TE Vwgh Beschluss 2020/9/10 Ra 2020/18/0160

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Veröffentlicht am 10.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

B-VG Art133 Abs4
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin sowie die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A Z, vertreten durch Mag. Bettina Breitmeyer, Rechtsanwältin in 1070 Wien, als bestellte Verfahrenshelferin, diese vertreten durch Mag.Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. März 2020, W270 2224265-1/10E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 1. Juli 2019 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 18. September 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte die Zulässigkeit seiner Abschiebung nach Afghanistan fest und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG - soweit für das Revisionsverfahren relevant - zur Nichtgewährung subsidiären Schutzes aus, dass eine Rückkehr in die Heimatprovinz des Revisionswerbers aufgrund der unsicheren Erreichbarkeit nicht möglich sei, ihm jedoch eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative in Mazar-e Sharif zur Verfügung stehe. Die sozioökonomischen Rahmenbedingungen für einen Rückkehrer in der Stadt Mazar-e Sharif seien sicherlich schwierig. Ein Zugang zu Grundversorgung, medizinischer Versorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt sei in der Stadt jedoch gegeben. Aufgrund der allgemeinen Rahmenbedingungen und der näher dargestellten persönlichen Verhältnisse des Revisionswerbers, aufgrund derer er keiner besonders vulnerablen Personengruppe zuzurechnen sei, sei eine Neuansiedlung in dieser Stadt möglich und zumutbar. Im Hinblick auf die COVID-19-Pandemie traf das BVwG - mit Stand vom 23. März 2020, also acht Tage vor Erlassung des bekämpften Erkenntnisses - Feststellungen zu den bis dahin niedrigen Fallzahlen in Afghanistan, dem - soweit bekannt - Verlauf der Erkrankung und den Risikogruppen, zu denen der Revisionswerber nicht gehöre.

5        Die vorliegende außerordentliche Revision richtet sich gegen die Nichtzuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten. Zu ihrer Zulässigkeit bringt sie im Wesentlichen vor, das BVwG habe die Verpflichtung zur Beachtung von zum Entscheidungszeitpunkt aktuellen Länderberichten missachtet und keine aktuellen, der exzeptionellen Situation der Covid-19-Pandemie Rechnung tragenden Länderfeststellungen getroffen. Das BVwG wäre verpflichtet gewesen, dem Revisionswerber zu der weltweiten Covid-19-Situation rechtliches Gehör zu gewähren und die von ihm herangezogenen Länderberichte zur Stellungnahme zu übermitteln. Hätte das BVwG das Parteiengehör gewahrt, wäre es zu dem Schluss gekommen, dass aufgrund der Covid-19-Pandemie exzeptionelle Umstände vorlägen und für den Fall einer Rückkehr des Revisionswerbers in seinen Herkunftsstaat die reale Gefahr einer Verletzung seiner Rechte nach Art. 2 und 3 EMRK bestehe und keine sichere und zumutbare Neuansiedlungsalternative vorliege. Es fehle an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Frage.

6        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

7        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

8        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

9        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

10       Dem Revisionsvorbringen, es fehle Rechtsprechung in Bezug auf die Covid-19-Pandemie und deren rechtliche Einordnung im Hinblick auf subsidiären Schutz, ist zu entgegnen, dass der Verwaltungsgerichtshof seine Rechtsprechung zu § 8 Abs. 1 AsylG 2005 (bzw. bei drohender Verletzung von Art. 2 oder 3 EMRK) auch für die aktuell in Diskussion stehende Corona-Pandemie nutzbar gemacht hat (vgl. VwGH 21.8.2020, Ra 2020/18/0146, mwN). Es trifft daher nicht zu, dass keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu dieser Rechtsfrage vorliegt.

11       Soweit die Revision rügt, das BVwG habe nicht vor dem Hintergrund aktueller Länderberichte entschieden und dem Revisionswerber zur Covid-19-Situation in Afghanistan kein Parteiengehör gewährt, ist zunächst darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des BVwG gemäß § 41 VwGG auf der Grundlage der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses zu prüfen hat (vgl. etwa jüngst VwGH 2.7.2020, Ra 2020/20/0212, mwN).

12       Die Revision legt zwar dar, dass die WHO am 11. März 2020 eine weltweite Pandemie ausgerufen und in den Medien schon vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses Berichte über erste Erkrankungsfälle in Afghanistan und deren mögliche Auswirkungen für das Land vorhanden waren, sie zeigt aber nicht hinreichend konkret auf, dass auf der Grundlage der damals verfügbaren Informationen die Einschätzung des BVwG, der Revisionswerber finde ungeachtet dessen in seiner konkreten Situation in der Stadt Mazar-e Sharif eine innerstaatliche Fluchtalternative vor, mit den Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zur Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative unvereinbar gewesen wäre. Sie legt damit auch die Relevanz der behaupteten Verfahrensmängel nicht dar.

13       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180160.L00

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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