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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
EU-Grundrechte-Charta Art47 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung und im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Abweisung des Antrags eines somalischen Staatsangehörigen auf internationalen Schutz; reine Plausibilitäts- anstelle einer Rechtmäßigkeitsprüfung hinsichtlich des Asylstatus durch floskelhafte Passagen ohne Begründungswert, Verweis auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sowie mangelhafte Länderfeststellungen; mündliche Verhandlung zur Klärung des Sachverhalts notwendigSpruch
I. Der Beschwerdeführer ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) und im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
Das Erkenntnis wird aufgehoben.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Beschwerdeführer ist ein am 2. Juli 2001 geborener somalischer Staatsangehöriger, bekennt sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben und gehört dem Clan der Darod/Marehan an. Bis zu seiner Ausreise lebte er in der Stadt Mogadischu. Am 24. März 2019 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf internationalen Schutz. Begründend führte er zu diesem Antrag aus, dass er aus Angst vor einer Zwangsrekrutierung durch die Al-Shabaab geflohen sei. Die Al-Shabaab habe bereits mehrmals versucht, den Beschwerdeführer dazu zu bewegen, für sie zu kämpfen und habe ihn schließlich im Februar 2017 festgenommen und gefesselt. Nur durch Zufall habe der Beschwerdeführer während einer Schießerei zwischen der Al-Shabaab und der Polizei entkommen können. Zunächst sei er nach Godey zu seinem Clan geflüchtet. Als er dort jedoch erfahren habe, dass die Al-Shabaab in Godey ihre Wurzeln habe, sei er über Äthiopien, den Sudan und Libyen nach Europa gereist.
2. Mit Bescheid vom 28. August 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurde der Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen. Weiters wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1a FPG wurde keine Frist für die freiwillige Ausreise festgesetzt und gemäß §53 Abs1 iVm Abs2 Z6 FPG ein für die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.
3. Mit Beschwerdevorentscheidung vom 25. Oktober 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde ab. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer einen Vorlageantrag.
4. Die dem Bundesverwaltungsgericht vorgelegte Beschwerde wurde – ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung – mit Erkenntnis vom 12. Februar 2020 als unbegründet abgewiesen. Nach einer wörtlichen Wiedergabe der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, der Sachverhaltsfeststellungen und der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides führt das Bundesverwaltungsgericht aus, dass in der Beschwerde die Beweiswürdigung des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nicht substantiiert bekämpft worden sei. Deshalb sei das Bundesverwaltungsgericht nicht veranlasst gewesen, das Ermittlungsverfahren zu wiederholen bzw zu ergänzen. Der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides sei zu folgen. Demnach sei das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers widersprüchlich und daher als unglaubwürdig zu qualifizieren.
5. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
Begründend wird in dieser im Wesentlichen ausgeführt, dass die Durchführung einer mündlichen Verhandlung zwingend geboten gewesen wäre. Die Glaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens könne nicht allein auf Grund des Akteninhaltes beurteilt werden. Zudem habe das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung nicht hinreichend begründet.
6. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Verwaltungs- und Gerichtsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch abgesehen.
Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unter-scheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungs-sphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechts-lage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich in seinem Erkenntnis zur Gänze auf die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens und die Sachverhaltsfeststellungen des angefochtenen Bescheides. Es trifft weder eigene aktuelle Feststellungen im Hinblick auf die Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers noch führt es eine mündliche Verhandlung durch, auf Basis deren es eigene Feststellungen bzw eine entsprechende Beweiswürdigung vornehmen hätte können.
3.2. Die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes erschöpft sich demgemäß neben der Wiedergabe und dem Verweis auf die verwaltungsbehördliche Begründung in einer Aneinanderreihung von floskelhaften, aus Textbausteinen zusammengesetzten Passagen ohne für den vorliegenden Einzelfall nachvollziehbaren Begründungswert. Letztlich läuft die vom Bundesverwaltungsgericht gewählte Begründungstechnik, zum einen ausschließlich auf die verwaltungsbehördliche Begründung zu verweisen und zum anderen der Beschwerde fehlende Substanz zu unterstellen, auf eine bloße Plausibilitäts- anstelle einer Rechtmäßigkeitskontrolle hinaus. Dies entspricht nicht den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Begründung von Entscheidungen eines (insoweit erstinstanzlich entscheidenden) Gerichtes (vgl VfSlg 18.614/2008; 18.861/2009; 7.3.2017, E2100/2016; VfGH 9.6.2017, E3235/2016; 11.6.2019, E39/2019; 3.10.2019, E1533/2019).
3.3. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten erschöpft sich im Wesentlichen darin, dass dieses ausführt, es lägen nach den getroffenen Sachverhaltsfeststellungen keinerlei Umstände vor, die eine Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat als unzulässig erscheinen ließen. Es herrsche weder landesweit eine objektiv extreme Gefahrenlage in dem geschilderten Sinn, noch sei eine Gefährdung aus subjektiven, in der Person des Beschwerdeführers gelegenen Gründen anzunehmen. Beim Beschwerdeführer handle es sich um einen gesunden, arbeitswilligen und erwerbsfähigen Mann, der in Somalia aufgewachsen sei und dort auch über familiäre Anknüpfungspunkte verfüge. Weiters habe der Beschwerdeführer "jedenfalls wie jeder Rückkehrer auch die Möglichkeit, Unterstützung bei Verwandten und Bekannten sowie bei Angehörigen derselben Volksgruppe oder Religionsgemeinschaft zu suchen."
Das Bundesverwaltungsgericht hat es bei seinen Ausführungen hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten unterlassen, sich konkret mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinanderzusetzen, aus der der Beschwerdeführer stammt und sich auch nicht mit der Frage nach dem Bestehen einer innerstaatliche Fluchtalternative auseinandergesetzt. Das Bundesverwaltungsgericht hat es demnach unterlassen, die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses mit der individuellen Situation des Beschwerdeführers in Verbindung zu bringen. Einer solchen Auseinandersetzung kommt im vorliegenden Fall besondere Bedeutung zu, weil die Sicherheitslage in Somalia von Provinz zu Provinz variiert.
4. Für das Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht regelt §21 Abs7 BFA-VG den Entfall der mündlichen Verhandlung. Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung steht – sofern zuvor bereits ein Verwaltungsverfahren stattgefunden hat, in dessen Rahmen Parteiengehör gewährt wurde – jedenfalls in jenen Fällen im Einklang mit Art47 Abs2 GRC, in denen der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen tatsachenwidrig ist (vgl VfSlg 19.632/2012). Das Absehen von einer mündlichen Verhandlung, wenn diese zur Gewährleistung einer, den Anforderungen des Art47 Abs2 GRC an ein faires Verfahren entsprechenden Entscheidung des erkennenden Gerichtes geboten ist, stellt aber eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht gemäß Art47 Abs2 GRC dar (VfGH 13.3.2013, U1175/12 ua; 26.6.2013, U1257/2012; 22.9.2014, U2529/2013; 26.11.2018, E4221/2017).
4.1. Eine solche Verletzung von Art47 Abs2 GRC liegt aus folgenden Gründen vor:
4.2. Hinsichtlich der Beurteilung der mangelnden Glaubhaftmachung des Flucht-vorbringens stützt sich das Bundesverwaltungsgericht ausschließlich auf die Feststellungen bzw Ausführungen des angefochtenen Bescheides. Eine mündliche Verhandlung zur Prüfung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerde-führers hat das Bundesverwaltungsgericht nicht durchgeführt. Dies wäre aber insbesondere vor dem Hintergrund der Begründung der Unglaubwürdigkeit des Fluchtvorbringens im angefochtenen Bescheid, die im Wesentlichen auf Wider-sprüche zwischen Erstbefragung und den weiteren Einvernahmen des Beschwerdeführers abstellt, geboten gewesen (vgl VfGH 10.6.2016, E2108/2015; 26.11.2018, E4221/2017).
4.3. Die Akten haben erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung des Sachverhaltes im vorliegenden Fall erwarten ließe. Das Bundesverwaltungsgericht hätte daher nicht von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung absehen dürfen. Der Beschwerdeführer ist daher in seinem Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 GRC verletzt worden (vgl VfGH 23.2.2015, E155/2014; 10.6.2016, E2108/2015; 24.11.2016, E1079/2016; 13.3.2019, E4744/2018; 23.9.2019, E1494/2019).
4.4. Indem das Bundesverwaltungsgericht die Unglaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers und seine Beweiswürdigung mangelhaft begründet, sich darüber hinaus nicht ausreichend mit der aktuellen allgemeinen Lage in jener Region auseinandersetzt, aus der der Beschwerdeführer stammt, und keine mündliche Verhandlung durchführt, hat es seine Entscheidung mit Willkür belastet (vgl zB VfGH 25.9.2018, E1764/2018 ua; 3.10.2019, E1533/2019).
Ergebnis
1. Der Beschwerdeführer ist somit durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander gemäß ArtI Abs1 BVG zur Durchführung des internationalen Abkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung und im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß Art47 Abs2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Verhandlung mündliche, EU-Recht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E1453.2020Zuletzt aktualisiert am
13.10.2020