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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
BFA-VG 2014 §9 Abs2 Z9Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A A, vertreten durch Mag. Martin Sauseng, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Jakominiplatz 16/II, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juli 2020, I414 2162062-1/13E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, beantragte am 26. Juni 2015 internationalen Schutz und brachte dazu zusammengefasst vor, er sei von Mitgliedern der Miliz Asas'ib Ahl al-Haqq entführt, gefoltert und aufgefordert worden, für sie in Syrien zu kämpfen.
2 Mit Bescheid vom 1. Juni 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag zur Gänze ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.
3 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
4 Begründend führte das BVwG aus, dem Revisionswerber sei aus näher dargestellten Gründen kein internationaler Schutz zu gewähren. Zur Rückkehrentscheidung hielt das BVwG zusammengefasst fest, der Revisionswerber halte sich seit etwas mehr als fünf Jahren in Österreich auf, wobei ihm dabei die Unsicherheit seines Aufenthaltsstatus bewusst sein habe müssen. Der Revisionswerber führe kein schützenswertes Familienleben in Österreich und habe kaum Integrationsschritte gesetzt, die zu seinen Gunsten abgewogen werden könnten, weshalb das BVwG davon ausgehe, dass die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung die Gesamtinteressen des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich überwiegen würden.
5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die ausschließlich die Rückkehrentscheidung bekämpft und zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vorbringt, das BVwG habe die Interessenabwägung in einer unvertretbaren Weise vorgenommen, weshalb das angefochtene Erkenntnis nicht mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in Einklang zu bringen sei.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.
8 Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
9 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
10 Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 15.4.2020, Ra 2019/18/0542, mwN).
11 Die vom BVwG durchgeführte Interessenabwägung im Sinne des Art. 8 EMRK ist nur dann vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifen, wenn das BVwG die vom Verwaltungsgerichtshof aufgestellten Leitlinien bzw. Grundsätze nicht beachtet und somit seinen Anwendungsspielraum überschritten oder eine unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat (vgl. VwGH 11.3.2020, Ra 2019/18/0382, mwN).
12 Das BVwG setzte sich im Rahmen seiner Interessenabwägung mit allen entscheidungswesentlichen, insbesondere auch den zu Gunsten des Revisionswerbers sprechenden Umständen auseinander. Es berücksichtigte den fünfjährigen Aufenthalt, die guten Deutschkenntnisse, die wiederkehrende saisonale Beschäftigung, die ehrenamtlichen Tätigkeiten in der Gemeinde sowie die Freundschaften des Revisionswerbers. Die privaten Interessen des Revisionswerbers erachtete das BVwG jedoch als durch den unsicheren Aufenthaltsstatus relativiert und als nicht derart schützenswert, dass sie die öffentlichen Interessen an der Wahrung eines geordneten Fremden- und Aufenthaltswesens überwiegen könnten.
13 Entgegen dem Revisionsvorbringen ist nicht ersichtlich, dass die im angefochtenen Erkenntnis vorgenommene Gesamtabwägung im Ergebnis nicht den in der Rechtsprechung dargelegten Leitlinien entspräche.
14 Sofern der Revisionswerber ins Treffen führt, das BVwG habe die Selbsterhaltungsfähigkeit des Revisionswerbers sowie eine bedingte Einstellungszusage nicht ausreichend berücksichtigt, ist zu erwidern, dass das BVwG sehr wohl die wiederkehrenden saisonalen Tätigkeiten berücksichtigt und eine Selbsterhaltungsfähigkeit (nur) für diese Zeiträume gewürdigt hat. Es ist überdies fallbezogen nicht ersichtlich, dass selbst bei Bejahung einer vollen Selbsterhaltungsfähigkeit zwingend vom Überwiegen der privaten Interessen des Revisionswerbers an einem weiteren Aufenthalt in Österreich auszugehen gewesen wäre (vgl. VwGH 28.11.2019, Ra 2019/18/0457 und 0458, mwN).
15 Soweit die Revision die lange Verfahrensdauer im Sinne des § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG ins Treffen führt, ist darauf zu verweisen, dass es sich dabei nur um einen von mehreren Aspekten handelt, der bei der Interessenabwägung des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu berücksichtigen ist. Dass dieser Umstand fallbezogen entscheidend ins Gewicht fiele, vermag die Revision nicht darzulegen.
16 In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 7. September 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180325.L00Im RIS seit
02.11.2020Zuletzt aktualisiert am
02.11.2020