Entscheidungsdatum
15.06.2020Norm
BFA-VG §18 Abs3Spruch
I422 2231824-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , StA Polen, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich, Alser Straße 20, 1090 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2020, Zl. 423230206/200110178, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Aufgrund einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung erließ die belangte Behörde mit verfahrensgegenständlichem Bescheid über den Beschwerdeführer ein Aufenthaltsverbot in der Dauer von zehn Jahren (Spruchpunkt I.), erteilte ihm kein Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte sie einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot zugleich die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt III.). Die belangte Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen damit, dass sein bisheriges Verhalten eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit darstelle und ihm nur eine negative Zukunftsprognose ausgestellt werden könne.
Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Beschwerde. Begründend führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er bereits seit mehr als zehn Jahren im Bundesgebiet aufhältig sei und über eine Anmeldebescheinigung verfüge. Die belangte Behörde lege ihrer Entscheidung daher fälschlicherweise den „einfachen“ Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 erster Satz FPG zu Grunde und verkenne, dass ihm ein verstärkter Schutz im Sinne des Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38 zukomme. In ihrer Entscheidung zeige die belangte Behörde nicht auf, inwiefern von ihm eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung im Sinne des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG ausgehe. Aufgrund dieser unrichtigen rechtliche Beurteilung sei der Bescheid mit Rechtswidrigkeit behaftet.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige Beschwerdeführer ist polnischer Staatsangehöriger und somit EWR-Bürger bzw. Unionsbürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG. Die Identität des Beschwerdeführers steht fest.
Der Beschwerdeführer reiste unbekannten Datums ins österreichische Bundesgebiet ein und hält sich nachweislich seit 26.06.2007 durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer verfügt seit 06.09.2007 über eine Anmeldebescheinigung als Angehöriger gemäß § 52 Abs. 2 Z NAG.
Der Beschwerdeführer ist ledig und kinderlos. Er ist an Suchtmittel gewöhnt und arbeitsfähig. Er wurde in Polen geboren und verbrachte dort die ersten sieben Lebensjahre. In Österreich besuchte der Beschwerdeführer nach seiner Einreise von 2007 bis 2012 die Volksschule und anschließend von 2012 bis 2016 eine Mittelschule. In weiterer Folge besuchte er ab Ende September 2017 das geförderte Programm einer Produktionsschule. Eine Berufsausbildung weist der Beschwerdeführer nicht auf.
Er verfügt im Bundesgebiet über familiäre Anknüpfungspunkte in Form seiner Mutter und seiner beiden Halbschwestern. Mit ihnen lebte der Beschwerdeführer bis zu seiner Inhaftierung in einem gemeinsamen Haushalt. Zudem leben auch noch die Großmutter und ein Onkel des Beschwerdeführers in Österreich. Der Beschwerdeführer ist in Österreich beruflich nicht verankert. Er ging in Österreich bislang noch keiner Beschäftigung nach und bezog von 06.12.2016 bis 18.04.2018 Arbeitslosengeld und bezog von 01.12.2018 bis 30.04.2020 Mindestsicherung. Zudem sichert er sich seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet durch den Bezug von Taschengeld und erhält er von seinem leiblichen Vater eine monatliche Alimente in Höhe von rund 65 Euro. Darüber hinausgehende berücksichtigungswürdige private oder soziale Anknüpfungspunkte des Beschwerdeführers im Bundesgebiet konnten nicht festgestellt werden.
In seinem Herkunftsstaat verfügt der Beschwerdeführer über familiäre Anknüpfungspunkte in Form einer Großmutter.
Der Beschwerdeführer weist nachstehende strafgerichtliche Verurteilungen auf:
Erstmalig wurde der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 05.09.2016, 154 Hv 63/2016p wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach § 15 StGB, §§ 142 Abs. 1, 143 Abs. 1 zweiter StGB zu einer bedingten Freiheitstrafe von neun Monaten und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Zugleich wurde ihm die Inanspruchnahme einer Bewährungshilfe angeordnet.
Mit rechtskräftigem Urteil des Bezirksgerichtes vom 02.07.2019, 039 U 38/2019g wurde der Beschwerdeführer wegen des Vergehens gegen das Waffenverbot nach § 12 WaffG zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von zwei Wochen und einer Probezeit von drei Jahren verurteilt.
Das Landesgericht für Strafsachen Wien verurteilte ihn mit Urteil vom 03.02.2020, 161 Hv 8/20g rechtskräftig wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3 und Abs. 5 SMG; § 15 StGB; des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 erster Fall und Abs. 2 SMG; des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 fünfter und sechster Fall und Abs. 1 Z 1 achter Fall SMG sowie erneut wegen des Vergehens gegen das Waffenverbot nach § 12 WaffG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten. Zugleich widerrief das Landesgericht für Strafsachen Wien mit Beschluss vom 03.02.2020, 161 Hv 8/20g bedingt nachgesehenen Teil der Strafnachsicht und verlängerte die Probezeit auf fünf Jahre.
Zuletzt wurde der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Wien vom 22.05.2020, 154 Hv 21/20t wegen des Vergehens des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 1 Z 1 achter Fall, Abs. 3, Abs. 4 Z 1 Abs. 5 SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünf Monaten verurteilt.
Mit Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19.03.2020, 161 Hv 8/20g wurde der Beschwerdeführer ein Strafaufschub erteilt. Er wurde enthaftet und ihm zugleich die Weisung erteilt, sich für die Dauer eines halben Jahrs einer stationären gesundheitsbezogenen Maßnahme nach § 11 SMG in einer anerkannten Einrichtung zu unterziehen und unmittelbar daran eine ambulante gesundheitsbezogene Maßnahme mit wöchentlicher Einzelsitzung und begleitenden regelmäßigen Harnkontrollen zu unterziehen. Nachdem der Beschwerdeführer die ihm angebotene Therapie nicht annehmen wollte, wurde der erteilte Strafaufschub widerrufen und setzte der Beschwerdeführer am 25.03.2020 seine Haftstrafe fort. Gegenwärtig verbüßt der Beschwerdeführer seine Haftstrafe in der Justizanstalt Krems.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde unter zentraler Berücksichtigung des bekämpften Bescheides und seinen Angaben im Beschwerdeschriftsatz. Ergänzend wurden Auszüge des Zentralen Melderegisters (ZMR), des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister (IZR) und des Strafregisters eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellung zur Person des Beschwerdeführers, insbesondere seiner Identität ergeben sich aus dem Verwaltungsakt. Durch eine sich dort einliegende Kopie seines polnischen Personalausweises ist die Identität des Beschwerdeführers belegt.
Aus der Einsichtnahme in das ZMR gründen die Feststellungen über den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet. Dass der Beschwerdeführer über eine Anmeldebescheinigung verfügt, ergibt sich aus der sich im Verwaltungsakt befindlichen Kopie seiner Anmeldebescheinigung.
Das erkennende Gericht wertet die Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Familienstand als glaubhaft. Dass er an Suchtgift gewöhnt ist, ergibt sich aus den Ausführungen des Strafurteils des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 03.02.2020, 161 Hv 8/20g. Sonstige gesundheitliche Beeinträchtigungen wurden weder im Administrativverfahren, noch im Beschwerdeschriftsatz geltend gemacht. In Zusammenschau mit seinem Alter leitet sich daraus die Feststellung seiner Arbeitsfähigkeit ab. Die Feststellungen, dass er in Polen geboren wurde und er dort die ersten sieben Lebensjahre in Polen verbracht hat, ergibt sich ebenso wie die Feststellungen zu seiner Schul- und nicht vorhandenen Berufsausbildung aus seinen diesbezüglich glaubhaften Angaben. Des Weiteren übermittelte er in seiner Stellungnahem vom 20.02.2020 die Kopien seines Abschlusszeugnisses der Volksschule und seines Zeugnisses der dritten Klasse der Mittelschule. Aus einer ebenso beiliegenden Anmeldebestätigung und einer Kursbestätigung des Volkshilfe Wien vom 09.11.2017 ist belegt, dass der Beschwerdeführer an einem geförderten Programm der Produktionsschule Volkshilfe Wien Jobfabrik teilgenommen hat. Die Feststellung zu seinen familiären Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet ergeben sich aus den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers in seiner Stellungnahme, welche auch durch eine der Beschwerde beigelegten Stellungnahme seiner Mutter belegt sind.
Glaubhaft erachtet das erkennende Gericht die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen familiären Anknüpfungspunkten im Bundesgebiet und dass er mit seiner Mutter und seinen Halbschwestern bis zu seiner Inhaftierung in einem gemeinsamen Haushalt lebte. Dass er bislang im Bundesgebiet noch keiner Beschäftigung nachging und er von 06.12.2016 bis 18.04.2018 Arbeitslosengeld und bezog von 01.12.2018 bis 30.04.2020 Mindestsicherung bezog, gründet auf der Einsichtnahme in einen aktuellen Auszug des Sozialversicherungsverbandes. In seiner Stellungnahem verwies der Beschwerdeführer, dass von seiner Mutter Taschengeld und von seinem leiblichen Vater eine monatliche Alimente in Höhe von rund 65 Euro erhält. Weder aus dem Verwaltungsakt noch aus dem Beschwerdeschriftsatz ergaben sich Anhaltspunkte für eine darüber hinausgehende berücksichtigungswürdige private oder soziale Verfestigungen des Beschwerdeführers an das Bundesgebiet.
Die Feststellung zu seinen familiären Anknüpfungspunkten an seinem Herkunftsstaat ergeben sich ebenso aus seinen diesbezüglichen Angaben in seiner Stellungnahme, welche mit den Angaben seiner Mutter im Wesentlichen übereinstimmen.
Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers sind durch eine Einsichtnahme in das Strafregister und den sich zum Teil im Verwaltungsakt befindlichen Strafurteilen belegt.
Aus dem sich ebenfalls im Verwaltungsakt befindlichen Beschluss des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 19.03.2020, 161 Hv 8/20g und einer Mitteilung der Justizanstalt Krems vom 27.03.2020 resultiert die Feststellung über seine Enthaftung, der Weisung eines begleiteten Drogenentzuges und seiner Weigerung und der anschließenden Fortsetzung seiner Haftstrafe. Dass er gegenwärtig eine Haftstrafe in der Justizanstalt Krems verbüßt, basiert auf der Einsichtnahme in das ZMR.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides):
3.1.1. Rechtslage:
Gemäß § 67 Abs. 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde.
Gemäß § 67 Abs. 2 FPG kann ein Aufenthaltsverbot, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).
3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:
Aufgrund seines seit 26.06.2007 durchgehenden und somit mehr als zehn Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich, kommt der qualifizierte Tatbestand des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG (d.h. nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch den Verbleib im Bundesgebiet) als Prüfungsmaßstab des vorliegenden Aufenthaltsverbots zur Anwendung.
Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils maßgebliche Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs. 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafgerichtliche Verurteilungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Mit der Bestimmung des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 soll Art. 28 Abs. 3 lit. a der Unionsbürger-RL (§ 2 Abs. 4 Z 18 FrPolG 2005) umgesetzt werden, wozu der EuGH bereits judizierte, dass hierauf gestützte Maßnahmen auf "außergewöhnliche Umstände" begrenzt sein sollen; es ist vorausgesetzt, dass die vom Betroffenen ausgehende Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit einen "besonders hohen Schweregrad" aufweist, was etwa bei bandenmäßigem Handeln mit Betäubungsmitteln der Fall sein kann (vgl. EuGH 23.11.2010, C-145/09; EuGH 22.05.2012, C-348/09, wo überdies darauf hingewiesen wurde, dass es "besonders schwerwiegende(r) Merkmale" bedarf.) Hat der Fremde "mehrfach Probezeiten bestanden", ist er nunmehr erstmals wegen Suchtgifthandels und dem Überlassen und Anbieten von Suchtgift an Dritte verurteilt worden, wobei "kein professionell strukturierter Suchtgifthandel" vorliegt, und ist er erstmals für längere Zeit in Haft gewesen, konnte bedingt entlassen werden und hat er vor, seine Drogensucht behandeln zu lassen, kann nicht von "außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der vom Fremden begangenen Straftaten gesprochen werden (vgl. VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).
Es ist der belangten Behörde dahingehend zuzustimmen, dass in Zusammenschau seines seit 2016 gesetzten mehrfachen Fehlverhaltens (insbesondere seiner Suchtgiftkriminalität und den Verstößen gegen das Waffengesetz), seiner raschen Rückfälligkeit und seinem offenkundigen Unwillen, sich nicht an die hiesige Rechtsordnung zu halten eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt. Auch wenn die besondere Gefährlichkeit von Suchtgiftdelikten berücksichtigt wird, ist der qualifizierte Gefährdungsmaßstab des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG ("nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich") jedoch trotz der Schwere der von ihm zu verantwortenden Kriminalität nicht erfüllt.
Im gegenständlichen Fall weist der Beschwerdeführer zwar insgesamt vier strafgerichtliche Verurteilungen auf, es handelt sich hierbei jedoch um eine Jugendstraftat und drei strafgerichtliche Verurteilungen als junge(r) Erwachsene(r) und beging er alle Taten vor Vollendung des 21. Lebensjahres. Zunächst wurde ihm das erste Strafaufmaß in Höhe von neun Monaten bedingt nachgesehen, weil dem weder spezial- noch generalpräventive Gründe entgegenstanden – welches allerdings in weiterer Folge widerrufen wurden. Es ist des Weiteren auch zu berücksichtigen, dass – wie das Strafgericht zuletzt feststellte – sich der Beschwerdeführer reumütig zeigte, er ein umfassendes Geständnis ablegte. Dem stehen allerdings die einschlägigen Vorstrafen, die Begehung seiner Straftaten innerhalb der Probezeit und sein zuletzt dokumentierter rascher Rückfall entgegen. Auch kann ihm aus seinem zuletzt an den Tag gelegtem Verhalten – wonach er sich nicht gewillt zeigte, eine vom Strafgericht angeordnete Suchtgifttherapie in Anspruch zu nehmen und er stattdessen die verbleibende Haftstrafe antrat – keine positive Zukunftsprognose abgeleitet werden. Allerdings kann trotz seiner mehrfachen Verstöße gegen das Waffengesetz und des unerlaubten Umganges mit Suchtgiften im gegenständlichen Fall noch nicht von derart „außergewöhnlichen Umständen" mit "besonders hohem Schweregrad" bzw. von "besonders schwerwiegenden Merkmalen" der von ihm begangenen Straftaten gesprochen werden, die ein Aufenthaltsverbot im Sinne des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG rechtfertigen vermögen (vgl. VwGH 24.01.2019, Ra 2018/21/0248).
Da die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen den Beschwerdeführer somit nicht vorliegen, ist der angefochtene Bescheid in Stattgabe der Beschwerde zu beheben. Sollte er in Zukunft wieder straffällig werden, wird die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gegen ihn neuerlich zu prüfen sein, insbesondere bei einem entsprechend schwerwiegenden Rückfall in Bezug auf Suchtgiftdelikte.
Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. In der gegenständlichen Angelegenheit setzte sich das erkennende Gericht ausführlich mit der Thematik des Vorliegens einer "nachhaltigen und maßgeblichen Gefährdung“ in Bezug auf die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091; 24.01.2019, Ra 2018/21/0248) auseinander. Dabei weicht die der gegenständlichen Entscheidung zugrunde gelegte Rechtsprechung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
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ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2231824.1.00Im RIS seit
13.10.2020Zuletzt aktualisiert am
13.10.2020