind.

R: Welche Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen haben Sie?

P: Ich weiß nicht, wo sie sind. Sie haben Syrien verlassen.

R: Welche Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen haben Sie überhaupt?

P: Ich habe einen Onkel vs und sechs Tanten vs, einen Onkel ms und zwei Tanten ms. Jeder von denen hat ungefähr drei Kinder.

R: Eine Tante väterlicherseits ist schon in Österreich, nicht wahr?

P: Ja.

R: Ich nehme an, dass Ihre Eltern versucht haben, mit den Geschwistern Kontakt zu halten. Wo sind Ihre Tanten und Onkel jetzt?

P: Meine Eltern waren in Griechenland in einem Camp. Sie sind erst seit 7 Monaten hier in Österreich. Sie haben keinen Kontakt zu den anderen.

R: Woher wissen Sie dann, dass manche Ihrer Verwandten nicht mehr in Syrien sind?

P: Alle meine Verwandten haben sogar vor mir das Land verlassen.

R: Wohin?

P: Weiß ich nicht.

R: Woher wissen Sie dann, dass sie das Land verlassen haben?

P: Sie haben das Land einfach verlassen, jeder hat sein Haus verlassen. […]“

Die Beschwerdeführerin bleibt bei ihren Angaben über den Verbleib ihrer Tanten, Onkel und Cousins und Cousinen ausgesprochen vage und nicht nachvollziehbar oberflächlich. Es ist nicht plausibel, dass nicht nur die Beschwerdeführerin selbst, sondern auch zB ihre Eltern mit den ebenfalls ausgereisten Verwandten seit 2015 gar keinen Kontakt gehabt haben sollen bzw. niemand zwischen 2015 und heute irgendetwas, auch zurückliegendes, über den Verbleib der Verwandten wissen hätte sollen. Die kurze und ausweichende Antwort der Beschwerdeführerin auf die diesbezüglichen Fragen lassen vermuten, dass es sich bei der Angabe, in Syrien über keinerlei Verwandte mehr zu verfügen, um eine Schutzbehauptung handelt. Damit gelingt eine Glaubhaftmachung des Sachverhalts, in Syrien über keinerlei familiären – darunter auch männlichen – Schutz und Unterstützung mehr zu verfügen, nicht (vgl. zum Maßstab und den Kriterien ua auch VwGH, 12.03.2020, Ra 2019/01/0472).

Die Feststellungen zur Heirat in Österreich und zur Schwangerschaft gründen sich auf die diesbezüglich nicht anzweifelten Angaben der Beschwerdeführerin in der Verhandlung.

2.2. Die Feststellungen zur Situation in Syrien beruhen auf den folgenden Quellen:

Zu oben 1.2.1.: Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien, 04.09.2019, dabei auf folgenden Einzelquellen:

?        AA – Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

?        AA – Deutsches Auswärtiges Amt (13.11.2018): Bericht über die Lage in der Arabischen Republik Syrien, https://www.ecoi.net/en/file/local/1451486/4598_1542722823_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-lage-in-der-arabischen-republik-syrien-stand-november-2018-13-11-2018.pdf, Zugriff 10.12.2018

?        BFA - BFA Staatendokumentation (8.2017): Fact Finding Mission Report Syrien - mit ausgewählten Beiträgen zu Jordanien, Libanon und Irak, https://www.ecoi.net/file_upload/5618_1507116516_ffm-bericht-syrien-mit-beitraegen-zu-jordanien-libanon-irak-2017-8-31-ke.pdf, Zugriff 13.12.2017

?        FH – Freedom House (1.2018): Freedom in the World 2018 – Syria, https://freedomhouse.org/report/freedom-world/2018/syria, Zugriff 10.12.2018

?        Landinfo (3.1.2018): Syria: Reactions against deserters and draft evaders, https://www.ecoi.net/en/file/local/1441219/1226_1534943446_landinfo-report-syria-reactions-against-deserters-and-draft-evaders.pdf, Zugriff 20.2.2019

?        MRG – Minority Rights Group International (5.2018): Syria – Current Issues, https://minorityrights.org/country/syria/, Zugriff 20.2.2019

?        Reuters (27.9.2018): Easier movement in Assad’s Syria brings some economic reward, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-syria-economy-transpor/easier-movement-in-assads-syria-brings-some-economic-reward-idUSKCN1M71YD, Zugriff 8.1.2019

?        SHRC - Syrian Human Rights Committee (24.1.2019): The 17th Annual Report on Human Rights in Syria 2018, http://www.shrc.org/en/wp-content/uploads/2019/01/English_Web.pdf, Zugriff 31.1.2019

?        SD - Syria Direct (30.7.2018): Auskunft, Interview von 2 Mitarbeitern von Syria Direct via Skype

?        UNHRC – United Nations Human Rights Council (31.1.2019): Report of the Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic [A/HRC/40/70], https://www.ohchr.org/Documents/HRBodies/HRCouncil/CoISyria/A_HRC_40_70.pdf, Zugriff 11.3.2019

?        USDOS – United States Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 – Syria, https://www.ecoi.net/en/document/2004226.html, Zugriff 19.3.2019

Zu oben 1.2.2.: Die Länderinformation zur Kontrolllage in Syrien beruht auf:

EASO, Security Situation Report, Syria, May 2020, pp 71 ff, unbeschränkt online abrufbar unter https://coi.easo.europa.eu/administration/easo/PLib/05_2020_EASO_COI_Report_Syria_Security_situation.pdf

Zu oben 1.2.3.: Die Information zur „Reflexverfolgung“ stammt aus dem Papier:

Schnellrecherche der SFH-Länderanalyse vom 25.01.2017 zu Syrien – Reflexverfolgung; online unbeschränkt abrufbar unter https://www.ecoi.net/en/file/local/1067715/1788_1486120194_syr.pdf.

Die Ausführungen dazu aus dem SFH Bericht sollten zur Gänze in das Erkenntnis und die Feststellungen aufgenommen werden, weil sie auch in der Beschwerde extensiv wiedergegeben wurden und relevant sind.

2.3. Den beweiswürdigenden Überlegen zum fluchtauslösenden Vorbringen ist voranzustellen, dass die Beschwerdeführerin bei ihrer Erstbefragung am XXXX 2019 zu ihrem Fluchtgrund angab, Syrien wegen des Krieges 2015 verlassen zu haben. Das Haus sei zerstört worden, und man habe keine Arbeit gehabt. Im Rahmen ihrer Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gab die Beschwerdeführerin zu ihrem Fluchtgrund in Form einer offenen Frage befragt an, sie habe wegen des Krieges Syrien verlassen und in Österreich einen Antrag auf Asyl gestellt, weil es ein sicheres Land sei; gerade in Österreich, weil ihre Geschwister hier seien. Die Frage, ob es noch weitere Fluchtgründe gebe, wurde verneint. Die Fragen nach einer persönlichen Bedrohung in Syrien und nach Problemen mit Behörden im Heimatland wurden ebenfalls verneint. Im Falle einer Rückkehr würde die Beschwerdeführerin monieren, dass der Krieg noch nicht zu Ende und die Sicherheit nicht gegeben sei.

Wenn nun die Beschwerdeführerin in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vorbringt, dass ihre Eltern und sie nach der Ausreise des Bruders und der Schwester in Syrien verfolgt worden seien, demnach sei der Vater der Beschwerdeführerin nach der Ausreise des Bruders des Öfteren für einige Tage ins Gefängnis gebracht und dort misshandelt worden, und sie auch selbst einmal inhaftiert und misshandelt worden, so steht dieses Vorbringen insoferne in einem Widerspruch zu dem Gesagten im Verfahren vor der belangten Behörde, als die Beschwerdeführerin dort Probleme mit Behörden und persönliche Bedrohungen verneinte.

In der Beschwerde wird zwar – erstmals – vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin wegen ihrer familiären Zugehörigkeit zu ihrem Bruder Verfolgung befürchte, doch wird auch dabei nicht ausgeführt, dass es bereits zu Verfolgungshandlungen, wie eine Inhaftnahme und Misshandlungen durch Behörden des syrischen Regimes, gekommen sein soll.

Die Beschwerdeführerin wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung gefragt, warum sie diese Tatsachen – die Inhaftierungen und Misshandlungen des Vaters und von ihr selbst – nicht bereits früher berichtet habe, worauf sie antwortete, dass sie dort – bei der Behörde – nicht gefragt worden sei. Dabei übersieht die Beschwerdeführerin aber nicht nur, dass sie offen nach ihrem Fluchtgrund, nach anderen Fluchtgründen, nach Rückkehrbefürchtungen und konkret nach Behördenproblemen und persönlichen Bedrohungen befragt wurde (vgl. AS 102), sondern auch, dass sie in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ebenfalls nicht konkret danach gefragt wurde, sondern sie auch hier im Rahmen offener Fragen aufgefordert wurde, zuerst zu erzählen, warum sie Syrien verlassen habe und dann von Rückkehrbefürchtungen zu berichten. Erst ihre da gemachten Angaben führten zu konkreten weiteren Fragen. Damit kann zum einen nicht angenommen werden, dass die Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde keine Gelegenheit gehabt haben soll, über eine allfällige bereits erfolgte Verfolgungshandlung zu berichten, noch ist die Erklärung der Beschwerdeführerin nachvollziehbar, sie habe darüber nichts erzählt, da sie nicht gefragt worden sei.

Zur Sache brachte die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor wie folgt:

„ […] R: Warum haben Sie Syrien verlassen?

P: Ich möchte in allen Einzelheiten erzählen: Mein Bruder hat die syrische Regierung verlassen. Dann haben sie ihn verhaftet. Mein Vater hat für ihn Geld bezahlt, dass er aus der Haft kommen kann. Zu diesem Zeitpunkt war es möglich zu Fuß das Land zu verlassen. So haben mein Bruder und meine Schwester das Land verlassen. Danach wurden mein Vater, ich und meine Mutter verfolgt. Mein Bruder und meine Schwester sind dann nach Österreich gefahren. Wir sind in die Türkei gegangen. Wir konnten nicht weiter, weil es uns finanziell nicht möglich war. An jeder Grenze musste mein Vater Geld bezahlen, damit wird durchkommen. Von der Türkei sind wir dann nach Griechenland gegangen. Dort sind wir zwei Jahre geblieben, in Moria. Danach haben sie uns nach Athen gebracht. Aus Athen bin ich dann mit einem Lastwagen hierhergekommen. Meine Eltern haben eine Aufenthaltserlaubnis in Athen bekommen und sind dann später hierhergekommen. Hier haben sie noch keine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Sie haben nur die weiße Karte bekommen. Meinen Eltern geht es gesundheitlich sehr schlecht. Mein Vater hat viele Krankheiten. Daher hat man ihnen die weiße Karte gegeben. Sie brauchen uns Kinder und unsere Unterstützung.

R: Sie haben erzählt, Ihr Vater, Ihre Mutter und Sie wurden in Syrien verfolgt, können Sie dazu mehr erzählen?

P: Nachdem mein Vater meinem Bruder zur Flucht verholfen hat, haben sie meinen Vater des Öfteren zwei bis drei Tage ins Gefängnis genommen und ihn dort gequält.

[…]

R: Wieso können Sie nicht mehr nach Syrien zurückkehren?

P: Sie haben den Namen meines Bruders. Wenn sie wissen, dass ich wieder da bin, würden sie mich sofort wieder verhaften. Ich habe auch niemanden dort, und wie Sie wissen sind die Umstände sehr schlimm. Es gibt dort Vergewaltigungen, Entführungen und man wird gequält.

R: Waren Sie bereits verhaftetet?

P: Ja.

R: Können Sie davon erzählen?

P: Sie haben mich genommen. Sie haben mich gequält. Mein Vater musste Geld bezahlen, damit sie mich freilassen.

R: Können Sie versuchen, das ein bisschen konkreter zu schildern, insbesondere, weil Sie das beim BFA nicht angegeben haben?

P: Weil sie mich dort nicht gefragt haben.

R: Sie wurden damals gefragt, warum Sie das Land verlassen haben und ob Sie weitere Fluchtgründe haben.

P: Es war in Aleppo, man hat mich zuhause abgeholt. Es war die syrische Regierung. Man hat mich drei Tage lang verhaftet und man hat mich geschlagen.

R: Wann war das?

P: Ich kann mich nicht erinnern.

R: Können Sie es versuchen? Wann war die Verhaftung in Bezug auf Ihre Ausreise?

P: Kurz nachdem meine Geschwister ausgereist sind, also ungefähr ein Monat bevor ich ausgereist bin.

R: War das vor oder nachdem Sie den Reisepass beantragt haben?

P: Davor.

R: Das war bevor Sie den Reisepass beantragt haben?

P: Ja.

R: Möchten Sie noch etwas zu den Gründen, warum Sie Syrien verlassen haben oder warum Sie nicht zurückgehen können, sagen?

P: Alles, was ich vorhin gesagt habe.

R: Hatten Sie genug Gelegenheit dafür?

P: Ja. […]“

Im Lichte dessen, dass auch in der Beschwerde selbst von bereits erfolgten Problemen nicht berichtet wurde, und im Lichte dessen, dass die Angaben der Beschwerdeführerin zu den Bedrohungen gegenüber ihrem Vater, aber zu ihrer eigenen Inhaftierung trotz Nachfrage und Aufforderung vage und oberflächlich bleiben (vgl. die oben zitierte Passage aus dem Verhandlungsprotokoll), kann sie eine bereits erfolgte Inhaftnahme und Misshandlung durch syrische Behörden wegen der Ausreise ihres Bruders nicht glaubhaft machen.

Es bleibt aber ein Faktum, dass der Bruder der Beschwerdeführerin aus Syrien ausreiste. Die Länderberichte (LIB und SFH) bestätigen, dass Familienmitglieder von als regierungsfeindlich angesehenen Verwandten inhaftiert und gefoltert werden können; nach dem SFH Bericht nehmen syrische Sicherheitskräfte auch Familienangehörige von gesuchten Personen fest, um diese dazu zu bewegen, sich den Behörden auszuliefern.

Im Falle der Beschwerdeführerin fehlt es aber an einem ausreichenden Element, um eine entsprechende Wahrscheinlichkeit, Opfer einer solchen Reflexverfolgung zu werden, annehmen zu können. Zum einen konnte eine bereits erfolgte Inhaftnahme und Misshandlung, wie oben ausgeführt, eben nicht festgestellt werden. Darüber hinaus war die Beschwerdeführerin in der Lage, nach der Ausreise ihres Bruders einen Reisepass zu beantragen und mit diesem Reisepass unter Erhalt eines Ausreisestempels das Land zu verlassen. Im Rahmen dieser Behördenkontakte – Passbeantragung und Ausreise – kam es aber zu keinen Problemen mit den syrischen Behörden, was gegen eine entsprechend wahrscheinliche Bedrohungsgefahr durch diese wegen der Flucht des Bruders spricht.

Ob nun, wie die Beschwerdeführerin angab, ihre Ausreise nur mit der Bezahlung von Bestechungsgeldern möglich war, kann an dieser Einschätzung nichts ändern, da die syrischen Behörden nach den oben unter 1.2.1. angeführten Länderinformationen offenbar in der Lage sind, die Ausstellung von Dokumenten zu verweigern und Ausreiseverbote zu verhängen. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die syrischen Behörden bei einem entsprechenden Interesse an der Beschwerdeführerin in der Lage gewesen wären, im Zusammenhang mit der Passausstellung und der Ausreise auf die Beschwerdeführerin zuzugreifen.

Schließlich kam auch im Verfahren in keinem Stadium hervor, dass der Bruder der Beschwerdeführerin oder diese selbst in besonderer Form oppositionell aktiv oder sonst politisch auffällig waren oder sind. Die Beschwerdeführerin gab selbst dazu bei der belangten Behörde an, in Syrien nicht politisch aktiv gewesen zu sein (AS 102). Hinweise darauf, dass daher die Familie der Beschwerdeführerin oder diese selbst als politische Aktivistinnen und Aktivisten in Erscheinung getreten wären, kamen im Verfahren nicht hervor.

Im Ergebnis wird daher einerseits wegen mangelnder Glaubhaftigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführerin in Zusammenhang mit einer angeblich bereits stattgefunden habenden Bedrohung und andererseits wegen des Fehlens von ausreichenden Hinweisen auf eine entsprechend wahrscheinliche zukünftige Bedrohung durch syrische Behörden im Zusammenhang mit einer „Reflexverfolgung“ eine Gefährdung der Beschwerdeführerin wegen der Ausreise bzw. Flucht ihres Bruders nicht festgestellt.

Wie bereits ausgeführt kann in Bezug auf die Beschwerdeführerin weiter eben nicht festgestellt werden, dass sich Familienangehörige der Beschwerdeführerin, wie Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen, tatsächlich nicht mehr in Syrien befinden. Damit kann die Beschwerdeführerin aber im hier zu prüfenden Umfang, nämlich ob ihr eventueller Schutz und Unterstützung von – männlichen – Verwandten zur Verfügung stehen könnte, um sie vor geschlechtsspezifischen Bedrohungen durch die Kriegshandlungen und -entwicklungen zu schützen, nicht als alleinstehende Frau angesehen werden. Eine diesbezügliche Feststellung im Sinne der Beschwerde konnte daher nicht erfolgen.

In Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin Syrien legal unter Verwendung ihres nach wie vor gültigen Reisepasses verließ, wird zu einer Bedrohung wegen einer (illegalen) Ausreise ebenfalls keine positive Feststellung getroffen.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Zu A)

Rechtsgrundlagen:

3.1.1. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einer Fremden, die in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status einer Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihr im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Flüchtling im Sinne der Bestimmung ist demnach, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb ihres Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

3.1.2. Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation der Asylwerberin unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre der Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH, 05.08.2015, Ra 2015/18/0024 und auch VwGH, 12.11.2014, Ra 2014/20/0069). Für eine wohlbegründete Furcht vor Verfolgung ist es nicht erforderlich, dass bereits Verfolgungshandlungen gesetzt worden sind; sie ist vielmehr bereits dann anzunehmen, wenn solche Handlungen zu befürchten sind (vgl. VwGH, 26.02.1997, Zl. 95/01/0454), denn die Verfolgungsgefahr - Bezugspunkt der Furcht vor Verfolgung - bezieht sich nicht auf vergangene Ereignisse (vgl. VwGH, 18.04.1996, Zl. 95/20/0239), sondern erfordert eine Prognose. Relevant kann aber nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss vorliegen, wenn der Asylbescheid erlassen wird; auf diesen Zeitpunkt hat die Prognose abzustellen, ob die Asylwerberin mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den genannten Gründen zu befürchten habe (vgl. VwGH 19.10.2000, Zl. 98/20/0233). Besteht für die Asylwerberin die Möglichkeit, in einem Gebiet ihres Heimatstaates, in dem sie keine Verfolgung zu befürchten hat, Aufenthalt zu nehmen, so liegt eine inländische Fluchtalternative vor, welche die Asylgewährung ausschließt.

3.1.3. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat zurechenbar sein (vgl. VwGH, 18.02.1999, Zl. 98/20/0468). Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz dann zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat der Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. unter vielen anderen mwN VwGH, 20.05.2015, Ra 2015/20/0030 und 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

3.2. Anwendung der Rechtsgrundlagen auf die gegenständliche Beschwerde:

3.2.1. Gegenständlich kann in Bezug auf die Beschwerdeführerin eine aktuelle und maßgeblich wahrscheinliche Verfolgungsgefahr aus Gründen einer auch nur unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung und/oder einer Mitgliedschaft in der bestimmten sozialen Gruppe der Familie oder der alleinstehenden Frauen nicht angenommen werden.

Weder ließ sich das Vorbringen einer bereits stattgefunden habenden oder drohenden Verfolgung der Beschwerdeführerin durch syrische Behörden wegen der Ausreise bzw. Flucht ihres Bruders – und damit wegen einer ihr möglicherweise unterstellten oppositionellen politischen Gesinnung oder wegen ihrer Familieneigenschaft – erhärten, noch konnte etabliert werden, dass die Beschwerdeführerin im Falle einer Rückkehr nach Syrien tatsächlich eine alleinstehende, im Sinne von schutzlose, Frau wäre. Darüber hinaus konnte sie das Land im Dezember 2015 legal unter Einsatz eines gültigen Reisepasses verlassen.

3.2.2. Gegenständlich werden natürlich die Belastungen der Zivilbevölkerung im andauernden Konflikt in Syrien und insbesondere auch in der Herkunftsregion der Beschwerdeführerin nicht übersehen; daher wurde ihr jedoch bereits und zu Recht subsidiärer Schutz in Österreich zuerkannt.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei der erheblichen Rechtsfrage betreffend die Zuerkennung des Status einer Asylberechtigten auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu Spruchpunkt A. wiedergegeben.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Asylantragstellung asylrechtlich relevante Verfolgung Asylverfahren begründete Furcht vor Verfolgung Fluchtgründe Glaubhaftmachung Glaubwürdigkeit mündliche Verhandlung Verfolgungsgefahr Verfolgungshandlung wohlbegründete Furcht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W211.2220023.1.00

Im RIS seit

14.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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