TE Vwgh Beschluss 2020/9/7 Ra 2020/18/0273

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Veröffentlicht am 07.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des M F, vertreten durch Dr. Gregor Klammer, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Juni 2020, I421 2174362-1/20E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 17. November 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 11. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei und legte eine vierzehntägige Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren relevant - zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes aus, dass keine Anhaltspunkte dafür vorliegen würden, dass dem Revisionswerber im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsstaat die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen und die Schwelle des Art. 3 EMRK überschritten wäre. Der Revisionswerber sei volljährig, gesund und somit arbeitsfähig, weshalb er in der Lage sein werde, einer Beschäftigung nachzugehen und seine Existenz zu sichern. Er könne bei Rückkehr bei seiner Frau oder seiner Familie wohnen und würde finanziell von seinem Vater unterstützt. Außerdem könne er Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen. Ganz allgemein bestehe im Irak derzeit keine solche Gefährdungslage, dass gleichsam jeder, der dorthin zurückkehre, einer Gefährdung (insbesondere) im Sinne der Art. 2 oder 3 EMRK ausgesetzt wäre. Eine Auseinandersetzung mit der COVID-19-Pandemie und ihren Auswirkungen im Irak enthält die Begründung des angefochtenen Erkenntnisses nicht.

5        Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend macht, das BVwG habe keine Feststellungen zu den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie im Irak getroffen, obwohl zum Entscheidungszeitpunkt bereits zahlreiche Berichte über die entscheidungswesentliche Änderung der Lage im Irak vorgelegen seien. Diesbezüglich verweist die Revision auf einige Medienberichte aus dem Zeitraum April bis Anfang Juni 2020, aus denen hervorgehe, dass die Corona-Krise den Irak besonders schwer getroffen habe, das Gesundheitssystem schwach ausgebaut und überlastet sei, die Lage für Flüchtlinge im Irak besonders schwierig sei, das „Land am Abgrund“ stehe, die Krise zu einem Wiedererstarken des IS führe bzw. vorübergehend auch Ausgangssperren herrschten. Das Heranziehen von nicht aktuellen Länderberichten sei auch kausal für den Ausgang des Verfahrens. Vor der Ausbreitung von Covid-19 sei es vertretbar gewesen, dem Revisionswerber keinen subsidiären Schutz zu gewähren, durch die Pandemie und den dadurch ausgelösten Wirtschaftskollaps im Irak sei dies nun unvertretbar. Neben der fehlenden medizinischen Versorgung, die im Falle eines komplizierten Krankheitsverlaufs tödlich sei, könne der Revisionswerber aufgrund der Ausgangssperre und des Erliegens des Wirtschaftslebens keine Arbeit finden.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Zu Recht macht die Revision geltend, dass sich das BVwG im angefochtenen Erkenntnis mit den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie im Irak nicht beschäftigt hat. Dieser Begründungs- und Ermittlungsmangel könnte aber nur dann zur Zulässigkeit und Berechtigung der Revision führen, wenn seine Vermeidung ein anderes Verfahrensergebnis erbracht haben könnte. Dies aufzuzeigen ist nach der ständigen Rechtsprechung Aufgabe der Revision (vgl. dazu etwa VwGH 22.5.2020, Ra 2020/18/0153, mwN).

11       Es mag zutreffen, dass sich die wirtschaftlichen Verhältnisse im Irak aufgrund der Maßnahmen gegen die Verbreitung von Covid-19 verschlechtert haben. Um von der realen Gefahr („real risk“) einer drohenden Verletzung der durch Art. 2 oder 3 EMRK garantierten Rechte eines Asylwerbers bei Rückkehr in seinen Heimatstaat ausgehen zu können, reicht es aber nicht aus, wenn eine solche Gefahr bloß möglich ist (vgl. VwGH 7.7.2020, Ra 2020/14/0236, mwN). Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat. Die Außerlandesschaffung eines Fremden in den Herkunftsstaat kann auch dann eine Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten, wenn der Betroffene dort keine Lebensgrundlage vorfindet, also die Grundbedürfnisse der menschlichen Existenz (bezogen auf den Einzelfall) nicht gedeckt werden können. Eine solche Situation ist aber nur unter exzeptionellen Umständen anzunehmen. Die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK reicht nicht aus. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, warum solche exzeptionellen Umstände vorliegen. Eine solche einzelfallbezogene Beurteilung ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 23.6.2020, Ra 2020/20/0188, mwN).

12       Das BVwG zog im Rahmen der Prüfung des subsidiären Schutzes das Länderinformationsblatt vom 17. März 2020 heran und setzte sich mit den persönlichen Umständen des Revisionswerbers auseinander. Wenn die Revision geltend macht, das BVwG gehe angesichts der Folgen der COVID-19-Pandemie zu Unrecht davon aus, dass sich der Revisionswerber durch eigene Arbeit eine Existenz sichern könne, übersieht sie, dass das BVwG neben diesem kritikwürdigen Argument auch ins Treffen führte, der Revisionswerber finde in seiner Heimatregion Unterstützung durch die Familie vor. Dagegen bringt die Revision nichts Stichhaltiges vor.

13       Die Revision bringt vor, dass ein komplizierter Krankheitsverlauf angesichts der unzureichenden medizinischen Versorgung im Irak tödlich sei, auf den Revisionswerber bezogene Ausführungen, wonach er in Bezug auf COVID-19 einer Risikogruppe angehöre, enthält die Revision jedoch nicht. Sie legt somit nicht konkret dar, dass und warum gerade der Revisionswerber (ein junger und gesunder Mann) bei Rückkehr in die reale Gefahr einer lebensbedrohlichen Erkrankung geraten könnte, bei der die angesprochenen Versorgungsschwierigkeiten von Bedeutung wären. Insbesondere reichen die von der Revision angesprochenen Medienberichte für eine solche Einschätzung nicht aus.

14       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 7. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180273.L00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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