TE Vwgh Erkenntnis 2020/9/3 Ra 2020/16/0055

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Veröffentlicht am 03.09.2020
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Index

E3R E02101000
E3R E02200000
E3R E02202000
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht

Norm

BAO §279 Abs1
BAO §308
31992R2913 ZK 1992 Art236 Abs2
32013R0952 ZK 2013 Art121 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des Zollamtes Feldkirch Wolfurt gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom 8. Jänner 2020, Zl. RV/1200045/2019, betreffend Erstattung von Eingangsabgaben (mitbeteiligte Partei: H G S in B, Deutschland, vertreten durch die Pichler Rechtsanwalt GmbH in 6850 Dornbirn, Marktstraße 33), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 22. April 2014 teilte das Zollamt Feldkirch Wolfurt dem Mitbeteiligten die buchmäßige Erfassung von gemäß Art. 202 Abs. 1 des Zollkodex iVm § 2 Abs. 1 des Zollrechts-Durchführungsgesetzes entstandenen Eingangsabgaben in näher angeführter Höhe mit.

2        Die dagegen vom Mitbeteiligten erhobene Beschwerde wies das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom 13. Juli 2017 als unbegründet ab.

3        Mit Schriftsatz vom 19. Juli 2017 beantragte der Mitbeteiligte beim Zollamt Feldkirch Wolfurt, „gemäß Artikel 117 Zollkodex der Unionsverordnung (EU Nr. 952/2013) die Erstattung bzw. Erlassung der Einfuhrabgabenbeträge des obgenannten Bescheides vom 22.04.2014 samt Erlassung eines entsprechenden Grundlagenbescheides“. Die entsprechende Verlängerung der Eingabefrist werde gleichzeitig beantragt. Die mit mehr als drei Jahren überlange Dauer des Beschwerdeverfahrens falle nicht in den Verantwortungsbereich des Mitbeteiligten. Die inhaltlichen Voraussetzungen für die Erlassung des „Grundlagenbescheides“ lägen aus näher ausgeführten Gründen vor.

4        Mit Bescheid vom 11. Dezember 2017 wies das Zollamt Feldkirch Wolfurt den Antrag auf Erstattung gemäß Art. 121 Abs. 1 Buchstabe a des Unionszollkodex als verspätet zurück. Die in Rede stehende Zollschuld sei mit der Einfuhr des Fahrzeuges am 18. März 2014 entstanden, der Antrag auf Erlass sei am 19. Juli 2017 außerhalb der hierfür zur Verfügung stehenden Frist gestellt worden. Von einem unvorhergesehenen Ereignis oder von höherer Gewalt, weshalb der Antrag nicht fristgerecht hätte gestellt werden können, sei nicht auszugehen.

5        Der Mitbeteiligte erhob dagegen mit Schriftsatz vom 2. Februar 2018 Beschwerde. Eine Entscheidung über eine Fristverlängerung liege nicht vor. Aus näher ausgeführten Gründen lägen die Voraussetzungen für die Verlängerung der Antragsfrist vor. Ein Antrag nach Art. 117 des Unionszollkodex sei außerdem bereits in Punkt III. der Beschwerde vom 23. Mai 2017 gestellt worden. Schließlich lägen aus näher angeführten Gründen die inhaltlichen Voraussetzungen „für die Erlassung eines Grundlagenbescheides“ (gemeint wohl: für einen Erlass oder für eine Erstattung) vor. Der Mitbeteiligte stellte den Beschwerdeantrag, die „Erstattung bzw. Erlassung der mit Bescheid vom 2. April 2014, GZ. ..... mitgeteilten Abgabenschuld samt Erlassung eines entsprechenden Grundlagenbescheides auszusprechen“, in eventu die „Eingabefrist gemäß Art. 121 Abs. 1 letzter Satz UZK zu verlängern und dann eine Entscheidung, wie in Punkt 1. begehrt, zu treffen“.

6        Mit Beschwerdevorentscheidung vom 25. November 2019 wies das Zollamt Feldkirch Wolfurt die Beschwerde als unbegründet ab.

7        Dagegen brachte der Mitbeteiligte mit Schriftsatz vom 9. Dezember 2019 einen Vorlageantrag ein.

8        Mit dem angefochtenen Erkenntnis sprach das Bundesfinanzgericht aus:

„Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben.

Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.“

9        Es erklärte eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG als nicht zulässig.

10       Das Erlass- und Erstattungsrecht sei (im Revisionsfall) nach den Vorschriften des Zollkodex zu beurteilen, weshalb materiell-rechtlich die Art. 236 und 239 ZK Anwendung fänden, an Verfahrensvorschriften wie etwa über die Antragstellung jedoch die Bestimmungen der Erlass- und Erstattungsregelung des Unionszollkodex heranzuziehen seien.

11       Der Einwand des Mitbeteiligten, das Zollamt hätte den Antrag nach Art. 117 UZK nicht als verspätet zurückweisen dürfen, weil es über dessen Antrag auf Fristverlängerung nicht abgesprochen habe, sei berechtigt.

12       Bevor die Behörde über einen außerhalb der Antragsfrist eingebrachten Erstattungsantrag entscheiden könne, müsse sie zuerst über den Antrag auf Fristverlängerung zur Einbringung eines Antrags auf Erstattung entscheiden. Lägen die Voraussetzungen für eine Fristverlängerung nach Ansicht des Zollamtes nicht vor, sei dieser Antrag abzuweisen. Erst dann könne das Zollamt über den Antrag auf Erstattung entscheiden und diesen als verspätet zurückweisen.

13       Die dagegen vom Zollamt Feldkirch Wolfurt erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss von Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.

14       Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); der Mitbeteiligte brachte mit Schriftsatz vom 22. Juni 2020 eine Revisionsbeantwortung ein.

15       Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

16       Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

17       Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden; er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18       Das Zollamt trägt zur Zulässigkeit seiner Revision zusammengefasst u.a. vor, das Bundesfinanzgericht weiche von näher angeführter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, wonach über einen Fristverlängerungsantrag mit einer verfahrensleitenden Verfügung oder in der (auch zurückweisenden) Entscheidung in der Hauptsache abgesprochen werden könne. Es erscheine schwer verständlich, dass mit einer Zurückweisung des Antrags auf Erstattung oder Erlass nicht auch „gleichzeitig“ der Antrag auf Fristverlängerung abgewiesen worden sei, zumal die Entscheidung ausführlich damit begründet worden sei, dass die Voraussetzungen für die Verlängerung der Frist nicht vorlägen.

19       Die Revision ist zulässig und berechtigt.

20       Zunächst ist festzuhalten, dass der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses in sich widersprüchlich ist. Der Mitbeteiligte begehrte in der Beschwerde die „Erstattung bzw. Erlassung ... der Abgabenschuld“ in eventu, vorher „die Eingabefrist ... zu verlängern“. Das Bundesfinanzgericht hat einerseits der Beschwerde Folge gegeben (somit dem Beschwerdebegehren entsprochen), andererseits den bekämpften Bescheid (ersatzlos) aufgehoben.

21       Schon deshalb erweist sich der Spruch des angefochtenen Erkenntnisses als rechtswidrig.

22       Gemäß Art. 236 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom 19.10.1992, (Zollkodex - ZK) werden Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben insoweit erstattet oder erlassen, als nachgewiesen wird, dass der Betrag im Fall der Erstattung im Zeitpunkt der Zahlung, im Fall des Erlasses im Zeitpunkt der buchmäßigen Erfassung nicht gesetzlich geschuldet war oder der Betrag entgegen Art. 220 Abs. 2 leg. cit. buchmäßig erfasst worden ist.

23       Art. 236 Abs. 2 ZK lautet:

„(2) Die Erstattung oder der Erlaß der Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben erfolgt auf Antrag; der Antrag ist vor Ablauf einer Frist von drei Jahren nach Mitteilung der betreffenden Abgaben an den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen.

Diese Frist wird verlängert, wenn der Beteiligte nachweist, daß er infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt gehindert war, den Antrag fristgerecht zu stellen.

Die Zollbehörden nehmen die Erstattung oder den Erlaß von Amts wegen vor, wenn sie innerhalb dieser Frist selbst feststellen, daß einer der Fälle der in Absatz 1 Unterabsatz 1 und 2 beschriebenen Sachverhalte vorliegt.“

24       Art. 116 Abs. 1 Buchstabe a und Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union, ABl. L 269 vom 10.10.2013, (Unionszollkodex - UZK) lautet:

„Artikel 116

Allgemeine Vorschriften

(1) Die Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge werden unter den in diesem Abschnitt festgelegten Voraussetzungen aus jedem nachstehenden Grund erstattet oder erlassen:

a)   zu hoch bemessener Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbetrag,

.....

(4) Stellen die Zollbehörden selbst innerhalb der Frist des Artikels 121 Absatz 1 fest, dass die Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträge nach Artikel 117, 119 oder 120 erstattet oder erlassen werden können, so erstatten oder erlassen sie die Abgaben von Amts wegen vorbehaltlich der Regeln der Zuständigkeit für die Entscheidung.“

25       Gemäß Art. 117 Abs. 1 UZK werden die Einfuhrabgabenbeträge erstattet oder erlassen, soweit der der ursprünglich mitgeteilten Zollschuld entsprechende Betrag den zu entrichtenden Betrag übersteigt.

26       Art. 121 Abs. 1 UZK lautet:

„Artikel 121

Verfahren über die Erstattung und den Erlass

(1) Anträge auf Erstattung oder Erlass nach Artikel 116 sind innerhalb der folgenden Fristen bei den Zollbehörden zu stellen:

a)   Im Falle von zu hoch bemessenen Einfuhr- oder Ausfuhrabgabenbeträgen, Irrtümern der zuständigen Behörden oder Billigkeit: innerhalb von drei Jahren nach Mitteilung der Zollschuld,

b)   im Fall von schadhaften Waren ...

c)   im Falle der Ungültigkeiterklärung ...

Die Fristen des Unterabsatzes 1 Buchstaben a und b werden verlängert, wenn der Antragsteller nachweist, dass er den Antrag infolge eines unvorhersehbaren Ereignisses oder höherer Gewalt nicht fristgerecht stellen konnte.“

27       Die auch von Amts wegen zu berücksichtigende Verlängerung der Frist für einen Antrag auf Erstattung oder Erlass (vgl. auch Reuter/Fuchs, Das neue Zollrecht der Europäischen Union2 [2016] Rz 333.1.1.) steht nicht im Ermessen der Behörde.

28       Die Fristverlängerung in Art. 236 Abs. 2 ZK und Art. 121 Abs. 1 UZK entspricht inhaltlich dem nationalen Rechtsinstitut der (antragsgebundenen) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 308ff BAO). Es kann im Revisionsfall dahingestellt bleiben, ob bei Versäumen der Frist eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach den Bestimmungen der BAO möglich wäre (vgl. dazu Mairinger, Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, in Holoubek/Lang, Korrektur fehlerhafter Entscheidungen durch die Verwaltungs- und Abgabenbehörde [2017] 265ff, insb. 287), denn eine solche ist nicht Gegenstand des Verfahrens.

29       Weder die Vorschriften des Zollkodex noch die Vorschriften des Unionszollkodex enthalten Bestimmungen über einen gesonderten Antrag und eine gesonderte Entscheidung betreffend die Verlängerung der Frist des Art. 236 Abs. 2 ZK oder des Art. 121 Abs. 1 UZK. Eine solche Verlängerung erfordert keinen formellen Antrag auf Fristverlängerung. Der Antragsteller hat lediglich seinen außerhalb der Dreijahresfrist gestellten Antrag damit zu begründen (und nachzuweisen), dass die Voraussetzungen für eine verlängerte Frist vorliegen.

30       Somit ist eine abgesonderte Entscheidung über die Fristverlängerung weder vorgesehen noch erforderlich.

31       Gelangt die Behörde zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Frist vorliegen, dann hat sie, ohne über die Frist spruchmäßig zu entscheiden, über einen Antrag auf Erstattung oder Erlass inhaltlich abzusprechen.

32       Gelangt die Behörde jedoch zum Ergebnis, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Frist nicht vorliegen, dann hat sie den Antrag als verspätet zurückzuweisen und in der Begründung auf ein Vorbringen in einem allfälligen Fristverlängerungsantrag - wie bei verfahrensleitenden Anbringen - einzugehen (vgl. etwa zum Antrag auf Akteneinsicht VwGH 29.5.2018, Ro 2017/15/0021). Dabei unterlaufene Begründungsmängel hat das Verwaltungsgericht in seiner Entscheidung zu beheben, wenn es zum selben Ergebnis wie die Behörde gelangt.

33       Nur wenn das Verwaltungsgericht zum Ergebnis gelangt, dass die Voraussetzungen für eine Verlängerung der Frist für einen Antrag auf Erstattung oder Erlass entgegen der Annahme der Behörde im bekämpften Zurückweisungsbescheid vorliegen, dann hat es den Zurückweisungsbescheid ersatzlos aufzuheben und dabei zu begründen, weshalb die Voraussetzungen einer Fristverlängerung vorliegen (vgl. etwa VwGH 3.4.2019, Ro 2017/15/0046). In der Folge hat das Zollamt dann über den Antrag auf Erstattung oder Erlass inhaltlich abzusprechen.

34       Im Revisionsfall hat das Bundesfinanzgericht den vor ihm bekämpften Zurückweisungsbescheid des Zollamtes vom 11. Dezember 2017 mit der unzutreffenden und das Zollamt gemäß § 278 Abs. 3 BAO bindenden Ansicht, das Zollamt hätte vor einer Zurückweisung des Antrages auf Erstattung oder Erlass mit Bescheid über den Fristverlängerungsantrag absprechen müssen, (ersatzlos) aufgehoben, ohne selbst das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Verlängerung der Frist für den Antrag auf Erstattung oder Erlass zu prüfen.

35       Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 3. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020160055.L00

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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