TE Vwgh Beschluss 2020/9/11 Ra 2020/18/0306

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Veröffentlicht am 11.09.2020
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer, den Hofrat Dr. Sutter und die Hofrätin Dr.in Sembacher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Wuketich, über die Revision des A Q, vertreten durch Dr. Benno Wageneder, Rechtsanwalt in 4910 Ried/Innkreis, Promenade 3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 2019, W263 2149898-1/32E, betreffend eine Asylangelegenheit (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 16. Dezember 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 21. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz zur Gänze ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei, und legte eine Frist von 14 Tagen für die freiwillige Ausreise fest.

3        Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) nach Durchführung einer Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab und erklärte die Revision für nicht zulässig.

4        Begründend führte das BVwG zusammengefasst aus, es habe sich betreffend den Herkunftsstaat des Revisionswerbers keine asylrelevante Verfolgung ergeben. Zur Nichtgewährung von subsidiärem Schutz hielt das BVwG fest, dass der gesunde und erwerbsfähige Revisionswerber, der über Schulbildung, Berufserfahrung, Kenntnisse der infrastrukturellen Gegebenheiten sowie über (familiäre) Netzwerke in Kabul verfüge, in seine Heimatstadt Kabul zurückkehren könne. Ihm stehe zudem eine innerstaatliche Fluchtalternative in den Städten Herat und Mazar-e Sharif offen. Im Rahmen der Rückkehrentscheidung führte das BVwG eine näher begründete Interessenabwägung im Sinne des § 9 BFA-VG durch und kam zu dem Ergebnis, dass bei der seit etwas über zwei Jahren bestehenden Beziehung des Revisionswerbers aus näher genannten Gründen nicht von einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft auszugehen sei. Auch seien zwischen den Partnern keine besonderen Abhängigkeiten hervorgekommen. Zum Privatleben des Revisionswerbers führte das BVwG aus, dass die näher genannten integrativen Bemühungen des Revisionswerbers noch keine über das übliche Maß hinausgehenden Integrationsmerkmale darstellten und diese, wie auch seine in Österreich eingegangenen Bindungen, zu einem Zeitpunkt gesetzt worden seien, in dem sich der Revisionswerber seines unsicheren Aufenthaltsstatus habe bewusst sein müssen. Insgesamt sei die Bindung des Revisionswerbers zu Afghanistan, insbesondere auch unter dem Aspekt des Familienlebens, deutlich intensiver als jene zu Österreich.

5        Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde zu E 246/2020 ab und trat die Behandlung der Beschwerde gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG mit Beschluss vom 9. Juni 2020 an den Verwaltungsgerichtshof ab.

6        Die vorliegende außerordentliche Revision wendet sich gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung und bringt zu ihrer Zulässigkeit im Wesentlichen vor, dem BVwG sei im Rahmen der durchgeführten Interessenabwägung iSd Art. 8 EMRK eine vom Verwaltungsgerichtshof aufzugreifende krasse Fehlbeurteilung unterlaufen. Das BVwG habe dabei die Bindung des Revisionswerbers zu Afghanistan als deutlich intensiver bewertet als jene zu Österreich, und die Beziehung zu seiner Mutter und seinem Bruder, aber nicht jene zu seiner Partnerin in Österreich, als Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK qualifiziert.

7        Mit diesem Vorbringen wird die Zulässigkeit der Revision nicht dargetan.

8        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

9        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

10       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

11       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG.

12       Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. zum Ganzen VwGH 3.6.2020, Ra 2020/20/0161, mwN).

13       Das BVwG berücksichtigte im vorliegenden Fall zugunsten des Revisionswerbers etwa die Aufenthaltsdauer seit Dezember 2014, seine Deutschkenntnisse, seine in Österreich ausgeübten Erwerbstätigkeiten und ehrenamtlichen Tätigkeiten sowie auch die Beziehung zu seiner Partnerin.

14       Das BVwG, das die Partnerin des Revisionswerbers als Zeugin einvernommen hat, ging davon aus, dass die seit etwas über zwei Jahren bestehende Beziehung mangels Zusammenlebens in einem gemeinsamen Haushalt und anderer verbindender Faktoren, wie etwa gemeinsamer Kinder oder gegenseitiger Abhängigkeiten, kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK darstelle. Das BVwG legte mit diesen Ausführungen vertretbar dar, dass im gegenständlichen Fall keine hinreichend stark ausgeprägte persönliche Nahebeziehung vorliege. Die Auffassung, wonach fallbezogen keine eheähnliche Lebensgemeinschaft vorliege, wirft somit keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf (vgl. etwa zur Frage, ob eine nichteheliche Lebensgemeinschaft ein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK begründet VwGH 17.12.2019, Ro 2019/18/0006, VwGH 11.3.2020, Ra 2019/18/0382; VwGH 22.6.2020, Ra 2019/19/0539, jeweils mwN).

15       Es ist somit nicht ersichtlich, dass das BVwG bei seiner Einschätzung, das öffentliche Interesse an der Aufenthaltsbeendigung überwiege die persönlichen Interessen des Revisionswerbers, eine unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalles vorgenommen hat. Die Revision vermag auch nicht darzulegen, dass diese Abwägung mit den oben genannten Leitlinien der höchstgerichtlichen Rechtsprechung in Widerspruch stünde.

16       Wenn der Revisionswerber erstmals in der Revision ins Treffen führt, dass er und seine Partnerin nach der Erlassung des Erkenntnisses des BVwG zusammengezogen seien, ist darauf hinzuweisen, dass der Berücksichtigung dieses Vorbringens das im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltende Neuerungsverbot (§ 41 VwGG) entgegensteht und dieses Vorbringen schon deswegen im Revisionsverfahren keine Beachtung finden kann (vgl. VwGH 6.5.2020, Ra 2020/20/0093, mwN).

17       Soweit die Revision vorbringt, das Erkenntnis sei drei Tage vor Vollendung des fünfjährigen Aufenthaltes des Revisionswerbers und damit drei Tage vor der Möglichkeit eines Verfahrens nach § 56 AsylG erlassen worden, ist auch darin keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung zu erblicken.

18       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 11. September 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020180306.L00

Im RIS seit

02.11.2020

Zuletzt aktualisiert am

02.11.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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