Index
L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art18 Abs1Leitsatz
Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer BausperreV mangels Darlegung der beabsichtigten Änderungen des BebauungsplanesSpruch
Der Beschluß des Gemeinderates der Stadt Wien vom 4. Mai 1992, Pr.Zl. 1207 (Plandokument Nr. 6394), kundgemacht im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 20/1992, in der Fassung des Beschlusses des Gemeinderates der Stadt Wien vom 15. April 1994, Pr.Zl. 1104, kundgemacht im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 17/1994, war gesetzwidrig.
Die Wiener Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Gemeinderat der Stadt Wien faßte am 4. Mai 1992 den Beschluß über eine Bausperre, welcher im Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 20/1992 vom 14. Mai 1992 mit folgendem Wortlaut kundgemacht wurde:
"Gemäß §8 Abs4 der Bauordnung für Wien wird bekanntgegeben, daß der Gemeinderat mit Beschluß vom 4. Mai 1992, PrZ 1207, unter Anwendung des §8 Abs2 BO für Wien entsprechend dem Magistratsantrag die Verhängung einer zeitlich begrenzten Bausperre über das Gebiet zwischen Wittgensteinstraße, Dostalgasse, Jaunerstraße, Linienzug 1-2, Felixgasse und Anatourgasse, im 13. Bezirk, KatG Aufhof, die zeitlich begrenzte Bausperre verhängt hat."
Diese Bausperre wurde mit Beschluß des Gemeinderates vom 15. April 1994, Pr.Zl. 1104 (Amtsblatt der Stadt Wien Nr. 17/1994 vom 28. April 1994) um ein Jahr verlängert. Sie wurde mit dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan Plandokument Nr. 6561 (Beschluß des Gemeinderates der Stadt Wien vom 30. Juni 1994, Pr.Zl. 2036/94) aufgehoben.
2. Unter Berufung auf die eben wiedergegebene Verordnung über die Bausperre versagte die im Devolutionsweg angerufene Bauoberbehörde für Wien der Beschwerdeführerin des hg. Beschwerdeverfahrens B1542/94 mit Bescheid vom 20. Mai 1994 die Bewilligung, in Wien 13., Oskar-Jascha-Gasse 56, (auf dem zum Gutsbestand ihrer Liegenschaft EZ 2278 KG Auhof gehörigen Grundstück 2119) ein Einfamilienhaus zu errichten. Die im Einreichprojekt vorgesehene gekuppelte Bauweise (an der linken Grundgrenze) entspräche zwar dem Flächenwidmungs- und Bebauungsplan Plandokument 5804, sei aber mit der im ausgearbeiteten Entwurf eines neuen Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes (Plandokument Nr. 6561) vorgesehenen offenen Bauweise nicht vereinbar.
Gegen diesen Bescheid der Bauoberbehörde richtet sich die unter B1542/94 protokollierte Verfassungsgerichtshofbeschwerde, in welcher die Beschwerdeführerin insbesondere die Gesetzmäßigkeit der herangezogenen Verordnung über die Bausperre kritisiert und die amtswegige Einleitung eines Verordnungsprüfungsverfahrens anregt.
3. Der Verfassungsgerichtshof beschloß - die Anregung der Beschwerdeführerin zu B1542/94 aufgreifend - gemäß Art139 Abs1 B-VG die Gesetzmäßigkeit der Verordnung des Gemeinderates der Stadt Wien vom 4. Mai 1992 idF der Verordnung vom 15. April 1994 von Amts wegen zu prüfen. Er ging von ihrer Präjudizialität aus und bezweifelte ihre Gesetzmäßigkeit deshalb, weil sie die beabsichtigten Änderungen des Bebauungsplanes nicht zum Ausdruck bringe. Der Gerichtshof nahm hiezu auf die Entscheidungsgründe seiner Erkenntnisse VfSlg. 10953/1986 und 7287/1974 Bezug und legte im einzelnen folgendes dar:
"Der Verfassungsgerichtshof verweist zunächst auf sein Erk. VfSlg. 10953/1986, mit dem eine Verordnung des Gemeinderates der Stadt Wien über die Verhängung einer Bausperre als gesetzwidrig aufgehoben wurde. Die dort wiedergegebenen, zur Beurteilung der Gesetzmäßigkeit der geprüften Verordnung herangezogenen Gesetzesbestimmungen, nämlich die Absätze 2 und 4 des §8 BauO f Wien idF der Bauordnungsnovelle 1976, LGBl. 18, gehören weiterhin dem geltenden Rechtsbestand an (und zwar mit der bloß formalen Modifikation, daß der Abs4 durch die Novelle LGBl. 7/1990 die Absatzbezeichnung 5 erhielt). Im Erk. VfSlg. 10953/1986 ging der Gerichtshof davon aus, daß die Absätze 2 und 4 im §8 durch die Bauordnungsnovelle 1976 zwar zur Gänze neu gefaßt worden seien, in der maßgeblichen Beziehung jedoch inhaltlich gegenüber der früheren, das Erk. VfSlg. 7287/1974 bestimmenden Fassung keine Änderung erfahren hätten. Dementsprechend blieb der Gerichtshof auf dem schon in diesem Erkenntnis eingenommenen Standpunkt, daß anläßlich der Verhängung der Bausperre die beabsichtigten Änderungen des Bebauungsplanes in der kundgemachten Verordnung zum Ausdruck zu bringen seien; die Ermächtigung, eine Bausperre zu verhängen, müsse - wie dies im Erk. VfSlg. 7287/1974 eingehend dargelegt worden sei - so verstanden werden, daß die zu erlassende Verordnung - dem verfassungsrechtlichen Determinierungsgebot (Art18 Abs1 B-VG) entsprechend - den Maßstab für die baubehördliche Entscheidung im Einzelfall liefert und so auch die nachprüfende Kontrolle der Entscheidung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ermöglicht."
II. Der Gemeinderat der Stadt Wien erstattete eine Äußerung, in welcher er zunächst ausführte, daß er der Annahme der Präjudizialität der in Prüfung gezogenen Verordnung nicht entgegentrete. Zu den Bedenken gegen die Gesetzmäßigkeit der Verordnung legte der Gemeinderat folgendes dar:
"Durch die Verhängung einer zeitlich begrenzten Bausperre gemäß §8 Abs2 BO wird die Erteilung von Baubewilligungen oder Grundabteilungsbewilligungen nicht schlechthin unzulässig. Bewilligungen sind vielmehr zu erteilen, soweit die Bauführungen oder Grundabteilungen die Durchführung der beabsichtigten Änderungen des Bebauungsplanes nicht erschweren oder verhindern. Durch die Rechtsprechung (vgl. Erk. d. VfGH v. 8.6.1970, Slg. 6178) ist weiter klargestellt, daß Bauvorhaben überdies dem weiter geltenden, aber durch die Bausperre überdeckten Flächenwidmungs- und Bebauungsplan entsprechen müssen.
Der Gemeinderat räumt ein, daß die in der letztgenannten Gesetzesbestimmung vorgesehene Bewilligung von Neu-, Zu- und Umbauten oder Grundabteilungen während einer zeitlich begrenzten Bausperre nur dann als einer nachprüfbaren Kontrolle durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechtes zugänglich und damit rechtsstaatlichen Grundsätzen entsprechend angesehen werden kann, wenn die Bewilligungsvoraussetzungen eindeutig bestimmt sind. Als Sitz der ausreichenden Determinierung kommt einerseits - entsprechend der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes - die Verordnung in Betracht, mit welcher die zeitlich begrenzte Bausperre verhängt wurde. Andererseits ist denkbar, daß die Verordnung über die Verhängung der zeitlich begrenzten Bausperre keinen Maßstab für die Bewilligungsfähigkeit von Projekten liefert, dieser Maßstab aber auf eine im Gesetz näher bestimmte Weise zu ermitteln ist. Den letztgenannten Weg hat der Gesetzgeber im §8 Abs2 BO anscheinend eingeschlagen.
Die Baubehörden haben daher stets die künftige Gestaltung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes und damit den Maßstab für die Bewilligungsfähigkeit von Projekten, die während einer Bausperre nach §8 Abs2 BO eingereicht wurden, nicht dem Beschluß über die Verhängung der Bausperre entnommen, sondern durch Ermittlungen gewonnen. Die Behörden befanden sich dabei in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, der im Erkenntnis vom 27. Februar 1962, Slg. 5731 A, zu §8 Abs2 BO ausgeführt hatte: 'Die Frage, ob eine Bauführung die beabsichtigte Regulierung erschwert oder verhindert, gehört zum Sachverhalt. Der Sachverhalt ist von der erkennenden Behörde im Wege eines Ermittlungsverfahrens festzustellen.' Daß die der Behörde abverlangte Sachverhaltsfeststellung nicht einfach die Frage betraf, ob ein bestimmtes Projekt mit den aus der Bausperrverordnung ersichtlichen künftigen Bebauungsbestimmungen vereinbar war, sondern die künftigen Bebauungsbestimmungen selbst a l s S a c h v e r h a l t zu ermitteln waren, ergibt sich aus dem Fehlen von Angaben über die beabsichtigten Änderungen in den kundgemachten Bausperrbeschlüssen. Solche Angaben fehlten auch in dem Beschluß des Wiener Gemeinderates vom 10. April 1959, Pr.Z. 841/59 (die Bausperre wurde durch Gemeinderatsbeschluß vom 15. März 1961 verlängert), der dem Erkenntnis vom 27. Februar 1962 zugrundelag.
Zu diesen Überlegungen kommt, daß die Forderung, die Verordnung über die Verhängung der Bausperre müsse bereits den Maßstab für die Bewilligungsfähigkeit von Projekten bereitstellen, also die Änderungsabsichten konkret anführen, auf die Forderung nach der Erlassung eines Bebauungsplanes mit zeitlich begrenzter Geltung hinausläuft. Zwar wird dem Gemeinderat im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. März 1974, Slg. 7287, zugestanden, daß ihm die Entscheidung darüber vorbehalten bleibt, ob die beabsichtigten Änderungen des Bebauungsplanes auch tatsächlich vorgenommen werden, doch ändert dies nichts daran, daß der Beschluß über die Bausperre in seiner Wirkung einem provisorischen Bebauungsplan gleichkäme, der bloß ohne weiteres wieder abgeändert werden könnte. Anders als dadurch, daß sie auch die vollständigen Bebauungsbestimmungen enthält, könnte eine Bausperrverordnung dem Anspruch, Maßstab für die Bewilligungsfähigkeit von Bau- oder Grundabteilungsvorhaben zu sein, nicht genügen. Insbesondere reichte eine Angabe der Änderungsabsichten 'in großen Zügen' für diesen Zweck nicht aus, sind es doch in der Praxis der Baubehörde gerade die zusätzlichen Festsetzungen nach §5 Abs4 BO, welche die Bewilligungsfähigkeit bestimmen.
Nach Auffassung des Gemeinderates ist der Gesetzgeber nicht davon ausgegangen, daß ein Beschluß des Gemeinderates, mit dem eine zeitlich begrenzte Bausperre verhängt wird, bereits konkrete Änderungsabsichten voraussetzt. Die zeitlich begrenzte Bausperre wird vielmehr als eine Einrichtung gesehen, die es dem Gemeinderat ermöglicht, bei Vorliegen der allgemeinen Voraussetzungen für eine Abänderung des Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes eine Überarbeitungsfrist zu gewinnen, in welcher der Magistrat und letztlich er selbst ungestört durch rechtlich nicht verhinderbare Bauführungen oder Grundabteilungen die Neugestaltung erarbeiten können. Der Gemeinderat geht davon aus, daß ein seiner bisherigen Praxis entsprechender Beschluß über die Verhängung einer zeitlich begrenzten Bausperre keinen geeigneten Maßstab für die Entscheidung über Ansuchen um Bau- oder Grundabteilungsbewilligungen darstellt, einen solchen Maßstab aber auch nicht bieten muß, da die Planungsabsichten gemäß §8 Abs2 BO im einzelnen Baubewilligungsverfahren als Sachverhalt zu ermitteln sind."
III. 1. Dem eingeleiteten Verordnungsprüfungsverfahren stehen - wie auch der Gemeinderat der Stadt Wien ausdrücklich einräumt - Verfahrenshindernisse nicht entgegen.
2. Die Bedenken hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit der in Prüfung gezogenen Verordnung erweisen sich als gerechtfertigt. Der Verfassungsgerichtshof vermag den Einwendungen des Gemeinderates, mit denen er die Vorjudikatur des Gerichtshofs in Frage stellt, nicht beizupflichten.
a) Wenn der Gemeinderat einerseits unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (s. außer dem in der Äußerung angeführten Erk. weiters etwa VwSlg. 8438/A/1973, VwSlg. 8578/A/1974, VwGH 17.1.1984, Zl. 83/05/0184, 10.4.1984, Zl. 84/05/0019, VwGH 22.1.1991, Zl. 90/05/0160) die Meinung vertritt, daß die Änderungsabsichten der planenden Behörde als Maßstab für die Bewilligungsfähigkeit eines Bauvorhabens als ein Sachverhalt zu ermitteln seien, so beruht diese Ansicht auf einer Betrachtungsweise, welche die Situation der Baubehörde in Ansehung eines ihr schon vorliegenden Projektes in den Vordergrund stellt, die in der Vorjudikatur des Verfassungsgerichtshofs betonten Rechtsschutzinteressen des potentiellen Bauwerbers hingegen weitgehend vernachlässigt. Ein künftiger Bauwerber ist - anders als die Baubehörde, die sich bloß mit dem ihr vorliegenden konkreten Projekt auseinanderzusetzen hat - regelmäßig gehalten, verschiedene Möglichkeiten der Bebauung eines bestimmten Grundstücks ins Auge zu fassen, und es kommt zu diesem höheren Informationsbedarf der evidente Nachteil hinzu, bloß behördenintern festgehaltene beabsichtigte Änderungen des Bebauungsplanes nicht in der gleichen Weise ermitteln zu können wie die zur wechselseitigen Amtshilfe verpflichteten Dienststellen derselben Behörde. Der Verfassungsgerichtshof ist daher der Meinung, daß ein potentieller Bauwerber nicht in diesem Sinn mit einer ungewissen, von ihm nicht zureichend genau erkennbaren generellen Rechtslage konfrontiert und dazu verleitet werden darf, die Bewilligung eines Projektes gleichsam aufs Geratewohl zu beantragen. Den Parteien eines Baubewilligungsverfahrens muß vielmehr - wie der Gerichtshof bereits im Erk. VfSlg. 7287/1974 betont hat - die Verfolgung ihrer durch die Bausperre mitgestalteten subjektiven Rechte möglich sein, was aber nur dann wirklich gewährleistet ist, wenn die beabsichtigten Änderungen des Bebauungsplanes in der Verordnung über die Bausperre zum Ausdruck gebracht werden.
b) Der Gemeinderat tritt der Vorjudikatur des Gerichtshofs andererseits mit dem Argument entgegen, daß das Verlangen, die Verordnung über die Bausperre müsse bereits den Maßstab für die Bewilligungsfähigkeit von Projekten bereitstellen, auf die Forderung nach der Erlassung eines Bebauungsplanes mit zeitlich begrenzter Geltung hinauslaufe.
Dem Gerichtshof erscheint es jedoch nicht als erforderlich, sich mit der Zielrichtung dieser Argumentation näher auseinanderzusetzen, denn er hält sie bereits vom Ansatz her für verfehlt. Es geht nicht an, den durch die BausperrenV - wie dies in der Praxis der Baubehörden genannt wird - überdeckten Bebauungsplan gewissermaßen als einen inhaltlich anders gestalteten Plan anzusehen, weil in Wahrheit nur Einschränkungen gegebener Bebauungsmöglichkeiten gemäß dem neben der BausperrenV weitergeltenden Bebauungsplan stattfinden.
c) Der Verfassungsgerichtshof sieht daher keine Veranlassung, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen (vgl. in diesem Zusammenhang auch die ähnliche Regelungen der Länder Oberösterreich und Niederösterreich betreffenden, in die gleiche Richtung gehenden Erk. VfSlg. 9910/1983 und 11743/1988). Er hält vielmehr an der im Einleitungsbeschluß dargelegten Rechtsauffassung ohne Einschränkung fest, die zum Ergebnis führt, daß die in Prüfung gezogene Verordnung mit der angenommenen Gesetzwidrigkeit belastet ist. Da die Verordnung über die Verhängung der Bausperre bereits durch das Plandokument 6561 (Beschluß des Gemeinderates der Stadt Wien vom 30. Juni 1994, Pr.Zl. 2036/94) aufgehoben wurde, hat sich der Gerichtshof auf die Feststellung zu beschränken, daß die geprüfte Verordnung gesetzwidrig war.
2. Der Ausspruch über die Kundmachungsverpflichtung stützt sich auf Art139 Abs5 erster und zweiter Satz B-VG.
IV. Diese Entscheidung wurde gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung getroffen.
Schlagworte
Baurecht, Bausperre, BebauungsplanEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:V103.1995Dokumentnummer
JFT_10048799_95V00103_00