TE OGH 2020/8/25 8Ob46/20b

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Veröffentlicht am 25.08.2020
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen Dr. Tarmann-Prentner und Mag. Korn, den Hofrat Dr. Stefula und die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** A*****, vertreten durch die Goldsteiner Rechtsanwalt GmbH in Wiener Neustadt, gegen die beklagten Parteien 1. M***** R*****, vertreten durch Mag. Michael Kadlicz, Rechtsanwalt in Wiener Neustadt, 2. R***** R*****, vertreten durch die Stangl & Ferstl Rechtsanwaltspartnerschaft in Wiener Neustadt, und 3. J***** W*****, vertreten durch Mag. Nicole Panis-Markom, Rechtsanwältin in Wiener Neustadt, wegen 5.730 EUR sA und Feststellung, über den Revisionsrekurs der drittbeklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 20. April 2020, GZ 18 R 82/19s-36, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 23. August 2019, GZ 14 C 1262/18g-26, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs wird, soweit er sich gegen die in der angefochtenen Entscheidung enthaltene Kostenentscheidung richtet, als absolut unzulässig zurückgewiesen.

Im Übrigen wird dem Revisionsrekurs nicht Folge gegeben.

Die drittbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 626,52 EUR (darin 104,42 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung:

Der Kläger nahm mit seiner Klage die drei Beklagten zur ungeteilten Hand aus dem Titel des Schadenersatzes auf Zahlung von 5.730 EUR sA und Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche künftige Schäden des Klägers aus einem näher umschriebenen Ereignis in Anspruch.

In der Ladung zur auf den 21. 1. 2019 anberaumten (vorbereitenden) Tagsatzung wies das Erstgericht (auch) den Drittbeklagten darauf hin, dass er wegen des 5.000 EUR übersteigenden Streitwerts für die Verhandlung eine anwaltliche Vertretung benötige und dass, wenn er unvertreten zum Verhandlungstermin kommt, auf Antrag des Klägers ein Versäumungsurteil gefällt werden könne, ohne dass über die Vorbringen und Anträge der Parteien verhandelt werde. Die Ladung samt Klage wurde von einem Mitbewohner des Drittbeklagten am 15. 10. 2018 übernommen.

Bei der vorbereitenden Tagsatzung am 21. 1. 2019 waren der Erst- und der Zweitbeklagte anwaltlich vertreten, der Drittbeklagte ließ die Tagsatzung hingegen unbesucht und hatte auch keinen anwaltlichen Vertreter entsandt. Das hierauf gegen den Drittbeklagten noch am selben Tag erlassene klagsstattgebende Versäumungsurteil wurde, nachdem der Drittbeklagte am 31. 1. 2019 Widerspruch erhoben hatte, vom Erstgericht mit Beschluss vom 15. 2. 2019 aufgehoben. In diesem Beschluss wurde der Drittbeklagte unter einem neuerlich darauf hingewiesen, dass er in diesem Verfahren einer anwaltlichen Vertretung bedürfe. Der Beschluss samt Ladung zur für den 14. 5. 2019 anberaumten (zweiten) Tagsatzung (die Ladung erhielt erneut einen Hinweis auf die Anwaltspflicht bei einem Streitwert über 5.000 EUR, nicht aber auf die Säumnisfolge) wurde dem Drittbeklagten am 20. 2. 2019 persönlich zugestellt.

Zu Beginn der Tagsatzung vom 14. 5. 2019 stellte das Erstgericht fest, dass der Drittbeklagte ohne anwaltliche Vertretung erschienen war, woraufhin der Klagsvertreter neuerlich ein Versäumungsurteil beantragte. In der Folge erklärte der Drittbeklagte, den als Vertreter des Zweitbeklagten anwesenden Rechtsanwalt Mag. Stangl für dieses Verfahren zu bevollmächtigen. Dieser bestritt sodann namens des Drittbeklagten das Klagsvorbringen.

Das Erstgericht wies den Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils gegen den Drittbeklagten mit der Begründung ab, dass dieser zwar zur Tagsatzung am 14. 5. 2019 unvertreten erschien, aber zu Beginn der Verhandlung Rechtsanwalt Mag. Stangl bevollmächtigt habe, der ihn in diesem Termin dann vertreten habe.

Das Rekursgericht hob über Rekurs des Klägers diese Entscheidung auf, trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung über den Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils unter Abstandnahme vom herangezogenen Abweisungsgrund auf und verpflichtete den Drittbeklagten dazu, dem Kläger die mit 590,94 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen. Der die Versäumungsurteile regelnde § 396 ZPO enthalte in seinem Abs 4 die Regelung, dass die Säumnisfolgen im Sinne des § 144 ZPO von selbst eintreten und normiere ausdrücklich, dass § 145 ZPO nicht anzuwenden sei. § 396 Abs 4 ZPO könne nur dahin verstanden werden, dass eine einmal eingetretene Säumnis nicht dadurch geheilt werden könne, dass sie vor Erlassung des Versäumungsurteils aufgehoben werde. Bei Ausbleiben einer Partei im bezirksgerichtlichen Verfahren von einer Tagsatzung, bevor sie sich durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache auf den Streit eingelassen habe, sei demnach auf Antrag der erschienen Partei ein Versäumungsurteil selbst dann zu fällen, wenn die säumige Partei zwar nach dem Antrag, aber noch vor Erlassung des Versäumungsurteils erscheine. Aufgrund der Gleichsetzung der Fälle in (gemeint) § 396 Abs 4 ZPO müsse dies auch dann gelten, wenn eine Partei bei bestehender absoluter Anwaltspflicht zunächst unvertreten erscheine und erst nach Beginn der Tagsatzung, Feststellung der Säumnis durch entsprechende Protokollierung seitens des Gerichts und Stellung eines Antrags auf Erlassung eines Versäumungsurteils einen anwesenden Rechtsanwalt bevollmächtigt. Durch diese Vorgangsweise könne iSd § 396 Abs 4 ZPO die bereits eingetretene Säumnis nicht mehr aufgehoben werden. Daran ändere auch der Umstand nichts, dass im gegenständlichen Fall die Vorgänge offenkundig und unstrittig in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang am Beginn der Tagsatzung standen.

Das Rekursgericht ließ den Revisionsrekurs mangels Judikatur zur Bestimmung des § 396 Abs 4 ZPO zu und bewertete den Entscheidungsgegenstand mit insgesamt über 5.000 EUR.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der aus dem Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revisionsrekurs des Drittbeklagten mit einem auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung gerichteten Abänderungs-, hilfsweise mit einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag. Zudem wird die Entscheidung des Rekursgerichts im Kostenpunkt angefochten.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, den Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

I. Gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO ist der Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig über den Kostenpunkt. Diese Bestimmung wird auf alle Fälle angewendet, in denen es um die Bemessung von Kosten grundsätzlich welcher Art auch immer dem Grunde wie auch – hier im Revisionsrekurs thematisiert – der Höhe nach geht (RIS-Justiz RS0044233 [T19]; A. Kodek in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 528 Rz 36 mwN). Soweit der Revisionsrekurs den Kostenpunkt der angefochtenen Entscheidung betrifft, ist er gemäß § 528 Abs 2 Z 3 ZPO absolut unzulässig und damit insoweit zurückzuweisen (17 Ob 27/11m; RS0044233 [T27]).

II. Im Übrigen ist der Revisionsrekurs zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, jedoch nicht berechtigt. Vorweg kann auf die zutreffenden Ausführungen des Rekursgerichts verwiesen werden (§ 510 Abs 3 Satz 2 ZPO). Ergänzend ist auszuführen:

1. Vor den Bezirksgerichten besteht in Sachen, deren Streitwert an Geld oder Geldeswert 5.000 EUR übersteigt, absolute Anwaltspflicht, das heißt die Parteien müssen sich durch Rechtsanwälte vertreten lassen (§ 27 Abs 1 ZPO). Gemäß § 133 Abs 3 ZPO gilt die Tagsatzung auch dann als versäumt, wenn die Partei bei denjenigen Prozesshandlungen, für welche die Beiziehung eines Rechtsanwalts im Gesetz vorgeschrieben ist, ohne Rechtsanwalt erscheint. Voraussetzung für diesen Säumnisfall ist die ordnungsgemäße Ladung (Buchegger in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/3 § 133 ZPO Rz 9 f).

2. Die absolute Anwaltspflicht galt streitwertbedingt für die Tagsatzung am 14. 5. 2019. Der Drittbeklagte wurde zu dieser Tagsatzung ordnungsgemäß geladen. Zwar enthielt die Ladung zu dieser Tagsatzung – anders als die zu jener am 21. 1. 2019 – keinen Hinweis auf die Rechtsfolge, dass bei Erscheinen ohne Rechtsanwalt ein Versäumungsurteil ergehen kann. Gemäß § 131 Abs 2 ZPO muss aber im Anwaltsprozess nur die erste Ladung zur mündlichen Verhandlung, sofern dieselbe nicht bereits an einen Rechtsanwalt ergeht, insbesondere auch die Aufforderung enthalten, rechtzeitig einen Rechtsanwalt als Vertreter zu bestellen, und den Parteien bekanntgeben, welche Nachteile das Gesetz mit der Nichtbestellung eines Rechtsanwalts und mit dem Versäumen der Tagsatzung verbindet (RS0036686; Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5 § 131 ZPO Rz 3).

3. Nach § 133 Abs 3 ZPO kommt es auf das Erscheinen der Partei zur Tagsatzung ohne Rechtsanwalt an. Folglich ist für die Bestimmung ohne Relevanz, dass eine Partei, nachdem sie ohne Rechtsanwalt zur Tagsatzung erschienen ist, wenngleich noch während der Tagsatzung einen im Verhandlungssaal anwesenden Rechtsanwalt mit ihrer Vertretung beauftragt und bevollmächtigt, dieser das Mandat annimmt und sodann als Vertreter dieser Partei verhandelt.

4. Eine Sanierung des Erscheinens der Partei zur Tagsatzung ohne Rechtsanwalt im Anwaltsprozess im Sinne eines Nachholens nach § 145 Abs 2 ZPO ist ausgeschlossen. Die Bestimmung des § 145 ZPO gelangt nämlich gemäß Abs 4 der über § 442 ZPO auch im bezirksgerichtlichen Verfahren anzuwendenden Bestimmung des § 396 ZPO nicht zur Anwendung. Intention des Gesetzgebers bei Erlassung des § 396 ZPO idF der ZVN 2002 war, dass es bei einer Säumnis bleibt, wenn diese einmal eingetreten ist. So sollen nach den Gesetzesmaterialien „die Wirkungen einer einmal eingetretenen Säumnis [...] durch späteres Erscheinen zur (abgesonderten) Verhandlung über die Prozesseinreden nicht rückgängig gemacht werden können“. Weiters soll nach den Materialien durch Abs 4 klargestellt sein, „dass bei nicht rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung die Säumnisfolgen ex lege eintreten“ und die versäumte Verfahrenshandlung „daher nicht […] bis zum Zeitpunkt der Antragstellung nachgeholt werden können [soll]“ (ErläutRV 962 BlgNR 21 GP 39 f). Ein weiteres Beispiel wäre, dass bei einstweiliger Zulassung eines Einschreiters iSd § 38 Abs 1 ZPO die vom Gericht nach § 38 Abs 2 gesetzte Frist zum Nachweis der Vollmacht oder der nachträglichen Genehmigung erfolglos verstreicht. In diesem Fall kann der Gegner dessen, für den der Einschreiter rechtswirksam handeln wollte, gegebenenfalls ein Versäumungsurteil beantragen. Ein Nachholen des Vollmachtnachweises bis zur Antragstellung iSv § 145 Abs 2 ZPO ist auch hier durch § 396 Abs 4 ZPO ausgeschlossen (Zib in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 II/1 § 38 ZPO Rz 27). Genauso steht § 396 Abs 4 ZPO in dem vorliegenden Fall einer Bevollmächtigung eines Rechtsanwalts während der Tagsatzung, zu der die Partei trotz Anwaltspflicht alleine erschien, wodurch bereits Säumnis eintrat, einem Nachholen iSd § 145 Abs 2 ZPO entgegen.

5. Die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs vom 24. 12. 1914, R I 144/14, GlUNF 6814, nach welcher ein Antrag auf Fällung eines Versäumungsurteils abzuweisen war, weil „der Vertreter der B[eklagten] die versäumte Prozesshandlung, nämlich die Bestreitung des Klageanspruches, tatsächlich noch nachholte, wozu er nach § 145 ZPO berechtigt erschien“, erging vor Einführung der Bestimmung des § 396 Abs 4 ZPO durch die ZVN 2002 und ist damit überholt.

6. Die herrschende Lehre kritisiert allgemein die Bestimmung des § 396 Abs 4 ZPO als verfahrensunökonomisch. Indem sie ein Nachholen einer Prozesshandlung iSd § 145 Abs 2 ZPO ausschließt, führe sie im Ergebnis zu einer Verfahrensverzögerung, weil im Fall der verspäteten Klagebeantwortung diese letztendlich in Gestalt des Widerspruchs über das Versäumungsurteil in den Prozess oft doch noch Eingang findet (Deixler-Hübner, Fortschritte und Rückschritte durch die Zivilverfahrensnovelle 2002, in FS Beys [2003] I 209 [219 f]; dies in Fasching/Konecny, Zivilprozessgesetze3 III/2 § 396 ZPO Rz 10 f; Rechberger/Klicka in Rechberger/Klicka, ZPO5 §§ 396–397 ZPO Rz 1; Garber in Höllwerth/Ziehensack, ZPO-TaKom [2019] § 396 Rz 16 mzwN). Diese Kritik ist rechtspolitischer Natur und vermag an der Gültigkeit der Vorschrift des § 396 Abs 4 ZPO nichts zu ändern.

7. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

Textnummer

E129331

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0080OB00046.20B.0825.000

Im RIS seit

14.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

29.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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