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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §17 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Knell und die Hofräte Dr. Müller, Dr. Novak, Dr. Sulyok und Dr. Nowakowski als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Hackl, über die Beschwerde der B in G, vertreten durch Dr. Jörg Hobmeier, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maximilianstraße 9/2, gegen den aufgrund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Tirol vom 10. Juni 1997, Zl. LGSTi/V/1212/1079 16 11 77-702/1997, betreffend Höhe des Arbeitslosengeldes, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vom 16. Mai 1997 ab 14. April 1997 Arbeitslosengeld in der Höhe von täglich S 104,30 zuerkannt.
Die wegen zu geringer Höhe des Arbeitslosengeldes dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit dem in Beschwerde gezogenen Bescheid abgewiesen. Nach der Begründung des angefochtenen Bescheides hatte die Beschwerdeführerin den erstinstanzlichen Bescheid mit der Begründung bekämpft, daß der Bemessung des Arbeitslosengeldes als letzte Jahresbeitragsgrundlagen im Sinne des § 21 Abs. 1 AlVG jene aus dem Jahr 1993 und nicht jene aus dem Jahre 1996 zugrundegelegt worden seien. Die belangte Behörde zitiert § 21 AlVG 1977 und hält den Berufungsausführungen der Beschwerdeführerin entgegen, daß nach den anzuwendenden gesetzlichen Bestimmungen bei einer Antragstellung im ersten Halbjahr 1997 die Jahresbeitragsgrundlagen aus dem vorletzten Jahr, nachdem solche nicht vorlägen, jene aus dem Jahre 1993 heranzuziehen seien.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend machende Beschwerde, in der die Beschwerdeführerin die Auffassung vertritt, daß bei Fehlen von Beitragsgrundlagen im vorletzten Jahr die letzten vor der Antragstellung liegenden Beitragsgrundlagen heranzuziehen seien. Dies seien im Beschwerdefall jene des Jahres 1996.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Beschwerde erwogen:
§ 21 Abs. 1 und 2 AlVG in der Fassung des Art. 23 Z. 16 und 17 des Strukturanpassungsgesetzes 1996, BGBl. Nr. 201, lauten auszugsweise:
"(1) Der Grundbetrag des Arbeitslosengeldes wird nach Lohnklassen bemessen. Für die Festsetzung der Lohnklasse ist bei Geltendmachung bis 30. Juni das Entgelt des vorletzten Kalenderjahres aus den beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger gespeicherten Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen. Bei Geltendmachung nach dem 30. Juni ist das Entgelt des letzten Kalenderjahres heranzuziehen. Liegen keine Jahresbeitragsgrundlagen des letzten bzw. vorletzten Jahres vor, so sind jeweils die Jahresbeitragsgrundlagen des zuletzt vorliegenden
Kalenderjahres heranzuziehen .... Sind die heranzuziehenden
Jahresbeitragsgrundlagen zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes älter als ein Jahr, so sind diese mit dem/den Aufwertungsfaktor/en gemäß § 108 Abs. 4 ASVG des betreffenden Jahres/der betreffenden Jahre aufzuwerten.
(2) Liegen noch keine Jahresbeitragsgrundlagen beim Hauptverband vor, so sind für die Festsetzung der Lohnklasse das Entgelt der letzten sechs Kalendermonate vor der Geltendmachung des Arbeitslosengeldes heranzuziehen. Sonderzahlungen im Sinne der gesetzlichen Sozialversicherung (§ 49 ASVG) sind anteilsmäßig zu berücksichtigen.
Absatz 1 fünfter und sechster Satz ist anzuwenden."
Nach den Erläuterungen der Regierungsvorlage (72 BlgNR, XX. GP, 235 f) solle das Arbeitslosengeld (im Gegensatz zu der bis dahin in Geltung gestandenen Regelung nicht mehr aus dem Entgelt der letzten 26 Kalenderwochen bzw. sechs Kalendermonate sondern) auf Grundlage der beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vorliegenden Jahresbeitragsgrundlagen berechnet werden. Als Stichtag sei der 1. Juli gewählt worden, da spätestens zu diesem Zeitpunkt die Jahresbeitragsgrundlagen beim Hauptverband vorlägen, und zwar auch dann, wenn der Dienstgeber die Beiträge nach dem Lohnsummenverfahren abführte. Werde das Arbeitslosengeld im zweiten Halbjahr geltend gemacht, so seien die Jahresbeitragsgrundlagen des Vorjahres heranzuziehen. Läge die Geltendmachung im ersten Halbjahr, so seien die Jahresbeitragsgrundlagen des vorletzten Jahres heranzuziehen, wobei als Beispiel für den Fall der Geltendmachung im Frühjahr 1997 ausdrücklich die Jahresbeitragsgrundlagen 1995 erwähnt werden. Lägen diese Jahresbeitragsgrundlagen nicht vor, so seien die jeweils zuletzt vorliegenden Jahresbeitragsgrundlagen heranzuziehen.
Im Beschwerdefall ist unbestritten, daß die Beschwerdeführerin das Arbeitslosengeld im ersten Halbjahr des Jahres 1997 geltend gemacht hat, aber auch, daß für das Jahr 1995 keine Beitragsgrundlagen beim Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger aufscheinen.
Der auch in der Gegenschrift bekräftigten Auffassung der belangten Behörde, daß in einem solchen Fall nur auf die davorliegenden Beitragsgrundlagen zurückzugreifen sei, vermag der Verwaltungsgerichtshof nicht beizupflichten. Diese läßt sich nämlich nicht aus dem zweiten bzw. dritten Satz des § 21 Abs. 1 AlVG begründen, da diese Bestimmungen nur regeln, welche Beitragsgrundlagen - in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Antragstellung - in erster Linie für die Bemessung des Arbeitslosengeldes in Betracht kommen. Wenn solche Beitragsgrundlagen nicht vorliegen, so ist im Falle des dritten Satzes (Geltendmachung nach dem 30. Juni), d.h. bei Fehlen von Beitragsgrundlagen aus dem letzten Kalenderjahr tatsächlich auf die davorliegenden Kalenderjahre zurückzugreifen. Im Falle des zweiten Satzes (Antragstellung bis 30. Juni) kommt hingegen als Jahresbeitragsgrundlage des "zuletzt vorliegenden Kalenderjahres" schon nach der Wortbedeutung dieser Wendung auch das der Antragstellung unmittelbar vorangehende Kalenderjahr in Betracht.
Dies ergibt sich auch aus dem systematischen Zusammenhang mit § 21 Abs. 2 AlVG, sind doch die letzten sechs Kalendermonate vor der Geltendmachung nur dann heranzuziehen, wenn "noch keine Jahresbeitragsgrundlagen beim Hauptverband" vorliegen. Der Anwendung des § 21 Abs. 2 AlVG hat somit (bei einer Antragstellung bis 30. Juni) in einem Fall, in welchem nur Beitragsgrundlagen aus dem Jahr vor der Antragstellung und aus dem Jahr der Antragstellung vorliegen, die Heranziehung der Beitragsgrundlagen aus dem unmittelbar vor der Antragstellung liegenden Jahr vorzugehen, wenn für dieses Jahr Jahresbeitragsgrundlagen beim Hauptverband aufscheinen. Die Auslegung der belangten Behörde hätte zur Folge, daß in einem solchen Fall zumindest nach dem Wortlaut des Gesetzes weder die Beitragsgrundlagen aus dem letzten Jahr, noch - weil ja vorgemerkte Beitragsgrundlagen nicht fehlen - jene aus dem Jahr der Antragstellung im Sinne des § 21 Abs. 2 AlVG herangezogen werden könnten. Auch aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß die Auffassung der belangten Behörde, die bei einer Antragstellung vor dem 30. Juni auch bei Fehlen von Beitragsgrundlagen im vorletzten Jahr von einer gänzlichen Ausklammerung der Beitragsgrundlagen des der Antragstellung vorangegangenen Jahres ausgeht, nicht richtig sein kann.
Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung, ob Beitragsgrundlagen aus dem letzten Kalenderjahr beim Hauptverband schon vorliegen, ist der erste Tag der Arbeitslosigkeit als frühestmöglicher Zeitpunkt der rechtlich wirksamen Geltendmachung des Arbeitslosengeldes (vgl. dazu das Erkenntnis vom 30. September 1997, Zl. 97/08/0434), sodaß es auf die Dauer des Verfahrens vor der regionalen Geschäftsstelle des AMS nicht ankommt.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1997080474.X00Im RIS seit
18.10.2001Zuletzt aktualisiert am
16.11.2017