Index
10 VerfassungsrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Auflösung einer zu Recht als Versammlung qualifizierten, nicht angemeldeten Straßenblockade sowie durch weitere Amtshandlungen (Festnahme und kurzfristige Anhaltung einiger Beschwerdeführer, behauptete Behinderung der telefonischen Kontaktnahme mit einem Rechtsanwalt) im Zuge dieser VersammlungsauflösungSpruch
Die Beschwerdeführer sind durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Vorarlberg (UVS) entschied mit - nunmehr beim Verfassungsgerichtshof angefochtenen - sechs Bescheiden vom 16. Dezember 1994 über an den UVS gerichtete Beschwerden, die sich gegen die (behauptete) Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wenden.
Der UVS nahm folgenden Sachverhalt als erwiesen an (Zitat aus dem an T S gerichteten Bescheid):
"Gegen den Bau der Landesstraße 52 (L 52), Umfahrung Brederis, im Gemeindegebiet Rankweil bildete sich eine aus mehreren Personengruppierungen bestehende Bürgerinitiative 'Plattform für weniger Verkehr', die sich zum Ziel setzte, diesen Straßenbau zu verhindern. Aus diesem Grund besetzten schon am Vormittag des 23.6.1993 mehrere Angehörige dieser Bürgerinitiative die Baustelle. Sie behinderten den Baggerfahrer (...) an der Weiterfahrt und legten kleinere Baumstämme sowie Äste über die Dammschüttung, um so weitere Bauarbeiten zu verhindern. Tatsächlich brach der Baggerfahrer aufgrund dieser Blockade seine Arbeiten auf der Trasse ab. Während des ganzen Tages kam es zu Diskussionen zwischen den (in wechselnder Anzahl anwesenden) Demonstranten und anderen erschienenen Personen, darunter auch dem am Vormittag vorbeigekommenen - für den Straßenbau zuständigen - Landesrat H-D G sowie Bediensteten der Straßenverwaltung und Gendarmeriebeamten. Landesrat H-D G erklärte bei dieser Diskussion den anwesenden Demonstranten unmißverständlich, daß die Landesregierung den beabsichtigten Straßenbau ohne Rücksicht auf die durchgeführten Demonstrationen mit allen Konsequenzen fortführen werde. Dies begründete er damit, daß die Bauführung und das gesamte Straßenprojekt von der Landesregierung eingehend geprüft worden und rechtens sei. Seitens der Demonstranten wurde während dieser Debatten immer wieder dargelegt, daß die Bauarbeiten infolge der noch nicht erfolgten Besitzeinweisung und wegen der noch anhängigen Gerichtsverfahren rechtswidrig seien.
Unmittelbar neben der Trasse, auf Privatgrund, hatten die Demonstranten einen Unterstand aufgebaut sowie auf der (mit Bescheid vom 24.5.1993, Zl. Ib-332-36/93, enteigneten) Trasse selbst zwei Zelte aufgestellt. Im Unterstand, der u.a. mit Tischen und Stühlen, (zeitweise) mit einer Stromversorgung sowie einem Mobiltelefon ausgestattet war, lagen Flugblätter auf, die sich inhaltlich gegen den Bau dieser Straße wendeten und zum Widerstand gegen die betreffende Bauführung aufriefen ('Stop Transit - Stop Enteignung', 'Die Baustelle der L 52 ist besetzt !!!', 'Unser Widerstand ist gefordert.', 'Tag & Nacht'). Im Bereich dieses Unterstandes und auch im Gelände waren überdies mehrere Transparente mit Textierungen gegen den projektierten Straßenbau aufgestellt ('Weniger Verkehr', 'Stop Enteignung und Transit', 'L 52 probiert ihr - blockieren wir').
Am frühen Nachmittag des 23.6.1993 fand im Amt der Landesregierung in Bregenz eine Besprechung im Beisein des Landesstatthalters, des für Straßenbau zuständigen Landesrats H-D G, des Sicherheitsdirektors, Bediensteten der Straßenverwaltung sowie des Bezirkshauptmannes Dr. B W statt. Dabei wurde die aufgrund der Ereignisse bei der Baustelle eingetretene Sach- und (einschlägige) Rechtslage erörtert. Eine Weisung an den anwesenden Bezirkshauptmann, 'die Baustelle zu räumen', wurde nicht erteilt.
Am Abend jenes 23.6.1993 befanden sich noch ungefähr 15 Demonstranten - darunter auch der Beschwerdeführer, der schon den ganzen Tag über auf der Baustelle war - bei dem betreffenden Unterstand. Dieser war allgemein zugänglich und es wurden jedenfalls keine Vorkehrungen getroffen, den Zutritt anderer Personen zu beschränken. Es bestand im Unterstand auch Übereinstimmung darüber, daß am nächsten Tag die gesetzten Aktionen fortgesetzt werden sollten.
Gegen 23.20 Uhr begaben sich der Bezirkshauptmann von Feldkirch, Dr. B W, und der Bezirksgendarmeriekommandant, Mjr. R E, gemeinsam mit fünf bis sechs Gendarmeriebeamten - weitere 10 Gendarmeriebeamte hielten sich zunächst im Hintergrund auf - zum Unterstand. Der Bezirkshauptmann erklärte den anwesenden Demonstranten, daß es sich bei dieser Zusammenkunft um eine gesetzwidrige Versammlung handle, die nicht angezeigt worden sei, und er sie aus diesem Grund auflöse. Diese behördliche Verfügung wurde laut und deutlich ausgesprochen und gelangte allen im Unterstand anwesenden Personen zur Kenntnis. Daraufhin entwickelte sich eine längere Diskussion, in welcher die Demonstranten insbesondere darauf verwiesen, daß sie sich erlaubterweise auf Privatgrund befänden und somit auch keine Versammlung vorliege, und weiters darauf, daß wegen dieses Straßenbaus noch Gerichtsverfahren anhängig seien. Der Bezirkshauptmann widersprach dieser Ansicht unter Hinweis auf die einschlägige Rechtslage. Längere Zeit wurde vom Bezirkshauptmann auch versucht, die Versammelten zu einem gütlichen Auseinandergehen zu bewegen. Er forderte die Demonstranten (Anm.:
darunter alle nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführenden Parteien) mehrmals auf, das Gelände zu verlassen. Für den Fall der Nichtbefolgung dieser Aufforderung wurde ihnen die Festnahme angedroht. Da diese Aufforderungen bei einigen Teilnehmern der Versammlung erfolglos blieben, wurden diese (widerstrebenden) Demonstranten in der Folge unter Anwendung eines gewissen Ausmaßes an körperlicher Gewalt vom Unterstand in Richtung des in der Nähe gelegenen Gebäudes des Landesfeuerwehrverbandes abgedrängt.
Nach der durch den Bezirkshauptmann verfügten Auflösung der Versammlung wurde von einzelnen der im Unterstand anwesenden Personen - darunter auch vom Beschwerdeführer (S) - versucht, mittels des Mobiltelefons mit einem bestimmten Rechtsanwalt in Feldkirch Kontakt aufzunehmen. Ein telefonischer Kontakt zwischen dem Beschwerdeführer und jenem Rechtsanwalt kam aber nicht zustande. Etwas später wurde dem Beschwerdeführer (S) aber der Telefonhörer gereicht, weil dessen Vater mit ihm sprechen wollte. Dieses Telefongespräch wurde in der Folge von einem Gendarmeriebeamten behindert, indem er dem Beschwerdeführer den Telefonhörer wegnahm.
Der Beschwerdeführer S (Anm.: Gleiches gilt für den Beschwerdeführer S) weigerte sich im weiteren Verlauf der Amtshandlung, das geräumte Gelände zu verlassen. Er wurde deshalb gegen 23.45 Uhr von einem Gendarmeriebeamten nach vorheriger Abmahnung festgenommen, zum Dienstfahrzeug geführt und in weiterer Folge zum Gendarmerieposten Rankweil überstellt. Dort erfolgte die Verfassung der Gendarmerieanzeige sowie die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers als Beschuldigter. Anschließend wurde er um 1.00 Uhr des 24.6.1993 auf freien Fuß gesetzt."
2.a) Der UVS erkannte - ausgehend von diesem Sachverhalt - über die vom Beschwerdeführer T S an diese Behörde gerichtete Beschwerde zu Recht:
"1. Gemäß §67c Abs3 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) werden die Beschwerden wegen behaupteter Rechtswidrigkeit
a)
der Freiheitsentziehung am 23.6./24.6.1993 in der Zeit von 23.45 Uhr bis 1.00 Uhr sowie
b)
der Auflösung einer privaten Zusammenkunft am 23.6.1993
als unbegründet abgewiesen.
2. Hingegen wird die Beschwerde, insoweit sie eine Rechtswidrigkeit in der Behinderung einer telefonischen Kontaktnahme mit einem Rechtsanwalt behauptet, gemäß §67c Abs3 AVG als unzulässig zurückgewiesen.
3. Gemäß §79a AVG wird der Kostenersatzantrag des Beschwerdeführers abgewiesen. Der Beschwerdeführer hat der belangten Behörde (dem Bund) Kosten in der Höhe von 1.085 S binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen."
b) Der Spruch des an den Beschwerdeführer J S gerichteten UVS-Bescheides lautet gleich; lediglich Pkt. 2 (betreffend die telefonische Kontaktnahme) entfällt.
c) Mit den Sprüchen der an die Beschwerdeführer M E, C N, J H und J S adressierten UVS-Bescheide werden (nur) die gegen die "Auflösung einer privaten Zusammenkunft" gerichteten Beschwerden abgewiesen und Kostenentscheidungen getroffen.
3. Gegen die erwähnten sechs Bescheide des UVS wendet sich die vorliegende, offenkundig auf Art144 Abs1 B-VG gestützte, an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde. Darin wird die Verletzung näher bezeichneter, verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide beantragt.
4. Der UVS legte die bezughabenden Verwaltungsakten vor, verzichtete jedoch auf die Erstattung einer Gegenschrift.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1.a) Nach der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (z.B. VfSlg. 9103/1981, 9303/1981, 9646/1983, 9783/1983, 10443/1985) ist jede Verletzung des Versammlungsgesetzes 1953 (VersG), die unmittelbar die Ausübung des Versammlungsrechtes betrifft und damit in die Versammlungsfreiheit eingreift, als Verletzung des durch Art12 StGG und Art11 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes zu werten.
Wenn also die Feststellung des UVS, die bei ihm in Beschwerde gezogene Ausübung von unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sei in Übereinstimmung mit dem Versammlungsgesetz 1953 erfolgt, rechtsunrichtig ist, wird damit das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt.
Hier gilt es daher zu klären, ob die Annahmen des UVS, daß die von der Bezirkshauptmannschaft Feldkirch aufgelöste Zusammenkunft eine Versammlung i.S. des Versammlungsgesetzes 1953 gewesen sei (s. die folgende litb) und die Verfügung, sie aufzulösen, im Gesetz Deckung gefunden habe (s. die folgende litd), richtig sind.
b) Das Versammlungsgesetz 1953 definiert den Begriff der von ihm erfaßten "Versammlung" nicht.
Der Verfassungsgerichtshof (VfSlg. 4586/1963, 5193/1966, 5195/1966, 5415/1966, 8685/1979, 9783/1983, 10443/1985, 10608/1985, 10955/1986, 11651/1988, 11866/1988, 11904/1988, 11935/1988, 12161/1989) wertet eine Zusammenkunft mehrerer Menschen nur dann als Versammlung i.S. des VersG, wenn sie in der Absicht veranstaltet wird, die Anwesenden zu einem gemeinsamen Wirken (Debatte, Diskussion, Manifestation usw.) zu bringen, sodaß eine gewisse Assoziation der Zusammengekommenen entsteht.
Nach den - aufgrund eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens (s. hiezu die folgende litd) - vom UVS getroffenen Sachverhaltsfeststellungen fand am 23. Juni 1993 ganztags eine - bei der Behörde nicht angezeigte - Blockade einer Straßenbaustelle statt, die von einer sogenannten "Bürgerinitiative Plattform für weniger Verkehr" veranstaltet worden war. Das Ziel war, den Bau einer Umfahrungsstraße zu verhindern. Die Demonstranten blockierten die bereits im Gang befindlichen Bauarbeiten; sie zeigten Transparente, verteilten Flugblätter und führten Diskussionen. Es bedarf keiner weiteren Erörterung, daß dieses kollektive Verhalten als Versammlung i.S. des VersG zu qualifizieren war.
In den Nachtstunden blieben nur 15 Demonstranten (darunter die Beschwerdeführer) zurück; sie hielten sich in einem von ihnen neben der Trasse auf Privatgrund errichteten Unterstand auf; andere Personen hatten die Möglichkeit hinzuzukommen. Die oben erwähnte Baustellenblockade sollte am nächsten Tag fortgesetzt werden.
Der UVS gelangte aufgrund des von ihm festgestellten Sachverhaltes (s.o. I.1.) in den angefochtenen Bescheiden zu folgender rechtlicher Qualifikation der Zusammenkunft:
"Vor dem Hintergrund des festgestellten Sachverhaltes ist hier das Vorliegen einer Versammlung im Sinne des §2 Abs1 Versammlungsgesetz 1953 - unabhängig davon, ob diese Zusammenkunft nach der Beurteilung des Beschwerdeführers auf Privatgrund stattgefunden haben soll - zu bejahen. Die Zusammenkunft der Teilnehmer an dieser Veranstaltung diente dem - zwar vorübergehenden, dennoch aber zeitlich nicht befristeten - Zweck, den Bau der L 52 zu verhindern. Die Versammlung war sowohl während des Tages als auch am Abend allgemein zugänglich, es war somit die Mitwirkung durch andere (gleichgesinnte) Personen jederzeit möglich, ja geradezu erwünscht. Die Versammlung war also auf eine offene Teilnehmeranzahl ausgerichtet, wobei durch den Wechsel der teilnehmenden Personen die als eine Einheit zu beurteilende Versammlung nicht gestört wurde. Mit ihr wurde das Ziel verfolgt, den projektierten Straßenbau mit allen anwesenden Personen zu debattieren, gleichzeitig aber auch den Widerstand gegen den Bau der L 52 öffentlich und wirksam kundzutun. Aus diesem Grund wurde auch der Kontakt mit den Medien aufrechterhalten. Dieser offensichtlich vorherrschende Zweck der Zusammenkunft kommt auch in den aufgestellten Transparenten sowie den aufliegenden Flugblättern zum Ausdruck. Der manifestative Charakter der Versammlung bestand auch noch unmittelbar vor deren Auflösung, da im Unterstand Übereinstimmung der Teilnehmer darüber herrschte, daß auch am nächsten Tag die Bauarbeiten verhindert werden sollten. Es lag somit keineswegs eine nur 'private Zusammenkunft' vor."
Mit dieser Ansicht ist der UVS im Ergebnis im Recht: Die Zusammenkunft während der Nachtstunden stand mit der unter Tags stattgefundenen Baustellen-Blockade, die nach ihrem Erscheinungsbild zweifelsfrei als Versammlung i.S. des VersG anzusehen war (s.o. II.1.a) und die am nächsten Tag fortgesetzt werden sollte, in derart engem zeitlichen, örtlichen und sachlichen Zusammenhang, daß all diese Aktivitäten als einheitliche Veranstaltung aufzufassen und sohin insgesamt als Versammlung zu werten waren. Für diese Beurteilung sind die Eigentumsverhältnisse und die Zweckwidmung des Versammlungsortes unerheblich.
c) §13 VersG lautet:
§13
"(1) Wenn eine Versammlung gegen die Vorschriften dieses Gesetzes veranstaltet wird, so ist sie von der Behörde (§§16 und 17) zu untersagen und nach Umständen aufzulösen.
(2) Desgleichen ist die Auflösung einer, wenngleich gesetzmäßig veranstalteten Versammlung vom Abgeordneten der Behörde oder, falls kein solcher entsendet wurde, von der Behörde zu verfügen, wenn sich in der Versammlung gesetzwidrige Vorgänge ereignen oder wenn sie einen die öffentliche Ordnung bedrohenden Charakter annimmt."
Gegen diese Bestimmung bestehen bei dem in der folgenden litd geschilderten Inhalt des Gesetzes keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
d) Die - allgemein zugängliche - Versammlung wurde gegen die Vorschriften des VersG veranstaltet, nämlich unter Verletzung der in dessen §2 Abs1 vorgesehenen Anzeigepflicht.
Dies allein rechtfertigte aber noch nicht, die Versammlung zu untersagen. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, um diese Maßnahme zu rechtfertigen (vgl. zB VfSlg. 10443/1985). Die Umstände, die zur Verletzung der Anzeigepflicht hinzuzutreten haben, um eine Versammlungsauflösung zu rechtfertigen, müssen so geartet sein, daß ohne diese Maßnahme eines der in Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Schutzgüter gefährdet wäre. Ob solche Umstände vorliegen, hat das Behördenorgan nach dem Bild zu beurteilen, das sich ihm an Ort und Stelle bietet. Dies muß der Veranstalter, der seiner Anzeigepflicht nicht nachgekommen ist, gegen sich gelten lassen; er hat in Kauf zu nehmen, daß kein förmliches Ermittlungsverfahren durchgeführt werden kann (vgl. VfSlg. 10443/1985, 10955/1986, 11132/1986, 11421/1987, 11832/1988).
Die hier einschreitende Bezirkshauptmannschaft mußte nach dem Bild, das sich ihren Organen an Ort und Stelle bot, annehmen, daß eine tagelange Blockade von Straßenbauarbeiten beabsichtigt war. Die Auflösung der Versammlung war im Interesse von im Art11 Abs2 EMRK aufgezählten Schutzgütern (zumindest der Aufrechterhaltung der Ordnung) notwendig.
Ob das in der Beschwerde dargelegte Anliegen der Demonstranten - nämlich, einen Straßenbau zu verhindern, für den angeblich noch nicht alle erforderlichen Bewilligungen vorgelegen seien - (in besonderem Maß) berechtigt war, ist bei Beurteilung der Zulässigkeit der Versammlungsauflösung nicht von Bedeutung. Dem UVS ist daher nicht vorzuwerfen, daß er in dieser Hinsicht kein weiteres Ermittlungsverfahren durchgeführt hat.
Die Wahl des Zeitpunktes der Versammlungsauflösung (nämlich Mitternacht, als nur wenige Demonstranten, jedoch offenbar deren "harter Kern" anwesend waren) indiziert keine Gesetzwidrigkeit. Dieser Zeitpunkt erlaubte eine Durchsetzung der an sich rechtlich zulässigen Maßnahme mit verhältnismäßig geringen Mitteln und auf möglichst schonende Art.
e) Aus dem Gesagten folgt, daß die Auflösung der Versammlung dem VersG entsprach und die Beschwerdeführer daher nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Versammlungsfreiheit verletzt wurden.
2. Die Beschwerdeführer S und S behaupten weiters, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf persönliche Freiheit verletzt worden zu sein.
Der Bescheid einer Verwaltungsbehörde, mit dem darüber entschieden wird, ob eine Festnahme oder Anhaltung einer Person rechtmäßig war oder ist, verletzt das durch Art1 ff. des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit und durch Art5 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit), wenn er gegen die verfassungsgesetzlich festgelegten Erfordernisse der Festnahme bzw. Anhaltung verstößt, wenn er in Anwendung eines verfassungswidrigen, insbesondere den genannten Verfassungsvorschriften widersprechenden Gesetzes, wenn er gesetzlos oder in denkunmöglicher Anwendung einer verfassungsrechtlich unbenklichen Rechtsgrundlage ergangen ist - ein Fall, der nur dann vorläge, wenn die Behörde einen so schweren Fehler begangen hätte, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen wäre (VfGH 7.3.1994 B115/93, 10.10.1994 B1382/93).
Der UVS stützt seine Feststellung, daß die bei ihm bekämpfte Freiheitsentziehung der Beschwerdeführer S und S rechtmäßig war, auf §14 Abs1 VersG und §35 Z3 VStG.
Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Unbedenklichkeit dieser Normen (vgl. in diesem Zusammenhang z.B. VfSlg. 11229/1987, 11930/1988) könnte eine Verletzung des zuletzt erwähnten Grundrechtes nur bei einer denkunmöglichen Gesetzeshandhabung erfolgt sein. Ein solcher Vorwurf ist dem UVS jedoch nicht zu machen:
Wie oben (II.1) dargetan, wurde die Versammlung zu Recht aufgelöst; die beiden Beschwerdeführer kamen den wiederholten Aufforderungen, den Versammlungsort zu verlassen, nicht nach. Die Annahme des UVS, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Festnahme und kurzfristige Anhaltung der Beschwerdeführer S und S seien gegeben gewesen, ist unter diesen Umständen zumindest vertretbar.
3. Der Beschwerdeführer S führte beim UVS auch dagegen Beschwerde, daß er rechtswidrig in der telefonischen Kontaktnahme mit einem Rechtsanwalt behindert worden sei.
Er erblickt darin eine Verletzung des Art8 EMRK.
Der UVS kam - aufgrund eines sorgfältigen Ermittlungsverfahrens - zum Ergebnis, daß die behauptete telefonische Kontaktnahme mit einem Rechtsanwalt (nur die angebliche Behinderung dieses Telefonates, nicht auch die weiters behauptete Behinderung eines Telefongespräches des Beschwerdeführers mit seinem Vater war Gegenstand der UVS-Beschwerde) nicht stattgefunden habe. Die Entscheidung des UVS, deshalb in diesem Punkt die an ihn gerichtete Beschwerde zurückzuweisen, war zutreffend. Der Beschwerdeführer S wurde also nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt. Bei diesem Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Behinderung eines Telefongespräches überhaupt in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich geschützte Recht eingriffe.
4. Schließlich behaupten alle Beschwerdeführer, im Recht auf Entscheidung durch ein Tribunal im Sinne des Art6 EMRK verletzt worden zu sein.
Diese Behauptung ist schon deshalb verfehlt, weil nicht einsichtig ist, was die beim UVS bekämpften Amtshandlungen mit einem "civil right" oder einer "strafrechtlichen Anklage" zu tun haben sollen; auch die Beschwerde enthält keine in diese Richtung zielenden Ausführungen.
5. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden.
Das Verfahren hat nicht ergeben, daß die Beschwerdeführer in von ihnen nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in ihren Rechten verletzt wurden.
6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden. Die von den Beschwerdeführern beantragte Einvernahme von Zeugen war bei den obigen Ergebnissen entbehrlich.
Schlagworte
Versammlungsrecht, VfGH / Prüfungsmaßstab, civil rights, Festnehmung, Polizeirecht - Wahl des gelindesten MittelsEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B262.1995Dokumentnummer
JFT_10048870_95B00262_00