RS Vfgh 2020/9/21 E4656/2019

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Veröffentlicht am 21.09.2020
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Index

41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, Asylrecht

Norm

EMRK Art8
AsylG 2005 §10, §57
FremdenpolizeiG 2005 §46, §52, §55
VfGG §7 Abs2

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Erlassung einer Rückkehrentscheidung und Ausweisung nach Bangladesch; Setzung wesentlicher Integrationsschritte in einer Phase, in der sich der Beschwerdeführer nicht seines "unsicheren Aufenthalts" bewusst sein musste; kein Verschulden des Beschwerdeführers an der langen Verfahrensdauer

Rechtssatz

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führt das BVwG aus, dass der Beschwerdeführer "einen Teil" der Integrationsschritte in einem Zeitraum gesetzt habe, in dem er sich seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen; dieser Zeitraum beginne laut BVwG spätestens mit der abweisenden Entscheidung des BFA im Februar 2018. Orientiert man sich an diesem Zeitpunkt, ist aber festzustellen, dass wesentliche Integrationsschritte - insbesondere die Absolvierung der gesamten Lehre (2014 bis 2017) und der B1-Deutschprüfung (2016) - vor Februar 2018 gesetzt wurden, also in einer Phase, in der sich der Beschwerdeführer gerade nicht seines "unsicheren Aufenthalts" bewusst sein musste.

Obwohl also nur ein - vergleichsweise kleiner - Teil des Zeitraumes, in dem der Beschwerdeführer im Bundesgebiet aufhältig war und Integrationsschritte gesetzt hat, von einem "unsicheren Aufenthalt" behaftet war, misst das BVwG diesem Kriterium ein besonderes Gewicht bei: Zunächst erachtet es das "Familien- und Privatleben" des Beschwerdeführers ganz pauschal auf Grund des "unsicheren Aufenthalts" als weniger schützenswert; es führt dieses Kriterium aber auch speziell bei der Gewichtung der beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers pauschal negativ ins Treffen und zieht es zusammenfassend undifferenziert als das entscheidende öffentliche Interesse heran, das gegen den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet spricht.

Das BVwG lässt dabei außer Betracht, dass den Beschwerdeführer an der langen Verfahrensdauer kein Verschulden trifft. Aus den Entscheidungsbegründungen des BVwG vom 15.07.2015 geht außerdem hervor, dass die Verfahrensverzögerung durch das rechtswidrige Handeln der Behörde verursacht wurde. Es musste daher der Umstand, dass nach der behördlichen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz des Beschwerdeführers am 11.10.2012 bis zur Erlassung der angefochtenen Entscheidung am 19.11.2019 mehr als sieben Jahre vergangen sind, den Beschwerdeführer nicht dazu veranlassen, von einem unsicheren Aufenthaltsstatus auszugehen; vielmehr durfte die lange Verfahrensdauer - und insbesondere die Aufhebung der ersten negativen Entscheidung - die Erwartung wecken, dass nicht zwangsläufig mit einer abweisenden Entscheidung zu rechnen sei.

Das BVwG bringt das Kriterium "unsicherer Aufenthalt" demnach übergewichtet in Anschlag und verletzt daher Art8 EMRK.

Entscheidungstexte

Schlagworte

Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Rückkehrentscheidung, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2020:E4656.2019

Zuletzt aktualisiert am

14.10.2020
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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