TE Vwgh Beschluss 2020/9/10 Ra 2020/18/0030

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 10.09.2020
beobachten
merken

Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art2
MRK Art3
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer als Richterin und die Hofräte Mag. Nedwed und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des E B, vertreten durch Mag. Eva Velibeyoglu, Rechtsanwältin in 1100 Wien, Columbusgasse 65/22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Dezember 2019, I416 2196068-1/26E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein senegalesischer Staatsangehöriger, beantragte am
15. September 2015 internationalen Schutz.

2        Im ersten Rechtsgang wurde dieser Antrag hinsichtlich des Status des Asylberechtigten rechtskräftig abgewiesen. Hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten und der darauf aufbauenden weiteren Spruchpunkte wurde das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom 1. Dezember 2018 jedoch mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Juli 2019, Ra 2019/18/0022, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

3        Unter Hinweis auf das Vorbringen des Revisionswerbers zu seiner Erkrankung an der Sichelzellenanämie hielt der Verwaltungsgerichtshof fest, dass das BVwG zu Unrecht jegliche Ermittlungstätigkeit dazu unterlassen habe, obwohl in Kombination mit den getroffenen Länderfeststellungen zur schlechten medizinischen Versorgung im Senegal nicht ausgeschlossen werden könne, dass dem Revisionswerber subsidiärer Schutz zuzuerkennen wäre. Insoweit habe auch eine mündliche Verhandlung nicht unterbleiben dürfen.

4        Im fortgesetzten Verfahren legte der Revisionswerber über Aufforderung des BVwG diverse ärztliche Befunde zu seiner Erkrankung vor und es fand am 20. November 2019 eine mündliche Verhandlung statt.

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers in Bestätigung eines entsprechenden Bescheides des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18. April 2018 hinsichtlich des begehrten Status des subsidiär Schutzberechtigten ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), erließ eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Senegal zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

6        Begründend stellte es zusammengefasst fest, der Revisionswerber stamme - soweit feststellbar - aus dem Senegal, sei volljährig, ledig und arbeitsfähig. Er leide an der heterozygoten Form der Sichelzellenanämie, bei der es sich im Vergleich zu den homozygoten Formen der Erkrankung um eine mildere Erkrankungsform handle. Wegen der Erkrankung habe er sich in unregelmäßigen Abständen in ambulante klinische Betreuung begeben, jedoch zeigten die Befunde keine Hinweise auf eine Verschlechterung seiner Krankheit, wobei nicht verkannt werde, dass der Revisionswerber wechselnde Gelenkschmerzen habe, welche jedoch mit der Einnahme der Medikamente eine Verbesserung erfahren würden. Er sei nie in stationärer Behandlung gewesen und es sei auch keine darüberhinausgehende Behandlung durch einen niedergelassenen Arzt erfolgt. Eine entsprechende Gravität der Krankheit sei im Fall des Revisionswerbers daher nicht feststellbar. Im Senegal gebe es außerdem in der Hauptstadt Dakar Einrichtungen bzw. Kliniken zur Behandlung der Sichelzellenanämie; die erforderlichen Medikamente bzw. Wirkstoffe seien im Senegal vorhanden. Auf dieser Grundlage drohe dem Revisionswerber bei Rückführung in den Senegal kein reales Risiko einer Verletzung seiner durch Art. 2 und 3 EMRK geschützten Rechte.

7        Zur Rückkehrentscheidung nahm das BVwG eine Abwägung der für und gegen den Verbleib des Revisionswerbers in Österreich sprechenden Umstände nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vor. Die behauptete Lebensgemeinschaft mit einer österreichischen Staatsangehörigen habe der Revisionswerber nicht unter Beweis stellen können. Selbst unter dem Zugeständnis des Vorliegens einer familiären Beziehung handle es sich aber um eine solche geringer Intensität und auch die Integration des Revisionswerbers in Österreich sei, wie näher dargelegt wird, gering. Vor diesem Hintergrund sei ein Eingriff in das Familien- und Privatleben des Revisionswerbers zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung auf dem Gebiet des Fremdenwesens gerechtfertigt und verhältnismäßig.

8        Dagegen wendet sich die außerordentliche Revision, die zur Zulässigkeit im Wesentlichen geltend macht, die Nichtgewährung von subsidiärem Schutz widerspreche „deutlich der herrschenden Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes“, sodass eine grundsätzliche Rechtsfrage vorliege. Der Revisionswerber habe im Verfahren angegeben, dass seine Krankheit einen deutlichen Abwärtstrend aufweise und ein neuer Therapieplan erstellt werden müsse. Er stamme nicht aus der Hauptstadt Dakar und habe keine Bezüge dorthin. Generell könne er sich nicht auf ein soziales Netzwerk verlassen. Dazu komme, dass er gegen einen häufigen Bestandteil vieler Medikamente allergisch sei und sich seine Behandlung dadurch erheblich aufwändiger gestalte. Die Feststellung des BVwG, dass der Revisionswerber arbeitsfähig sei, sei aktenwidrig, da es im Krankheitsverlauf einen Abwärtstrend gebe und er ständig unter Schmerzen leide. Unbestritten sei die Aussage der Zeugin (seiner Lebensgefährtin) geblieben, dass er drei- oder viermal pro Woche Schmerzattacken habe und dann Schmerzmittel einnehmen müsse. Notwendige sachverständige Erhebungen fehlten im Verfahren. Dass für einen chronisch Kranken die Erwirtschaftung des Lebensunterhalts samt medizinischer Behandlungskosten im Senegal möglich sei, werde im gesamten Erkenntnis nicht einmal behauptet. Das Erkenntnis widerspreche aber auch der Rechtsprechung zu Art. 8 EMRK, weil der Revisionswerber schon über vier Jahre im Bundesgebiet sei, sich immer wohlverhalten habe und die Zeit zur Integration genützt habe. Er habe familiäre Bindungen zu seiner Lebensgefährtin aufgebaut und im Hinblick auf die Weiterführung der Therapien ein privates Interesse am Verbleib in Österreich.

9        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan:

10       Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Hat das Verwaltungsgericht - wie im vorliegenden Fall - im Erkenntnis ausgesprochen, dass die Revision nicht zulässig ist, muss die Revision gemäß § 28 Abs. 3 VwGG auch gesondert die Gründe enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird.

Der Verwaltungsgerichtshof ist bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden. Er hat die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß § 34 Abs. 1a VwGG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe zu überprüfen. Liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG danach nicht vor, ist die Revision gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

11       Das BVwG hat im fortgesetzten Verfahren die im ersten Rechtsgang unterlassene mündliche Verhandlung nachgeholt und sich insbesondere mit der Erkrankung des Revisionswerbers näher auseinander gesetzt. Nach den insoweit unbestrittenen Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis leidet der Revisionswerber an einer heterozygoten Form der Sichelzellenanämie und befindet sich deshalb in keiner speziellen Therapie oder Dauerbehandlung, sondern nehme - wie auch die Revision zugesteht - bei Bedarf Schmerzmittel ein, die grundsätzlich auch im Senegal erhältlich sind.

12       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben, wobei die Kosten der Behandlung und Medikamente, das Bestehen eines sozialen und familiären Netzwerks und die für den Zugang zur Versorgung zurückzulegende Entfernung zu berücksichtigen sind. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. etwa VwGH 21.2.2017, Ra 2017/18/0008, 0009, unter Hinweis auf EGMR vom 13. Dezember 2016, Nr. 41738/10, Paposhvili gegen Belgien, Rz 183).

13       Dem BVwG kann nicht entgegen getreten werden, wenn es ausgehend von seinen Feststellungen zur (milden Form der) Krankheit des Revisionswerberszu dem Ergebnis gelangte, dass diese keine solche Schwere erreicht, dass die Rückführung in den Herkunftsstaat zu einer dem Art. 2 oder 3 EMRK widersprechenden Lebenssituation führen würde (vgl. etwa ebenfalls einen Fall der heterozygoten Sichelzellenanämie betreffend VwGH 11.4.2018, Ra 2018/20/0040).

14       Wenn die Revision von einem „Abwärtstrend“ bei der Entwicklung der Krankheit, von „ständigen Schmerzen“ und von mangelnder Arbeitsfähigkeit des Revisionswerbers spricht, findet diese Einschätzung in den Feststellungen des BVwG, die wiederum auf den vorgelegten medizinischen Unterlagen (zur Krankheit) und auf den Angaben des Revisionswerbers selbst (zur Arbeitsfähigkeit) beruhen, keine Deckung. Der Revision gelingt es daher nicht, insoweit eine relevante Fehlerhaftigkeit der angefochtenen Entscheidung aufzuzeigen.

15       In Bezug auf die Rückkehrentscheidung ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine im Einzelfall vorgenommene Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. etwa jüngst VwGH 15.7.2020, Ra 2019/01/0511, mwN). Die Revision entfernt sich zum Teil begründungslos von den Feststellungen des BVwG zum Familien- und Privatleben des Revisionswerbers, wenn sie von schützenswerten familiären Beziehungen und einer guten Integration des Revisionswerbers in Österreich auszugehen scheint. Sie zeigt schon deshalb nicht auf, dass die Interessenabwägung des BVwG nach Art. 8 EMRK unvertretbar erfolgt wäre.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

Wien, am 10. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180030.L00

Im RIS seit

20.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

20.10.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten