Entscheidungsdatum
18.06.2020Norm
BFA-VG §21 Abs7Spruch
I403 2231391-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Birgit ERTL als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , StA. Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Wolfgang WEBER, Wollzeile 12/1/27, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2020, XXXX , zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Mit Schreiben vom 24.09.2019 informierte das Amt der Wiener Landesregierung, MA 35, das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), dass bei der Überprüfung des Aufenthaltsrechts der Beschwerdeführerin festgestellt worden sei, dass die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen würden.
Mit Schreiben vom 24.02.2020 wurde die Beschwerdeführerin seitens des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl über das Vorhaben, gegen sie eine Ausweisung zu erlassen, informiert und die Möglichkeit zur Stellungnahme binnen 14 Tagen eingeräumt.
Am 02.03.2020 langte die Stellungnahme der Beschwerdeführerin bei der belangten Behörde ein.
Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.05.2020 wurde die Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs 1 FPG iVm § 55 Abs 3 NAG aus dem österreichischen Bundesgebiet ausgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 70 Abs 3 FPG wurde der Beschwerdeführerin ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.).
Mit Beschwerdeschriftsatz vom 26.05.2020, bei der belangten Behörde am selben Tag eingelangt, erhob die Beschwerdeführerin über ihren ausgewiesenen rechtsfreundlichen Vertreter fristgerecht Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
Beschwerde und Bezug habender Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht am 29.05.2020 vorgelegt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Die volljährige Beschwerdeführerin ist Staatsangehörige von Bosnien und Herzegowina. Ihre Identität steht fest.
Die Beschwerdeführerin lebt seit November 2016 im österreichischen Bundesgebiet.
Die Beschwerdeführerin hält sich rechtmäßig aufgrund einer Aufenthaltskarte „Angehöriger einer EWR-Bürgerin“, ausgestellt am 21.12.2016 mit einer Gültigkeit bis 21.12.2021, im Bundesgebiet auf.
Der Vater der Beschwerdeführerin war von XXXX 2016 bis XXXX 2019 mit einer ungarischen Staatsangehörigen verheiratet, von welcher das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht der Beschwerdeführerin abgeleitet worden war. Die Einleitung des Scheidungsverfahrens erfolgte am 02.04.2019.
Die Beschwerdeführerin ist ledig und hat keine Sorgepflichten. Ihr Vater und ihre Schwester leben in Österreich und haben denselben Aufenthaltstitel wie die Beschwerdeführerin inne. Die gegen beide von der belangten Behörde erlassene Ausweisung wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.06.2020 bestätigt.
Die Beschwerdeführerin lebt mit ihrem Vater und ihrer Schwester in einem gemeinsamen Haushalt. Die Beschwerdeführerin ist berufstätig und selbsterhaltungsfähig.
Die Mutter und Großeltern der Beschwerdeführerin leben in Bosnien und Herzegowina.
Die Beschwerdeführerin reiste seit 2016 mehrmals im Jahr nach Bosnien und Herzegowina.
Die Beschwerdeführerin besuchte und absolvierte in Bosnien und Herzegowina die Schule und machte eine Berufsausbildung als Elektrotechnikerin.
Die Beschwerdeführerin hat die Deutschprüfung Niveau A2 positiv absolviert, Sprachkurse auf Niveau B1 und B2 besucht und ist Mitglied im Verein „ XXXX “.
Die Beschwerdeführerin ist strafgerichtlich unbescholten.
Bosnien und Herzegowina gilt als sicherer Herkunftsstaat und sind keine besonderen Rückkehrhindernisse zu erwarten. Die Beschwerdeführerin ist gesund.
2. Beweiswürdigung:
Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang und die Feststellungen ergeben sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichts.
Die Identität der Beschwerdeführerin steht aufgrund des vorgelegten Reisepasses fest.
Aus dem Auszug des ZMR sowie der vorliegenden Aufenthaltskarte geht hervor, dass die Beschwerdeführerin sich seit November 2016 im österreichischen Bundesgebiet aufhält.
Die Ehe des Vaters mit einer ungarischen Staatsbürgerin sowie die erfolgte Scheidung gehen aus den Angaben der Beschwerdeführerin in der Stellungnahme vom 02.03.2020 und dem Schreiben des Amtes der Wiener Landesregierung, MA 35 vom 24.09.2019 hervor.
Dass die Beschwerdeführerin keine Sorgepflichten hat und mit ihrem Vater und ihrer Schwester in einem gemeinsamen Haushalt lebt, ergibt sich aus den Angaben in der Stellungnahme vom 02.03.2020 sowie dem vorliegenden Mietvertrag.
Der Familienbezug und die Schulbildung in ihrem Herkunftsstaat ergeben sich zudem aus der Stellungnahme vom 02.03.2020.
Dass die Beschwerdeführerin mehrmals im Jahr nach Bosnien und Herzegowina reist, ergibt sich aus den Ein- und Ausreisestempeln in ihrem vorgelegten Reisepass.
Die gesetzten Integrationsschritte sowie die strafgerichtliche Unbescholtenheit ergeben sich aus dem vorliegenden Auszug aus dem österreichischen Strafregister und den vorliegenden Unterlagen zur Stellungnahme vom 02.03.2020.
Die Einstufung Bosnien und Herzegowinas als sicherer Herkunftsstaat folgt § 1 Z 1 HStV. In Bosnien und Herzegowina herrschen keine kriegerischen oder sonstigen bewaffneten Auseinandersetzungen; die Beschwerdeführerin gab selbst an, dass sie keinerlei strafrechtliche oder politische Probleme in ihrem Herkunftsland habe. Soweit die Beschwerdeführerin ausführt, dass sie Schwierigkeiten haben werde, in der Heimat wieder Fuß zu fassen, so ist auszuführen, dass sie sich gemeinsam mit ihrem Vater und ihrer Schwester wieder ein Leben dort aufbauen kann, zumal auch ihre Mutter noch dort lebt. Die Beschwerdeführerin ist eine junge arbeitsfähige Frau, welche es auch geschafft hat, in einem ihr fremden Land eine Arbeitsstelle zu finden. So wird es der Beschwerdeführerin auch möglich sein, sich in ihrer Heimat wirtschaftlich und sozial wieder zu etablieren. Die Beschwerdeführerin verfügt über ein familiäres und soziales Netz, wodurch ihr auch unmittelbar nach ihrer Rückkehr Wohnraum zur Verfügung stehen wird. Da die Beschwerdeführerin mehrmals im Jahr in ihre Heimat reist, ist davon ausgehen, dass einige Kontakte aufrecht erhalten wurden.
Dass die Beschwerdeführerin gesund ist, ergibt sich daraus, dass keine Erkrankungen geltend gemacht wurden. Betreffend der derzeit vorherrschenden COVID-19 Pandemie ist auszuführen, dass in Bosnien und Herzegowina bisher 3.141 Fälle (davon 2.197 genesen) und 168 Todesfälle bestätigt wurden (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 18.06.2020). Da die Beschwerdeführerin gesund ist und auch keiner Risikogruppe angehört, besteht gegenüber Österreich (17.154 Fälle, 434 aktuell Erkrankte und 688 Todesfälle) keine besonders erhöhte Gefahr einer Ansteckung bzw. keine reale Gefahr, dass sie im Falle einer Ansteckung an schwerwiegenden Folgen leiden würde.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
3.1. Rechtsgrundlagen
Der mit "Aufenthaltsrecht für Angehörige von EWR-Bürgern" betitelte § 52 NAG lautet:
"§ 52. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§§ 51 und 53a) sind, zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie
1. Ehegatte oder eingetragener Partner sind;
2. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres und darüber hinaus sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
3. Verwandter des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen Unterhalt tatsächlich gewährt wird;
4. Lebenspartner sind, der das Bestehen einer dauerhaften Beziehung nachweist, oder
5. sonstige Angehörige des EWR-Bürgers sind,
a) die vom EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat Unterhalt tatsächlich bezogen haben,
b) die mit dem EWR-Bürger bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben, oder
c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege zwingend erforderlich machen.
(2) Der Tod des zusammenführenden EWR-Bürgers, sein nicht bloß vorübergehender Wegzug aus dem Bundesgebiet, die Scheidung oder Aufhebung der Ehe sowie die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft mit ihm berühren nicht das Aufenthaltsrecht seiner Angehörigen gemäß Abs. 1."
Der mit "Aufenthaltskarten für Angehörige eines EWR-Bürgers" betitelte § 54 NAG lautet:
"§ 54. (1) Drittstaatsangehörige, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern (§ 51) sind und die in § 52 Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen erfüllen, sind zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt. Ihnen ist auf Antrag eine Aufenthaltskarte für die Dauer von fünf Jahren oder für die geplante kürzere Aufenthaltsdauer auszustellen. Dieser Antrag ist innerhalb von vier Monaten ab Einreise zu stellen. § 1 Abs. 2 Z 1 gilt nicht.
(2) Zum Nachweis des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts sind ein gültiger Personalausweis oder Reisepass, die Anmeldebescheinigung oder die Bescheinigung des Daueraufenthalts des zusammenführenden EWR-Bürgers sowie folgende Nachweise vorzulegen:
1. nach § 52 Abs. 1 Z 1: ein urkundlicher Nachweis des Bestehens der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft;
2. nach § 52 Abs. 1 Z 2 und 3: ein urkundlicher Nachweis über das Bestehen einer familiären Beziehung sowie bei Kindern über 21 Jahren und Verwandten des EWR-Bürgers, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie ein Nachweis über die tatsächliche Unterhaltsgewährung.
(3) Das Aufenthaltsrecht der Angehörigen gemäß Abs. 1 bleibt trotz Tod des EWR-Bürgers erhalten, wenn sie sich vor dem Tod des EWR-Bürgers mindestens ein Jahr als seine Angehörigen im Bundesgebiet aufgehalten haben und nachweisen, dass sie die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 bis 2 erfüllen.
(4) Das Aufenthaltsrecht von minderjährigen Kindern eines unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt auch nach dem Tod oder nicht bloß vorübergehenden Wegzug des EWR-Bürgers bis zum Abschluss der Schulausbildung an einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule erhalten. Dies gilt auch für den Elternteil, der Drittstaatsangehöriger ist, sofern dieser die Obsorge für die minderjährigen Kinder tatsächlich wahrnimmt.
(5) Das Aufenthaltsrecht der Ehegatten oder eingetragenen Partner, die Drittstaatsangehörige sind, bleibt bei Scheidung oder Aufhebung der Ehe oder Auflösung der eingetragenen Partnerschaft erhalten, wenn sie nachweisen, dass sie die für EWR-Bürger geltenden Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 Z 1 und 2 erfüllen und
1. die Ehe bis zur Einleitung des gerichtlichen Scheidungs- oder Aufhebungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;
2. die eingetragene Partnerschaft bis zur Einleitung des gerichtlichen Auflösungsverfahrens mindestens drei Jahre bestanden hat, davon mindestens ein Jahr im Bundesgebiet;
3. ihnen die alleinige Obsorge für die Kinder des EWR-Bürgers übertragen wird;
4. es zur Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, insbesondere weil dem Ehegatten oder eingetragenem Partner wegen der Beeinträchtigung seiner schutzwürdigen Interessen ein Festhalten an der Ehe oder eingetragenen Partnerschaft nicht zugemutet werden kann, oder
5. ihnen das Recht auf persönlichen Umgang mit dem minderjährigen Kind zugesprochen wird, sofern das Pflegschaftsgericht zur Auffassung gelangt ist, dass der Umgang - solange er für nötig erachtet wird - ausschließlich im Bundesgebiet erfolgen darf.
(6) Der Angehörige hat diese Umstände, wie insbesondere den Tod oder Wegzug des zusammenführenden EWR-Bürgers, die Scheidung der Ehe oder die Auflösung der eingetragenen Partnerschaft, der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben.
(7) Liegt eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30), eine Zwangsehe oder Zwangspartnerschaft (§ 30a) oder eine Vortäuschung eines Abstammungsverhältnisses oder einer familiären Beziehung zu einem unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger vor, ist ein Antrag gemäß Abs. 1 zurückzuweisen und die Zurückweisung mit der Feststellung zu verbinden, dass der Antragsteller nicht in den Anwendungsbereich des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts fällt."
Der mit "Nichtbestehen, Fortbestand und Überprüfung des Aufenthaltsrechtes für mehr als drei Monate" betitelte § 55 NAG lautet:
"§ 55. (1) EWR-Bürgern und ihren Angehörigen kommt das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52, 53 und 54 zu, solange die dort genannten Voraussetzungen erfüllt sind.
(2) Der Fortbestand der Voraussetzungen kann bei einer Meldung gemäß §§ 51 Abs. 3 und 54 Abs. 6 oder aus besonderem Anlass wie insbesondere Kenntnis der Behörde vom Tod des unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgers oder einer Scheidung überprüft werden.
(3) Besteht das Aufenthaltsrecht gemäß §§ 51, 52 und 54 nicht, weil eine Gefährdung aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, die Nachweise nach § 53 Abs. 2 oder § 54 Abs. 2 nicht erbracht werden oder die Voraussetzungen für dieses Aufenthaltsrecht nicht mehr vorliegen, hat die Behörde den Betroffenen hievon schriftlich in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich einer möglichen Aufenthaltsbeendigung befasst wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist unverzüglich, spätestens jedoch gleichzeitig mit der Mitteilung an den Antragsteller, zu befassen. Dies gilt nicht in einem Fall gemäß § 54 Abs. 7. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 8 VwGVG gehemmt.
(4) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung (§ 9 BFA-VG), hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dies der Behörde mitzuteilen. Sofern der Betroffene nicht bereits über eine gültige Dokumentation verfügt, hat die Behörde in diesem Fall die Dokumentation des Aufenthaltsrechts unverzüglich vorzunehmen oder dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dies nach diesem Bundesgesetz vorgesehen ist.
(5) Unterbleibt eine Aufenthaltsbeendigung von Drittstaatsangehörigen, die Angehörige sind, aber die Voraussetzungen nicht mehr erfüllen, ist diesen Angehörigen ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" quotenfrei zu erteilen.
(6) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist ein nach diesem Bundesgesetz anhängiges Verfahren einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird."
Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG lautet:
"§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.
(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(4) (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"
Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:
"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.
(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.
(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)
(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.
(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."
3.2. Zur Bestätigung der Ausweisung und des Durchsetzungsaufschubs (Spruchpunkt I. und II. des angefochtenen Bescheides):
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, wer die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Z 10 leg cit als Drittstaatsangehöriger jeder Fremde, der nicht EWR-Bürger oder Schweizer Bürger ist.
Als begünstigter Drittstaatsangehöriger gilt gemäß § 2 Abs. 4 Z 11 FPG der Ehegatte, eingetragene Partner, eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners eines EWR-Bürgers oder Schweizer Bürgers oder Österreichers, die ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht in Anspruch genommen haben, in gerader absteigender Linie bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres, darüber hinaus, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, sowie eigene Verwandte und Verwandte des Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie, sofern ihnen Unterhalt tatsächlich gewährt wird, insofern dieser Drittstaatsangehörige den unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, von dem sich seine unionsrechtliche Begünstigung herleitet, begleitet oder ihm nachzieht.
Aus § 55 Abs. 4 NAG 2005 geht klar hervor, dass in den davon erfassten Konstellationen die Frage der Zulässigkeit einer Aufenthaltsbeendigung anhand des § 66 FPG 2005 zu prüfen ist. Diesfalls kommt es auf das Vorliegen einer Eigenschaft des Fremden als begünstigter Drittstaatsangehöriger iSd § 2 Abs. 4 Z 11 FPG 2005 nicht an. Ebenso wenig ist für das zu wählende Verfahren maßgeblich, zu welchem Zeitpunkt die Meldung nach § 54 Abs. 6 NAG 2005 erstattet wurde. (VwGH 18.6.2013, 2012/18/0005).
Trotz erfolgter Auflösung der Ehe des Vaters der Beschwerdeführerin mit einer EWR-Bürgerin und somit Nichtvorliegens der formalen Voraussetzungen des § 2 Abs. 4 Z 11 FGP (begünstigter Drittstaatsangehöriger) ist daher gegenständlich zur Beurteilung der Rechtsmäßigkeit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme im Hinblick auf die Beschwerdeführerin § 66 FPG anzuwenden.
Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes erweist sich die gegenständliche Beschwerde als unbegründet. Dies aus den folgenden Erwägungen:
Aufgrund der Scheidung ihres Vaters von seiner - die unionsrechtliche Freizügigkeit in Anspruch genommen habenden - Ehefrau am XXXX .2019 (Verfahren eingeleitet am 02.04.2019) dauerte die Ehe seit der Eheschließung am XXXX .2016 zwei Jahre und elf Monate. In Ermangelung einer mindestens drei Jahre andauernden Ehe und nachdem nicht von einem Härtefall iSd § 54 Abs 5 Z 4 NAG ausgegangen werden kann, liegen keine Ausnahmetatbestände vor. Da die Beschwerdeführerin ihr unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von der Ehe ihres Vaters mit einer freizügigkeitsberechtigten Unionsbürgerin ableitete, diese Ehe aber vor Ablauf von drei Jahren geschieden wurde, kommt ihr gemäß § 55 NAG kein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht mehr zu. Das Vorliegen von Ausnahmetatbeständen iSd § 54 Abs 5 NAG wurde weder vom Vater der Beschwerdeführerin noch von ihr selbst behauptet oder nachgewiesen. Soweit in der Beschwerde erklärt wird, dass die Ehescheidung erfolgt sei, „weil die geschiedene Frau des Erstbeschwerdeführers einen Freund hatte, was sie zwar nicht abgestritten, aber auch nicht bestätigt hat“, reicht dies nicht aus, um einen besonderen Härtefall iSd § 54 Abs 5 Z 4 NAG nachzuweisen.
Der Vater und die Schwester der Beschwerdeführerin leben im Bundesgebiet und besteht ein gemeinsamer Haushalt. Da aber sowohl gegen ihren Vater wie auch gegen ihre Schwester eine Ausweisung ausgesprochen wurde, ergibt sich aus ihrem Familienleben kein besonderes Interesse an einem Aufenthalt im Bundesgebiet.
Wenn der Beschwerdeführerin auch ihre Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet und ihre guten Deutschkenntnisse positiv anzurechnen sind und davon auszugehen ist, dass sich die Beschwerdeführerin in Österreich einen Freundeskreis aufgebaut hat, so steht dem doch ein erst dreieinhalb Jahre andauernder durchgehender Aufenthalt im Bundesgebiet gegenüber.
Liegt - wie im vorliegenden Fall - eine relativ kurze Aufenthaltsdauer des Betroffenen in Österreich vor, so wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes allerdings regelmäßig erwartet, dass die in dieser Zeit erlangte Integration außergewöhnlich ist, um die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären und einen entsprechenden Aufenthaltstitel zu rechtfertigen (vgl. etwa VwGH 18.9.2019, Ra 2019/18/0212, hinsichtlich eines vierjährigen Aufenthaltes). Eine derart außergewöhnliche Integration kann in der Erwerbstätigkeit und dem Erwerb von Deutschkenntnissen aber noch nicht gesehen werden. Zudem musste der Beschwerdeführerin ihr unsicherer Aufenthalt seit Einleitung des Scheidungsverfahrens ihres Vaters im April 2019 bewusst gewesen sein.
Darüber hinaus weist die Beschwerdeführerin Bezugspunkte zu ihrem Herkunftsstaat auf und kann davon ausgegangen werden, dass sie sich rasch wieder in Bosnien und Herzegowina, wo enge Verwandte leben, welche sie regelmäßig besucht, eingliedern wird können. Soweit die Beschwerdeführerin (etwa in der Stellungnahme vom 02.03.2020) angibt, dass es für sie nicht leicht sein werde, eine Arbeitsstelle zu finden, so reicht eine gegenüber Österreich schwierigere Arbeitsmarktsituation nicht aus, um ihr Interesse an einem Aufenthalt im Bundesgebiet maßgeblich zu stärken.
Auf Basis einer im Sinne des § 9 BFA-VG vorgenommenen Interessensabwägung ist die belangte Behörde somit im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass das öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts der Beschwerdeführerin ihr persönliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet überwiegt und daher die angeordnete Ausweisung Art. 8 EMRK nicht verletzt.
Die belangte Behörde gewährte der Beschwerdeführerin im angefochtenen Bescheid im Einklang mit § 70 Abs. 3 FPG von Amts wegen einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat. Dies wurde gegenständlich auch nicht angefochten.
Da alle gesetzlichen Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung und die Gewährung eines Durchsetzungsaufschubes vorliegen, war die gegenständliche Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
3.3. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Nach § 21 Abs 7 BFA-VG kann bei Vorliegen der dort umschriebenen Voraussetzungen - trotz Vorliegens eines Antrags - von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden. Von einem geklärten Sachverhalt iSd § 21 Abs 7 BFA-VG bei der Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen kann allerdings im Allgemeinen nur in eindeutigen Fällen ausgegangen werden, in denen bei Berücksichtigung aller zugunsten des oder der Fremden sprechenden Fakten auch dann kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn sich das BVwG von ihm oder ihr einen persönlichen Eindruck verschafft (vgl. zuletzt VwGH 16.10.2019, Ra 2018/18/0272).
Die im gegenständlichen Fall wesentlichen Feststellungen sind unbestritten, insbesondere die persönlichen Verhältnisse der Beschwerdeführerin und die Scheidung der Ehe ihres Vaters vor Ablauf von drei Jahren. In der Beschwerde wurde den Feststellungen der belangten Behörde nicht substantiiert entgegengetreten und eine mündliche Verhandlung auch nicht beantragt. In der Beschwerde wurde lediglich behauptet, dass die Beschwerdeführerin erwerbstätig sei und gut Deutsch spreche, was dem gegenständlichen Verfahren als Feststellungen zugrunde gelegt wurde. Somit lag kein klärungsbedürftiger Sachverhalt vor und konnte aufgrund der Aktenlage entschieden werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur Glaubhaftmachung von Asylgründen und zur Relevanz des Privat- und Familienlebens und der Aufenthaltsdauer bei Rückkehrentscheidungen; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Angehörigeneigenschaft Ausweisung Ausweisung rechtmäßig Ausweisungsverfahren Durchsetzungsaufschub Interessenabwägung öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen ScheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I403.2231391.1.00Im RIS seit
13.10.2020Zuletzt aktualisiert am
13.10.2020