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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde der A in B, vertreten durch Dr. Ernst F. Mayr, Rechtsanwalt in Innsbruck, Anichstraße 42, gegen den Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 17. Juli 1995, Zl. 946.895/2-5/95, betreffend Härteausgleich nach § 76 KOVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Arbeit und Soziales vom 6. September 1993 war der Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung eines Härteausgleiches in der Höhe der im Falle eines Rechtsanspruches nach dem Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG 1957) gebührenden Witwenbeihilfe gemäß § 76 KOVG 1957 abgewiesen worden. Diese Entscheidung war im wesentlichen damit begründet worden, daß die Beschwerdeführerin als Begründung ihres Antrages angeführt hätte, daß ihr im Jahre 1910 geborener Verlobter seit dem
2. Weltkrieg vermißt worden sei und die Trauung aufgrund der Kriegsereignisse nicht stattgefunden habe. Im Fall der Beschwerdeführerin - so hatte die belangte Behörde den Bescheid weiter begründet - seien zwar die im persönlichen Bereich gelegenen Voraussetzungen für die Bewilligung des beantragten Härteausgleiches als gegeben anzusehen, jedoch sei ihr Einkommen noch ausreichend gesichert und daher eine positive Ermessensentscheidung im Sinne des § 76 KOVG 1957 nicht zulässig.
Aufgrund der dagegen beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde war dieser Bescheid mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 24. Februar 1995, Zl. 94/09/0121, im wesentlichen mit der Begründung wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufgehoben worden, daß die für die Gewährung der Witwenbeihilfe maßgebliche Einkommensgrenze gemäß § 36 Abs. 2 i.V.m. § 35 Abs. 3 KOVG 1957 erheblich über dem Betrag des - von der Behörde zu Unrecht als maßgeblich erachteten - Richtsatzes der Mindestpension nach dem ASVG liege. Das Erkenntnis ist im übrigen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bekannt und es wird darauf auch gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 17. Juli 1995 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin im fortgesetzten Verfahren neuerlich gemäß § 76 KOVG 1957 abgewiesen. Diese Entscheidung wurde im wesentlichen damit begründet, die Beschwerdeführerin habe ihren Antrag auf Gewährung eines Ausgleiches in der Höhe der im Fall eines Rechtsanspruches nach dem KOVG 1957 gebührenden Witwenbeihilfe damit begründet, daß ihr im Jahre 1910 geborener Verlobter, der Soldat der ehemaligen Deutschen Wehrmacht gewesen sei, seit den Kämpfen in Stalingrad vermißt werde und von der Wehrmacht eine nachträgliche Eheschließung mit dem Vermißten nicht genehmigt worden sei. Der Genannte sei der Vater von zwei in den Jahren 1940 und 1943 geborenen unehelichen Kindern der Beschwerdeführerin.
Nach den im Akt aufliegenden Unterlagen sei der Genannte in Niedertunding, Kreis Dingolfing, Bayern, geboren und daher aufgrund seiner Abstammung deutscher Staatsbürger gewesen. Er wäre dies auch im Falle seiner Rückkehr aus dem Krieg nach 1945 aus Abstammungsgründen geblieben. Somit bestünde für die Beschwerdeführerin auch im Falle einer seinerzeitigen Eheschließung mit dem Vater ihrer Kinder kein Rechtsanspruch auf Hinterbliebenenversorgung nach dem KOVG 1957, weil gemäß § 3 Abs. 1 dieses Gesetzes nur österreichische Staatsbürger versorgungsberechtigt seien. Es sei Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß nach dem klaren Wortlaut des § 3 Abs. 1 KOVG 1957 von einem deutschen Staatsbürger kein Witwenversorgungsanspruch nach diesem Bundesgesetz abgeleitet werden könne (Erkenntnis vom 8. Oktober 1986, Zlen. 86/09/0107, 0108). Ein Absehen von dieser grundsätzlichen Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Leistungen nach dem KOVG 1957 "im Rechtsanspruch" im Falle einer auf dem gleichen Sachverhalt fußenden Ermessensentscheidung gemäß § 76 KOVG 1957 würde eine Umgehung der bestehenden Gesetzeslage bedeuten und entspräche nicht dem Willen des Gesetzgebers. Eine besondere Härte im Sinne des § 76 Abs. 1 KOVG 1957 liege nach der hiezu ergangenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis vom 10. April 1985, Zl. 85/09/0062) nämlich dann nicht vor, wenn die Versorgungsberechtigung nach dem KOVG 1957 für alle unter einen bestimmten Tatbestand dieses Bundesgesetzes fallenden Personen ausgeschlossen sei. Im vorliegenden Fall habe jene Person, von der der Witwenrentenanspruch im Wege des Härteausgleiches abgeleitet werde, die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besessen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt wird.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Zur Gegenschrift wurde eine Stellungnahme der Beschwerdeführerin erstattet, wozu die belangte Behörde eine Gegenäußerung abgab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
§ 76 Abs. 1 KOVG 1957 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 212/1984 bestimmt:
"Sofern sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben, kann der Bundesminister für soziale Verwaltung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Finanzen auf Antrag oder von Amts wegen einen Ausgleich gewähren."
Die Gewährung eines Härteausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 steht im Ermessen der Behörde. Wer die Gewährung eines Ausgleiches wegen besonderer Härte geltend macht, ist Partei im Sinne des nach § 86 Abs. 1 KOVG 1957 anzuwendenden § 8 AVG. Die Gewährung eines Ausgleiches gemäß § 76 KOVG 1957 setzt zunächst voraus, daß "sich aus den Vorschriften dieses Bundesgesetzes besondere Härten ergeben". Erst wenn dies der Fall ist, kann die Behörde von dem ihr in dieser Bestimmung eingeräumten Ermessen einen positiven Gebrauch machen (vgl. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 21. April 1982, Slg. N.F. Nr. 10.709/A).
Die vom Gesetz geforderte besondere Härte muß durch Tatsachen und Umstände des Einzelfalles gegeben sein (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 10. April 1985, Zl. 84/09/0220 und Zl. 85/09/0062; ferner das hg. Erkenntnis vom 5. Juni 1985, Zl. 85/09/0067). Liegt eine besondere Härte nicht vor, dann ist die Gewährung eines Ausgleiches zu versagen, ohne daß auf die allenfalls für eine positive Ermessensübung sprechende tatsächliche wirtschaftliche Lage der Beschwerdeführerin eingegangen werden kann (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis des verstärkten Senates vom 21. April 1982 und die Erkenntnisse vom 10. April 1985, Zl. 84/09/0220, und vom 5. Juni 1985, Zl. 85/09/0067).
Die Beschwerdeführerin hält den angefochtenen Bescheid zunächst deswegen für rechtswidrig, weil die belangte Behörde verpflichtet gewesen wäre, "auf der Basis der Tatsachenvoraussetzungen des Bescheides vom 6. September 1993", in welchem die Behörde "die im persönlichen Bereich gelegenen Voraussetzungen für die Bewilligung des beantragten Härteausgleiches ... als gegeben" ansah, gemäß der Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes, daß Bedürftigkeit der Beschwerdeführerin gegeben sei, zu entscheiden.
Diese Auffassung ist nicht berechtigt. Daß die belangte Behörde nämlich im ersten Rechtsgang die im persönlichen Bereich gelegenen Voraussetzungen für die Bewilligung des beantragten Härteausgleiches als gegeben ansah, enthob sie weder von ihrer Berechtigung noch von ihrer Verpflichtung, das Vorliegen sämtlicher für die Gewährung des begehrten Härteausgleiches maßgeblicher Voraussetzungen im zweiten Rechtsgang neuerlich zu prüfen; diesbezüglich unterlag sie im vorliegenden Fall auch keiner Bindung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG.
Die Beschwerdeführerin wirft der belangten Behörde aber auch vor, daß sie keine Gelegenheit erhalten hätte, zu dem von der belangten Behörde angenommenen Umstand, daß ihr Verlobter nach Kriegsende deutscher Staatsbürger gewesen wäre, Stellung zu nehmen. Während des 2. Weltkrieges seien alle Österreicher, die in der ehemaligen Deutschen Wehrmacht gedient hätten, deutsche Staatsbürger gewesen. Der Verlobte der Beschwerdeführerin, der Vater ihrer beiden außer der Ehe geborenen Kinder gewesen sei, wäre im Falle seines Überlebens naturgemäß zu "seiner Familie" nach Tirol zurückgekehrt und dort geblieben. Er hätte alle Voraussetzungen für den Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft erfüllt und diese selbstverständlich auch beibehalten. Dies sei schließlich auch Voraussetzung dafür gewesen, daß die Beschwerdeführerin bis zum 31. Dezember 1949 aus dem Titel der Brautversorgung Abschlagszahlungen erhalten und für ihre beiden Kinder Waisenrente bezogen habe. Die Annahme, der Verlobte der Beschwerdeführerin wäre nach Kriegsende nicht Österreicher, sondern deutscher Staatsbürger gewesen bzw. geworden, sei eine Hypothese, deren tatsächliche Richtigkeit nicht mehr festgestellt oder widerlegt werden könne. Eine besondere Härte im Sinne des § 76 KOVG 1957 könne im Fall der Beschwerdeführerin in dem Umstand erblickt werden, daß ihr nunmehr unter Hinweis auf eine angebliche deutsche Staatsbürgerschaft ihres Verlobten der ihr zustehende Anspruch aberkannt werden solle.
Mit diesen Ausführungen ist die Beschwerdeführerin im Ergebnis im Recht.
Zwar ist es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß ein Witwenversorgungsanspruch nach § 36 Abs. 1 und 2 KOVG 1957 (Witwenrente bzw. Witwenbeihilfe) als abgeleiteter Witwenversorgungsanspruch nur dann zusteht, wenn der Beschädigte selbst einen Anspruch aus dem KOVG 1957 hatte, also auch gemäß § 3 Abs. 1 KOVG 1957 im Besitz der österreichischen Staatsbürgerschaft war (vgl. das insoferne von der belangten Behörde zu Recht genannte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. Oktober 1986, Zlen. 86/09/0107, 0108).
Wenn die belangte Behörde damit argumentiert, daß eine besondere Härte im Sinne des § 76 KOVG 1957 dann nicht gegeben sei, wenn für alle unter einen bestimmten Tatbestand fallenden Personen eine Versorgungsberechtigung ausgeschlossen sei, und sich in dieser Hinsicht auf das hg. Erkenntnis vom 10. April 1985, Zl. 85/09/0062, beruft, so ist ihr zu entgegnen:
Bereits die Anwendung des § 76 KOVG 1957 setzt aber voraus, daß wegen des Fehlens einer der gesetzlichen Voraussetzungen an sich kein Anspruch auf Versorgung besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Oktober 1990, Slg. Nr. N.F. 13.290/A). Daß eine Härte im Sinne des § 76 KOVG 1957 im Hinblick auf die Hinterbliebenenrente im Sinne der §§ 34 ff KOVG 1957 darin zu sehen ist, daß eine Eheschließung, bedingt durch die Kriegsereignisse bei Stalingrad, unterblieb, wobei nähere Umstände des bei Stalingrad vermißten Verlobten der Beschwerdeführerin und Vaters ihrer Kinder bis heute nicht bekannt sind, hat der Verwaltungsgerichtshof im ersten Rechtsgang im eingangs genannten Erkenntnis vom 24. Februar 1995 ausgesprochen.
Ebenso ist es Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, daß eine besondere Härte im Sinne des § 76 KOVG 1957 im Fall einer Hinterbliebenenrente auch im Umstand der Nichterfüllung der Voraussetzung der österreichischen Staatsbürgerschaft durch den Beschädigten gemäß § 3 Abs. 1 KOVG 1957 liegen kann. Eine solche besondere Härte wurde vom Verwaltungsgerichtshof etwa darin gesehen, daß der Ehegatte einer Hinterbliebenen aufgrund der politischen Ereignisse nach dem 1. Weltkrieg seine Zugehörigkeit zur österreichisch-ungarischen Monarchie verloren hatte und russischer Staatsbürger geworden war (vgl. das hg. Erkenntnis vom 20. Oktober 1988, Zl. 85/09/0160). Ähnlich gelagert ist im Hinblick auf seine besonderen Umstände auch der vorliegende Fall, in welchem sich die belangte Behörde in Verkennung der Rechtslage mit der Spekulation zufriedengibt, daß der vermißte Verlobte der Beschwerdeführerin, hätte er den Krieg überlebt, die österreichische Staatsbürgerschaft nicht erworben hätte. Der vorliegende Fall ist daher im wesentlichen jenem vergleichbar, in welchem eine besondere Härte in der Ungewißheit gesehen wurde, ob ein Leiden in kausalem Zusammenhang mit einer Dienstbeschädigung stand (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Oktober 1990, Slg. Nr. N.F. 13.290/A).
Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher das in § 76 KOVG 1957 normierte Ermessen auszuüben haben.
Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i. V.m. der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Ermessen besondere Rechtsgebiete KriegsopferversorgungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1997:1995090217.X00Im RIS seit
07.06.2001