TE Vwgh Beschluss 2020/9/10 Ra 2020/18/0195

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Veröffentlicht am 10.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des W S, vertreten durch Mag. Christian Hajos, Rechtsanwalt in 2620 Neunkirchen, MSC-Bauteil 1 / Schwarzottstraße 2a, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. April 2020, W217 2123244-2/17E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger aus der Provinz Laghman, stellte am 15. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er im Laufe des Verfahrens zusammengefasst damit begründete, ein Geschäft zum Verkauf von Musik- und Videokassetten besessen zu haben. Aufgrund dieser Tätigkeit sei er von den Taliban bedroht worden und habe sein Heimatland im Alter von 17 Jahren verlassen müssen. Im Falle seiner Rückkehr aus Europa würde ihm umso mehr eine Verfolgung durch die Taliban drohen, weil er mehrere Jahre im „feindlichen“ Westen gelebt habe und ihm deshalb eine talibanfeindliche politische Gesinnung unterstellt werde.

2        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) diesen Antrag in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 3. Februar 2017 ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG für nicht zulässig.

3        Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe eine Verfolgung durch die Taliban vor seiner Ausreise aus näher dargestellten Gründen nicht glaubhaft dargetan. Ihm drohe auch bei Rückkehr keine solche Verfolgung, insbesondere auch nicht wegen seines (etwa 4 ½ Jahre dauernden) Aufenthalts in Österreich. Aufgrund der volatilen Sicherheitslage sei dem Revisionswerber eine ungefährdete Rückkehr in die Herkunftsprovinz zwar nicht möglich, ihm stehe aber eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Mazar-e Sharif oder Herat zur Verfügung. Festgestellt werde, dass (auch) die aktuell vorherrschende - in Afghanistan aber noch ohne Meldung großer Fallzahlen aufgetretene - Pandemie aufgrund des Corona-Virus kein Rückkehrhindernis darstelle. Der Revisionswerber sei körperlich gesund und gehöre mit Blick auf sein Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an. Es bestehe keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass er bei Rückkehr nach Afghanistan eine COVID-19-Erkrankung mit schwerwiegendem oder tödlichem Verlauf bzw. mit dem Bedarf einer intensivmedizinischen Behandlung bzw. einer Behandlung im Krankenhaus erleiden würde. Dem Revisionswerber sei deshalb weder Asyl noch subsidiärer Schutz zuzuerkennen. Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine näher begründete Abwägung der für und gegen den Verbleib in Österreich sprechenden Interessen vor.

4        Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision, die zur Begründung ihrer Zulässigkeit geltend macht, das BVwG habe in Bezug auf COVID-19 festgestellt, der Revisionswerber gehöre keiner Risikogruppe an, ohne dem Revisionswerber dazu Parteiengehör zu geben. Hätte das BVwG aktuelle Quellen zum Parteiengehör vorgelegt (Hinweis auf https://ec.europa.eu/germany/news/20200615-afghanistan_de - Bericht vom 15. Juni 2020; https://www.tagesschau.de/ausland/afghanistan-coronavisu-101.html - Bericht vom 3. Mai 2020), so hätte sich ergeben, dass die Coronavirus-Pandemie Afghanistan später getroffen habe und sich die ohnedies angespannte Rückkehrlage zulasten des Revisionswerbers dramatisch verschlechtert habe. Es könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass sich ergeben hätte, dass der Revisionswerber in Bezug auf COVID-19 zu einer Risikogruppe gehöre.

5        Die Revision sei weiters zulässig, weil sich das BVwG vor dem Hintergrund der katastrophalen Berichtslage in Afghanistan mit den Befürchtungen des Revisionswerbers bei Rückkehr (auch aufgrund seiner westlichen Lebenseinstellung) nicht adäquat auseinandergesetzt habe. Das BVwG habe konkrete Recherchen zum Fluchtvorbringen des Revisionswerbers, zu seiner Integration in Österreich und der daraus resultierenden westlichen Lebenseinstellung unterlassen. Die Beweiswürdigung beschränke sich auf vorgeformte, formelhafte Textbausteine, denen jeder Begründungswert mangle. Sowohl aufgrund seines langen Aufenthalts in Europa als auch seines Aufenthalts davor im Iran und seiner vollständigen Annahme einer liberal-westlichen Lebenseinstellung, die sowohl innerlich als auch äußerlich erkennbar sei, wäre der Revisionswerber bei Abschiebung nach Afghanistan mit dem Tode bedroht.

6        Die Revision sei auch erforderlich und zulässig, da die Ausführungen zum subsidiären Schutz nicht nachvollziehbar seien. Eine Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat sei dem Revisionswerber aufgrund der Sicherheitslage und der katastrophalen Wirtschafts-, Wohnungs- und Versorgungslage nicht zumutbar. Hätte das BVwG „aktuelle Quellen zum Parteiengehör vorgelegt, hätte sich ergeben, dass die vielen Rückkehrer und die Corona Virus Pandemie die ohnehin angespannte Rückkehrlage zulasten des [Revisionswerbers] dramatisch verschlechtert“ habe und dem Revisionswerber subsidiärer Schutz zu gewähren sei.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

8        Die Revision hält dem BVwG vor, sich mit dem Fluchtvorbringen des Revisionswerbers nur unzureichend beschäftigt zu haben. Sie wirft dem BVwG vor, seine Beweiswürdigung nur mit Textbausteinen ohne jeglichen Begründungswert begründet zu haben. Dabei übergeht die Revision stillschweigend die mehrere Seiten umfassenden und zahlreiche Widersprüche in den Aussagen des Revisionswerbers aufzeigenden beweiswürdigenden Erwägungen des Verwaltungsgerichts. Schon deshalb gelingt es ihr nicht, eine unvertretbare Beweiswürdigung des BVwG darzutun. Wenn sie die asylrelevante Rückkehrgefährdung aus der während des Aufenthalts im Iran und in Europa erlangten „westlichen Lebenseinstellung“ des Revisionswerbers ableiten möchte, ist ihr zu erwidern, dass der Revisionswerber im Iran nach eigenen Angaben keinen Aufenthalt genommen, sondern diesen auf der Flucht nur passiert hatte, und der Revisionswerber eine in Österreich adaptierte „westliche Lebensweise“, die ihn bei Rückkehr nach Afghanistan Verfolgung aussetzen könnte, im Laufe des Verfahrens nicht näher dargelegt hat. Dass dem Revisionswerber allein aufgrund seines mehrjährigen Aufenthalts in Österreich bei Rückkehr keine asylrelevante Verfolgung drohen würde, hat das BVwG im Übrigen nachvollziehbar dargestellt.

9        Soweit die Revision die schlechte Sicherheits- und Versorgungslage auch in den Städten Mazar-e Sharif und Herat ins Treffen führt, bleiben ihre Einwände gegen die angefochtene Entscheidung abstrakt und allgemein. Es wird nicht dargelegt, aufgrund welcher „aktuellen Quellen“ das BVwG zu einer Lageeinschätzung gelangen hätte sollen, die eine Heranziehung dieser afghanischen Städte im konkreten Einzelfall als zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative ausschließen würden.

10       In Bezug auf einen allfälligen subsidiären Schutz wegen der weltweiten Corona-Pandemie ist zunächst festzuhalten, dass sich das BVwG in seinem Erkenntnis vom 16. April 2020 mit dieser Frage insoweit beschäftigt hat, als es eine maßgebliche Gefahr der Erkrankung des Revisionswerbers - bezogen auf die Lage im Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichts - verneint hat. Dem hält die Revision entgegen, das BVwG habe das Parteiengehör des Revisionswerbers verletzt, ohne jedoch darzutun, welches relevante Vorbringen dadurch nicht erstattet werden konnte. Die Revision zeigt nicht einmal ansatzweise auf, dass der Revisionswerber einer Risikogruppe angehören würde, die entgegen den Feststellungen des BVwG Gefahr liefe, an COVID-19 schwer zu erkranken. Es werden auch keine sonstigen Umstände konkret behauptet, die unter dem Blickwinkel der Corona-Pandemie einer Rückkehr des Revisionswerbers in die als innerstaatliche Fluchtalternative ins Auge gefassten afghanischen Städte entgegenstehen könnten. Die von der Revision zitierten Berichte, welche die dramatische Verschlechterung der Lage infolge der Pandemie belegen sollen, datieren nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses und sind daher schon deshalb nicht geeignet, die Einschätzung des BVwG als rechtswidrig erscheinen zu lassen.

11       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180195.L00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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