TE Bvwg Erkenntnis 2020/7/9 I401 1256173-4

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.07.2020
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Entscheidungsdatum

09.07.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §55 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs11
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §58 Abs7
BFA-VG §21 Abs7
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art8
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs4
NAG §81 Abs36
VwGVG §24
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch

I401 1256173-4/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard AUER über die Beschwerde des XXXX , StA. ALGERIEN, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Wien, vom 23.01.2020, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: XXXX , zu Recht:

A)

1. Der Beschwerde wird zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und festgestellt, dass XXXX der Aufenthaltstitel ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ für die Dauer von zwölf Monaten gemäß § 55 Abs. 2 AsylG 2005 erteilt wird.

2. Im Übrigen werden die Spruchunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der am XXXX geborene Beschwerdeführer, ein algerischer Staatsangehöriger, stellte unter einer Aliasidentität am 10.05.1999 einen Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 10.11.1999 gemäß § 7 AsylG 1997 ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Algerien gemäß § 8 AsylG 1997 für zulässig. Dieser Bescheid erwuchs in Rechtskraft,

2. Die Bundespolizeidirektion Wien hat zuvor mit rechtskräftigem Bescheid vom 21.09.1999 gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 39 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ein für die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot mit der Begründung erlassen, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 20.09.1999 wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen Diebstahls und Bandendiebstahls gemäß § 130 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt worden sei.

Die Bundespolizeidirektion Wien ersuchte die Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien im Zeitraum von August 2000 bis Juni 2002 acht Mal um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer. Ein solches wurde nicht ausgestellt.

3. Die Bundespolizeidirektion Wien hat mit rechtskräftigem Bescheid vom 25.11.2004 gegenüber dem Beschwerdeführer gemäß § 39 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen. Der Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22.07.2004 wegen der Verbrechen des schweren Raubes, des gewerbsmäßig begangenen schweren Betrugs und des gewerbsmäßigen Diebstahls und Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung gemäß §§ 142 Abs. 1 und 143 zweiter Satz StGB, §§ 146, 147 Abs. 1 Z 1 und 148 zweiter Fall StGB und §§ 127, 130 erster Satz erster Fall StGB, 15 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren verurteilt worden.

Mit Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 13.08.2008 wurde der Beschwerdeführer, nachdem er von der in Vollzug gesetzten Freiheitstrafe von insgesamt sieben Jahren und einem Monat (wobei diese Freiheitsstrafe auf das Urteil des Bezirksgerichts Steyr vom 22.09.2006 zurückzuführen ist) einen Teil der verhängten Freiheitstrafe verbüßt hatte, am 29.10.2008 nach Verbüßung von zwei Drittel der Strafzeit bedingt entlassen.

4. Aus dem Stande der Strafhaft beantragte der Beschwerdeführer am 29.10.2004 neuerlich Asyl.

Mit Bescheid vom 17.03.2005 wies der Unabhängige Bundesasylsenat die vom Beschwerdeführer gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 11.11.2004, mit dem sein Asylantrag wegen entschiedener Sache gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen wurde, erhobene Berufung als verspätet zurück. Diese Entscheidung erwuchs in Rechtskraft.

5. Mit rechtskräftigem Urteil des Landegerichts für Strafsachen Wien vom 13.04.2010 wurde der Beschwerdeführer wegen der Vergehen der Fälschung besonders geschützter Urkunden nach den §§ 223 Abs. 2, 224 StGB und des Betruges nach § 146 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt.

6. Die algerische Botschaft in Wien bescheinigte am 19.12.2012, dass der im Rubrum der gegenständlichen Entscheidung angeführte Beschwerdeführer bei ihr einen Antrag auf Ausstellung eines Reisepasses gestellt habe und dessen Identität und Staatsangehörigkeit nach einer Prüfung festgestellt und bestätigt worden sei.

Das Bundesministerium für Inneres ersuchte die Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien im Zeitraum von August 2008 bis Jänner 2015 15 Mal um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates für den Beschwerdeführer. Ein solches wurde nicht ausgestellt.

7. Am 02.01.2014 gab eine österreichische Staatsbürgerin, die zu diesem Zeitpunkt die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers war, eine notariell beglaubigte, für die Dauer von fünf Jahren gültige Haftungserklärung gemäß § 2 Abs. 1 Z 15 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) für den Beschwerdeführer ab. Sie verpflichtete sich, gemäß § 2 Abs. 1 Z 15 NAG für die Erfordernisse einer alle Risiken abdeckenden Krankenversicherung, einer Unterkunft und entsprechender Unterhaltmittel aufzukommen und für den Ersatz jener Kosten zu haften, die einer Gebietskörperschaft bei der Durchsetzung eines Aufenthaltsverbotes, einer Ausweisung, einer Zurückschiebung oder der Vollziehung der Schubhaft, einschließlich der Aufwendungen für den Ersatz gelinderer Mittel, sowie aus dem Titel der Sozialhilfe oder eines Bundes- oder Landesgesetzes, das die Grundversorgungsvereinbarung nach Art. 15a B-VG, BGBl. I Nr. 80/2004 umsetzt, entstehen.

8. Mit in Rechtskraft erwachsenem Bescheid vom 16.04.2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge als Bundesamt bezeichnet) den Antrag des Beschwerdeführers auf Ausstellung einer Karte für Geduldete gemäß § 46a Abs. 2 FPG als unzulässig zurück. Das gegen den Beschwerdeführer erlassene und durchsetzbare Aufenthaltsverbot sei von Amts wegen am 07.04.2015 aufgrund neuer gesetzlicher „Richtlinien“ gelöscht worden. Da gegen ihn derzeit kein Abschiebetitel mehr bestehe, könne er auch nicht abgeschoben werden.

9. Mit Bescheid vom 05.10.2015 erteilte das Bundesamt dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG 2005, erließ gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG (Spruchpunkt I.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Algerien zulässig ist (Spruchpunkt II.) und setzte gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest (Spruchpunkt III.)

Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.04.2018, I406 1256173-3/13E, wurde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.04.2018 die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde abgewiesen.

10. Den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 betreffend „Aufenthaltsberechtigung plus“, weil das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt sei, stellte der Beschwerdeführer bereits am 18.08.2017. Dazu wurde er am 15.01.2018 durch das Bundesamt niederschriftlich einvernommen.

Vom Bundesamt wurde zum Vorbringen der gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Beschwerdeführers am 08.06.2018 eine Anfrage an die Staatendokumentation gerichtet, die am 25.07.2019 zu seinen Krankheiten (Diabetes Mellitus Typ 1, Diabetische Nephropathie, Diabetische Retinopathie und Arterielle Hypertonie), zu ihrer Behandelbarkeit, der Verfügbarkeit von Medikamenten und Blutzuckermessgeräten in Algerien Stellung nahm.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 23.01.2020 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt I.), erließ gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG (Spruchpunkt II.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Algerien gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt III.), gewährte gemäß § 55 Abs. 4 FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise wurde (Spruchpunkt IV.) und erkannte einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 die aufschiebende Wirkung ab (Spruchpunkt V.).

In der dagegen erhobenen Beschwerde vom 24.02.2020 machte der Beschwerdeführer neuerlich seinen langjährigen Aufenthalt in Österreich und den Umstand, dass er seit Jahren keine strafrechtlichen Delikte mehr gesetzt habe, geltend. Er habe zahlreiche Freundschaften geknüpft, Deutschkenntnisse erworben und verfüge über eine Einstellungszusage. Er sei integriert. Außerdem bedürfe er medizinischer Behandlung aufgrund seiner Nieren- und Blutzuckererkrankung. Zur Anfragebeantwortung der Staatendokumentation führte er aus, dass nur ein Bruchteil der vorgemerkten Transplantationen in der vom Bundesamt genannten Klinik in Algerien tatsächlich durchgeführt werden und die Verfügbarkeit von Blutzuckermessgeräten ein bloßer Versuch sei, Normalität in einem „failed state“ darstellen zu wollen. Seine strafrechtlichen Delinquenzen lägen viele Jahre zurück und gehe von ihm keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit mehr aus.

Mit Schriftsatz vom 02.03.2020, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 05.03.2020, legte das Bundesamt dem Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor. Mit rechtskräftigem Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 06.03.2020, GZ I401 1256173-4/3Z, wurde der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt. Dem Beschwerdeführer wurde mittels Parteiengehör Gelegenheit geboten, zum aktuellen Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Algerien, der eingeholten Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 25.07.2019 und zu seinen derzeitigen persönlichen Verhältnissen Stellung zu nehmen. Von dieser Möglichkeit machte er durch die Abgabe einer Stellungnahme vom 19.05.2020 Gebrauch.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der ca. 46 Jahre und vier Monate alte Beschwerdeführer ist ledig, kinderlos, Staatsangehöriger von Algerien und bekennt sich zum Islam. Seine Identität steht fest.

Der Beschwerdeführer leidet an einer Nieren- und Blutzuckererkrankung (Diabetes mellitus Typ 1), die regelmäßige Kontrolluntersuchungen, insbesondere der Nieren, notwendig machen. Hinweise für eine (dringende) Nierentransplantation gibt es nicht. Abgesehen von diesen Erkrankungen und den mit ihnen einhergehenden Belastungen leidet der Beschwerdeführer an keinen schweren körperlichen oder psychischen Beeinträchtigungen. Arbeitsfähigkeit ist trotz der gesundheitlichen Einschränkungen gegeben.

Der Beschwerdeführer stellte in den Jahren 1999 und 2004 Anträge auf internationalen Schutz in Österreich, die negativ beschieden wurden. Ein Antrag auf Ausstellung einer Karte für Geduldete wurde als unzulässig zurückgewiesen. Fest steht, dass der Beschwerdeführer den ihm gegenüber mehrmals ausgesprochenen Ausreiseverpflichtungen nicht nachkam, sondern unrechtmäßig im Bundesgebiet verblieb.

Er wurde dreimal wegen strafrechtlicher Delinquenzen von österreichischen Strafgerichten verurteilt wurde. Erstmals wurde über den Beschwerdeführer mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, rechtskräftig am 29.09.2004, wegen schwerem Raub, schwerem gewerbsmäßigem Betrug und gewerbsmäßigem Diebstahl eine Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Jahren ausgesprochen. Vom Bezirksgericht Steyr wurde er am 18.09.2006 zu einer weiteren Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat verurteilt. Mit Beschluss des Landesgerichts Krems an der Donau vom 13.08.2008 wurde der Beschwerdeführer, nachdem er von der in Vollzug gesetzten Freiheitstrafe von insgesamt sieben Jahren und einem Monat einen Teil der verhängten Freiheitstrafe im Ausmaß von vier Jahren, acht Monaten und 20 Tagen verbüßt hatte, am 29.10.2008 nach Verbüßung von zwei Drittel der Strafzeit bedingt entlassen. Zuletzt wurde am 13.04.2010 vom Landesgericht für Strafsachen Wien wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden sowie Betrug zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt. In der Zeit vom 01.06. bis 29.10.2010 befand er in der Justizanstalt W.

Die Familie des Beschwerdeführers bestehend aus dem Vater und fünf Geschwistern lebt in Algerien. Er pflegt zu seinen Familienangehörigen keinen Kontakt. In Österreich leben keine Verwandten des Beschwerdeführers; er pflegt freundschaftliche Kontakte zu in Österreich lebenden Personen. Er führte etwa drei Jahre lang eine traditionelle Ehe und lebte mit seiner Lebensgefährtin, die österreichische Staatsbürgerin ist, im gemeinsamen Haushalt. Seit März 2015 besteht eine freundschaftliche Beziehung zwischen den beiden. Die von der früheren Lebensgefährtin am 02.01.2014 abgegebene Haftungserklärung gemäß § 2 Abs. 1 Z 15 NAG galt für fünf Jahre.

Der Beschwerdeführer besuchte bis zur Matura die Schule in Algerien und äußert den Berufswunsch, als Koch arbeiten zu wollen. Während seines nunmehr ca. 21-jährigen Aufenthaltes war er am 03.04.2009 und in der Zeit vom 06.04. bis 05.11.2009 als Arbeiter bei zwei verschiedenen Arbeitgebern vollversicherungspflichtig beschäftigt. Er ging bzw. geht in der Zeit vom 04.06. bis 15.06.2018 und vom 21.07.2018 bis 01.09.2019 sowie seit 13.11.2019 (bis laufend) beim Arbeitgeber D C einer geringfügigen Beschäftigung nach, wobei er einen mit 21.11.2019 datierten, jedoch weder vom Arbeitgeber noch von ihm unterfertigten Dienstvertrag vorlegte. Aus dieser „Minimalbeschäftigung“ in einem Gastronomiebetrieb bezieht er ein Entgelt in der Höhe von € 77,-- monatlich. Durch diese Tätigkeit ist die Selbsterhaltungsfähigkeit des Beschwerdeführers zu erwarten. Er war auch ehrenamtlich tätig. Er räumte ein, auch „schwarz“ gearbeitet zu haben. Er erhielt und erhält Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung (Verpflegung. Miete, Krankenversicherung etc.) und erhielt und erhält bei Bedarf Unterstützung durch seine frühere Lebensgefährtin.

Der Beschwerdeführer hat am 03.09.2016 die Deutsch-Test-Prüfung für Österreich bestanden und die Niveaustufe B1 erreicht (für das Modul Hören/Lesen A2 29 Punkte, für das Modul Schreiben B1 15 Punkte und für das Modul Sprechen B1 98 Punkte).

Die Bundespolizeidirektion Wien und auch das Bundesministerium für Inneres ersuchten die Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien im Zeitraum von August 2000 bis Juni 2002 acht Mal bzw. im Zeitraum von August 2008 bis Jänner 2015 15 Mal erfolglos um die Ausstellung eines Heimreisezertifikates. Die algerische Botschaft in Wien stellte am 19.12.2012 nach einer Prüfung die (wahre) Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers fest. Das Bundesamt forderte ihn nicht auf, persönlich an der Ausstellung eines Heimreisezertifikates mitzuwirken.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zum Sachverhalt:

Zur Feststellung des für die Entscheidung maßgebenden Sachverhaltes wurden im Rahmen des Ermittlungsverfahrens Beweise erhoben durch die Einsichtnahme in den Akt des Bundesasylamtes und Bundesamtes unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des Beschwerdeführers vor dieser, in den bekämpften Bescheid und in den Beschwerdeschriftsatz und in die Gerichtsakten der vorherigen Verfahren des Beschwerdeführers, insbesondere auch in die Verhandlungsschrift vom 11.04.2018 und in die aktuelle am 19.05.2020 eingelangte Stellungnahme des Beschwerdeführers. Ergänzend wurden aktuelle Auszüge aus dem Zentralen Melderegister, dem Strafregister, dem Grundversorgungssystem, dem Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger sowie aus dem Informationsbundsystem Zentrales Fremdenregister eingeholt.

2.2. Zur Person des Beschwerdeführers:

Von der algerischen Vertretungsbehörde wurde bereits am 19.12.2012 die im Rubrum der gegenständlichen Entscheidung genannte Identität und die algerische Staatsbürgerschaft bestätigt (AS 195). Somit steht seine Identität auch ohne Vorlage eines Reise- oder anderen Identitätsdokumentes fest.

Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand und zu seiner Arbeitsfähigkeit beruhen in erster Linie auf den vorgelegten ärztlichen Befunden und seinen eigenen Angaben, sowie auf den Feststellungen im Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.04.2018 nach der Befragung des Beschwerdeführers in der durchgeführten mündlichen Verhandlung. Er gestand in seiner aktuellen Stellungnahme zu, dass sich an seiner gesundheitlichen Situation nichts geändert habe.

Da der Beschwerdeführer wiederholt angab, trotz seiner Erkrankungen einer Erwerbstätigkeit nachgehen zu können und auch „schwarz“ gearbeitet zu haben (AS 83), konnte von seiner Arbeitsfähigkeit ausgegangen werden. Dazu legte er auch einen Dienstvertrag über eine Aushilfstätigkeit und Lohnabrechnungen für fünf Monate, aus denen sich ein Verdienst von € 77,-- monatlich ergibt, und eine Bestätigung über die freiwillige Mitarbeit in einem Jugendcollege (AS 58) vor. Davon abgesehen konnte er integrative Schritte durch die positiv absolvierte Deutschprüfung B1 belegen (AS 57). Das Empfehlungsschreiben von vier namentlichen angeführte Personen (mit deren Telefonnummern) dokumentiert einen engeren Kontakt und nähere Bekanntschaft zum Beschwerdeführer und eine gewisse soziale Integration. Das aufrechte freundschaftliche Verhältnis zu seiner früheren Lebensgefährtin, fußt auf dem Verhandlungsprotokoll vom 11.04.2018, bei der sie als Zeugin einvernommen wurde.

Der Bezug von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und die Abgabe einer Haftungserklärung der früheren Lebensgefährtin, für entsprechende Unterhaltmittel für den Beschwerdeführer aufzukommen, ergibt sich aus den erstinstanzlichen Akten.

Die Angaben zu seinen in Algerien lebenden Verwandten waren in allen Einvernahmen vor dem Bundesamt und dem Bundesverwaltungsgericht sowie in seinen schriftlichen Eingaben gleichbleibend und daher glaubhaft.

Die strafgerichtlichen Verurteilungen des Beschwerdeführers ergeben sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich und den in den Verwaltungsakten einliegenden Urteilsausfertigungen.

Auf dem Akteninhalt zu den vorherigen asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren sowie einer Einsicht ins Informationsbundsystem Zentrales Fremdenregister und Zentrale Melderegister basieren die Feststellungen zum bisherigen Aufenthalt und der bereits seit der ersten abweisenden Asylentscheidung bestehende unrechtmäßige Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchpunkt A):

3.1. Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK:

3.3.1. Rechtslage:

Gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird.

Gemäß Abs. 2 leg. cit. ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen, wenn nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vorliegt.

§ 9 BFA-VG normiert, dass wenn durch eine Rückkehrentscheidung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, die Erlassung der Entscheidung zulässig ist, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.       die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2.       das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3.       die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4.       der Grad der Integration,

5.       die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6.       die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7.       Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8.       die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9.       die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

3.1.2. Anwendung der Rechtslage auf den gegenständlichen Fall:

Im vorliegenden Fall hatte das Bundesamt zu prüfen, ob die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art. 8 EMRK geboten war. Es hat zwar eine derartige Prüfung vorgenommen, dabei aber dem (sehr) langen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, seiner Integration, seinen Deutschkenntnissen auf dem Niveau B1 und der nicht auf die Verletzung der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht zurückzuführende Nichtausstellung des Heimreisezertifikates nur eine untergeordnete Bedeutung beigemessen.

Der Beschwerdeführer ist, obwohl er den angeordneten Ausreiseverpflichtungen nicht nachkam, seit Mai 2009, sohin bis zur gegenständlichen Entscheidung seit ca. 21 Jahren durchgehend im Bundesgebiet aufhältig. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass bei einem mehr als zehn Jahre dauernden inländischen Aufenthalt des Fremden, der im vorliegenden Beschwerdefall sehr deutlich überschritten wurde, regelmäßig von einem Überwiegen der persönlichen Interessen an einem Verbleib in Österreich auszugehen sei. Nur wenn der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit überhaupt nicht genützt habe, um sich sozial und beruflich zu integrieren, sei eine aufenthaltsbeendende Maßnahme bzw. die Nichterteilung eines humanitären Aufenthaltstitels ausnahmsweise nach so langem Aufenthalt noch für verhältnismäßig anzusehen (VwGH 30.04.2020, Ra 2019/21/0134, mwN.).

Wird einem Fremden das Ausüben von Erwerbstätigkeiten und seine Nichteinbeziehung in die Grundversorgung zugestanden, kann keine Rede davon sein, dass er sich überhaupt nicht integriert hätte; dass insbesondere einem Arbeitsvorvertrag keine Bedeutung zukommt, trifft in Zusammenhang mit einem langjährigen Aufenthalt nicht zu (VwGH vom 26.01.2017, Ra 2016/21/0168).

Der Beschwerdeführer bezieht unbestritten Leistungen aus der Grundversorgung, er geht aber seit Juni 2018 (mit kurzen Unterbrechungen) einer geringfügigen Beschäftigung nach. In Hinblick auf die geringfügige Beschäftigung kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer im Fall einer ihm erteilten Arbeitserlaubnis seinen Unterhalt durch eigene Arbeit wird sichern und sich eine Lebensgrundlage wird schaffen können. Er verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 (die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers durch das Bundesamt am 15.01.2018 konnte ohne eine Dolmetscherin durchgeführt werden), und legte ein von ihm verfasstes Empfehlungsschreiben, in dem er vier bezeichnete Personen namentlich und deren Telefonnummern bekannt gab und zu denen er engeren Kontakt pflegt, vor, hat weitere Bekannte und unterhält zu seiner früheren Lebensgefährtin unverändert freundschaftliche Kontakte. Im Hinblick auf den ca. 21-jährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass er sich gar nicht integriert hätte. Seine Bindungen zum Heimatstaat, insbesondere auch zu seiner in Algerien lebenden Familie, sind nicht mehr sehr ausgeprägt.

Gegen einen Verbleib des Beschwerdeführers im Bundesgebiet spricht zwar, dass er mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 22.07.2004 wegen der Verbrechen des schweren Raubes, des gewerbsmäßig begangenen schweren Betrugs und des gewerbsmäßigen Diebstahls und Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren, mit Urteil des Bezirksgerichts vom 18.09.2006 wegen des Vergehens der Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von einem Monat Jahren (wobei er nach Verbüßung von zwei Drittel der Strafzeit [von sieben Jahren und einem Monat] bedingt entlassen wurde) und zuletzt mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13.04.2010 wegen Fälschung besonders geschützter Urkunden sowie Betrug zu fünf Monaten Freiheitsstrafe verurteilt wurde. Seit der letzten Haftentlassung, die nach dem vom 01.06. bis 29.10.2010 dauernden Strafvollzug stattfand, somit seit ca. zehn Jahren, legte der Beschwerdeführer aber ein Wohlverhalten an den Tag, das auf einen auch für die Zukunft anzunehmenden positiven Gesinnungswandel schließen lässt. Ein besonders ins Gewicht fallendes Überwiegen öffentlicher Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung ergaben sich nicht, um den sehr langen Aufenthaltes Beschwerdeführers in Österreich entscheidend zu relativeren.

Das gegenständliche Verfahren über die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 Abs. 1 AsylG 2005 erreicht nunmehr fast die Dauer von drei Jahren, was dem Beschwerdeführer erkennbar nicht angelastet werden kann.

Hinzu kommt, dass die Landespolizeidirektion Wien und das Bundesministerium für Inneres (bis Jänner 2015) mehr als zwanzig Mal bei der Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien erfolglos versucht haben, dass für den Beschwerdeführer ein Heimreisezertifikat ausgestellt wird. Das Bundesamt hat auch nach der Feststellung der wahren Identität und Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers im Dezember 2012 durch die algerische Botschaft keine weiteren Versuche um Ausstellung eines Heimreisezertifikates unternommen, sondern sich vielmehr über Jahre hindurch mit der Nichtausstellung eines solchen abgefunden. Es hat den Beschwerdeführer, soweit sich dies aus den erstinstanzlichen Akten ergibt, nicht aufgefordert, an der Ausstellung eines Heimreisezertifikates mitzuwirken.

Vor diesem Hintergrund und nach einer individuellen Abwägung der berührten Interessen ist ein Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 zu erteilen.

Gemäß § 58 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 von Amts wegen zu prüfen, wenn eine Rückkehrentscheidung auf Grund des § 9 Abs. 1 bis 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt wird.

Der mit „Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK“ überschriebene § 55 AsylG 2005 (in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018) lautet:

„(1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn

1.       dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2.       der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.“

Gemäß § 81 Abs. 36 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gilt das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG als erfüllt, wenn Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 68/2017 vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 erfüllt haben oder von der Erfüllung ausgenommen waren.

§ 14a Abs. 4 NAG in der vor Inkrafttreten des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 68/2017 geltenden Fassung BGBl. I Nr. 38/2011 lautete:

„Das Modul 1 der Integrationsvereinbarung ist erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige

1.       einen Deutsch-Integrationskurs besucht und einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über den erfolgreichen Abschluss des Deutsch-Integrationskurses vorlegt,

2.       einen allgemein anerkannten Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 vorlegt,

3.       über einen Schulabschluss verfügt, der der allgemeinen Universitätsreife im Sinne des § 64 Abs. 1 des Universitätsgesetzes 2002, BGBl. I Nr. 120, oder einem Abschluss einer berufsbildenden mittleren Schule entspricht oder

4.       einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 Abs. 1 oder 2 besitzt.

Die Erfüllung des Moduls 2 (§ 14b) beinhaltet das Modul 1.“

Das Modul 1 dient gemäß § 14 Abs. 2 Z 1 NAG (in der Fassung BGBl. I Nr. 38/2011) dem Erwerb von Kenntnissen der deutschen Sprache zur vertieften elementaren Sprachverwendung. Die näheren Bestimmungen zu den Inhalten der Module 1 und 2 der Integrationsvereinbarung hat gemäß § 14 Abs. 3 NAG (in der zitierten Fassung) der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen.

Ziel des „Deutsch-Integrationskurses (Modul 1)“ der Integrationsvereinbarung ist gemäß § 7 Abs. 1 Integrationsvereinbarungs-Verordnung (in der Fassung BGBl. II Nr. 205/2011) die Erreichung des A2-Niveaus des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, wie im Rahmencurriculum für Deutsch-Integrationskurse (Anlage A) beschrieben. Den Abschluss des Deutsch-Integrationskurses bildet gemäß § 7 Abs. 2 leg. cit. eine Abschlussprüfung, zumindest auf dem A2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen, durch den Österreichischen Integrationsfonds.

Der Beschwerdeführer erwarb - nachgewiesen durch das „Prüfungszeugnis Deutsch-Test für Österreich“ des Österreichischen Integrationsfonds - im September 2016 das Sprachzertifikat Deutsch auf der Niveaustufe B1 des Europarats.

Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung die Rechtsansicht, dass das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Feststellung, dass eine Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sei, im Spruch seines Erkenntnisses zum Ausdruck bringen müsse, dass es den Aufenthaltstitel selbst in konstitutiver Weise erteile (VwGH 04.08.2016, Ra 2016/21/0203, mwN).

Im vorliegenden Fall ist die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK geboten. Da der Beschwerdeführer Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1 im Sinn des § 14a Abs. 4 NAG in Verbindung mit § 81 Abs. 36 NAG (durch den am 03.09.2016 absolvierten „Deutsch-Test für Österreich“) hat nachweisen können, erfüllt er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung, weshalb ihm gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen war.

Das Bundesamt hat den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen; der Beschwerdeführer hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 sind Aufenthaltstitel für die Dauer von zwölf Monaten, beginnend mit dem Ausstellungsdatum auszustellen.

Der Beschwerde war daher in Hinblick auf den Spruchpunkt A) 1. stattzugeben und dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel ‚Aufenthaltsberechtigung plus‘ für die Dauer von zwölf Monaten zu erteilen sowie die darauf aufbauenden Spruchpunkte II. bis IV. des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG zu beheben.

4. Unterbleiben der mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung entscheidungsrelevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist. Ferner muss die Verwaltungsbehörde die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offen gelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüber hinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt (VwGH 28.05.2014, 2014/20/0017). Eine mündliche Verhandlung ist bei konkretem sachverhaltsbezogenem Vorbringen des Revisionswerbers vor dem Verwaltungsgericht durchzuführen (VwGH 30.06.2015, Ra 2015/06/0050, mwN). Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls durchzuführen zur mündlichen Erörterung von nach der Aktenlage strittigen Rechtsfragen zwischen den Parteien und dem Gericht (VwGH 30.09.2015, Ra 2015/06/0007, mwN) sowie auch vor einer ergänzenden Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht (VwGH 16.02.2017, Ra 2016/05/0038). § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 erlaubt andererseits das Unterbleiben einer Verhandlung, wenn - wie im vorliegenden Fall - deren Durchführung in der Beschwerde ausdrücklich beantragt wurde, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint (VwGH 23.11.2016, Ra 2016/04/0085; 22.01.2015, Ra 2014/21/0052; ua). Diese Regelung steht im Einklang mit Art. 47 Abs. 2 GRC (VwGH 25.02.2016, Ra 2016/21/0022).

Die vorgenannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der Sachverhalt ist als ausreichend ermittelt anzusehen und weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch das Bundesamt und jener durch das Bundesverwaltungsgericht ca. vier Monate liegen - die gebotene Aktualität auf. Es lagen keine strittigen Sachverhalts- oder Rechtsfragen vor und waren auch keine weiteren Beweise aufzunehmen. Eine mündliche Verhandlung konnte daher unterbleiben (VwGH 26.01.2017, Ra 2016/21/0233; 18.10.2017, Ra 2017/19/0422 bis 0423, Ra 2017/19/0424) und aufgrund der Aktenlage entschieden werden.

Zu Spruchpunkt B) - Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder fehlt es an einer Rechtsprechung zur Abwägung der öffentlichen und privaten Interessen bei einem langjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet und Beurteilung der bestehenden Integration, noch weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Aufenthaltstitel Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK befristete Aufenthaltsberechtigung ersatzlose Teilbehebung Integration Integrationsvereinbarung Interessenabwägung Kassation öffentliche Interessen Privat- und Familienleben private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Spruchpunktbehebung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I401.1256173.4.00

Im RIS seit

13.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

13.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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