Entscheidungsdatum
10.08.2020Norm
B-VG Art130 Abs1 Z3Text
Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich fasst durch seinen Richter
Mag. Martin Allraun als Einzelrichter über die Säumnisbeschwerde von mj. Frau A, vertreten durch die Mutter Frau B, vertreten durch Rechtsanwalt C, ***, ***, wegen Verletzung der Entscheidungspflicht im Zusammenhang mit dem Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, Zl. des Hauptantrages: ***, den
BESCHLUSS:
1. Die Säumnisbeschwerde wird zurückgewiesen.
2. Gegen diesen Beschluss ist eine ordentliche Revision nicht zulässig.
Rechtsgrundlagen:
§§ 8, 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz – VwGVG
§ 12 Abs. 7 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz – NAG
§ 2 Abs. 1 Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz – COVID-19-VwBG
§ 25a Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985 – VwGG
Begründung:
Die nunmehrige Beschwerdeführerin, mj. Frau A, eine Staatsangehörige der Republik Türkei, stellte am 1. Oktober 2019 bei der Bezirkshauptmannschaft Amstetten einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ (§ 46 Abs. 1 Z 2 lit. b NAG) zum Zwecke der Familienzusammenführung mit dem in Österreich lebenden Ehemann, ebenso einem Staatsangehörigen der Türkei. Dieser Antrag wurde zuständigkeitshalber an das Amt der Niederösterreichischen Landesregierung weitergeleitet, wo er am 10. Oktober 2019 einlangte.
Mit Schreiben vom 28. Jänner 2020 brachte die Beschwerdeführerin einen Zusatzantrag gemäß § 21 Abs. 3 NAG ein bzw. wurde mit Schreiben vom 1. März 2020 bekannt gegeben, dass es sich um einen Antrag nach § 21 Abs. 5 NAG handle.
Am 1. Februar 2020 wurde dem Antrag ein Quotenplatz zugeteilt.
Die Landeshauptfrau von Niederösterreich teilte der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 10. April 2020 mit, dass am 1. Februar 2020 ein Quotenplatz zugeteilt habe werden können und es wurde die Beschwerdeführerin zur Vorlage näher bezeichneter Nachweise aufgefordert. Die Beschwerdeführerin brachte dazu mit Schreiben vom 4. Mai 2020 eine Stellungnahme bzw. Urkundenvorlage ein.
Die Beschwerdeführerin erhob durch ihren Rechtsanwalt mit Schreiben vom 04.08.2020, am selben Tag bei der Landeshauptfrau von Niederösterreich eingelangt, eine Säumnisbeschwerde.
Ausgeführt wird darin, dass über den am 10. Oktober 2019 gestellten Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ nicht entschieden worden sei; das Verstreichen der sechsmonatigen Entscheidungsfrist des § 73 AVG werde durch Verweis auf die Einreichbestätigung glaubhaft gemacht.
Beantragt wird, dass das Landesverwaltungsgericht in Stattgebung der Säumnisbeschwerde in der Sache selbst erkenne und den Aufenthaltstitel zuerkenne.
Die Landeshauptfrau von Niederösterreich legte die Säumnisbeschwerde – und ebenso die Säumnisbeschwerde der Mutter der Beschwerdeführerin betreffend den von ihr gestellten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels – samt Verwaltungsakten zur Entscheidung vor.
Beweiswürdigung:
Der dargelegte maßgebliche Verfahrensgang und Sachverhalt gründet sich auf die vorliegende unbedenkliche Aktenlage.
Ausdrücklich festzuhalten ist, dass sich die Zuteilung eines Quotenplatzes am 1. Februar 2020 insbesondere aus dem entsprechenden behördlichen Aktenvermerk ergibt.
Maßgebliche Rechtslage:
§ 8 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, (VwGVG) lautet:
„Frist zur Erhebung der Säumnisbeschwerde
§ 8. (1) Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) kann erst erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.“
§ 12 Abs. 7 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, (NAG) lautet:
„(7) Ist in Fällen der Familienzusammenführung gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 oder Abs. 4 die Anzahl der Quotenplätze in einem Land ausgeschöpft oder – wenn auch nicht rechtskräftig – zugeteilt, hat die Behörde die Entscheidung über den Antrag aufzuschieben, bis ein Quotenplatz vorhanden ist, sofern sie den Antrag nicht aus anderen Gründen zurückzuweisen oder abzuweisen hat. Ein solcher Aufschub hemmt den Ablauf der Fristen gemäß § 8 VwGVG. Der Fremde oder der Zusammenführende hat zum Stichtag des Aufschubes einen Anspruch auf Mitteilung über den Platz in der Reihung des Registers. Die Mitteilung über die Reihung ist auf Antrag des Fremden einmalig in Bescheidform zu erteilen. Weitere Reihungsmitteilungen können auch in anderer technisch geeigneten Weise, die den Schutz personenbezogener Daten wahrt, ergehen. Drei Jahre nach Antragstellung ist ein weiterer Aufschub nicht mehr zulässig und die Quotenpflicht nach Abs. 1 erlischt.“
§ 2 Abs. 1 des Bundesgesetzes betreffend Begleitmaßnahmen zu COVID-19 im Verwaltungsverfahren, im Verfahren der Verwaltungsgerichte sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes (Verwaltungsrechtliches COVID-19-Begleitgesetz – COVID-19-VwBG), BGBl. I Nr. 16/2020 idgF, (COVID-19-VwBG) lautet:
„Sonderregelungen für bestimmte Fristen
§ 2. (1) Die Zeit vom 22. März 2020 bis zum Ablauf des 30. April 2020 wird nicht eingerechnet:
1. in die Zeit, in der ein verfahrenseinleitender Antrag (§ 13 Abs. 8 AVG) zu stellen ist,
2. in Entscheidungsfristen mit Ausnahme von verfassungsgesetzlich festgelegten Höchstfristen und
3. in Verjährungsfristen.
Im Anwendungsbereich der Z 2 verlängert sich die jeweilige Entscheidungsfrist um sechs Wochen, wenn sie jedoch weniger als sechs Wochen beträgt, nur im Ausmaß der Entscheidungsfrist selbst.“
Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich:
Zur Zurückweisung der Säumnisbeschwerde:
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden wegen Verletzung der Entscheidungspflicht durch eine Verwaltungsbehörde. Die Zulässigkeit einer Säumnisbeschwerde setzt die Säumnis der vor dem Verwaltungsgericht belangten Behörde voraus, deren Entscheidungspflicht geltend gemacht wird, und somit die Verpflichtung dieser Behörde, über den bei ihr eingebrachten Antrag mittels Bescheid zu entscheiden. Fehlt es an der Säumnis der Behörde, so ist die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen (wobei im Falle einer verfrüht eingebrachten Säumnisbeschwerde eine Heilung durch Fristablauf nach Erhebung nicht in Betracht kommt: vgl. etwa VwSlg. 18.604 A/2013). Nur bei Vorliegen einer zulässigen und berechtigten Säumnisbeschwerde erfolgt nach Vorlage derselben oder nach ungenütztem Ablauf der Nachfrist ein Übergang der Zuständigkeit, über die betriebene Verwaltungsangelegenheit zu entscheiden, auf das Verwaltungsgericht (vgl. etwa jüngst VwGH 27.5.2020, Ra 2020/03/0019).
Gemäß § 8 Abs. 1 erster Satz VwGVG kann Säumnisbeschwerde (erst) erhoben werden, wenn die Behörde die Sache nicht innerhalb von sechs Monaten, wenn gesetzlich eine kürzere oder längere Entscheidungsfrist vorgesehen ist, innerhalb dieser entschieden hat.
Gemäß § 12 Abs. 7 erster und zweiter Satz NAG hat die Behörde in einem Familienzusammenführungsfall wie dem vorliegenden, wenn die Anzahl der Quotenplätze ausgeschöpft oder zugeteilt ist, die Entscheidung über den Antrag aufzuschieben, bis ein Quotenplatz vorhanden ist, sofern sie den Antrag nicht aus anderen Gründen zurückzuweisen oder abzuweisen hat. Ein solcher Aufschub hemmt den Ablauf der Fristen gemäß § 8 VwGVG.
Wie sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergibt, konnte dem Antrag der Beschwerdeführerin am 1. Februar 2020 ein Quotenplatz zugeteilt werden.
Die 6-monatige Entscheidungsfrist hat mit diesem Tag zu laufen begonnen.
Gemäß § 2 Abs. 1 COVID-19-VwBG wird, in einem Fall wie dem vorliegenden, die Zeit von 22. März 2020 bis zum Ablauf des 30. April 2020 in die Entscheidungsfrist nicht eingerechnet und es wird außerdem die Entscheidungsfrist um sechs Wochen verlängert (vgl. dazu auch etwa Greifeneder in Resch, Corona-HB1.01 Kap 15, Rz 14, [Stand 15.5.2020, rdb.at]).
Durch den nicht einzurechnenden Zeitraum von 39 Tagen und der Verlängerung der Entscheidungsfrist um weitere sechs Wochen, ist diese noch nicht abgelaufen und die mit 04.08.2020 erhobene Säumnisbeschwerde jedenfalls verfrüht erhoben.
Sie Säumnisbeschwerde ist somit zurückzuweisen (vgl. auch etwa Leeb in Hengstschläger/Leeb, AVG § 8 VwGVG Rz 12 [Stand 15.2.2017, rdb.at]).
Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte angesichts dieses Verfahrensergebnisses unterbleiben (§ 24 Abs. 2 Z 2 VwGVG) und es wurde eine Verhandlung zudem auch von der durch einen Rechtsanwalt vertretenen Beschwerdeführerin nicht beantragt (vgl. etwa VwGH 28.2.2019, Ra 2019/01/0067). Davon abgesehen ist auch nicht davon auszugehen, dass eine mündliche Erörterung fallbezogen eine weitere Klärung der Rechtssache erwarten ließe und es stehen einem Entfall der Verhandlung auch weder Art. 6 Abs. 1 EMRK noch Art. 47 GRC entgegen (§ 24 Abs. 4 VwGVG; vgl. auch etwa EGMR 18.7.2013, Fall Schädler-Eberle, Appl. 56.422/09; VfGH 15.10.2016, A7/2016; VwGH 25.7.2019, Ra 2019/22/0067).
In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass bereits mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom 14.07.2020, LVwG-AV-613/001-2020, die Säumnisbeschwerde der Beschwerdeführerin betreffend denselben Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zurückgewiesen wurde und in diesem Beschluss bereits der Zeitpunkt der Zuteilung eines Quotenplatzes, die Nichteinrechnung der Zeit von 22.03.2020 bis 30.04.2020 und die Verlängerung der Entscheidungsfrist um 6 Wochen verfahrensgegenständlich waren.
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Dieser Ausspruch ist kurz zu begründen.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist die Revision gegen ein Erkenntnis (und zufolge Art. 133 Abs. 9 B-VG grundsätzlich auch gegen einen Beschluss) eines Verwaltungsgerichtes zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Derartige Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind im vorliegenden Fall nicht hervorgekommen. Die Erwägungen des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich folgen der eindeutigen Rechtslage und der zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes. Das Vorliegen einer Rechtsfrage, die über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung besäße, ist nicht zu erkennen (vgl. etwa VwGH 27.1.2015, Ra 2014/22/0203).
Schlagworte
Fremden- und Aufenthaltsrecht; Familienzusammenführung; Verfahrensrecht; Säumnisbeschwerde; Frist; Hemmung; COVID-19;European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.AV.845.001.2020Zuletzt aktualisiert am
13.10.2020