Entscheidungsdatum
20.05.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I416 2230999-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Alexander BERTIGNOL als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, geb. XXXX, StA. ALGERIEN, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des BFA, Regionaldirektion Wien vom 30.03.2020, Zl. 1231630906/191063789,
zu Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I., II. und III. als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV., V. und VI. Folge gegeben und diese gemäß § 28 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, eine Staatsangehöriger Algeriens, reiste am 16.10.2019 legal mit einem Touristenvisum für den Schengen-Raum nach Österreich ein und stellte am 18.10.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu seinen Fluchtgründen befragt führte er aus, dass er vor ca. drei Wochen an Demonstrationen gegen die militärische Regierung von Algerien teilgenommen und darüber in seiner Tätigkeit als Journalist berichtet habe. Diese Berichte habe er auch auf Facebook gestellt und sei er daraufhin vom Militärgeheimdienst vorgeführt und befragt worden und sei ihm vorgeworfen worden, dass er ein ausländischer Provokateur oder ein französischer Spion sei. Er habe von seiner Frau, die Richterin am Obersten Gericht in Algier sei, erfahren, dass ein Strafverfahren gegen ihn laufen würde und ihm eine lange Haftstrafe drohen würde. Im Falle seiner Rückkehr fürchte er sich vor einem Gerichtsverfahren, bei dem ihm eine mehrjährige Haftstrafe drohen würde.
2. Am 13.01.2020 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinen persönlichen Lebensumständen führte er aus, dass er XXXX heißen würde, am XXXX geboren und Staatsangehöriger von Algerien sei. Er sei gesund, seit April 2013 verheiratet, habe keine Kinder, sei Araber und moslemischen/sunnitischen Glaubens. In Algerien habe er zwölf Jahre die Grundschule mit Matura abgeschlossen und danach für fünf Jahre auf der Universität in Algier Politikwissenschaften studiert. Danach sei er in den Libanon gezogen und habe dort seinen Master und seinen Doktor in Politikwissenschaften gemacht und habe nebenbei als Journalist gearbeitet. Danach sei er wieder nach Algerien zurückgekehrt und habe als Lektor an einer Universität gelehrt, zwischen 2006 und 2010 sei er Korrespondent des TV-Senders „XXXX TV“ der Vereinigten Arabischen Emirate gewesen. 2007 habe er ein Dienstverhältnis mit der NGO „XXXX“ abgeschlossen und habe er diese Tätigkeit bis zu seiner Ausreise im Oktober 2019 ausgeführt. 2015 habe er zudem die offizielle Genehmigung vom Obersten Gericht für seine Tätigkeit bei „XXXX“ erhalten. Von 2016 bis 2017 sei er zudem Nachrichtenchef und Redakteur bei „XXXX TV“ einem algerischen TV-Sender gewesen, wo er jedoch auf Druck des Geheimdienstes gekündigt wurde. Im November 2017 habe er ein online Medium namens „XXXX“ gegründet, dafür habe er vom Ministerium für Familienangelegenheit auch eine Akkreditierung bekommen, zudem habe er während dieser Zeit Fachbücher im Auftrag für das Kulturministerium geschrieben. Gefragt, ob er in seiner Heimat in Haft gewesen oder strafrechtlich verurteilt worden sei, führte er aus, dass er 2007, 2016 und 2019 festgenommen worden sei, 2007 und 2016 sei er jeweils nach drei Tagen wieder freigelassen worden. Im August 2019 sei er mit seiner Frau in Österreich auf Urlaub gewesen und bei seiner Rückkehr nach Algerien am Flughafen festgenommen worden. Er sei damals vom Geheimdienst beschuldigt worden falsche Nachrichten veröffentlicht und die Sicherheit gefährdet zu haben, er sei drei Tage festgenommen worden, der Untersuchungsrichter in Algier habe jedoch seine Entlassung angeordnet, weil ausreichende Beweise nicht vorgelegen haben. Eine Woche später habe er dann eine Ladung vom Geheimdienst bekommen und sei er von diesem beschuldigt worden, dass er mit den Amerikanern kooperieren würde, weil er an Demonstrationen teilgenommen und Aufnahmen gemacht und diese an „XXXX“ geschickt habe. Der Geheimdienst habe jedoch geglaubt, dass er diese Aufnahmen an die amerikanische Botschaft geschickt habe, eine Anfrage der algerischen Regierung an „XXXX“ hinsichtlich seiner genauen Tätigkeit wurde seitens der NGO beantwortet und sei er daraufhin freigelassen worden. Zu seinem Fluchtgrund befragt, führte er im Wesentlichen zusammengefasst aus, dass er das Land verlassen habe, weil er vom algerischen Regime unterdrückt werde und zu Unrecht ein Festnahmeauftrag gegen ihn ausgestellt worden sei. Er führte aus, dass er am 11.9.2019 vom Geheimdienst vorgeladen, nach drei Tagen jedoch wieder freigelassen worden sei, auch seine Ehefrau sei vom Geheimdienst vorgeladen worden. Er gab an, dass er gefragt worden sei, weshalb er im Sommer 2019 mit seiner Frau in Österreich gewesen sei, seine Ehefrau sei auch gefragt worden, ob sie wisse, ob er in einer Verschwörung beteiligt gewesen sei. Nach der Einvernahme seiner Ehefrau sei diese zu einer Studienkollegin gegangen, die beim Justizministerium arbeite. Der Ehemann dieser Freundin sei ein General beim Geheimdienst gewesen und habe seine Ehefrau versucht, dass diese Kollegin mit ihrem Ehemann über ihn spreche und die Sache bereinige. Der Ehemann habe dann der Kollegin den Kontakt zu seiner Ehefrau verboten, weil er bald festgenommen werden solle. Die Kollegin sei dann zu Ihnen gekommen und habe ihm mitgeteilt, dass er ausreisen solle. Vor seiner Ausreise habe er sich über Österreich informiert, besonders über die Pressefreiheit und über den Schutz für verfolgte Menschen, dann habe er seine Reise organisiert und sei ausgereist. Er habe jedoch nicht sofort nach seiner Ausreise um Asyl angesucht, weil er abwarten habe wollen, ob ein Haftbefehl gegen ihn vorliege. Zu den zeitlichen Angaben führte er auf Nachfrage aus, dass er nach seiner letzten Festnahme am 11.9.2019 mit dem Gedanken gespielt habe, nach Frankreich zu gehen, es seien aber alle Termine bei der Botschaft ausgebucht gewesen. Da er einen guten Kontakt zur österreichischen Botschaft gehabt und bereits im Sommer ein Visum bekommen habe, habe er zehn Tage vor der Ausreise ein Visum beantragt und auch acht Tage vor der Ausreise bekommen. In den acht Tagen bis zu seiner Ausreise habe es keine Vorfälle gegeben, er habe einige Sachen organisiert, familiäre Angelegenheiten erledigt und sei dann am 16. Oktober legal von Algier nach Wien ausgereist. Es habe auch am Flughafen keine Vorfälle gegeben, drei Tage nach seiner Einreise habe ihn seine Ehefrau über WhatsApp angerufen und ihm mitgeteilt, dass ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt worden sei, worauf er um Asyl angesucht habe. Zwei Wochen nach seiner Ausreise sei seine Ehefrau ins Ministerium zitiert degradiert und versetzt worden. Gefragt ob er diesbezüglich Beweismittel vorlegen können führte er wörtlich an: „Ich habe von meiner Ehefrau die Unterlagen verlangt, sie hat aber Angst es zu schicken, weil sie vermutet, dass das Internet bzw. die Kommunikation überwacht wird.“ Zuletzt gab er an, dass er sich in Algerien weder politisch noch religiös betätigt habe, auch seine Familienangehörigen in Algerien haben sich nicht politisch/religiös betätigt und sei er auch niemals religiös oder politisch bzw. konkret oder persönlich einer Verfolgung ausgesetzt gewesen. Zu seinen Lebensumständen in Österreich führte er aus, dass er keinem Verein oder einer sonstigen Organisation angehöre, dass er einen Platz für einen Deutschkurs suche, da er in Österreich studieren wolle und auch oft in der Bibliothek sei, in Österreich würde er keiner legalen Beschäftigung nachgehen er wolle aber niemanden finanziell zur Last fallen. Gefragt, was in konkret erwarten würde, wenn er jetzt wieder in seinen Herkunftsstaat zurückkehren müsste, gab er wörtlich an: „Ich würde festgenommen werden und eingesperrt. Vor einer Woche war meine Ehefrau sehr krank, ich wollte schon freiwillig zurückkehren wollte zum BFA deswegen, meine Ehefrau war dagegen.“ Gefragt ob er noch etwas angeben möchte, führte er wörtlich aus: „Ja, der Haftbefehl wurde ausgestellt von einem Gericht in XXXX, weil ich auf Facebook Polizisten die auf Demos auf Demonstranten eingeschlagen haben, als Schlägertrupps des Regimes bezeichnet habe. Der Vorwurf lautet „Beleidigung der Sicherheitskräfte“. Auf die Länderinformationen zu Algerien verzichtete der Beschwerdeführer wörtlich: „Nein, das benötige ich nicht.“
3. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.03.2020, Zl. 1231630906/191063789 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 18.10.2019 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 in Verbindung mit § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Algerien abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG 2005 erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt (Spruchpunkt VI.)
4. Gegen den im Spruch genannten Bescheid erhob der Beschwerdeführer durch seine Rechtsvertretung mit Schriftsatz vom 13.5.2020 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht und monierte unrichtige Beweiswürdigung, Tatsachenfeststellung und rechtliche Beurteilung. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer algerischer Staatsangehöriger sei und seine Heimat aus wohl begründeter Furcht vor Verfolgung aus politischen Gründen verlassen habe. Dem Beschwerdeführer sei aufgrund seiner Teilnahme an Demonstrationen, sowie der seitens des algerischen Geheimdienstes vorgebrachten Anschuldigungen, mit den amerikanischen Behörden zusammenzuarbeiten, eine gegenüber dem algerischen Regime eingestellte politische Überzeugung unterstellt worden, weshalb im konkreten Fall eine Verfolgung aus politischen Gründen vorliegen würde. In einer Gesamtschau mit den in den Länderfeststellungen enthaltenen Informationen komme man zum Schluss, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers absolut plausibel sei, was in weiterer Folge zu rechtlichen Beurteilung führen müsse, dass seine Fluchtgründe glaubwürdig und von aller allerhöchster Asylrelevanz seien. Würde er in sein Heimatland zurückgeschickt werden, wäre sein Leben in Gefahr und würde er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit weiteren Verfolgungen ausgesetzt sein. Im Asylverfahren würden die AVG Prinzipien der amtswegigen Erforschung des maßgeblichen Sachverhalts unter Wahrung des Parteiengehör gelten, diesen Anforderungen habe das BFA nicht Genüge getan. Letztlich wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer immer bereit gewesen sei, an seinem Asylverfahren mitzuwirken und hätte die Behörde in Anbetracht der konkreten Umstände seines Falles bei richtiger rechtlicher Beurteilung zum Ergebnis kommen müssen, dass ihm internationale Schutz jedenfalls aber der Status des subsidiär Schutzberechtigten gewährt hätte werden müssen. Zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung wurde ausgeführt, dass es sich hierbei um eine „kann“ Bestimmung handeln würde, keinesfalls aber eine automatisch eintretende Verpflichtung der Behörde im Fall eines sicheren Herkunftsstaates. Sofern dieser Beschwerde keine aufschiebende Wirkung zukommen würde, würde der Beschwerdeführer Gefahr laufen, in den Herkunftsstaat abgeschoben zu werden. Die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung würde weder Interessen Dritter noch Interessen der Öffentlichkeit beeinträchtigen, allenfalls wäre ein solcher Nachteil im Verhältnis zum Nachteil, welche ihm im Falle der Abschiebung drohen würde, zu vernachlässigen. Es werde daher beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge den gegenständlichen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz Folge gegeben und ihm der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, in eventu den gegenständlichen Bescheid dahingehend abändern, dass dem Beschwerdeführer der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat zuerkannt wird, in eventu die Rückkehrentscheidung aufheben, in eventu den Bescheid zur Gänze beheben und zur neuerlichen Verhandlung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverweisen, eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht anberaumen und den Spruchpunkt betreffend die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung jedenfalls beheben, zumal keine derart massiven Gründe bestehen, welche die Aberkennung der aufschiebende Wirkung zu rechtfertigen vermögen.
5. Beschwerde und Bezug habender Verwaltungsakt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 15.05.2020 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die unter Punkt I getroffenen Ausführungen werden als entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende weitere Feststellungen getroffen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Algeriens, und somit Drittstaatsangehöriger im Sinne des § 2 Abs. 1 Z 20b Asylgesetz.
Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.
Der Beschwerdeführer ist mit einem gültigen Schengenvisum „C“ am 16.10.2019 legal in das Bundesgebiet eingereist.
Der Beschwerdeführer ist volljährig, gesund, arbeitsfähig, verheiratet, bekennt sich zum muslimischen Glauben und gehört der Volksgruppe der Araber an.
Die Ehefrau und die Familie (Eltern und Geschwister) des Beschwerdeführers leben in Algerien und besteht regelmäßiger Kontakt zu diesen.
Der Beschwerdeführer hat in Algerien die Schule und die Universität besucht und in Beirut seinen Master und Doktor in Politikwissenschaften gemacht. Der Beschwerdeführer hat in Algerien verschiedene Tätigkeiten (z.B.: Journalist, Lektor, Hochschullehrer, Redakteur und Nachrichtenchef) ausgeübt und hat bis zu seiner Ausreise gearbeitet.
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über keine familiären Anknüpfungspunkte oder maßgebliche private Beziehungen, es leben keine sonstigen Familienangehörigen oder Verwandten des Beschwerdeführers in Österreich. Dass der Beschwerdeführer an beruflichen Aus- oder Weiterbildungen teilgenommen hat, konnte nicht festgestellt werden. Der Beschwerdeführer ist derzeit auch kein Mitglied eines Vereines oder sonstigen integrationsbegründenden Institution. Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer hinreichenden Integration des Beschwerdeführers in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden.
Der Beschwerdeführer weist keine strafrechtliche Verurteilung auf.
1.2. Zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers:
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Algerien aufgrund seiner Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung verfolgt werden würde. Der Beschwerdeführer wird im Fall seiner Rückkehr nach Algerien mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit keiner asylrelevanten Verfolgung und keiner wie auch immer gearteten existentiellen Bedrohung ausgesetzt sein
Ein konkreter Anlass bzw. persönliche Bedrohung für das "fluchtartige" Verlassen des Herkunftsstaates konnte nicht festgestellt werden. Als Grund brachte der Beschwerdeführer vor, dass er vom algerischen Geheimdienst aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit (Journalist) verfolgt werde und gegen ihn ein Haftbefehl erlassen worden sei. Der vom Beschwerdeführer geschilderte Fluchtgrund konnte nicht glaubhaft gemacht werden. Es kann weder festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Algerien einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war, noch, dass eine solche aktuell droht. Die behauptete Verfolgung durch staatliche Akteure konnte nicht festgestellt werden.
Nicht festgestellt werden kann auch, dass dem Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Algerien die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Dies insbesondere da seine Familie dort wohnt.
1.3. Zu den Feststellungen zur Lage in Algerien:
Hinsichtlich der aktuellen Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers sind gegenüber den im angefochtenen Bescheid vom 30.03.2020 getroffenen Feststellungen keine entscheidungsmaßgeblichen Änderungen eingetreten. Im angefochtenen Bescheid wurde das aktuelle (Stand 18.3.2020) „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien vollständig zitiert. Im Rahmen des Beschwerdeverfahrens ist auch keine Änderung bekannt geworden, sodass das Bundesverwaltungsgericht sich diesen Ausführungen vollinhaltlich anschließt und auch zu den seinen erhebt.
Die wesentlichen Feststellungen sind:
Nach der Verfassung von 1996 ist Algerien eine demokratische Volksrepublik. Algerien, das größte Land Afrikas, gilt als wichtiger Stabilitätsanker in der Region. Der Präsident wird für fünf Jahre direkt gewählt, seine Amtszeit ist seit der letzten Verfassungsreform im Jahr 2016 auf zwei Mandate begrenzt. Neben der nach Verhältniswahlrecht (mit Fünfprozent-Klausel) gewählten Nationalen Volksversammlung (Assemblée Populaire Nationale) besteht eine zweite Kammer (Conseil de la Nation oder Sénat), deren Mitglieder zu einem Drittel vom Präsidenten bestimmt und zu zwei Dritteln von den Gemeindevertretern gewählt werden. Die Gewaltenteilung ist durch die algerische Verfassung von 1996 gewährleistet, jedoch initiiert oder hinterfragt das Parlament seither selten Gesetzesvorschläge der Regierung und die Macht hat sich innerhalb der Exekutive zunehmend gefestigt. Präsident Bouteflika regierte weitgehend durch Präsidialdekret. Der Senatspräsident vertritt den Staatspräsidenten.
Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag überfluten Algerier die Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo, zunächst aus Protest gegen die Wiederwahl ihres viermaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika, der seit seinem schweren Schlaganfall 2013 nur noch selten öffentlich auftrat; dann, nach seinem Rücktritt am 2.4.2019, um den Übergang zu einer demokratischeren Regierungsführung zu fordern. Die Proteste („Hirak“) gehen Stand Februar 2020 auch nach 5243 Wochen ungemindert weiter und verlaufen meist friedlich, dennoch setzt die Polizei Tränengas, Wasserwerfer und Schlagstöcke ein, um die Menge zu zerstreuen.
Während die Staatsführung mit behutsamen Konzessionen und vom Hirak misstrauisch beäugten Reformversprechen versucht, die Bewegung auszubremsen, geht der Sicherheitsapparat weiter mit Repressalien gegen Demonstranten und Oppositionelle vor. Fast 1.400 Hirak-Aktivisten müssen sich mittlerweile vor Gericht verantworten, mehrere hundert sitzen schon hinter Gittern. Der konsequent friedlich agierende Hirak ist immer noch führungslos und nur partiell strukturiert. Das Regime verfolgt die Strategie des Aussitzens.
Eine neue Präsidentschaftswahl wurde für den 4.7.2019 angesetzt und wegen der Proteste verschoben. Schließlich wurde am 12.12.2019 Abdelmadjid Tebboune zum neuen Präsidenten der Republik gewählt.
Die Staatsführung um Armeechef Gaïd Salah sah die Wahlen als Mittel, die politische Krise zu beenden. Während mit dem Urnengang die Legitimität der politischen Führung erneuert werden sollte, gehen die im Februar 2019 ausgebrochenen Massenproteste auch nach 43 Wochen ungemindert weiter, wobei diese Demonstrationen weitgehend friedlich ablaufen. Die Stimmung im Land ist jedoch aufgeheizt. Die Abstimmung gilt den Regierungsgegnern dabei auch als eine Provokation: Gaïd Salah setzte bisher vergeblich darauf, dass die Proteste in offene Gewalt umschlagen. Viele Demonstranten kündigten an, die offiziellen Ergebnisse nicht anzuerkennen. Der Wahlsieg von Tebboune löste erneut Massenproteste aus. Der neue Präsident ist bei den vielen Demonstranten genauso verhasst wie seine vier Kontrahenten bei der Präsidentschaftswahl. Die Protestbewegung will weitermachen, bis das Regime aus Vertrauten des ehemaligen Machthabers Bouteflika tatsächlich fällt.
Quellen:
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- BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Deutschland (25.2.2019): Briefing Notes 25 Februar 2019, https://www.ecoi.net/en/file/local/2003661/Deutschland___Bundesamt_f%C3%BCr_Migration_und_Fl%C3%BCchtlinge%2C_Briefing_Notes%2C_25.02.2019_%28deutsch%29.pdf, Zugriff 4.6.2019
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- DF -Deutschlandfunk Kultur (9.12.2019): Das algerische Volk verdient den Friedensnobelpreis, https://www.deutschlandfunkkultur.de/gewaltfreie-massenproteste-das-algerische-volk-verdient-den.1005.de.html?dram:article_id=465199, Zugriff 16.12.2019
- FAZ - Frankfurter Allgemeine (12.12.2019): Massenproteste und Sturm auf Wahlbüros, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wahl-in-algerien-massenproteste-und-sturm-auf-wahlbueros-16532460.html, Zugriff 16.12.2019
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- TB - Tagesblatt (22.2.2019): Tausende protestieren in Algerien: Polizei löst Demonstration auf, https://www.tagblatt.ch/newsticker/international/tausende-protestieren-in-algerien-polizei-lost-demonstration-auf-ld.1096496, Zugriff 28.2.2019
- TS - Tagesschau.de (26.3.2019): Protest gegen Bouteflikas fünfte Kandidatur, https://www.tagesschau.de/ausland/algerien-proteste-101.html, Zugriff 28.5.2019
- TSA - Tout sur l’Algérie (13.12.2019): Abdelmadjid Tebboune élu président de la République, https://www.tsa-algerie.com/abdelmadjid-tebboune-elu-president-de-la-republique/, Zugriff 16.12.2019,
- ZO - Zeit Online (11.4.2019): Algerien: Präsidentschaftswahl soll im Juli stattfinden, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-04/algerien-wahl-praesident-abdelaziz-bouteflika-proteste, Zugriff 28.5.2019
Zur Sicherheitslage ist auszuführen, dass Demonstrationen seit Mitte Februar 2019 fast täglich in allen größeren Städten stattfinden, die größten Protestmärsche nach den Freitagsgebeten. Auch wenn diese bisher weitgehend friedlich verlaufen sind, können gewaltsame Auseinandersetzungen nicht ausgeschlossen werden. Die Sicherheitslage in gewissen Teilen Algeriens ist weiterhin gespannt. Es gibt immer noch terroristische Strukturen, wenn auch reduziert. Das Risiko von Terroranschlägen islamistischer Gruppen und Entführungen mit kriminellem oder terroristischem Hintergrund ist besonders hoch. Landesweit kann es zu Behinderungen durch Demonstrationen und Streiks kommen. Da jedoch Algerien in den 1990er Jahren ein Jahrzehnt des Terrorismus erlebt hat, bevorzugt die große Mehrheit der Algerier Frieden und lehnt Instabilität ab. Algerien steht auch aufgrund seines riesigen Staatsgebietes vor Herausforderungen. Dies erschwert den Kampf gegen den Terrorismus noch mehr. Die Überreste von terroristischen Gruppen aus den 90er Jahren in der Sahara und einigen nördlichen Regionen stellen immer noch eine massive Einschränkung der Regierungsführung dar. Der djihadistische Terrorismus in Algerien ist stark zurückgedrängt worden; Terroristen wurden Großteils entweder ausgeschaltet, festgenommen oder haben oft das Land verlassen, was zur Verlagerung von Problemen in die Nachbarstaaten, z.B. Mali, führte. Gewisse Restbestände oder Rückzugsgebiete sind jedoch v.a. in der südlichen Sahara (so z.B. angeblich Iyad ag Ghali) vorhanden.
Quellen:
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- BMEIA - Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres (29.5.2019): Reiseinformationen Algerien, Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/algerien/, Zugriff 29.5.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report, https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 29.5.2019
- FD - France Diplomatie (29.5.2019): Conseils aux Voyageurs - Algérie - Sécurité, http://www.diplomatie.gouv.fr/fr/conseils-aux-voyageurs/conseils-par-pays/algerie/, Zugriff 29.5.2019
- Guardian, the (13.12.2019): Thousands march in Algeria after controversial election result, https://www.theguardian.com/world/2019/dec/13/algeria-braced-for-protests-as-former-pm-wins-presidential-election, Zugriff 16.12.2019
- MDN - Ministère de la Défense Nationale – Algérie (1.2019): Bilan opérationnel 2018 - Résultats probants dans la lutte antiterroriste, in: El Djeich N°666 (Janvier 2019) S 19-20, https://www.mdn.dz/site_principal/sommaire/revue/images/EldjeichJan2019Fr.pdf, Zugriff 16.1.2020
- MDN - Ministère de la Défense Nationale – Algérie (1.2020): Lutte contre le terrorisme et le crime organisé - Bilan opérationnel 2019, in: El Djeich N°678 (Janvier 2020) S 75, https://www.mdn.dz/site_principal/sommaire/revue/images/EldjeichJan2020Fr.pdf, Zugriff 16.1.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien
- Standard, der (12.12.2019): Umstrittene Präsidentenwahl in Algerien, https://www.derstandard.at/story/2000112165637/umstrittener-urnengang-in-algerien?ref=article, Zugriff 16.12.2019
Obwohl die Verfassung eine unabhängige Justiz vorsieht, beschränkt die Exekutive die Unabhängigkeit der Justiz. Der Präsident hat den Vorsitz im Obersten Justizrat, der für die Ernennung aller Richter, sowie Staatsanwälte zuständig ist. Der Oberste Justizrat ist für die richterliche Disziplin und die Ernennung und Entlassung aller Richter zuständig. Die in der Verfassung garantierte Unabhängigkeit von Gerichten und Richtern wird in der Praxis nicht gänzlich gewährleistet, sie ist häufig äußerer Einflussnahme und Korruption ausgesetzt. Die Justizreform wird zudem nur äußerst schleppend umgesetzt. Algerische Richter sehen sich häufig einer außerordentlich hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt, was insbesondere in Revisions- und Berufungsphasen zu überlangen Verfahren führt. Ein berufsständisches Gesetz zu Status und Rolle der Anwaltschaft existiert nicht, der jedoch unter dem Einfluss der Exekutive steht. Praktische Entscheidungen über richterliche Kompetenzen werden vom Obersten Justizrat getroffen. Die Richter werden für eine Dauer von zehn Jahren ernannt und können u.a. im Fall von Rechtsbeugung abgelöst werden. Im Straf- und Zivilrecht entscheiden Justizministerium und der Präsident der Republik mittels weisungsabhängiger Beratungsgremien über das Fortkommen von Richtern und Staatsanwälten. Das Rechtswesen kann so unter Druck gesetzt werden, besonders in Fällen, in denen politische Entscheidungsträger betroffen sind. Es ist der Exekutive de facto nachgeordnet. Im Handelsrecht führt die Abhängigkeit von der Politik zur inkohärenten Anwendung der Anti-Korruptionsgesetzgebung, da auch hier die Justiz unter Druck gesetzt werden kann.
Das algerische Strafrecht sieht explizit keine Strafverfolgung aus politischen Gründen vor. Es existiert allerdings eine Reihe von Strafvorschriften, die aufgrund ihrer weiten Fassung eine politisch motivierte Strafverfolgung ermöglichen. Dies betrifft bisher insbesondere die Meinungs- und Pressefreiheit, die durch Straftatbestände wie Verunglimpfung von Staatsorganen oder Aufruf zum Terrorismus eingeschränkt werden. Rechtsquellen sind dabei sowohl das algerische Strafgesetzbuch als auch eine spezielle Anti-Terrorverordnung aus dem Jahre 1992. Für die Diffamierung staatlicher Organe und Institutionen durch Presseorgane bzw. Journalisten werden in der Regel Geldstrafen verhängt. Die Verfassung gewährleistet das Recht auf einen fairen Prozess, aber in der Praxis respektieren die Behörden nicht immer die rechtlichen Bestimmungen, welche die Rechte des Angeklagten wahren sollen. Für Angeklagte gilt die Unschuldsvermutung und sie haben das Recht auf einen Verteidiger, dieser wird, falls nötig, auf Staatskosten zur Verfügung gestellt. Die meisten Verhandlungen sind öffentlich. Angeklagte haben das Recht auf Berufung. Die Aussage von Frauen und Männern wiegt vor dem Gesetz gleich. Den Bürgerinnen und Bürgern fehlt nach wie vor das Vertrauen in die Justiz.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report, https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 15.2.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019
- USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Die staatlichen Sicherheitskräfte lassen sich unterteilen in nationale Polizei, Gendarmerie, Armee und Zoll. Die dem Innenministerium unterstehende nationale Polizei DGSN wurde in den 90er Jahren von ihrem damaligen Präsidenten, Ali Tounsi, stark ausgebaut und personell erweitert, und zwar von 100.000 auf 200.000 Personen, darunter zahlreiche Frauen. Ihre Aufgaben liegen in der Gewährleistung der örtlichen Sicherheit. Der Gendarmerie Nationale gehören ca. 130.000 Personen an, die die Sicherheit auf überregionaler (außerstädtischer) Ebene gewährleisten sollen. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium. Die Gendarmerie Locale wurde in den 90er Jahre als eine Art Bürgerwehr eingerichtet, um den Kampf gegen den Terrorismus in den ländlichen Gebieten lokal zielgerichteter führen zu können. Sie umfasst etwa 60.000 Personen. Die Armee ANP (Armée Nationale Populaire) hat seit der Unabhängigkeit eine dominante Stellung inne und besetzt in Staat und Gesellschaft Schlüsselpositionen. Sie zählt allein an Bodentruppen ca. 120.000 Personen und wurde und wird im Kampf gegen den Terrorismus eingesetzt. Die Armee verfügt über besondere Ressourcen, wie hochqualifizierte Militärkrankenhäuser und soziale Einrichtungen. Die Zollbehörden nehmen in einem außenhandelsorientierten Land wie Algerien eine wichtige Funktion wahr. Da in Algerien gewaltige Import- und Exportvolumina umgesetzt werden, ist die Anfälligkeit für Korruption hoch. Straffreiheit bleibt ein Problem. Übergriffe und Rechtsverletzungen der Sicherheitsbehörden werden entweder nicht verfolgt oder werden nicht Gegenstand öffentlich gemachter Verfahren. Das Strafgesetz enthält Bestimmungen zur Untersuchung von Missbrauch und Korruption und die Regierung veröffentlicht Informationen bzgl. disziplinärer oder rechtlicher Maßnahmen gegen Mitglieder der Sicherheitskräfte.
Quellen:
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016a): Algerien - Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/algerien/geschichte-staat/, Zugriff 29.5.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Die Verfassung verbietet Folter und unmenschliche Behandlung. Unmenschliche oder erniedrigende Strafen werden gesetzlich nicht angedroht. Das traditionelle islamische Strafrecht (Scharia) wird in Algerien nicht angewendet. Menschenrechtsorganisationen haben seit 2015 nicht mehr über Fälle berichtet, in denen Übergriffe gegen Personen in Gewahrsam bis hin zu Folter durch die Sicherheitsdienste beklagt werden. Menschenrechtsaktivisten berichten, dass die Polizei gelegentlich exzessive Gewalt gegen Verdächtige, einschließlich Protestierende, anwendet. Das Strafmaß für Folter liegt zwischen 10 und 20 Jahren. Im Jahr 2019 hat das Justizministerium keine Zahlen zur Strafverfolgung gegen Beamte veröffentlicht. Menschenrechtsaktivisten gaben an, dass die Polizei manchmal übermäßige Gewalt gegen Verdächtige einschließlich Demonstranten anwendet.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Zur allgemeinen Menschrechtslage wird ausgeführt, dass staatliche Repressionen, die allein wegen Rasse, Religion, Nationalität oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe erfolgen, in Algerien nicht feststellbar sind. Algerien ist den wichtigsten internationalen Menschenrechtsabkommen beigetreten. Laut Verfassung werden die Grundrechte gewährleistet. Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen haben seit Ende der 1990er Jahre abgenommen, bestehen jedoch grundsätzlich fort. Meinungs- und Versammlungsfreiheit werden eingeschränkt und die Unabhängigkeit der Justiz ist mangelhaft. Weitere bedeutende Menschenrechtsprobleme sind übermäßige Gewaltanwendung durch die Polizei, inklusive Foltervorwürfe, sowie die Einschränkung der Möglichkeit der Bürger, ihre Regierung zu wählen. Weitverbreitete Korruption begleitet Berichte über eingeschränkte Transparenz bei der Regierungsführung. Straffreiheit bleibt ein Problem. Obwohl die Verfassung Meinungs- und Pressefreiheit gewährleistet, schränkt die Regierung diese Rechte ein. NGOs kritisieren diese Einschränkungen. Bürger können die Regierung nicht ungehindert kritisieren. Es drohen Belästigungen und Verhaftungen; Bürger sind somit bei der Äußerung von Kritik zurückhaltend. Alle Medienanbieter, auch privat, stehen unter Beobachtung. Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit werden Demonstrationen regelmäßig nicht genehmigt bzw. in Algier komplett verboten. Ergebnis ist, dass die Möglichkeiten politischer Tätigkeit weiterhin eng begrenzt sind. Oppositionelle politische Aktivisten beklagen, aufgrund von Anti-Terrorismus-Gesetzen und solchen zur Begrenzung der Versammlungsfreiheit oder Vergehen gegen „Würde des Staates und die Staatssicherheit“ festgenommen zu werden. Oppositionelle Gruppierungen haben zudem oft Schwierigkeiten, Genehmigungen für Veranstaltungen in geschlossenen Räumen zu erhalten.
Algerien erlebte ab Februar 2019 die größten und nachhaltigsten Anti-Regierungsdemonstrationen seit seiner Unabhängigkeit 1962. Jeden Freitag überfluten Algerier die Straßen in der Hauptstadt Algier und anderswo. Als Reaktion auf die anhaltenden Proteste, zerstreuten die Behörden friedliche Demonstrationen, hielten willkürlich Protestierende fest, blockierten von politischen und Menschenrechtsgruppen organisierte Treffen und inhaftierten Kritiker. Die Sicherheitskräfte haben verschärfte Kontrollen an den Zufahrtsstraßen nach Algier eingerichtet, um die Teilnehmerzahlen in der Hauptstadt zu senken. Das Gesetz garantiert der Regierung weitreichende Möglichkeiten zur Überwachung und Einflussnahme auf die täglichen Aktivitäten von zivilgesellschaftlichen Organisationen. Das Innenministerium muss der Gründung zivilgesellschaftlicher Organisationen zustimmen, bevor diese gesetzlich zugelassen werden. Das im Jahr 2012 verabschiedete Gesetz über Vereinigungen erleichterte auch die Gründung von politischen Parteien, wofür wie bei anderen Vereinigungen eine Genehmigung des Innenministeriums nötig ist. Politische Parteien auf Basis von Religion, Ethnie, Geschlecht, Sprache oder Region sind verboten. Oppositionsparteien können sich grundsätzlich ungehindert betätigen, soweit sie zugelassen sind, und haben Zugang zu privaten und – in sehr viel geringerem Umfang – staatlichen Medien. Jedoch haben einzelne Parteien kritisiert, dass ihnen teils die Ausrichtung von Versammlungen erschwert wird und sie Bedrohungen und Einschüchterungen ausgesetzt sind. Die CNDH als staatliche Menschenrechtsorganisation (Ombudsstelle) hat eine konsultative und beratende Rolle für die Regierung. Sie veröffentlicht jährlich Berichte zur Menschenrechtslage im Land. Zahlreiche Einzelfälle zeigen, dass die Funktion einer echten Ombudsstelle gegenüber der Verwaltung fehlt.
Verschiedene nationale Menschenrechtsgruppen operieren und können ihre Ergebnisse publizieren. Sie sind jedoch in unterschiedlichem Ausmaß Einschränkungen durch die Regierung ausgesetzt. Gesetzlich ist es allen zivilen Organisationen vorgeschrieben, sich bei der Regierung zu registrieren. Dennoch operieren einige Organisationen ohne Registrierung und werden seitens der Regierung toleriert.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- AA - Auswärtiges Amt (17.4.2019): Algerien - Innenpolitik, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/algerien-node/-/222160, Zugriff 31.5.2019
- AI - Amnesty International (18.2.2020): Algeria 2019, https://www.amnesty.org/en/countries/middle-east-and-north-africa/algeria/report-algeria/, Zugriff 26.2.2020
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Algeria Country Report, https://www.bti-project.org/de/berichte/laenderberichte/detail/itc/DZA/, Zugriff 31.5.2019
- HRW - Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Algeria, https://www.hrw.org/world-report/2020/country-chapters/algeria, Zugriff 15.1.2020
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Die Haftbedingungen entsprechen im Allgemeinen internationalen Standards. Es gibt Berichte von Überbelegungen in einigen Gefängnissen. Eine Ombudsmannstelle für Beschwerden gibt es nicht, jedoch können Insassen unzensierte Beschwerden an die Gefängnisverwaltung, Ärzte oder ihre Rechtsvertreter richten. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) besucht Inhaftierte in verschiedenen Gefängnissen. Vulnerable Häftlinge werden getrennt inhaftiert; Zivilschutz erstreckt sich auf alle Gefangenen. Der IKRK-Delegierte hält engen Kontakt mit algerischen Ministerien und Behörden und beurteilte die Zusammenarbeit mit der Regierung als grundsätzlich positiv. Es werden für Gefängnispersonal Schulungen zu Menschenrechtsstandards durchgeführt. Die Bemühungen der algerischen Strafvollzugsbehörden, die Haftbedingungen zu verbessern, konnten bei mehreren Kooperationsprojekten von ausländischen Experten konstatiert werden (EU-Twinning-Projekt mit Frankreich und Italien, laufende Zusammenarbeit mit deutscher IRZ). Laut EU-Experte seien von den 144 Strafanstalten 80 jünger als zehn Jahre, die medizinische Ausstattung sei allgemein gut. Defizite seien noch bei Resozialisierungsmaßnahmen bzw. der Betreuung nach Entlassung aus der Haft festzustellen.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Die Verfassung garantiert Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Wiedereinbürgerung, diese Rechte werden jedoch von der Regierung in der Praxis eingeschränkt. Die meisten Bürger können relativ frei im In- und Ausland reisen. Die Regierung hält aus Gründen der Sicherheit Reiserestriktionen in die südlichen Bezirke El-Oued und Illizi, in der Nähe von Einrichtungen der Kohlenwasserstoffindustrie sowie der libyschen Grenze, aufrecht. Überlandreisen sind aufgrund von Terrorgefahr zwischen den südlichen Städten Tamanrasset, Djanet und Illizi eingeschränkt.
Jungen wehrpflichtigen Männern, die ihren Wehrdienst noch nicht abgeleistet haben, wird die Ausreise ohne Sondergenehmigung verweigert. Sondergenehmigungen erhalten Studenten und Personen in besonderen Familienkonstellationen. Personen, die jünger als 18 Jahre sind, ist es gemäß Familienrecht nicht gestattet, ohne die Erlaubnis einer Aufsichtsperson ins Ausland zu reisen. Verheiratete Frauen, die jünger als 18 Jahre sind, dürfen ohne die Erlaubnis ihres Ehemanns nicht ins Ausland reisen. Ehefrauen, die älter als 18 Jahre sind, sind Auslandsreisen auch ohne Erlaubnis des Ehemanns gestattet.
Quellen:
- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Algeria, https://freedomhouse.org/country/algeria/freedom-world/2020, Zugriff 4.3.2020
- USDOS - U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Algeria, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/02/ALGERIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 17.3.2020
Algeriens Wirtschaft hängt stark vom Export von Erdöl und Erdgas ab. Dank anhaltend hoher Öl- und Gaspreise konnte Algerien über Jahre hinweg ein kontinuierliches Wachstum von durchschnittlich 3% verzeichnen. Die weiteren Prognosen mussten jedoch aufgrund des Preisverfalls bei Öl und Gas bereits nach unten korrigiert werden. Algerien leistet sich aus Gründen der sozialen und politischen Stabilität ein für die Möglichkeiten des Landes aufwendiges Sozialsystem, das aus den Öl- und Gasexporten finanziert wird. Algerien ist eines der wenigen Länder, die in den letzten 20 Jahren eine Reduktion der Armutsquote von 25% auf 5% erreicht hat. Schulbesuch und Gesundheitsfürsorge sind kostenlos. Energie, Wasser und Grundnahrungsmittel werden stark subventioniert. Ein Menschenrecht auf Wohnraum wird anerkannt. Für Bedürftige wird Wohnraum kostenlos zur Verfügung gestellt. Missbräuchliche Verwendung ist häufig.
Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist bislang durch umfassende Importe gewährleistet. Insbesondere im Vorfeld religiöser Feste, wie auch im gesamten Monat Ramadan, kommt es allerdings immer wieder zu substanziellen Preissteigerungen bei Grundnahrungsmitteln. Für Grundnahrungsmittel wie Weizenmehl, Zucker und Speiseöl gelten Preisdeckelungen und Steuersenkungen. Im Bereich der Sozialfürsorge kommt, neben geringfügigen staatlichen Transferleistungen, vornehmlich der Familien-, im Süden des Landes auch der Stammesverband, für die Versorgung alter Menschen, Behinderter oder chronisch Kranker auf. In den Großstädten des Nordens existieren „Selbsthilfegruppen“ in Form von Vereinen, die sich um spezielle Einzelfälle (etwa die Einschulung behinderter Kinder) kümmern. Teilweise fördert das Solidaritätsministerium solche Initiativen mit Grundbeträgen.
Die Arbeitslosigkeit liegt Stand 2018 bei 12%, die Jugendarbeitslosigkeit (15-24-jährige) bei 30%. Das staatliche Arbeitsamt Agence national d’emploi / ANEM (http://www.anem.dz/) bietet Dienste an, es existieren auch private Jobvermittlungsagenturen (z.B. http://www.tancib.com/index.php?page=apropos). Seit Februar 2011 stehen jungen Menschen Starthilfekredite offen, wobei keine Daten darüber vorliegen, ob diese Mittel ausgeschöpft wurden. Die Regierung anerkennt die Problematik der hohen Akademikerarbeitslosigkeit. Grundsätzlich ist anzumerken, dass allen staatlichen Genehmigungen/Unterstützungen eine (nicht immer deklarierte) sicherheitspolitische Überprüfung vorausgeht, und dass Arbeitsplätze oft aufgrund von Interventionen besetzt werden. Der offiziell erfasste Wirtschaftssektor ist von staatlichen Betrieben dominiert.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2016b): Algerien - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/algerien/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 3.5.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
- WKO - Wirtschaftskammer Österreich (10.2019): Länderprofil Algerien, https://wko.at/statistik/laenderprofile/lp-algerien.pdf, Zugriff 18.3.2020
Grundsätzlich ist medizinische Versorgung in Algerien allgemein zugänglich und kostenfrei. Der Standard in öffentlichen Krankenhäusern entspricht nicht europäischem Niveau. Krankenhäuser, in denen schwierigere Operationen durchgeführt werden können, existieren in jeder größeren Stadt; besser ausgestattete Krankenhäuser gibt es an den medizinischen Fakultäten von Algier, Oran, Annaba und Constantine. Häufig auftretende chronische Krankheiten wie Diabetes, Krebs, Tuberkulose, Herz- und Kreislaufbeschwerden, Geschlechtskrankheiten und psychische Erkrankungen können auch in anderen staatlichen medizinischen Einrichtungen behandelt werden. AIDS-Patienten werden in sechs Zentren behandelt. Grundsätzlich meiden Algerier nach Möglichkeit die Krankenhäuser und bemühen sich, Kranke so schnell wie möglich in häusliche Pflege übernehmen zu können. Oft greift man zu Bestechung, um ein Intensivbett zu bekommen oder zu behalten. Ohne ständige familiäre Betreuung im Krankenhaus ist eine adäquate Pflege nicht gesichert. Die Müttersterblichkeit und Komplikationen bei Geburten sind aufgrund von Nachlässigkeiten in der Geburtshilfe hoch. Mit Frankreich besteht ein Sozialabkommen aus den 1960er-Jahren, das vorsieht, dass komplizierte medizinische Fälle in Frankreich behandelt werden können. Dieses Abkommen ist seit einiger Zeit überlastet. Nicht alle Betroffenen können es in Anspruch nehmen. Auch mit Belgien besteht ein entsprechendes Abkommen.
Es sind Privatspitäler, v.a. in Algier, entstanden, die nach europäischem Standard bezahlt werden müssen. Der Sicherheitssektor kann auf ein eigenes Netz von Militärspitälern zurückgreifen. Immer wieder wird darauf aufmerksam gemacht, dass sich in Algerien ausgebildete Ärzte in Frankreich und Deutschland niederlassen, was zu einem Ärztemangel in Algerien führt. Die Versorgung im Landesinneren mit fachärztlicher Expertise ist nicht sichergestellt. Augenkrankheiten sind im Süden häufig. Algerien greift für die Versorgung im Landesinneren auf kubanische Ärzte zurück, z.B. die im April 2013 neu eröffnete Augenklinik in Bechar. Tumorpatienten können medizinisch nicht nach westlichem Standard betreut werden. Schwierig ist die Situation von Alzheimer- und Demenzpatienten und von Behinderten. Krankenversichert ist nur, wer einer angemeldeten Arbeit nachgeht. Die staatliche medizinische Betreuung in Krankenhäusern steht auch Nichtversicherten beinahe kostenfrei zur Verfügung, allerdings sind Pflege und die Verpflegung nicht sichergestellt, Medikamente werden nicht bereitgestellt, schwierige medizinische Eingriffe sind nicht möglich.
In der gesetzlichen Sozialversicherung sind Angestellte, Beamte, Arbeiter oder Rentner sowie deren Ehegatten und Kinder bis zum Abschluss der Schul- oder Hochschulausbildung obligatorisch versichert. Die Sozial- und Krankenversicherung ermöglicht grundsätzlich in staatlichen Krankenhäusern eine kostenlose, in privaten Einrichtungen eine kostenrückerstattungsfähige ärztliche Behandlung. Immer häufiger ist jedoch ein Eigenanteil zu übernehmen. Die höheren Kosten bei Behandlung in privaten Kliniken werden nicht oder nur zu geringerem Teil übernommen. Algerier, die nach jahrelanger Abwesenheit aus dem Ausland zurückgeführt werden, sind nicht mehr gesetzlich sozialversichert und müssen daher sämtliche Kosten selbst übernehmen, sofern sie nicht als Kinder oder Ehegatten von Versicherten erneut bei der Versicherung eingeschrieben werden oder selbst einer versicherungspflichtigen Arbeit nachgehen.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
Die illegale Ausreise, d.h. die Ausreise ohne gültige Papiere bzw. ohne eine Registrierung der Ausreise per Stempel und Ausreisekarte am Grenzposten, ist gesetzlich verboten (Art. 175 bis 1. algerisches Strafgesetzbuch, Gesetz 09-01 vom 25.2.2009, kundgemacht am 8.3.2009. Das Gesetz sieht ein Strafmaß von zwei bis sechs Monaten und / oder eine Strafe zwischen 20.000 DA bis 60.000 DA vor. Rückkehrer, die ohne gültige Papiere das Land verlassen haben, werden mitunter zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Für illegale Bootsflüchtlinge („harraga“) sieht das Gesetz Haftstrafen von drei bis zu fünf Jahren und zusätzliche Geldstrafen vor. In der Praxis werden zumeist Bewährungsstrafen verhängt.
Eine behördliche Rückkehrhilfe ist ho. nicht bekannt. Ebenso sind der Botschaft keine NGOs bekannt, die Unterstützung leisten. Bekannt ist, dass Familien zurückkehrende Familienmitglieder wieder aufnehmen und unterstützen. Viel bekannter hingegen sind Fälle, in denen Familien Mitglieder mit beträchtlichen Geldmitteln bei der illegalen Ausreise unterstützen. Sollten Rückkehrer auf familiäre Netze zurückgreifen können, würde man annehmen, dass sie diese insbesondere für eine Unterkunft nützen. Die Botschaft kennt auch Fälle von finanzieller Rückkehrhilfe (EUR 1.000-2.000) durch Frankreich, für Personen, die freiwillig aus Frankreich ausgereist sind. Algerien erklärt sich bei Treffen mit div. EU-Staatenvertretern immer wieder dazu bereit, Rückkehrer aufzunehmen, sofern zweifelsfrei feststehe, dass es sich um algerische Staatsangehörige handle. Nachfragen bei EU-Botschaften und Pressemeldungen bestätigen, dass Algerien bei Rückübernahmen kooperiert. Zwischen Algerien und einzelnen EU-Mitgliedsstaaten bestehen bilaterale Rückübernahmeabkommen.
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (25.6.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Demokratischen Volksrepublik Algerien (Stand: Mai 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/2014264/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Demokratischen_Volksrepublik_Algerien_%28Stand_Mai_2019%29%2C_25.06.2019.pdf, Zugriff 27.11.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Algier (11.2019): Asylländerbericht Algerien.
Eine nach Algerien zurückkehrende Person, bei welcher keine berücksichtigungswürdigen Gründe vorliegen, wird durch eine Rückkehr nicht automatisch in eine unmenschliche Lage versetzt.
Dem Beschwerdeführer droht somit im Falle seiner Rückkehr keine Gefährdung in seinem Herkunftsstaat. Ihm droht auch keine Strafe nach seiner Rückkehr nach Algerien wegen illegaler Ausreise.
Es liegen auch keine Anhaltspunkte vor, dass der volljährige, gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Algerien in eine aussichtslose oder existenzbedrohende Situation geraten könnte. Er hat dort den Großteil seines Lebens verbracht, dort lebt seine Familie und verfügt er über eine universitäre Ausbildung und jahrelange Berufserfahrung.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser und den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz, in das „Länderinformationsblatt der Staatendokumentation“ zu Algerien, sowie in Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Zentralen Fremdenregister, dem Strafregister, dem Schengener Informationssystem und dem Betreuungsinformationssystem.
Die belangte Behörde hat ein mängelfreies, ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren durchgeführt und in der Begründung des angefochtenen Bescheides die Ergebnisse dieses Verfahrens, die bei der Beweiswürdigung maßgebenden Erwägungen und die darauf gestützte Beurteilung der Rechtsfrage klar und übersichtlich zusammengefasst. Das Bundesverwaltungsgericht verweist daher zunächst auf diese schlüssigen und nachvollziehbaren beweiswürdigenden Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid.
Auch der Beschwerde vermag das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Sachverhaltselemente zu entnehmen, welche geeignet wären, die von der erstinstanzlichen Behörde getroffenen Entscheidungen in Frage zu stellen. Der Beschwerdeführer bestreitet den von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt nicht substantiiert und erstattete in der Beschwerde auch kein konkretes sachverhaltsbezogenes Vorbringen, sodass das Bundesverwaltungsgericht den maßgeblichen Sachverhalt als ausreichend ermittelt und somit entscheidungsreif ansieht und sich der von der belangten Behörde vorgenommenen, nachvollziehbaren Beweiswürdigung vollumfänglich anschließt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers getroffen wurden, beruhen diese auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen und unbestritten gebliebenen Feststellungen, sowie auf der dem Akt inneliegenden Kopie des Reisepasses des Beschwerdeführers.
Die Feststellungen zum Gesundheitszustand beruhen auf den im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen und gründen sich auf die diesbezüglichen glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde (Niederschrift vom 13.01.2020). Auch aus der Aktenlage sind keinerlei Hinweise auf lebensbedrohliche gesundheitliche Beeinträchtigungen ableitbar.
Die Feststellungen zur Ausbildung, zur Berufserfahrung und zur Familie des Beschwerdeführers in Algerien ergeben sich aus seinen Aussagen vor dem BFA und den im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vorgelegten Unterlagen.
Die Feststellungen betreffend die persönlichen Verhältnisse und die Lebensumstände sowie die Integration des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf seinen Aussagen vor dem BFA. Der Beschwerdeführer brachte weder vor der belangten Behörde noch in der gegenständlichen Beschwerde konkrete Angaben vor, die die Annahme einer umfassenden Integration in Österreich in sprachliche