Entscheidungsdatum
10.06.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
I412 2198202-1/12E
I412 2198201-1/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerden von XXXX , beide StA. NIGERIA und vertreten durch Verein We move together Beratung und Hilfe für MigrantInnen gegen die Bescheide des BFA RD Kärnten Außenstelle Klagenfurt vom 14.05.2018, Zlen. XXXX ,
zu Recht erkannt:
A)
I. Gemäß § 3 AsylG werden die Beschwerden gegen Spruchpunkt I. als unbegründet abgewiesen.
II. Den Beschwerden gegen Spruchpunkt II. wird stattgegeben und gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte für die Dauer von 12 Monaten erteilt.
IV. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt III., IV. und V. und VI. der angefochtenen Bescheide stattgegeben und diese werden ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige aus Nigeria, brachte am 27.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich ein und begründete diesen damit, ihre Mutter sei Christin gewesen, ihr Vater Moslem. Sie sei in Nigeria mit einer Frau namens XXXX zusammen gewesen und von der islamischen Gemeinde ihres Vaters bedroht worden, da Homosexualität im Islam verboten sei. Danach sei sie mit ihrer Freundin XXXX aus dem Land geflüchtet, diese sei im Mittelmeer ertrunken. Während ihres Aufenthaltes in Lampedusa habe sie einen Nigerianer namens XXXX kennengelernt und dieser habe sie nach Udine gebracht. Nachdem sie schwanger geworden sei, habe er sie nicht heiraten wollen. Er habe gesagt, dass sie eine Lesbe sei und sie aus dem Haus geworfen. Sie habe drei Monate auf der Straße gelebt und danach sei sie nach Österreich gereist.
2. Am XXXX kam die Zweitbeschwerdeführerin zur Welt, für die ohne Vorbringen eigener Gründe mit Schreiben vom 27.04.2017 ebenfalls ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.
3. Die Erstbeschwerdeführerin wurde zweimal von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen, das erste Mal am 09.11.2017, ein zweites Mal von einer weiblichen Sachbearbeiterin am 25.04.2018.
4. Die Anträge der Erst- und der Zweitbeschwerdeführerinnen wurden vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) jeweils mit Bescheiden vom 14.05.2018 hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurden die Anträge auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde ihnen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 in Verbindung mit § 9 BFA-Verfahrensgesetz wurde gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß
§ 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Nigeria zulässig sei (Spruchpunkt .). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.). Das Vorbringen der Erstbeschwerdeführerin wurde für nicht glaubhaft befunden.
5. Gegen diese Bescheide wurde fristgerecht im Wege der damaligen rechtsfreundlichen Vertretung am 11.06.2018 Beschwerde erhoben und auf die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte Fluchtgeschichte verwiesen. In der Beschwerde werden die Verletzung von Verfahrensvorschriften sowie inhaltliche Rechtswidrigkeit geltend gemacht und ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin in Nigeria wegen ihrer Homosexualität verfolgt werde und ihr darüber hinaus Verfolgung bzw. Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit der ChristInnen, als alleinstehende Frau, Alleinerzieherin und Rückkehrerin aus Europa drohe und damit für sie die Definition eines Flüchtlings im Sinne der GFK zutreffe. Der Zweitbeschwerdeführerin drohe in Nigeria Verfolgung bzw. Diskriminierung wegen der Zugehörigkeit zur Familie der Erstbeschwerdeführerin, wegen der Zugehörigkeit zur religiösen Minderheit der ChristInnen sowie kinder – und mädchenspezifische Verfolgung bzw. Diskriminierung.
6. Die Beschwerden wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 12.06.2018 vorgelegt. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 18.06.2018 wurden die Rechtssachen der Gerichtsabteilung der erkennenden Richterin zugeteilt.
7. Mit Schreiben vom 08.08.2019 wurde eine Beschwerdenachreichung vorgelegt, wonach die Erstbeschwerdeführerin im Parteienverkehr vor der belangten Behörde angegeben habe, sich wieder nach Italien begeben zu wollen. Sie habe einen Heiratsnachweis aus dem Jahr 2013 vorgelegt, sowie eine Kopie ihres nigerianischen Reisepasses und einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in Italien.
8. Mit Schreiben der nunmehrigen rechtsfreundlichen Vertretung vom 04.11.2019 wurde das Bundesverwaltungsgericht informiert, dass die Beschwerdeführerin ihre bisherigen Aussagen im Asylverfahren zurückziehe, weil diese nicht der Wahrheit entsprechen würden. Sie habe aus Angst und aufgrund schlechter Beratung bisher unrichtige Angaben gemacht. Sie sei Opfer von Menschenhandel und sei in Europa gezwungen worden, als Prostituierte zu arbeiten und werde eine diesbezügliche Aussage vor dem LKA vorgelegt. Die Erstbeschwerdeführerin sei aufgrund der Erlebnisse traumatisiert und die Zweitbeschwerdeführerin in ihrem Verhalten auffällig.
9. Am 29.05.2020 wurde eine mündliche Verhandlung abgehalten, in welcher die Beschwerdeführerin unter Heranziehung einer Dolmetscherin für die englische Sprache die näheren Umstände ihrer Verbringung nach Europa schilderte.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person und zum Fluchtvorbringen der Beschwerdeführerinnen:
Die unbescholtene, volljährige Erstbeschwerdeführerin ist Staatsangehörige Nigerias, ihre Identität steht nicht fest. Die Beschwerdeführerin verfügt über eine rudimentäre Schulbildung und keine Berufsausbildung oder Berufserfahrung.
Die Beschwerdeführerinnen sind grundsätzlich gesund und die Erstbeschwerdeführerin auch arbeitsfähig, die Erstbeschwerdeführerin nimmt Medikamente gegen Bluthochdruck, die Zweitbeschwerdeführerin derzeit ein Eisenpräparat.
Die Erstbeschwerdeführerin stammt aus Benin City und ist Christin.
Sie hat Nigeria im Jahr 2006 verlassen und lebte mehrere Jahre in Italien, bevor sie (spätestens) im Dezember 2016 nach Österreich kam und einen Antrag auf internationalen Schutz stellte.
Die Erstbeschwerdeführerin verfügt über keine familiären oder persönlichen Anknüpfungspunkte in Nigeria.
Ihre zweitbeschwerdeführende Tochter wurde am XXXX in Österreich geboren und ist wie ihre Mutter nigerianische Staatsangehörige.
Beim Vater der Zweitbeschwerdeführerin handelt es sich ebenfalls um einen nigerianischen Staatsangehörigen, den die Erstbeschwerdeführerin in Italien kennengelernt hat und zudem derzeit kein Kontakt besteht. Der Vater der Zweitbeschwerdeführerin hat diese noch nie gesehen.
Eine nachhaltige Verfestigung im Bundesgebiet liegt bei den Beschwerdeführerinnen nicht vor.
Die Erstbeschwerdeführerin ist strafrechtlich unbescholten und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
1.2. Zu den Fluchtmotiven der BF:
Die Erstbeschwerdeführerin wurde 2006 von Menschenhändlern nach Italien verbracht und gezwungen, als Prostituierte zu arbeiten. Es besteht keine Gefahr, dass sie bei einer Rückkehr nach Nigeria Verfolgung zu befürchten hätte.
Es ist insgesamt nicht davon auszugehen, dass die Erstbeschwerdeführerin bei einer Rückkehr nach Nigeria der Gefahr einer Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung im iSd GFK ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr ausgesetzt wäre.
Für die Zweitbeschwerdeführerin wurden keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht.
Es ist jedoch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass die Beschwerdeführerinnen bei einer Rückkehr nach Nigeria in eine existentielle Notlage geraten würden und hätten diese keine Unterstützung etwa durch Familienangehörige oder durch ein soziales Netz zu erwarten.
1.3. Feststellungen zur Lage in Nigeria:
1.3.1. Sicherheitslage
Es gibt in Nigeria keine klassischen Bürgerkriegsgebiete oder -parteien (AA 10.12.2018). Im Wesentlichen lassen sich mehrere Konfliktherde unterscheiden: Jener von Boko Haram im Nordosten; jener zwischen Hirten und Bauern im Middle-Belt; sowie Spannungen im Nigerdelta (AA 10.12.2018; vgl. EASO 11.2018a) und eskalierende Gewalt im Bundesstaat Zamfara (EASO 11.2018a). Außerdem gibt es im Südosten zwischen der Regierung und Igbo-Gruppen, die für ein unabhängiges Biafra eintreten, (EASO 11.2018a; vgl. AA 10.12.2018), sowie zwischen Armee und dem Islamic Movement in Nigeria (IMN) Spannungen (EASO 11.2018a). Die 2017 deutlich angespannte Lage im Südosten des Landes („Biafra“) hat sich mit dem Eingriff des Militärs und der mutmaßlichen Flucht des Anführers der stärksten separatistischen Gruppe IPOB derzeit wieder beruhigt (AA 10.12.2018).
In den nordöstlichen Bundesstaaten Adamawa, Borno, Gombe und Yobe kommt es häufig zu Selbstmordanschlägen (BMEIA 12.4.2019). Außenministerien warnen vor Reisen dorthin sowie in den Bundesstaat Bauchi (BMEIA 12.4.2019; vgl. AA 12.4.2019; UKFCO 12.4.2019). Vom deutschen Auswärtige Amt wird darüber hinaus von nicht notwendigen Reisen in die übrigen Landesteile Nordnigerias abgeraten (AA 12.4.2019).
Zu Entführungen und Raubüberfällen kommt es im Nigerdelta und einigen nördlichen Bundesstaaten. Betroffen sind: Abia, Akwa Ibom, Anambra, Bauchi, Bayelsa, Cross River, Delta, Ebonyi, Enugu, Imo, Jigawa, Kaduna, Kano, Katsina, Kogi, Nasarawa, Plateau, Rivers und Zamfara. Für die erwähnten nordöstlichen und nördlichen Bundesstaaten sowie jenen im Nigerdelta gelegenen gilt seitens des österreichischen Außenministeriums eine partielle Reisewarnung; Hohes Sicherheitsrisiko (Sicherheitsstufe 3) in den übrigen Landesteilen (BMEIA 12.4.2019).
Das deutsche Auswärtige Amt rät von Reisen in die Bundesstaaten Kaduna (insbesondere Süd- Kaduna), Plateau, Nasarawa, Benue, Delta, Bayelsa, Rivers, Imo (insbesondere die Hauptstadt Owerri), Abia, Anambra, Ebonyi, Edo, Enugu, Delta, Kogi, den südlichen Teil von Cross Rivers, Ogun und Akwa Ibom ab (AA 12.4.2019). Das britische Außenministerium warnt (neben den oben erwähnten nördlichen Staaten) vor Reisen in die am Fluss gelegenen Regionen der Bundesstaaten Delta, Bayelsa, Rivers, Akwa Ibom and Cross River im Nigerdelta. Abgeraten wird außerdem von allen nicht notwendigen Reisen in die Bundesstaaten Bauchi, Zamfara, Kano, Kaduna, Jigawa, Katsina, Kogi, Abia, im 20km Grenzstreifen zum Niger in den Bundesstaaten Sokoto und Kebbi, nicht am Fluss gelegene Gebiete von Delta, Bayelsa und Rivers (UKFCO 29.11.2018).
In Nigeria können in allen Regionen unvorhersehbare lokale Konflikte aufbrechen. Ursachen und Anlässe der Konflikte sind meist politischer, wirtschaftlicher, religiöser oder ethnischer Art. Meist dauern diese Auseinandersetzungen nur wenige Tage und sind auf einzelne Orte bzw. einzelne Stadtteile begrenzt. Insbesondere die Bundesstaaten Zamfara, das Sokoto (Nordteil) und Plateau (Südteil) sind derzeit von bewaffneten Auseinandersetzungen betroffen (AA 12.4.2019).
In der Zeitspanne April 2018 bis April 2019 stechen folgende nigerianische Bundesstaaten mit einer hohen Anzahl an Toten durch Gewaltakte besonders hervor: Borno (2.333), Zamfara (1.116), Kaduna (662), Benue (412), Adamawa (402), Plateau (391). Folgende Bundesstaaten stechen mit einer niedrigen Zahl hervor: Jigawa (2), Gombe (2), Kebbi (3) und Osun (8) (CFR 2019).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019
- BMEIA - Österreichisches Außenministerium (12.4.2019): Reiseinformationen - Nigeria, https:// www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/nigeria/, Zugriff 12.4.2019
- CFR - Council on Foreign Relations (2019): Nigeria Security Tracker, https://www.cfr.org/nigeria/ nigeria-security-tracker/p29483, Zugriff 12.4.2019
- EASO - European Asylum Support Office (11.2018a): Country of Origin Information Report - Nigeria - Security Situation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001366/2018_EASO_COI_Nigeria_SecuritySituation.pdf, Zugriff 12.4.2019
- UKFCO - United Kingdom Foreign and Commonwealth Office (12.4.2019): Foreign Travel Advice - Nigeria - summary, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/nigeria, Zugriff 12.4.2019
1.3.2 Frauen
Auch wenn die Verfassung Gleichberechtigung vorsieht (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 10.12.2018), kommt es zu beachtlicher ökonomischer Diskriminierung von Frauen (USDOS 13.3.2019). Frauen werden in der patriarchalischen und teilweise polygamen Gesellschaft Nigerias in vielen Rechts- und Lebensbereichen benachteiligt, v.a. dort, wo traditionelle Regeln gelten. So sind Frauen in vielen Landesteilen aufgrund von Gewohnheitsrecht von der Erbfolge nach ihrem Ehemann ausgeschlossen. Vor allem im Osten des Landes müssen sie entwürdigende und die persönliche Freiheit einschränkende Witwenzeremonien über sich ergehen lassen (z.B. werden sie gezwungen, sich den Kopf zu rasieren oder das Haus für einen bestimmten Zeitraum nicht zu verlassen oder sind rituellen Vergewaltigungen ausgesetzt). Darüber hinaus können Frauen im Norden zum Teil keiner beruflichen Betätigung nachgehen, weil sie die familiäre Wohnung ohne Begleitung eines männlichen Angehörigen nicht verlassen dürfen (AA 10.12.2018). Die geschlechtsspezifische Diskriminierung im Rechtssystem konnte allerdings reduziert werden (BS 2018).
Auf Bundesstaats- und Bezirksebene (LGA) spielen Frauen kaum eine Rolle. Jene mit Sekundär- und Tertiärbildung haben Zugang zu Arbeitsplätzen in staatlichen und öffentlichen Institutionen. Immer mehr Frauen finden auch Arbeit im expandierenden Privatsektor (z.B. Banken, Versicherungen, Medien). Einige Frauen besetzen prominente Posten in Regierung und Justiz, z.B. eine Richterin beim Obersten Gerichtshof und die Finanzministerin (BS 2018).
Rechtlich ist keine Vorschrift vorhanden, die gleiche Bezahlung für Frauen und Männer für gleichwertige Tätigkeiten festschreibt. Es gibt auch kein Diskriminierungsverbot bei der Einstellung von Angestellten. Im formalen Sektor bleiben Frauen unterrepräsentiert, während sie in der informellen Wirtschaft eine bedeutende Rolle spielen (Landwirtschaft, Nahrungsmittel, Märkte, Handel) (USDOS 13.3.2019).
Das Gesetz Violence Against Persons Prohibition Act (VAPP) befasst sich mit sexueller, körperlicher, psychologischer und sozioökonomischer Gewalt sowie mit schädlichen traditionellen Praktiken. Laut dem VAPP stellen häusliche Gewalt, gewaltsames Hinauswerfen des Ehepartners aus der gemeinsamen Wohnung, erzwungene finanzielle Abhängigkeit, verletzende Witwenzeremonien, Genitalverstümmelung (FGM/C) usw. Straftatbestände dar. Opfer haben Anspruch auf umfassende medizinische, psychologische, soziale und rechtliche Unterstützung. Mit Stand März 2018 ist das Gesetz erst im Federal Capital Territory (FCT) und den Bundesstaaten Anambra, Ebonyi und Oyo gültig, in anderen Bundesstaaten erst, sobald es dort verabschiedet wird (USDOS 13.3.2019).
Häusliche Gewalt ist weit verbreitet und wird sozial akzeptiert, die Polizei schreitet oft nicht ein. In ländlichen Gebieten zögern Polizei und Gerichte, in Fällen aktiv zu werden, in welchen die Gewalt das traditionell akzeptierte Ausmaß des jeweiligen Gebietes nicht übersteigt (USDOS 13.3.2019).
Geschlechtsspezifische Gewalt ist in Nigeria auf nationaler Ebene nicht unter Strafe gestellt. Einige Bundesstaaten, hauptsächlich im Süden gelegene, haben Gesetze, die geschlechtsspezifische Gewalt verbieten oder versuchen bestimmte Rechte zu schützen. Für häusliche Gewalt sieht das VAPP eine Haftstrafe von maximal drei Jahren, eine Geldstrafe von höchstens 200.000 Naira oder eine Kombination von Haft- und Geldstrafe vor (USDOS 20.4.2018).
Vergewaltigung steht unter Strafe. Gemäß dem VAPP beträgt das Strafmaß zwischen zwölf Jahren und lebenslänglicher Haft. Es sieht auch ein öffentliches Register von verurteilten Sexualstraftätern vor. Auf lokaler Ebene sollen Schutzbeamte ernannt werden, die sich mit Gerichten koordinieren und dafür sorgen sollen, dass die Opfer relevante Unterstützung bekommen. Das Gesetz enthält auch eine Bestimmung, welche Gerichte dazu ermächtigt, Vergewaltigungsopfern eine angemessene Entschädigung zuzusprechen. Vergewaltigungen bleiben aber weit verbreitet. Aus einer Studie geht hervor, dass der erste sexuelle Kontakt bei drei von zehn Mädchen im Alter von 10 bis 19 Jahren eine Vergewaltigung war (USDOS 13.3.2019).
Das Bundesgesetz kriminalisiert seit 2015 FGM/C auf nationaler Ebene (USDOS 13.3.2019; vgl. AA 10.12.2018; GIZ 4.2019b), dieses Gesetz ist aber bisher nur in einzelnen Bundesstaaten umgesetzt worden (AA 10.12.2018), nach anderen Angaben gilt es bis dato nur im Federal Capital Territory. 13 andere Bundesstaaten haben ähnliche Gesetze verabschiedet (EASO 11.2018b). Die Regierung unternahm im Jahr 2018 keine Anstrengungen, FGM/C zu unterbinden (USDOS 13.3.2019). Andererseits wird mit unterschiedlichen Aufklärungskampagnen versucht, einen Bewusstseinswandel einzuleiten. Bei der Verbreitung gibt es erhebliche regionale Unterschiede. In einigen – meist ländlichen – Regionen im Südwesten und in der Region Süd-Süd ist die Praxis weit verbreitet, im Norden eher weniger (AA 10.12.2018). Während im Jahr 2013 der Anteil beschnittener Mädchen und Frauen noch bei 24,8 Prozent lag, waren es 2017 nur noch 18,4 Prozent (EASO 11.2018b).
Für Opfer von FGM/C bzw. für Frauen und Mädchen, die von FGM/C bedroht sind, gibt es Schutz und/oder Unterstützung durch staatliche Stellen und NGOs (UKHO 2.2017). Frauen, die von FGM/ C bedroht sind und die nicht in der Lage oder nicht willens sind, sich dem Schutz des Staates anzuvertrauen, können auf sichere Weise in einen anderen Teil Nigerias übersiedeln, wo es sehr unwahrscheinlich ist, dass sie von ihren Familienangehörigen aufgespürt werden. Frauen, welche diese Wahl treffen, können sich am neuen Wohnort dem Schutz von Frauen-NGOs anvertrauen (UKHO 12.2013; vgl. UKHO 2.2017).
Die Hauptaufgaben der Bundesbehörde NAPTIP (National Agency for the Prohibition of Trafficking in Person) sind Bekämpfung des Menschenhandels, Verfolgung der Täter im Bereich Menschenhandel und Schutzmaßnahmen für Opfer (temporäre Unterkunft, Beratung, Rehabilitierung, Reintegration und Zugang zur Justiz). Obwohl die Behörde im Jahr 2017 deutlich höhere Geldmittel als im Vorjahr erhielt, verfügt sie über zu geringe Ressourcen (EASO 2.2019). Oba Ewuare, König von Benin (Bundesstaat Edo) hat am 9.3.2018 alle Opfern des Menschenhandels auferlegten Flüche für nichtig erklärt, und im Gegenzug jene, welche die Flüche ausgesprochen haben, ihrerseits mit einem Fluch belegt. Bei der Zeremonie waren Priester und traditionelle Heiler sowie Vertreter von NAPTIP eingeladen (Vanguard 10.3.2018; vgl. Iroko 21.3.2018). Üblicherweise sollen Opfer von Menschenhandel durch die auferlegten Flüche dazu gezwungen werden, die Namen der Täter nicht preiszugeben. NAPTIP geht davon aus, dass nunmehr die Strafverfolgung in solchen Fällen erleichtert wird (Vanguard 10.3.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf, Zugriff 19.11.2018
- EASO - European Asylum Support Office (11.2018b): Country of Origin Information Report - Nigeria - Targeting of individuals, https://www.ecoi.net/en/file/local/2001375/2018_EASO_COI_Nigeria_TargetingIndividuals.pdf, Zugriff 11.4.2019, S129ff
- EASO - European Asylum Support Office (2.2019): Country Guidance: Nigeria, https://www.ecoi.net/en/file/local/2004112/Country_Guidance_Nigeria_2019.pdf, Zugriff 12.4.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019
- Iroko - Assoziazione onlus (21.3.2018): Oba of Benin (Edo State) revokes curses on victims of trafficking, http://www.associazioneiroko.org/slide-en/oba-of-benin-edo-state-revokes-curses-on- victims-of-trafficking/, Zugriff 12.4.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
- UKHO - United Kingdom Home Office (12.2013): Operational Guidance Note - Nigeria, http://www.ecoi.net/file_upload/1226_1387367781_nigeria-ogn.pdf, Zugriff 19.11.2018
- UKHO - United Kingdom Home Office (2.2017): Country Policy and Information Note Nigeria: Female Genital Mutilation (FGM), https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595458/CPIN_-
_NGA_-_FGM_-_v_1_0.pdf, Zugriff 19.11.2018
- USDOS - U.S. Department of State (13.3.2019): Country Report on Human Rights Practices 2018 - Nigeria, https://www.ecoi.net/en/document/2004182.html, Zugriff 20.3.2019
- Vanguard (10.3.2019): “Our gods will destroy you”; Oba of Benin curse human traffickers, https://www.vanguardngr.com/2018/03/gods-will-destroy-oba-benin-curse-human-traffickers/, Zugriff 12.4.2019
1.3.3. (Alleinstehende) Frauen: interne Relokation, Rückkehr, Menschenhandel
Für alleinstehende Rückkehrerinnen ist keine generelle Aussage möglich. Nigeria verfügt über eine Anzahl staatlicher und halbstaatlicher Einrichtungen, insbesondere die National Agency for the Prohibition of Trafficking in Persons (NAPTIP), die sich um die Rehabilitierung und psychologische Betreuung rückgeführter Frauen annehmen und in jeder der sechs geopolitischen Zonen Regionalbüros unterhalten. NAPTIP kann als durchaus effektive nigerianische Institution angesehen werden und kooperiert mit mehreren EU-Staaten bei der Reintegration, ist Rückführungspartner für Drittstaaten und leistet u.a. Integrationshilfe (ÖB 10.2018). Die Agentur ist außerdem für die Bekämpfung des Menschenschmuggels zuständig, hat seit ihrer Gründung 2003 359 Verurteilungen von Schleppern erreicht sowie bis heute mehr als 13.000 Opfern von Menschenhandel geholfen (AA 10.12.2018). NAPTIP ist eine zentrale Anlaufstelle für Rückkehrerinnen und bietet unter anderem mehrmonatige Rehabilitierung (psychologische Betreuung) und Berufstraining für ehemalige Zwangsprostituierte an (ÖB 10.2018).
Es gibt viele Frauengruppen, welche die Interessen von Frauen vertreten, praktische Hilfe und Zuflucht anbieten (UKHO 8.2016a). Vom Office of the Special Adviser to the President on Relations with Civil Society erhielt die österreichische Botschaft eine Liste mit 203 auf Seriosität/Bonität geprüften NGOs, die sich um Rehabilitierung, Fortbildung und medizinische Betreuung/Versorgung sämtlicher Bevölkerungsgruppen des Staates bemühen. Darin werden regionale bzw. das ganze Staatsgebiet umfassende Organisationen aufgelistet, die sich um Witwen, Vollwaisen, minderjährige Mütter, alleinstehende Frauen, Albinos, HIV-Positive, Ex- Häftlinge, Häftlinge, Prostituierte, Alphabetisierung, FGM oder Opfer häuslicher Gewalt bemühen. Diese Organisationen betreiben Wohn- und Bildungsmöglichkeiten für Frauen, Waisen sowie körperlich und geistig Behinderte. Zusätzlich unterstützen Gattinnen der Gouverneure eigene „pet projects“. Die bekannteste Vertreterin ist Dr. Amina Titi Atiku Abubakar, Gründerin und Vorsitzende der NGO WOTCLEF, die es bis zur Akkreditierung durch die UN gebracht hat und zahlreiche Projekte im Frauenbereich unterstützt (ÖB 10.2018).
Im traditionell konservativen Norden, aber auch in anderen Landesteilen, sind alleinstehende Frauen oft erheblichem Druck der Familie ausgesetzt und können diesem häufig nur durch Umzug in eine Stadt entgehen, in der weder Familienangehörige noch Freunde der Familie leben. Im liberaleren Südwesten des Landes – und dort vor allem in den Städten – werden alleinstehende oder allein lebende Frauen eher akzeptiert (AA 10.12.2018). Die Verfassung und Gesetze sehen interne Bewegungsfreiheit vor und Berichten zufolge treten Frauen aus dem ganzen Land kurze oder lange Reisen alleine an. Die Bewegungsfreiheit der Frauen aus muslimischen Gemeinden in den nördlichen Regionen ist jedoch stärker eingeschränkt. Im Allgemeinen ist eine interne Relokation insbesondere für alleinstehende und kinderlose Frauen nicht übermäßig hart – z.B. im Falle der Flucht vor einer lokalen Bedrohung, die von ihrer Familie oder nicht-staatlichen Akteuren ausgeht (UKHO 8.2016a).
Eine Auswahl spezifischer Hilfsorganisationen für Frauen:
African Women Empowerment Guild (AWEG): 29, Airport Road, Benin City, Edo State Tel.: 08023514832, 08023060147, Email: info@awegng.org (AWEG o.d.a). Die AWEG ist eine ausschließlich weibliche nicht profitorientierte NGO. Zielgruppe sind Frauen und Jugendliche. Spezielle Programme zielen darauf ab, Frauen beim Erwerb von Fähigkeiten im Bildungsbereich sowie im sozialen, ökonomischen und politischen Bereich zu unterstützen. AWEG führt Studien zu geschlechtsspezifischer Gewalt durch (AWEG o.D.b).
Women Aid Collective (WACOL), No 9 Matthias Ilo Avenue, New Haven Extension by Akanu Ibia Airport Flyover, Enugu State. Tel: +234-8095757590, +234-9091333000, Email: wacolnig@gmail.com, wacolnig@yahoo.com, wacolenugu@wacolnigeria.org. WACOL ist eine Wohltätigkeitsorganisation und bietet verschiedene Unterstützung an: Schulungen, Forschung, Rechtsberatung, Unterkunft, kostenloser Rechts- und Finanzbeistand, Lösung familieninterner Konfliktsituationen, Informationen und Bücherdienste (WACOL o.D.).
Women Advocates Research and Documentation Center (WARDC), 9b James Oluleye Crescent (Harmony Enclave), off Adeniyi Jones by Koko bus stop, Ikeja, Lagos State, (+234) 818 005 6401, Email: womenadvocate@yahoo.com (WARDC o.d.a). WARDC ist eine Frauenrechts-NGO für weibliche Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt und anderer Menschenrechtsverletzungen. Ca. sechs Frauen pro Woche werden diesbezüglich in rechtlicher und sozialer Hinsicht beraten (WARDC o.d.b.).
Womens Health and Equal Rights Initiative (WHER), Adresse nicht online verfügbar, +234 818 645 7675, Email: wher@whernigeria.org (WHER o.d.a): WHER ist eine NGO zur Unterstützung von Frauen, die Angehörige einer sexuellen Minderheit sind (WHER o.d.b).
The Women’s Consortium of Nigeria (WOCON): 13 Okesuna Street, Off Igbosere Road, Lagos, Nigeria, Tel: +234 8033188767, +234 8037190133, +234 8033347896, Email:
wocon95@yahoo.com, info@womenconsortiumofnigeria.org (WOCON o.D.a). WOCON ist eine gemeinnützige NGO, die sich der Durchsetzung der Frauenrechte und der Erzielung von Gleichheit, persönlicher Entwicklung und Frieden widmet. Ziel ist die Aufklärung bezüglich Menschenhandel und der Kampf gegen den Menschenhandel (WOCON o.D.b).
Women's Rights Advancement and Protection Alternative (WRAPA): 19, Monrovia Street, Off Aminu Kano Way, Wuse II Abuja, Tel.: 08188699961, 08172125692, 07063807887, Email: Wrapa399@gmail.com, wrapa399@yahoo.com. WRAPA ist eine Organisation, die bundesweit für Frauenrechte eintritt. Aktivitäten umfassen kostenfreie Rechtsberatung, Ausbildung, Mobilisation, Sensibilisierung und Meinungsbildung bezüglich rechtlicher Reformen. Jede Frau, die in irgendeiner Form einen Eingriff in ihre Rechte bzw. eine Diskriminierung erlitten hat, kann in den Genuss der Unterstützung von WRAPA kommen (WRAPA, o.D.).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.a): AWEG - Contact Information, http://www.awegng.org/contactus.htm, Zugriff 19.11.2018
- AWEG - African Women Empowerment Guild (o.D.b): AWEG - About Us, http://www.awegng.org/aboutus.htm, Zugriff 19.11.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf, Zugriff 19.11.2018
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
- UKHO - United Kingdom Home Office (8.2016a): Country Information and Guidance Nigeria: Women fearing gender-based harm or violence, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/file/595734/CIG_-
_Nigeria_-_Women.pdf, Zugriff 13.11.2018
- WACOL - Women Aid Collective (o.D.): Homepage, https://wacolnigeria.org/, Zugriff 19.11.2018
- WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.a): WARDC - Contact us, http://wardcnigeria.org/contact-us/, Zugriff 21.12.2018
- WARDC - Women Advocates Research and Documentation Center (o.d.b): WARDC - About us, http://wardcnigeria.org/what-we-do/, Zugriff 21.12.2018
- WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.a): WHER - Contact, https://whernigeria.org/contact/, Zugriff 21.12.2018
- WHER - Womens Health and Equal Rights Initiative (o.d.b): WHER - About us, https://whernigeria.org/about/, Zugriff 21.12.2018
- WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.a): WOCON - Contact, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=content/contact, Zugriff 19.11.2018
- WOCON - Women’s Consortium of Nigeria (o.D.b): WOCON - About us, http://womenconsortiumofnigeria.org/?q=about-us, Zugriff 19.11.2018
- WRAPA - Women's Rights Advancement and Protection Alternative (o.D.): FAQ, https://wrapanigeria.org/faq/, Zugriff 19.11.2018
1.3.4. Grundversorgung
Die nigerianische Wirtschaft hat sich 2017 allmählich aus der schlimmsten Rezession seit 25 Jahren erholt, das BIP ist um 0,55 Prozent gestiegen. Mehrere Faktoren haben dazu beigetragen, dass sich die nigerianische Wirtschaft seit Ende 2017 allmählich wieder erholt, unter anderem eine Steigerung der Erdölförderleistung, die Erholung des Erdölpreises und eine verbesserte Leistung von Landwirtschaft und Dienstleistungssektor (GIZ 4.2019c).
Etwa 80 Prozent der Gesamteinnahmen Nigerias stammen aus der Öl- und Gasförderung (AA 10.12.2018). Neben Erdöl verfügt das Land über z.B. Zinn, Eisen-, Blei-, und Zinkerz, Kohle, Kalk, Gesteine, Phosphat – gesamtwirtschaftlich jedoch von geringer Bedeutung (GIZ 4.2019c). Von Bedeutung sind hingegen der (informelle) Handel und die Landwirtschaft, welche dem größten Teil der Bevölkerung eine Subsistenzmöglichkeit bieten (AA 10.12.2018). Der Industriesektor (Stahl, Zement, Düngemittel) machte 2016 ca. 20 Prozent des BIP aus. Neben der Verarbeitung von Erdölprodukten werden Nahrungs- und Genussmittel, Farben, Reinigungsmittel, Textilien, Brennstoffe, Metalle und Baumaterial produziert. Industrielle Entwicklung wird durch die unzureichende Infrastruktur (Energie und Transport) behindert (GIZ 4.2019c).
Über 60 Prozent der Nigerianer sind in der Landwirtschaft beschäftigt, in ländlichen Gebieten über 90 Prozent (AA 9.2018c). Der Agrarsektor wird durch die Regierung Buhari stark gefördert. Dadurch hat etwa der Anteil an Großfarmen zugenommen (GIZ 4.2019c; vgl. AA 9.2018c). Auch die Mais- und Reisproduktion wurde dadurch kräftig ausgeweitet. Dabei ist das Potenzial der nigerianischen Landwirtschaft bei Weitem nicht ausgeschöpft (AA 9.2018c) und das Land ist nicht autark, sondern auf Importe – v.a. von Reis – angewiesen (ÖB 10.2018; vgl. AA 9.2018c). Über 95 Prozent der landwirtschaftlichen Produktion kommt aus Subsistenzbetrieben (AA 9.2018c). Historisch war Lebensmittelknappheit in fast ganz Nigeria aufgrund des günstigen Klimas und der hohen agrarischen Tätigkeit so gut wie nicht existent. In einzelnen Gebieten im äußersten Norden (Grenzraum zu Niger) gestaltet sich die Landwirtschaft durch die fortschreitende Desertifikation allerdings schwierig. Experten schließen aufgrund der Wetterbedingungen, aber auch wegen der Vertreibungen als Folge der Attacken durch Boko Haram Hungerperioden für die nördlichen, insbesondere die nordöstlichen Bundesstaaten nicht aus. In Ernährungszentren nahe der nördlichen Grenze werden bis zu 25 Prozent der unter fünfjährigen Kinder wegen starker Unterernährung behandelt (ÖB 10.2018).
Die Einkommen sind in Nigeria höchst ungleich verteilt (BS 2018; vgl. GIZ 4.2019b). Mehr als zwei Drittel der Bevölkerung leben in absoluter Armut (BS 2018; vgl. ÖB 10.2018), fast 50 Prozent unter der Armutsgrenze (GIZ 4.2019b).
Die Arbeitslosigkeit ist hoch, bei Jugendlichen wird sie auf über 20 Prozent geschätzt (GIZ 4.2019b). Offizielle Statistiken über Arbeitslosigkeit gibt es aufgrund fehlender sozialer Einrichtungen und Absicherung nicht. Geschätzt wird sie auf 20 bis 45 Prozent – in erster Linie unter 30-jährige – mit großen regionalen Unterschieden (ÖB 10.2018). Der Staat und die Bundesstaaten haben damit begonnen, Programme zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit umzusetzen. Die Resultate sind dürftig (BS 2018). Der Mangel an lohnabhängiger Beschäftigung führt dazu, dass immer mehr Nigerianer in den Großstädten Überlebenschancen im informellen Wirtschaftssektor als "self-employed" suchen. Die Massenverelendung nimmt seit Jahren bedrohliche Ausmaße an (GIZ 4.2019b).
Die Großfamilie unterstützt in der Regel beschäftigungslose Angehörige (ÖB 10.2018). Generell wird die Last für Alter, Krankheit, Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung vom Netz der Großfamilie und vom informellen Sektor getragen (BS 2018). Allgemein kann festgestellt werden, dass auch eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit findet, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2018).
Nur Angestellte des öffentlichen Dienstes, des höheren Bildungswesens sowie von staatlichen, teilstaatlichen oder großen internationalen Firmen genießen ein gewisses Maß an sozialer Sicherheit. Nur eine geringe Anzahl von Nigerianern (2016 ca. fünf Millionen) ist im Pensionssystem (Contributory Pension Scheme) registriert (BS 2018).
Programme zur Armutsbekämpfung gibt es sowohl auf Länderebene als auch auf lokaler Ebene. Zahlreiche NGOs im Land sind in den Bereichen Armutsbekämpfung und Nachhaltige Entwicklung aktiv. Frauenorganisationen, von denen Women In Nigeria (WIN) die bekannteste ist, haben im traditionellen Leben Nigerias immer eine wichtige Rolle gespielt. Auch Nigerianer, die in der Diaspora leben, engagieren sich für die Entwicklung in ihrer Heimat (GIZ 4.2019c).
Die täglichen Lebenshaltungskosten differieren regional zu stark, um Durchschnittswerte zu berichten. Verdienstmöglichkeiten für Rückkehrerinnen: Eine der Berufsmöglichkeiten für Rückkehrerinnen ist die Eröffnung einer mobilen Küche für „peppersoup“, „garri“ oder „pounded yam“, für die man lediglich einen großen Kochtopf und einige Suppenschüsseln benötigt. Die Grundausstattung für eine mobile Küche ist für einen relativ geringen Betrag erhältlich. Hauptsächlich im Norden ist auch der Verkauf von bestimmten Holzstäbchen zur Zahnhygiene eine Möglichkeit, genügend Einkommen zu erlangen. In den Außenbezirken der größeren Städte und im ländlichen Bereich bietet auch „mini-farming“ eine Möglichkeit, selbständig erwerbstätig zu sein. Schneckenfarmen sind auf 10 m² Grund einfach zu führen und erfordern lediglich entweder das Sammeln der in Nigeria als „bushmeat“ gehandelten Wildschnecken zur Zucht oder den Ankauf einiger Tiere. Ebenso werden nun „grasscutter“ (Bisamratten-ähnliche Kleintiere) gewerbsmäßig in Kleinkäfigen als „bushmeat“ gezüchtet. Großfarmen bieten Tagesseminare zur Aufzucht dieser anspruchslosen und sich rasch vermehrenden Tiere samt Verkauf von Zuchtpaaren an. Rascher Gewinn und gesicherte Abnahme des gezüchteten Nachwuchses sind gegeben. Schnecken und „grasscutter“ finden sich auf jeder Speisekarte einheimischer Lokale. Für handwerklich geschickte Frauen bietet auch das Einflechten von Kunsthaarteilen auf öffentlichen Märkten eine selbständige Erwerbsmöglichkeit. Für den Verkauf von Wertkarten erhält eine Verkäuferin wiederum pro 1.000 Naira Wert eine Provision von 50 Naira. Weiters werden im ländlichen Bereich Mobiltelefone für Gespräche verliehen; pro Gespräch werden 10 Prozent des Gesprächspreises als Gebühr berechnet (ÖB 10.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- AA - Auswärtiges Amt (9.2018c): Nigeria - Wirtschaft,
https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/-/205790, Zugriff 22.11.2018
- BS - Bertelsmann Stiftung (2018): BTI 2018 - Nigeria Country Report, https://www.ecoi.net/en/file/local/1427393/488302_en.pdf, Zugriff 19.11.2018
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019c): Nigeria - Wirtschaft & Entwicklung, https://www.liportal.de/nigeria/wirtschaft-entwicklung/, Zugriff 11.4.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
1.3.5. Medizinische Versorgung
Insgesamt kann die Gesundheitsversorgung in Nigeria als mangelhaft bezeichnet werden (GIZ 4.2019b). Zwischen Arm und Reich sowie zwischen Nord und Süd besteht ein erhebliches Gefälle: Auf dem Land sind die Verhältnisse schlechter als in der Stadt (GIZ 4.2019b); und im Norden des Landes ist die Gesundheitsversorgung besonders prekär (GIZ 4.2019b; vgl. ÖB 10.2018). Die medizinische Versorgung ist vor allem im ländlichen Bereich vielfach technisch, apparativ und/oder hygienisch problematisch. In den großen Städten findet man jedoch einige Privatkliniken mit besserem Standard (AA 12.4.2019). Rückkehrer finden in den Großstädten eine medizinische Grundversorgung vor (AA 10.12.2018).
Es gibt sowohl staatliche als auch zahlreiche privat betriebene Krankenhäuser (AA 10.12.2018). Krankenhäuser sind bezüglich Ausstattung, Qualifikation des Personals und Hygiene nur in städtischen Zentren vereinzelt mit europäischem Standard vergleichbar. In größeren Städten ist ein Großteil der staatlichen Krankenhäuser mit Röntgengeräten ausgestattet, in ländlichen Gebieten verfügen nur einige wenige Krankenhäuser über moderne Ausstattung. Religiöse Wohltätigkeitseinrichtungen und NGOs bieten kostenfrei medizinische Versorgung (ÖB 10.2018).
In den letzten Jahren hat sich die medizinische Versorgung in den Haupt- und größeren Städten allerdings sowohl im öffentlichen als auch im privaten Sektor deutlich verbessert. So ist mittlerweile insbesondere für Privatzahler eine gute medizinische Versorgung für viele Krankheiten und Notfälle erhältlich. Es sind zunehmend Privatpraxen und -kliniken entstanden, die um zahlungskräftige Kunden konkurrieren. Die Ärzte haben oft langjährige Ausbildungen in Europa und Amerika absolviert und den medizinischen Standard angehoben. In privaten Kliniken können die meisten Krankheiten behandelt werden (AA 10.12.2018).
Die Gesundheitsdaten Nigerias gehören zu den schlechtesten in Afrika südlich der Sahara und der Welt (ÖB 10.2018). Mit 29 Todesfällen pro 1.000 Neugeborenen hat Nigeria weltweit die elfthöchste Todesrate bei Neugeborenen (GIZ 2.2019). Die aktuelle Sterberate für Kinder unter fünf Jahren beträgt 109 Todesfälle pro 1.000 Lebendgeburten. Die Prozentsätze der Unterernährung (Global Acute Malnutrition) liegen in den nördlichen Staaten konstant über der Alarmschwelle von 10 Prozent. Gemäß Schätzungen von UNICEF unterliegen mehr als 1,3 Millionen Kinder unter fünf Jahren in Nordnigeria einem hohen Risiko von schwerer akuter Unterernährung (ÖB 10.2018).
Psychische bzw. psychiatrische Erkrankungen werden in der großen Mehrheit der Bevölkerung immer noch als spiritueller Natur entspringend angesehen. Dementsprechend werden die entsprechenden Patienten besonders im ländlichen Bereich spirituellen Heilern zugeführt. Betreut werden sie in der Regel in der Familie, wenn vorhanden. Viele psychisch Kranke leben auf der Straße, in abgelegenen Regionen werden als gefährlich angesehene Personen in den Dörfern auch gelegentlich noch angekettet. Für die stationäre Unterbringung gibt es in ganz Nigeria acht staatliche psychiatrische Kliniken, die einen Langzeitbereich haben, außerdem sind zahlreiche psychisch Langzeitkranke in gesonderten Bereichen in Gefängnissen untergebracht. Im Wesentlichen findet dort eine reine Verwahrung unter ausgesprochen ärmlichen Bedingungen statt (WPA o.D.). Es existiert also kein mit westlichen Standards vergleichbares Psychiatriewesen, sondern allenfalls Verwahreinrichtungen auf sehr niedrigem Niveau. Dort werden Menschen mit psychischen Erkrankungen oft gegen ihren Willen untergebracht, können aber nicht adäquat behandelt werden (AA 10.12.2018).
Insgesamt gibt es für die inzwischen annähernd 200 Millionen Einwohner 100 Hospitäler mit psychiatrischer Abteilung (VAÖB 23.1.2019). Laut anderen Angaben gibt es psychiatrische Abteilungen in 15 Universitätskliniken, acht staatlichen psychiatrischen Spitälern und sechs Allgemeinen Spitälern sowie 15 psychiatrischen Privatkrankenhäusern (WPA o.D.). Das in Lagos befindliche Federal Neuro Psychiatric Hospital Yaba bietet sich als erste Anlaufstelle für die Behandlung psychisch kranker Rückkehrer an. Die Kosten für einen Empfang durch ein medizinisches Team direkt am Flughafen belaufen sich auf ca. 195.000 Naira (ca. 570 Euro). Zudem ist an diesem Krankenhaus auch die stationäre Behandlung psychischer Erkrankungen mit entsprechender Medikation möglich (AA 10.12.2018).
Nigeria verfügt über 110 registrierte Psychiater (WPA o.D.); nach anderen Angaben sind es derzeit 130 für 200 Millionen Einwohner (Österreich 2011: 20 Psychiater/100.000 Einwohner). Bei Psychologen ist die Lage noch drastischer, hier kamen im Jahr 2014 auf 100.000 Einwohner 0,02 Psychologen (Österreich 2011: 80 Psychologen/100.000 Einwohner). Aufgrund dieser personellen Situation ist eine regelrechte psychologische/psychiatrische Versorgung für die große Mehrheit nicht möglich, neben einer basalen Medikation werden die stationären Fälle in öffentlichen Einrichtungen im Wesentlichen „aufbewahrt“. Die Auswahl an Psychopharmaka ist aufgrund der mangelnden Nachfrage sehr begrenzt (VAÖB 23.1.2019).
Es gibt eine allgemeine Kranken- und Rentenversicherung, die allerdings nur für Beschäftigte im formellen Sektor gilt. Die meisten Nigerianer arbeiten jedoch als Bauern, Landarbeiter oder Tagelöhner im informellen Sektor. Leistungen der Krankenversicherung kommen schätzungsweise nur zehn Prozent der Bevölkerung zugute (AA 10.12.2018). Nur weniger als sieben Millionen der 180 Millionen Einwohner Nigerias sind beim National Health Insurance Scheme leistungsberechtigt (Punch 22.12.2017). Eine Minderheit der erwerbstätigen Bevölkerung ist über das jeweils beschäftigende Unternehmen mittels einer Krankenversicherung abgesichert, die jedoch nicht alle Krankheitsrisiken abdeckt (VAÖB 27.3.2019).
Wer kein Geld hat, bekommt keine medizinische Behandlung (GIZ 4.2019b). Selbst in staatlichen Krankenhäusern muss für Behandlungen bezahlt werden (AA 10.12.2018). Die Kosten medizinischer Betreuung müssen im Regelfall selbst getragen werden. Die staatlichen Gesundheitszentren heben eine Registrierungsgebühr von umgerechnet 10 bis 25 Cent ein: Tests und Medikamente werden unentgeltlich abgegeben, sofern vorhanden (ÖB 10.2018). Eine basale Versorgung wird über die Ambulanzen der staatlichen Krankenhäuser aufrechterhalten, jedoch ist auch dies nicht völlig kostenlos, in jedem Fall sind Kosten für Medikamente und Heil- und Hilfsmittel von den Patienten zu tragen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (VAÖB 27.3.2019).
Die staatliche Gesundheitsversorgung gewährleistet keine kostenfreie Medikamentenversorgung. Jeder Patient - auch im Krankenhaus - muss Medikamente selbst besorgen bzw. dafür selbst aufkommen (AA 10.12.2018). In der Regel gibt es fast alle geläufigen Medikamente in Nigeria in Apotheken zu kaufen, so auch die Antiphlogistika und Schmerzmittel Ibuprofen und Diclofenac sowie die meisten Antibiotika, Bluthochdruckmedikamente und Medikamente zur Behandlung von neurologischen und psychiatrischen Leiden (AA 10.12.2018). Medikamente gegen einige weit verbreitete Infektionskrankheiten wie Malaria und HIV/AIDS können teilweise kostenlos in Anspruch genommen werden, werden jedoch nicht landesweit flächendeckend ausgegeben. Schutzimpfaktionen werden von internationalen Organisationen finanziert, stoßen aber auf religiös und kulturell bedingten Widerstand, überwiegend im muslimischen Norden (ÖB 10.2018).
Die Qualität der Produkte auf dem freien Markt ist jedoch zweifelhaft, da viele gefälschte Produkte – meist aus asiatischer Produktion – vertrieben werden (bis zu 25% aller verkauften Medikamente). Diese wirken aufgrund unzureichender Dosisanteile der Wirkstoffe nur eingeschränkt. Es gibt zudem wenig zuverlässige Kontrollen hinsichtlich der Qualität der auf dem Markt erhältlichen Produkte (AA 10.12.2018). Gegen den grassierenden Schwarzmarkt mit Medikamenten gehen staatliche Stellen kaum vor (ÖB 10.2018).
Der Glaube an die Heilkräfte der traditionellen Medizin ist nach wie vor sehr lebendig. Bei bestimmten Krankheiten werden eher traditionelle Heiler als Schulmediziner konsultiert (GIZ 4.2019b). Gerade im ländlichen Bereich werden „herbalists“ und traditionelle Heiler aufgesucht (ÖB 10.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- AA - Auswärtiges Amt (12.4.2019): Nigeria - Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/nigeria-node/nigeriasicherheit/ 205788#content_6, Zugriff 12.4.2019
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
- GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (4.2019b): Nigeria - Gesellschaft, https://www.liportal.de/nigeria/gesellschaft/, Zugriff 10.4.2019
- Punch (22.12.2017): NHIS: Health insurance still elusive for many Nigerians, https://punchng.com/nhis-health-insurance-still-elusive-for-many-nigerians/, Zugriff 3.4.2019
- VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (23.1.2019): medizinische Stellungnahme
- VAÖB - Vertrauensarzt der ÖB Abuja (27.3.2019): medizinische Stellungnahme
- WPA - World Psychiatric Association (o.D.): Association of Psychiatrists in Nigeria (APN), http:// www.wpanet.org/detail.php?section_id=5&content_id=238, Zugriff 3.4.2019
1.3.6. Rückkehr
Generell kann kein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen festgestellt werden, welcher geeignet wäre, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Der pauschale Hinweis eines Asylwerbers auf die allgemein herrschende Situation in Nigeria reicht nicht aus, um eine Bedrohung i.S.v Art. 2 MRK, 3 MRK oder des Protokolls Nr. 6 oder 13 der EMRK darzustellen. Außerdem kann allgemein festgestellt werden, dass eine nach Nigeria zurückgeführte Person, die in keinem privaten Verband soziale Sicherheit finden kann, keiner lebensbedrohlichen Situation überantwortet wird. Sie kann ihre existenziellen Grundbedürfnisse aus selbstständiger Arbeit sichern, insbesondere dann, wenn Rückkehrhilfe angeboten wird (ÖB 10.2018).
Abschiebungen erfolgen auf dem Luftweg, in Linien- oder Chartermaschinen. Rückführungen aus EU-Staaten erfolgen meist durch Charterflüge, die auch durch FRONTEX durchgeführt werden (AA 10.12.2018). Die österreichische Botschaft in Abuja unterstützt regelmäßig die Vorbereitung und Durchführung von Joint Return Operations im Rahmen von FRONTEX als „lead nation“ (ÖB 10.2018). Ohne gültigen nigerianischen Pass oder einen von einer nigerianischen Botschaft ausgestellten vorläufigen Reiseausweis ist eine Einreise aus Europa kommender nigerianischer Staatsangehöriger nicht möglich. Dies gilt auch für zwangsweise Rückführungen (AA 10.12.2018).
Erkenntnisse darüber, ob abgelehnte Asylbewerber bei Rückkehr nach Nigeria allein wegen der Beantragung von Asyl mit staatlichen Repressionen zu rechnen haben, liegen nicht vor. Verhaftung aus politischen Gründen oder andere außergewöhnliche Vorkommnisse bei der Einreise von abgeschobenen oder freiwillig rückkehrenden Asylwerbern sind nicht bekannt (AA 10.12.2018). Die Erfahrungen seit dem Jahre 2005 lassen kaum Probleme erkennen (ÖB 10.2018). Abgeschobene Personen werden im Allgemeinen nach ihrer Ankunft in Lagos von der zuständigen Behörde (Nigerian Immigration Service), manchmal auch von der NDLEA (National Drug Law Enforcement Agency) befragt (AA 10.12.2018) bzw. erkennungsdienstlich behandelt (ÖB 10.2018) und können danach das Flughafengelände unbehelligt verlassen (AA 10.12.2018; vgl. ÖB 10.2018). Meist steigen sie in ein Taxi ein oder werden von ihren Familien abgeholt. Es kann jedoch nicht mit gänzlicher Sicherheit ausgeschlossen werden, dass die abgeschobenen Personen keine weiteren Probleme mit den Behörden haben. Das fehlende Meldesystem in Nigeria lässt allerdings darauf schließen, dass nach Verlassen des Flughafengeländes eine Ausforschung Abgeschobener kaum mehr möglich ist (ÖB 10.2018).
Wegen Drogendelikten im Ausland verurteilte Nigerianer werden nach Rückkehr an die NDLEA überstellt. Ein zweites Strafverfahren in Nigeria wegen derselben Straftat haben diese Personen jedoch trotz anderslautender Vorschriften im „Decree 33“ nicht zu befürchten (AA 10.12.2018). Aus menschenrechtlichen Erwägungen wird gegenüber nigerianischen Behörden als Grund für Abschiebungen stets „overstay“ angegeben, da dieser kein strafrechtliches Delikt darstellt (ÖB 10.2018).
Staatliche oder sonstige Aufnahmeeinrichtungen für zurückkehrende unbegleitete Minderjährige sind in Lagos und anderen Landesteilen grundsätzlich vorhanden. Sie sind jedoch in schlechtem Zustand, so dass z.B. eine ausreichende Versorgung dort nicht ohne weiteres gewährleistet ist. Internationale Akteure bemühen sich, neue Rückkehrer- bzw. Migrationsberatungszentren aufzubauen. Eine entsprechende Einrichtung von IOM in Benin-City, Edo State, wurde 2018 eröffnet. Gleichermaßen hat im Herbst 2018 in Lagos das Migrationsberatungszentrum der GIZ seinen Betrieb aufgenommen. Gemeinsam mit dem nigerianischen Arbeitsministerium wird dort über berufliche Perspektiven in Nigeria informiert (AA 10.12.2018).
Quellen:
- AA - Auswärtiges Amt (10.12.2018): Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik Nigeria (Stand Oktober 2018)
- ÖB - Österreichische Botschaft Abuja (10.2018): Asylländerbericht Nigeria
1.4. Zum Menschenhandel in Nigeria
Der organisierte Menschenhandel bleibt eines der dringlichsten menschenrechtlichen Probleme in Nigeria. Nigeria ist eine Drehscheibe des Menschenhandels und eines der fünf größten Herkunftsländer von Opfern des Menschenhandels in der EU (Quelle: Auswärtiges Amt). Aus keinem anderen Drittstaat kommen derart viele Opfer von Menschenhandel nach Europa (Quelle: EASO, Country Guidance). Allerdings findet innerhalb der Grenzen Nigerias noch ein viel umfangreicherer Handel mit Menschen, unter anderem zu Zwecken der Prostitution, statt; häufig stellt dieser interne Menschenhandel den ersten Schritt zum grenzüberschreitenden Menschenhandel dar (Quelle: EASO Sexhandel).
Nigerianische Mädchen und Frauen sind somit Opfer von Menschenhandel innerhalb Nigerias und nach Europa, vor allem aber nach Italien, Spanien, Österreich und Russland (Quelle: US DoS Report).
Menschenhändler haben im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 ihre Aktivitäten verstärkt. Sie missbrauchen häufig das Asylsystem, insbesondere um den Aufenthalt und eine Mobilität in der EU zu ermöglichen. IOM berichtet von einem Anstieg von nigerianischen Frauen, die über Libyen in die EU reisen; bei 80% könne davon ausgegangen werden, dass sie Opfer sexueller Ausbeutung werden (Quelle: EASO, Targeting).
Profile der Opfer von Menschenhandel
Die meisten Opfer von Menschenhandel stammen aus Edo State, insbesondere Benin City und nahegelegenen Dörfern, und gehören zur Volksgruppe Edo/Bini (Quellen: EASO Country Guidance und EASO, Sexhandel). Ein schwacher wirtschaftlicher Hintergrund, eine geringe Bildung, ein geringes Alter, Kinderlosigkeit und schwierige familiäre Verhältnisse können das Risiko erhöhen, Opfer von Menschenhandel zu werden (Quelle: EASO, Targeting).
Methoden und Netzwerke der Menschenhändler
Nach Angaben von Europol bestehen nigerianische Menschenhändlerbanden häufig aus Zellen. Auf diese Weise können sie sehr effizient arbeiten, denn sie agieren unabhängig, können sich aber auf ein umfangreiches Netz persönlicher Kontakte stützen. Frauen (Madams) spielen in diesen Gruppen eine sehr wichtige Rolle und überwachen den Prozess des Menschenhandels von der Rekrutierung bis zur Ausbeutung sehr genau. Typischerweise haben die Madams zuvor als Prostituierte gearbeitet, teilweise auch als Opfer von Menschenhandel, und sich dann bis zur Rolle einer Madam, welche oftmals den Menschenhändlerorganisationen vorsteht, hochgearbeitet. Madams sind sowohl in Nigeria wie im Zielland anzutreffen (Quelle: EASO, Sexhandel).
Die Menschenhändler geben teilweise vor, Arbeitsstellen in Europa vermitteln zu können, etwa als Friseurin oder Kindermädchen. Dennoch ist vielen Mädchen bewusst, dass sie in Europa der Prostitution nachgehen werden; zugleich sehen sich viele etwa aufgrund ihrer Rolle als älteste Tochter faktisch gezwungen, zum Einkommen der Familie beizutragen. Einige Opfer nehmen selbst Kontakt zu den Menschenhändlern auf, in der Hoffnung die Armut der Familie auf diesem Weg beenden zu können (Quelle: EASO, Targeting). Es wurde in den nigerianischen Medien immer mehr über diese Thematik und auch über von Europa abgeschobene Frauen berichtet, daher „weiß jeder, was läuft“ (Quelle: EASO, Sexhandel). Viele der Frauen werden aber, selbst wenn ihnen bereits vor Abreise bewusst ist, dass sie der Prostitution nachgehen werden müssen, über die tatsächlichen Verdienstmöglichkeiten, die Arbeitsbedingungen und die Rechtmäßigkeit ihres Aufenthaltes getäuscht (Quelle: EASO, Sexhandel).
Teil des Modus Operandi der Menschenhändler ist insbesondere die Verwendung traditoneller Riten, die in Nigeria „Juju“ genannt werden. Nach Informationen der Nigerian National Agency for Prohibition of Traffic in Persons (NAPTIP) unterziehen sich rund 90% der Mädchen und Frauen, die nach Europa gebracht werden, einer solchen Behandlung (zitiiert nach UK Home Office). Diese Zeremonie findet bei einem religiösen Schrein statt, um den Vertrag zwischen den Menschenhändlern und dem (späteren) Opfer zu besiegeln. Der dort geleistete Schwur dürfe nicht gebrochen werden, sonst würde es zu Unglück, Krankheit oder Schlimmerem führen (Quelle: EASO, Targeting). Mit dem Schwur sollen die Opfer davon abgehalten werden, die Identität der Schleuser oder sonstige Einzelheiten zu offenbaren. Ein Juju-Schwur wirkt als eine Art psychologische Kontrolle, da die Angst vor den Folgen eines Bruchs des Schwurs, also vor der Bestrafung durch die Götter, extrem groß ist. Allerdings glauben nicht alle Frauen an die Macht von Juju (EASO, Sexhandel). Am 9. März 2018 wurde vom Oba (König) von Benin ein Fluch gegen alle Menschenhändler und jene Priester, die sie mit Juju-Schwuren unterstützen, verhängt und erklärt, dass alle Schwüre ungültig seien (Quelle: EASO, Targeting).
Versprochen wird eine Reise nach Europa für 50.000 bis 70.000 Naira (etwa 250 Euro), nach der Ankunft in Europa werden die Schulden dann mit 50.000 bis 70.000 Euro angegeben und wird gefordert, die Summe durch Prostitution zu verdienen (Quelle: EASO, Targeting).
In einigen Fällen unterstützen die Familien der Opfer die Menschenhändler, da sie sich dadurch einen finanziellen Vorteil erhoffen. Frauen und Mädchen werden daher von ihrer Familie teilweise darin bestärkt, das Land zu verlassen (Quelle: EASO, Country Guidance).
Die vorherrschende und gängige Route dürfte es sein, die Opfer innerhalb Nigerias in Kleinbussen zu befördern (über den Bundesstaat Kano), dann über die Grenze zum Niger im Auto, zu Fuß oder auf dem Motorrad und im LKW bis nach Agadez. Ab Agadez begeben sich die Frauen auf eine gefährliche Reise durch die Sahara Richtung Li