TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/5 I403 2212736-1

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Veröffentlicht am 05.06.2020
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Entscheidungsdatum

05.06.2020

Norm

AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs2
VwGVG §24 Abs1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I403 2212736-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX, StA. Gambia (alias Guinea), vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Susanne SINGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 02.11.2018, Zl. XXXX, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 03.06.2020 zu Recht:

A)

I. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-Verfahrensgesetz auf Dauer unzulässig ist. Alpha Oumar DIALLO wird gemäß §§ 54, 55 Abs. 2 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

II. Spruchpunkt V., VI. und VIII. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 08.10.2009 einen Antrag auf internationalen Schutz, welchen er im Wesentlichen damit begründete, guineischer Staatsangehöriger zu sein und seinen Herkunftsstaat Guinea, in welchem er bis zu seinem sechzehnten Lebensjahr gelebt habe, verlassen zu haben, da er dort nach dem Tod seiner Eltern keine Familie und keine Angehörigen mehr habe.

Ein im Rahmen des Verfahrens in Auftrag gegebenes sprach- und landeskundliches Sachverständigengutachten sowie ein weiteres, rein linguistisches Sachverständigengutachten gelangten zum Ergebnis, dass eine Hauptsozialisierung des Beschwerdeführers in Guinea aufgrund seiner nicht-muttersprachlichen Sprachkompetenzen sowie geringen Landeskenntnisse praktisch ausgeschlossen werden kann, hingegen von seiner Hauptsozialisierung in Gambia auszugehen ist.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA / belangte Behörde) vom 02.11.2018 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs.1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 wurde der Antrag auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Gambia abgewiesen (Spruchpunkt II.). Mit Spruchpunkt III. wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Gambia zulässig ist (Spruchpunkt V.). Die Frist für eine freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers wurde gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 1 AsylG 2005 wurde ausgesprochen, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 23.10.2012 verloren hat (Spruchpunkt VII.). Darüber hinaus wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

Gegen den angefochtenen Bescheid wurde fristgerecht mit Schriftsatz vom 04.12.2018 Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht erhoben. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27.09.2019 wurde die Beschwerde mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Beschwerdeführer sein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet bereits ab dem 17.06.2012 verloren hatte. Die dagegen erhobene Revision wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17.01.2020, Ra. 2019/18/0446 zurückgewiesen, soweit sie sich gegen die Abweisung der Beschwerde hinsichtlich des Antrags auf internationalen Schutz, der Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie der Feststellung des Verlustes des Aufenthaltsrechts wendete. In seinem übrigen Umfang wurde das angefochtene Erkenntnis (soweit die Beschwerde in Bezug auf die Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Gambia, die Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise sowie das Einreiseverbot abgewiesen wurde) wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben und insbesondere darauf hingewiesen, dass die Verurteilung des Beschwerdeführers schon mehrere Jahre zurückliege, und moniert, dass keine mündliche Verhandlung durchgeführt wurde.

Am 03.06.2020 wurden der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin in einer mündlichen Verhandlung im Beisein der Rechtsvertretung des Beschwerdeführers befragt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Gambia. Seine Identität steht nicht fest. Er ist volljährig, ledig und kinderlos und bekennt sich zum islamischen Glauben. Feststellungen zu seinen Familienverhältnissen in Gambia können nicht getroffen werden.

Der Beschwerdeführer leidet an keiner lebensbedrohlichen oder dauerhaft behandlungsbedürftigen Gesundheitsbeeinträchtigung. Er ist erwerbsfähig.

Der Beschwerdeführer hält sich seit mehr als zehn Jahren in Österreich auf und führt seit neun Jahren eine Beziehung mit einer österreichischen Staatsangehörigen. Aufgrund finanzieller Probleme besteht kein gemeinsamer Haushalt, doch ist ein solcher für die Zukunft geplant. Der Beschwerdeführer spricht Deutsch auf A2-Niveau, hat an diversen Kursen sowie Projekten teilgenommen sowie Freiwilligenarbeit geleistet. Die geplante B1-Prüfung musste wegen der Pandemie verschoben werden. Er hat Freunde in Österreich. Der Beschwerdeführer ging in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nach und bestreitet seinen Lebensunterhalt aus Mitteln der staatlichen Grundversorgung.

Am 17.06.2012 wurde über den Beschwerdeführer mit Beschluss des Landesgerichts XXXX zur Zl. XXXX die Untersuchungshaft verhängt. Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom 23.10.2012, Zl. 026 XXXX wurde der Beschwerdeführer wegen Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG sowie wegen des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster und zweiter Fall, Abs. 2 SMG rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten verurteilt. Der Verurteilung lag zugrunde, dass der Beschwerdeführer von November 2011 bis Juni 2012 einer anderen Person in wöchentlichen Teilverkäufen Suchtgift in einer insgesamt die Grenzmenge (§ 28b SMG) vielfach übersteigenden Menge (ca. 3000 Gramm) gegen Entgelt überlassen sowie unbekannte Mengen von Cannabiskraut zum persönlichen Gebrauch bzw. zum Eigenkonsum besessen hat.

2. Beweiswürdigung:

Die erkennende Einzelrichterin des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:

2.1. Zum Verfahrensgang:

Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR) und der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend zum vorliegenden Akt eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Da der Beschwerdeführer den österreichischen Behörden keine identitätsbezeugenden Dokumente vorlegen konnte, steht seine Identität nicht zweifelsfrei fest. Seine im Vorerkenntnis vom 27.09.2019 festgestellte gambische Staatsbürgerschaft wurde in der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes nicht beanstandet und geht das Bundesverwaltungsgericht weiterhin vom Herkunftsstaat Gambia aus.

Die Feststellungen zu seinen Lebensumständen, seiner Konfession, seiner Schulbildung sowie zu seiner Arbeitsfähigkeit gründen sich auf die diesbezüglich glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und dem Bundesverwaltungsgericht.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin führt, ergibt sich aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben sowie den Angaben der österreichischen Staatsangehörigen G.D. im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme an die belangte Behörde vom 15.10.2018 sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 03.06.2020. Wie sich aus einer Abfrage im zentralen Melderegister der Republik Österreich ergibt, war der Beschwerdeführer vom 01.08.2013 bis zum 11.11.2016 – und in weiterer Folge nur noch monateweise vom 22.11.2018 bis zum 25.02.2019 sowie vom 27.05.2019 bis zum 26.08.2019 – in einem gemeinsamen Haushalt mit G.D. gemeldet. In der mündlichen Verhandlung ergab sich, dass von beiden Seiten ein Zusammenleben geplant ist, aber bislang an finanziellen Möglichkeiten scheiterte.

Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer in Österreich diverse Bekanntschaften geschlossen hat, ergibt sich aus einem Konvolut an vorgelegten Unterstützungserklärungen.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich an diversen Kursen sowie Projekten teilgenommen sowie Freiwilligenarbeit geleistet hat, ergibt sich aus diesbezüglich in Vorlage gebrachten Bestätigungsschreiben. Die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers auf A2-Niveau ergeben sich aus einem diesbezüglich vorgelegten ÖSD-Zertifikat.

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer in Österreich seinen Lebensunterhalt aus Mitteln der staatlichen Grundversorgung bestreitet, ergibt sich aus einer Abfrage in der Applikation „Betreuungsinformation“ (Grundversorgung). Die Feststellung, dass er in Österreich zu keinem Zeitpunkt einer legalen Erwerbstätigkeit nachging, ergibt sich aus einer Abfrage im Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger.

Die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage im Strafregister der Republik Österreich vom 20.09.2019. Die Umstände zur Tatbegehung ergeben sich aus einer im Akt enthaltenen, gekürzten Urteilsausfertigung des Landesgerichts XXXX vom 17.06.2012 zur Zl. XXXX .

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

Sache des gegenständlichen Verfahrens ist nur mehr die Beschwerde in Bezug auf die Rückkehrentscheidung, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung nach Gambia, die Bestimmung einer Frist für die freiwillige Ausreise sowie das Einreiseverbot; die Abweisung der Beschwerde in Bezug auf den Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides) und den Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides) sowie die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides) ist in Rechtskraft erwachsen, da die dagegen erhobene Revision zurückgewiesen wurde.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Es ist daher zu prüfen, ob eine Rückkehrentscheidung auf Basis des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG für unzulässig zu erklären ist.

Der mit „Schutz des Privat- und Familienlebens“ betitelte § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG lautet wie folgt:

„§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art. und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§§ 45 und 48 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ist bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt eines Fremden regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an seinem Verbleib in Österreich auszugehen. Nur dann, wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt hat, um sich sozial und beruflich zu integrieren, wurden Aufenthaltsbeendigungen ausnahmsweise auch nach so langem Inlandsaufenthalt noch für verhältnismäßig angesehen (siehe aus jüngerer Zeit etwa VwGH, 26.06.2019, Ra 2019/21/0092 bis 0094, Rn. 10 oder VwGH, 07.03.2019, Ra 2018/21/0253, Rn. 11, oder VwGH, 25.04.2019, Ra 2018/22/0251 bis 0256, Rn. 12, je mwN). Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof in mehreren Entscheidungen zum Ausdruck gebracht, dass ungeachtet eines mehr als zehnjährigen Aufenthaltes und des Vorhandenseins gewisser integrationsbegründender Merkmale auch gegen ein Überwiegen der persönlichen Interessen bzw. für ein größeres öffentliches Interesse an der Verweigerung eines Aufenthaltstitels (oder an der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme) sprechende Umstände in Anschlag gebracht werden können. Dazu zählt das Vorliegen einer strafgerichtlichen Verurteilung (vgl. etwa die Erkenntnisse des VwGH vom 30.06.2016, Ra 2016/21/0165, und vom 10.11.2015, Ro 2015/19/0001, sowie die Beschlüsse des VwGH vom 03.09.2015, Ra 2015/21/0121, und vom 25.04.2014, Ro 2014/21/0054).

Der Beschwerdeführer hält sich seit mehr als zehn Jahre im Bundesgebiet auf. Sein Asylverfahren dauerte insgesamt beinahe zehn Jahre, wobei den Beschwerdeführer eine Teilschuld dafür trifft, da aufgrund seiner unzutreffenden Angaben zu seinem Herkunftsland 2011 und 2013 linguistische Gutachten erstellt werden mussten. Die lange Dauer des daran anschließenden (mehr als weitere fünf Jahre in Anspruch nehmenden) erstinstanzlichen Asylverfahrens kann dem Beschwerdeführer aber nicht zur Last gelegt werden (vgl. VwGH, 17.01.2020, Ra. 2019/18/0446).

Zudem führt der Beschwerdeführer seit dem Jahr 2011 eine Beziehung zu einer österreichischen Staatsbürgerin, wobei zwischen August 2013 und November 2016 auch ein gemeinsamer Wohnsitz bestand, es 2016 aber zu einer Trennung von einigen Monaten kam. Die Beziehung ist zwar zu einem Zeitpunkt entstanden, als der Beschwerdeführer sich seines unsicheren Aufenthaltes bewusst war, doch relativiert sich dieser Punkt angesichts der langen Dauer des Asylverfahrens bzw. Aufenthalts. Ein gemeinsamer Haushalt besteht zum aktuellen Zeitpunkt aus finanziellen Gründen nicht, wird aber von beiden angestrebt. In der mündlichen Verhandlung wurde der Eindruck gewonnen, dass es sich um eine enge Partnerschaft handelt.

Darüber hinaus wird auch die Freiwilligenarbeit des Beschwerdeführers im Rahmen unterschiedlicher Projekte sowie seine Teilnahme an diversen Kursen gewürdigt, ebenso wie die vorgelegten Unterstützungsschreiben. Er hat sich in Österreich ein soziales Netzwerk aufgebaut, das nur zuletzt aufgrund der Covid-19-Pandemie eingeschränkt war. Allerdings ist der Beschwerdeführer aktuell in Österreich nicht selbsterhaltungsfähig, sondern lebt er von der Grundversorgung. Der Beschwerdeführer verfügt über ein ÖSD A2-Zertifikat; er hatte sich für eine B1-Integrationsprüfung angemeldet, welche aber aufgrund der Pandemie verschoben werden musste.

Zu Lasten des Beschwerdeführers ist sein strafgesetzwidriges Fehlverhalten zu berücksichtigen, das zu seiner strafgerichtlichen Verurteilung zu einer unbedingten Haftstrafe in der Dauer von achtzehn Monaten aufgrund von teils schwerwiegenden Suchtgiftdelikten führte. Allerdings liegen die der strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegenden Tathandlungen acht Jahre zurück (zu einer drei Jahre zurückliegenden strafgerichtlichen Verurteilung VwGH 19.9.2019, Ra 2019/21/0180; vgl. etwa auch VwGH 4.4.2019, Ra 2019/21/0018), so dass, was auch durch den persönlichen Eindruck in der Verhandlung bestätigt wurde, von keiner aktuellen von seinem Aufenthalt im Bundesgebiet ausgehenden Gefährdung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszugehen ist.

Vor diesem Hintergrund überwiegen die privaten Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung, sodass der damit verbundene Eingriff in sein Familien- und Privatleben nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes als unverhältnismäßig qualifiziert werden muss. Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich daher, dass die im angefochtenen Bescheid angeordnete Rückkehrentscheidung des Beschwerdeführers aus dem österreichischen Bundesgebiet in den Herkunftsstaat Gambia einen ungerechtfertigten Eingriff in das durch Art. 8 EMRK gewährleistete Recht auf Privat- und Familienleben darstellt und aufzuheben ist.

Der Beschwerde war daher in Hinblick auf Spruchpunkt IV. und die darauf aufbauenden Spruchpunkte V., VI. und VIII. stattzugeben und diese zu beheben.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 hat das Bundesamt einen Aufenthaltstitel gemäß § 55 AsylG 2005 von Amts wegen zu erteilen, wenn eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig auf Dauer unzulässig erklärt wurde. Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer keine Integrationsprüfung abgelegt und daher das Modul 1 der Integrationsvereinbarung nicht erfüllt hat, wird ihm nur eine „Aufenthaltsberechtigung“ und keine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gewährt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung (VwGH, 17.01.2020, Ra. 2019/18/0446); weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung Aufenthaltstitel befristete Aufenthaltsberechtigung Einreiseverbot aufgehoben Ersatzentscheidung ersatzlose Teilbehebung Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Kassation mündliche Verhandlung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2212736.1.00

Im RIS seit

13.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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