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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch die Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend Familienmitglieder unterschiedlicher Staatsangehörigkeiten; keine Länderfeststellungen zu Moldawien; mangelhafte Auseinandersetzung mit allfälliger Trennung der FamilienmitgliederSpruch
I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebungen abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihrer Rechtsvertreter die mit € 3.379,20 bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Der Erstbeschwerdeführer ist ukrainischer Staatsangehöriger und Ehemann der Zweiteinschreiterin, einer Staatsangehörigen Moldawiens. Sie sind die Eltern des minderjährigen, in Österreich geborenen Drittbeschwerdeführers, der sowohl die ukrainische als auch die moldawische Staatsbürgerschaft hat. Die Vierteinschreiterin ist Staatsangehörige der Ukraine und die Tochter des Erstbeschwerdeführers. Die EinschreiterInnen lebten vor ihrer Ausreise in der Provinz Donezk (die Zweitbeschwerdeführerin hat einen gültigen Aufenthaltstitel für die Ukraine). Sie stellten am 17. Juni 2014 Anträge auf internationalen Schutz mit der Begründung, dass der Ersteinschreiter in der Ukraine auf Grund seiner afghanischen Herkunft verfolgt und diskriminiert worden und auch Opfer von Gewaltattacken geworden sei; die ukrainischen Behörden hätten keinen Schutz geboten. Auch die Viertbeschwerdeführerin sei auf Grund ihrer Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit (afghanische Muslimin) mehrmals in Auseinandersetzungen geraten.
Mit Bescheiden vom 8. Mai 2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten als auch von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine für den Erstbeschwerdeführer und die Vierteinschreiterin bzw in Bezug auf den Herkunftsstaat Moldawien für die Zweitbeschwerdeführerin und den Dritteinschreiter abgewiesen, keine Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, Rückkehrentscheidungen erlassen und festgestellt, dass die Abschiebungen in die Ukraine bzw nach Moldawien zulässig sind, sowie Beschwerden gegen diese Entscheidungen die aufschiebende Wirkung aberkannt.
2. Die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden hat das Bundesverwaltungsgericht mit nunmehr angefochtenem Erkenntnis vom 27. April 2020 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 19. Dezember 2019 als unbegründet abgewiesen (bereits mit Erkenntnis vom 5. Juli 2018 hat das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerden gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung stattgegeben, die jeweiligen Spruchpunkte IV. der erstinstanzlichen Bescheide ersatzlos behoben und den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt):
2.1. Zwar sei glaubhaft, dass der Erstbeschwerdeführer und die Vierteinschreiterin in der Ukraine Diskriminierungen und Belästigungen zum Opfer gefallen seien, jedoch ergebe sich allein daraus noch kein Hinweis auf eine asylrelevante staatliche Verfolgung oder eine Schutzunwilligkeit oder -unfähigkeit der Behörden. Es sei davon auszugehen, dass die BeschwerdeführerInnen im Fall ihrer Rückkehr keine Verfolgung von staatlicher oder privater Seite zu befürchten hätten.
2.2. Die Ukraine gelte als sicherer Herkunftsstaat iSd HStV; den entsprechenden Länderberichten lasse sich keine das Prüfungskalkül des Art3 EMRK erreichende prekäre Sicherheitslage entnehmen. Für die EinschreiterInnen bestehe die Möglichkeit, sich in einem von der Ukraine kontrollierten Landesteil, etwa der Hauptstadt Kiew, niederzulassen. Eine grundlegende Versorgung sowie die sichere Erreichbarkeit über den Land- oder Luftweg seien gewährleistet. Sowohl der Erstbeschwerdeführer als auch die Vierteinschreiterin hätten den Großteil ihres Lebens in der Ukraine verbracht, wodurch sie mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut seien. Es sei ihnen unabhängig von einem familiären Netzwerk zumutbar, durch eigene Erwerbstätigkeit den Lebensunterhalt für sich und den Drittbeschwerdeführer zu sichern.
3. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird. Das Bundesverwaltungsgericht habe es zur Gänze unterlassen, sich mit der aktuellen Situation in Moldawien auseinanderzusetzen und ausschließlich Länderberichte zur Ukraine herangezogen. Zudem habe es im Rahmen der Rückkehrentscheidung eine mangelhafte Interessenabwägung vorgenommen, sodass das Erkenntnis gegen Art8 EMRK verstoße.
4. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand genommen und auf die Begründung im angefochtenen Erkenntnis verwiesen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässige – Beschwerde ist, soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und gegen die Feststellung richtet, dass die Abschiebungen zulässig sind, begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
3.1. Gemäß §8 Abs1 AsylG 2005 ist einem Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird, der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 oder 3 EMRK oder des 6. oder 13. ZPEMRK bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
3.2. Während in den erstinstanzlichen Bescheiden – auf Basis von Länderfeststellungen zur Ukraine bzw zu Moldawien – jeweils getrennt geprüft wurde, ob die Abschiebungen des Erstbeschwerdeführers und der Vierteinschreiterin in die Ukraine bzw ob die Abschiebungen der Zweitbeschwerdeführerin und des Dritteinschreiters nach Moldawien eine Verletzung der in Art2 oder 3 EMRK bzw im 6. oder 13. ZPEMRK gewährleisteten Rechte zur Folge hätte, unterlässt das Bundesverwaltungsgericht jegliche Länderfeststellungen zu Moldawien und trifft lediglich solche zur Ukraine. Auf dieser Grundlage bestätigt es ua die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Zweitbeschwerdeführerin, obwohl diese (ausschließlich) Staatsangehörige Moldawiens ist (der minderjährige Dritteinschreiter ist sowohl Staatsangehöriger der Ukraine als auch Moldawiens), sodass Moldawien ihr Herkunftsstaat iSd §2 Abs1 Z17 AsylG 2005 ist. Damit hat das Bundesverwaltungsgericht notwendige Ermittlungen und Feststellungen unterlassen und sein Erkenntnis mit Willkür belastet.
3.3. Zudem geht aus dem angefochtenen Erkenntnis nicht zweifelsfrei hervor, ob alle Beschwerdeführer in die Ukraine abgeschoben werden sollen oder ob – wie das in den erstinstanzlichen Bescheiden ausgesprochen wurde – eine Abschiebung des Ersteinschreiters und der Viertbeschwerdeführerin in die Ukraine sowie eine Abschiebung der Zweiteinschreiterin und des Drittbeschwerdeführers nach Moldawien für zulässig erklärt wird. Im zweiten Fall hätte sich das Bundesverwaltungsgericht einerseits mit der Frage auseinandersetzen müssen, ob die Familienmitglieder unter dem Blickwinkel des durch Art8 EMRK geschützten Rechtes auf Familienleben – nach allfälliger vorübergehender Trennung – die Möglichkeit haben, ihr gemeinsames Familienleben in einem von mehreren Herkunftsstaaten der Familienmitglieder (oder einem anderen in Betracht kommenden Staat) zu führen. Andererseits hätte es auch im Hinblick auf die Situation minderjähriger Kinder in Moldawien Länderinformationen beiziehen müssen (vgl für die Bedeutung von Länderfeststellungen im Zusammenhang mit Minderjährigen zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 ua; 11.10.2017, E1803/2017 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua; 13.3.2019, E1480/2018 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua).
3.4. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten im Hinblick auf die Zweitbeschwerdeführerin und – daran knüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen, auf die Erlassung einer Rückkehrentscheidung und auf die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung bezieht, ist es daher mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben.
3.5. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die übrigen Beschwerdeführer durch (vgl VfSlg 19.855/2014), sodass das Erkenntnis auch betreffend die übrigen drei Einschreiter – im selben Umfang wie hinsichtlich der Zweitbeschwerdeführerin – aufzuheben ist.
4. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten richtet – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
4.1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Eine solche Klärung ist dann nicht zu erwarten, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
4.2. Die vorliegende Beschwerde rügt die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten. Nach den Beschwerdebehauptungen wären diese Rechtsverletzungen aber zum erheblichen Teil nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beurteilung der aufgeworfenen Fragen, insbesondere der Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht das Fluchtvorbringen der Beschwerdeführer in jeder Hinsicht zutreffend beurteilt hat, insoweit nicht anzustellen.
4.3. Demgemäß wurde beschlossen, von einer Behandlung der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Abweisung der Anträge auf Zuerkennung des Status von Asylberechtigten richtet, abzusehen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen und gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebungen abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI BVG BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen – soweit mit dem angefochtenen Erkenntnis die Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen werden – wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. Da die Beschwerdeführer gemeinsam durch zwei Rechtsanwälte vertreten sind, ist der einfache Pauschalsatz, erhöht um einen Streitgenossenzuschlag in Höhe von € 436,–, zuzusprechen. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 523,20 sowie der Ersatz einer Eingabengebühr gemäß §17a VfGG in Höhe von € 240,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, Rückkehrentscheidung, KinderEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E1614.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020