Entscheidungsdatum
22.06.2020Norm
B-VG Art133 Abs4Spruch
I422 2231546-1/2E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas BURGSCHWAIGER als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA. Luxemburg, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, Wattgasse 48, 3. Stock, 1170 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.03.2020, Zl. 1180698106/190668119, zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer brachte am 02.02.2018 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung ein. Einer Aufforderung des Amtes der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 als Niederlassungsbehörde, zur Nachreichung ausständiger Unterlagen leistete der Beschwerdeführer nicht Folge und erbrachte er weder den Nachweis über das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel noch eine aktuelle Inskriptionsbestätigung vorlegte. Aufgrund dessen regte des Amtes der Wiener Landesregierung, Magistratsabteilung 35 bei der belangten Behörde die Einleitung eines Verfahrens zur möglichen Aufenthaltsbeendigung ein.
Am 03.07.2019 übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer eine Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme, teilte ihm mit, dass eine Ausweisung gemäß § 66 Abs. 1 FPG iVm § 55 Abs. 3 NAG beabsichtigt sei und räumte ihm die Möglichkeit zur Stellungnahme ein. Von dieser Möglichkeit machte der Beschwerdeführer in der Folge keinen Gebrauch.
In weiterer Folge wies die belangte Behörde mit dem verfahrensgegenständlichen Bescheid vom 27.03.2020 den Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet aus (Spruchpunkt I.) und erteilte ihm einen Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung (Spruchpunkt II.).
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig und zulässig das Rechtsmittel einer Beschwerde. Begründend führte der Beschwerdeführer zusammengefasst aus, dass er luxemburgischer Staatsbürger und somit EU Bürger sei. Er sei ordentlicher Student an der Universität Wien, verfüge über eine Krankenversicherung und werde sowohl von seinen Eltern als auch vom luxemburgischen Staat unterstützt. Somit erfülle er sämtliche Voraussetzungen für den Aufenthalt in Österreich und sei seine Ausweisung rechtswidrig. Der Beschwerde legte er eine Bescheinigung der Familienversicherung, eine Studienzeitbestätigung sowie einen Meldezettel bei.
In der Folge legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der unter Punkt I. beschriebene Verfahrensgang wird als Sachverhalt festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Luxemburgs. Seine Identität steht fest.
Der Beschwerdeführer ist seit 12.10.2017 mit Hauptwohnsitz im Bundesgebiet gemeldet.
Der Beschwerdeführer stellte am 02.02.2018 einen Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung für den Zweck „Ausbildung“. Deren Ausstellung seitens der zuständigen NAG-Behörde unterblieb jedoch mangels Vorlage notwendiger Nachweise.
Der Beschwerdeführer ist seit 01.10.2017 für das Bachelorstudium „Vergleichende Literaturwissenschaften“ und zusätzlich seit 01.10.2018 für das Bachelorstudium „English and American Studies“ als ordentlicher Studierender an der Universität Wien inskribiert.
Der Beschwerdeführer verfügt über einen Versicherungsschutz in vollem Umfang.
Finanzielle Unterstützung erhält der Beschwerdeführer von seinen Eltern sowie seitens des luxemburgischen Staates.
Der Beschwerdeführer ging im Zeitraum von 08.05.2019 bis 10.05.2019 einer Erwerbstätigkeit nach. Derzeit ist der Beschwerdeführer nicht erwerbstätig.
Der Beschwerdeführer ist strafrechtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer bezieht keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung.
2. Beweiswürdigung:
Der erkennende Einzelrichter des Bundesverwaltungsgerichtes hat nach dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung über die Beschwerde folgende Erwägungen getroffen:
2.1. Zum Sachverhalt:
Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz des Beschwerdeführers. Ergänzend wurden Auszüge aus dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR), dem Betreuungsinformationssystem über die Grundversorgung (GVS) sowie dem Strafregister eingeholt.
2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Feststellungen zu seiner Person ergeben sich aus dem vorliegenden Verwaltungsakt.
Aufgrund der Vorlage identitätsbezeugender Dokumente steht die Identität des Beschwerdeführers fest.
Die Wohnsitzmeldung des Beschwerdeführers in Österreich wird im Zentralen Melderegister dokumentiert. Daraus ergibt sich auch die Feststellung zum Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.
Die Antragstellung des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung samt Begründung der Nichtausstellung ergeben sich aus einem im Verwaltungsakt befindlichen Schreiben der Magistratsabteilung 35 vom 09.01.2019.
Das Bestehen eines umfassenden Versicherungsschutzes vermochte der Beschwerdeführer durch die Vorlage einer aktuellen Bescheinigung der Familienversicherung, wonach er seit dem 01.01.2017 mitversichert ist, nachzuweisen.
Dass der Beschwerdeführer von seinen Eltern sowie seitens des luxemburgischen Staates finanziell unterstützt wird, ergibt sich aus dessen glaubhaften Angaben im Rahmen seiner Beschwerde. Diese Angaben sind insbesondere aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer keine Sozialhilfeleistungen bezieht, als glaubhaft zu werten.
Durch die Vorlage von Studienzeitbestätigungen konnte der Beschwerdeführer dessen aktuelle Meldung für die oben genannten Studien an der Universität Wien nachweisen.
Dass der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht, ergibt sich aus einem Auszug aus dem Betreuungsinformationssystem.
Die strafgerichtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des österreichischen Strafregisters.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
3.1. Rechtlage:
Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jener der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 4 Z 8 leg cit als EWR-Bürger, jener Fremder, der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.
Gemäß § 66 Abs. 1 FPG können EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.
Gemäß § 51 Abs. 1 NAG sind auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind (Z 1); für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen (Z 2), oder als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen (Z 3).
Gemäß § 51 Abs. 3 NAG hat der EWR-Bürger diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen.
3.2. Anwendung der Rechtslage auf den vorliegenden Fall:
Der Beschwerdeführer als Staatsangehöriger von Luxemburg ist sohin EWR-Bürger im Sinne des § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.
Im Rahmen der Prüfung des Tatbestandes des § 51 Abs. 1 Z 2 und Z 3 NAG 2005 ist (unter anderem) zu beurteilen, ob der Unionsbürger für sich und seine Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel im Aufnahmemitgliedstaat verfügt und ein umfassender Krankenversicherungsschutz besteht, sodass während des Aufenthalts keine Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats in Anspruch genommen werden müssen. Für das Vorliegen ausreichender Existenzmittel genügt, wenn dem Unionsbürger die notwendigen Mittel zur Verfügung stehen; hingegen stellt die Bestimmung keine Anforderungen an die Herkunft der Mittel, sodass diese auch von einem Drittstaatsangehörigen - etwa dem Elternteil des betroffenen Unionsbürgers - stammen können (Hinweis EuGH 19.10.2004, Zhu und Chen, C-200/02; EuGH 16.7.2015, Singh u. C- 218/14)." (vgl. auch VwGH 12.12.2017, Ra 2015/22/0149)
EWR-Bürger verfügen jedenfalls über ausreichende Existenzmittel, wenn diese über der im Aufnahmemitgliedstaat (hier: in Österreich) geltenden Sozialhilfegrenze liegen. Diese Grenze, die sich aus der bedarfsorientierten Mindestsicherung ergibt, ist marginal niedriger als für sonstige Drittstaatsangehörige, für die zur Berechnung des Lebensunterhaltes die Richtsätze nach § 293 ASVG herangezogen werden. Zu beachten ist allerdings, dass nach Art 8 Abs 4 RL 2004/38/EG weder direkt noch indirekt ein fester Betrag für die Höhe der ausreichenden Existenzmittel festgelegt werden darf, bei dessen Unterschreiten das Aufenthaltsrecht automatisch versagt werden darf (EuGH 19.9.2013, C-140/12, Pensionsversicherungsanstalt/Brey). Die Behörden der Mitgliedstaaten müssen die persönliche Situation des Betroffenen berücksichtigen. Von einem Dritten stammende Mittel zum Lebensunterhalt müssen anerkannt werden (vgl EuGH 13.3.2006, C-408/03, Kommission/Belgien, Rn 40 ff). Existenzmittel müssen nicht in Form einer regelmäßigen Zahlung vorliegen. Es kann sich auch um angespartes Kapital handeln. Die für den Nachweis ausreichender Existenzmittel zulässigen Beweismittel dürfen nicht begrenzt werden (vgl EuGH 25.5.2000, C-424/98, Kommission/Italien, Rn 37). Höchstgerichtlich bestätigt wurde, dass die österreichische Ausgleichszulage als Leistung mit Sozialhilfecharakter zu qualifizieren ist (EuGH 19.9.2013, C-140/12, Pensionsversicherungsanstalt/Brey)." (siehe auch Abermann/Czech/Kind/Peyrl, NAG-Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (2015), § 51, II. B. 13)
Unter den im Gesetz nicht definierten Begriff der Berufsausbildung fallen nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (jedenfalls) alle Arten schulischer oder kursmäßiger Ausbildungen, in deren Rahmen noch nicht berufstätigen Personen ohne Bezugnahme auf die spezifischen Tätigkeiten an einem konkreten Arbeitsplatz das für das künftige Berufsleben erforderliche Wissen vermittelt wird. (vgl. VwGH 22.12.2011, 2009/16/0315).
Der Beschwerdeführer ist offenkundig zum Zwecke der Absolvierung einer akademischen Ausbildung nach Österreich gereist und seit Oktober 2017 als ordentlicher Student für das Bachelorstudium „Vergleichende Literaturwissenschaften“ sowie zusätzlich sei Oktober 2018 für das Bachelorstudium „English and American Studies“ inskribiert. Ferner wies der Beschwerdeführer im Zuge seiner Beschwerde einen umfassenden Versicherungsschutz nach und wird er finanziell von seinen Eltern sowie von Seiten des luxemburgischen Staates unterstützt.
Auch wenn der Beschwerdeführer keine Kontoauszüge oder dergleichen als Beweismittel für die finanzielle Unterstützung vorlegte, so sind seine glaubhaften Angaben insbesondere unter dem Gesichtspunkt, dass der Beschwerdeführer keine Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung bezieht und sich aus dem Verfahren auch sonst keinerlei Anhaltspunkte für den Bezug einer Sozialhilfeleistung oder einer Ausgleichszulage ergeben, als hinreichend im Sinne des § 51 Abs. 1 Z 3 NAG zu werten.
Darüber hinaus vermochte er zudem den aufrechten Status als ordentlicher Student an der Universität Wien und sohin das Betreiben einer Ausbildung nach § 51 Abs. 1 Z 3 NAG belegen (vgl. VwGH 25.04.2013, 2010/15/0099).
Unter Berücksichtigung der zuvor zitierten Judikatur hat der Beschwerdeführer jedenfalls die Nachweise über das Vorliegen der Voraussetzungen eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts gemäß § 51 Abs. 1 NAG erbracht.
Der Beschwerde war daher stattzugeben und der angefochtene Bescheid zu beheben.
4. Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Eine Beschwerdeverhandlung entfällt gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG, weil schon auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Im gegenständlichen Fall wurde unter anderem insbesondere die Voraussetzungen für ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht (vgl. VwGH 25.04.2013, 2010/15/0099; 12.12.2017, Ra 2015/22/0149) thematisiert. Dabei weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.
Schlagworte
Aufenthaltsrecht Ausbildung Ausweisung Ausweisung aufgehoben Ausweisung nicht rechtmäßig Ausweisungsverfahren Behebung der Entscheidung Durchsetzungsaufschub ersatzlose Behebung EWR-Bürger finanzielle Mittel finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Kassation Krankenversicherung Studenteneigenschaft Studiennachweise Unbescholtenheit UnionsbürgerEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I422.2231546.1.00Im RIS seit
13.10.2020Zuletzt aktualisiert am
13.10.2020