TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/16 L502 1429697-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.01.2020
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Entscheidungsdatum

16.01.2020

Norm

AsylG 2005 §55 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs4
AsylG 2005 §9 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52 Abs2

Spruch

L502 1429697-3/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Nikolas BRACHER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Irak, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 05.10.2018, FZ. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 29.11.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (BF) stellte im Gefolge seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet am 22.05.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz. Am 24.05.2012 erfolgte die Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Am 25.05.2012 wurde das Verfahren zugelassen, am 26.05.2012 wurde ihm eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung erteilt.

2. Am 10.07.2012 wurde er beim (vormaligen) Bundesasylamt, Außenstelle Eisenstadt, zu seinem Antrag niederschriftlich einvernommen. Dabei legte er ein Duplikat seines Personalausweises sowie seinen früheren Dienstausweis als Identitätsnachweise vor.

3. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 20.09.2012 wurde sein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z. 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II). Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG wurde ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis 20.09.2013 erteilt (Spruchpunkt III).

4. Mit Verfahrensanordnung des Bundesasylamtes vom 20.09.2012 wurde ihm von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem (vormaligen) Asylgerichtshof (AsylGH) zur Seite gestellt.

5. Gegen den ihm durch Hinterlegung mit 24.09.2012 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seines Rechtsberaters vom 02.10.2012 innerhalb offener Frist Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides erhoben.

6. Die Beschwerdevorlage des Bundesasylamtes an den AsylGH erfolgte mit 04.10.2012.

7. Mit Erkenntnis des AsylGH vom 27.12.2012 wurde die Beschwerde des BF gemäß § 3 AsylG als unbegründet abgewiesen. Mit Zustellung an die Verfahrensparteien erwuchs diese Entscheidung in Rechtskraft.

8. Dem Verlängerungsantrag des BF vom 22.07.2013 folgend wurde ihm mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 30.08.2013 eine weitere Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.09.2014 erteilt.

9. Dem Verlängerungsantrag des BF vom 22.07.2014 folgend wurde ihm mit Bescheid des (nunmehrigen) Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 16.09.2014 eine weitere Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.09.2016 erteilt.

10. Im Zusammenhang mit einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung des BF vom 21.01.2016 wegen eines Vergehens nach § XXXX zu einer Geldstrafe prüfte das BFA die Voraussetzungen für ein allfälliges Aberkennungsverfahren den Status des subsidiären Schutzberechtigten des BF betreffend und sah mit Aktenvermerk vom 31.08.2016 von der Einleitung eines solchen Verfahrens ab.

11. Dem Verlängerungsantrag des BF vom 08.08.2016 folgend wurde ihm mit Bescheid des BFA vom 14.09.2016 eine weitere Aufenthaltsberechtigung bis zum 20.09.2018 erteilt.

12. Dem Verlängerungsantrag des BF vom 20.07.2016 folgend leitete das BFA mit Aktenvermerk vom 04.10.2018 ein Verfahren zur Aberkennung des Status des subsidiären Schutzberechtigten des BF mit der Begründung geänderter Verhältnisse im Herkunftsstaat ein.

13. Am 04.10.2018 wurde der BF beim BFA, Regionaldirektion Burgenland, im Beisein eines Dolmetschers für den kurdischen Dialekt Sorani niederschriftlich einvernommen. Er legte dabei verschiedene Beweismittel vor, die in Kopie zum Akt genommen wurden (Handelsarbeiter-Dienstvertrag, diverse Gehaltsabrechnungen, Kranführerausweis, Prüfungsnachweise der Kurse A1 und A2, Rechnungsbestätigung Integrationsprüfung B1). Zu den ihm zur Kenntnis gebrachten länderkundlichen Informationen des BFA zur Lage im Herkunftsstaat verzichtete er auf die Möglichkeit einer Stellungnahme.

14. Mit Verfahrensanordnung des BFA vom 08.10.2018 wurde ihm von Amts wegen ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zur Seite gestellt.

15. Mit Bescheid des BFA vom 05.10.2018 wurde ihm der mit Bescheid vom 20.09.2012 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I). Sein Antrag vom 20.07.2018 auf Erteilung einer befristeten Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde ihm nicht erteilt (Spruchpunkt III). Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 FPG wurde gemäß § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und wurde ihm eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 55 Abs. 1 AsylG erteilt (Spruchpunkt IV).

16. Gegen den ihm durch Hinterlegung mit 11.10.2018 zugestellten Bescheid wurde mit Schriftsatz seines Rechtsberaters vom 08.11.2018 innerhalb offener Frist Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkt I bis III des bekämpften Bescheides erhoben. Unter einem wurde eine Vertretungsvollmacht vorgelegt.

17. Die Beschwerdevorlage des Bundesasylamtes an das BVwG erfolgte mit 14.11.2018.

18. Das BVwG führte am 29.11.2019 eine mündliche Beschwerdeverhandlung im Beisein des BF und eines bevollmächtigten Vertreters durch. Der BF wurde dabei in deutscher Sprache einvernommen. Seine Vertretung legte einen länderkundlichen Bericht als Beweismittel vor. Das BVwG führte ebenfalls verschiedene länderkundliche Berichte als Beweismittel in das Verfahren ein, zu denen die Vertretung eine Frist zur Angabe einer schriftlichen Stellungnahme beantragte, die auch gewährt wurde.

19. Diese Stellungnahme langte am 13.12.2019 beim BVwG ein.

20. Das BVwG erstellte abschließende Auszüge aus den Datenbanken der Grundversorgungsinformation, des Melde- sowie des Strafregisters.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die Identität des BF steht fest. Er ist irakischer Staatsangehöriger, gehört der kurdischen Volksgruppe an, spricht den kurdischen Dialekt Sorani als Muttersprache sowie Arabisch auf einfachem Niveau, ist Moslem der sunnitischen Glaubensrichtung und ledig sowie alleinstehend.

Er stammt aus der Stadt XXXX (auch: XXXX ) in der Provinz XXXX unweit der Grenze zur Provinz XXXX , wo er bei seiner Herkunftsfamilie aufgewachsen ist und die Grundschule besuchte. Ab Jänner 2009 war er dort als einfacher Polizist erwerbstätig.

Er verließ den Irak Anfang Mai 2012 und gelangte anschließend schlepperunterstützt bis Österreich, wo er am 22.05.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte und sich seither bis dato aufhält.

Sein Vater ist bereits verstorben, seine Mutter und sein Bruder sind vor etwa zwei Jahren von XXXX in die Stadt XXXX (auch: XXXX ) in der Provinz XXXX in der autonomen Region Kurdistan des Iraks gezogen, wo sie gemeinsam eine Eigentumswohnung bewohnen. Der Bruder war dort vorerst als Bauarbeiter und ist aktuell als Koch und Küchengehilfe in einem Restaurant erwerbstätig, die Mutter ist Hausfrau. Beiden Angehörigen des BF geht es gut und steht er mit diesen regelmäßig telefonisch in Kontakt.

Er bezog in Österreich zuletzt bis April 2014 Leistungen der staatlichen Grundversorgung und bestreitet seinen Lebensunterhalt aktuell aus den Einkünften einer seit 01.03.2018 bestehenden unbefristeten unselbständigen Erwerbstätigkeit in vollem Beschäftigungsausmaß als Lagerarbeiter, Kranführer und Sandstrahler bei der XXXX .

Er hat die Sprachprüfungen auf dem Niveau A1 und dem Niveau A2 erfolgreich abgelegt, jene auf dem Niveau B1 jedoch nicht bestanden, und verfügt über gute deutsche Sprachkenntnisse für den Alltag.

Er wurde mit rechtskräftigem Urteil des XXXX vom XXXX wegen § XXXX zu einer XXXX verurteilt, die Strafe war mit XXXX vollzogen.

1.2. Der BF kann bei einer Rückkehr in den Irak seinen Aufenthalt sowohl bei seinen Angehörigen in XXXX als auch in seiner früheren Heimat XXXX nehmen. Er ist bei einer Rückkehr dorthin weder aus individuellen Gründen noch aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort einer maßgeblichen Gefährdung ausgesetzt. Er leidet unter keinen gesundheitlichen Einschränkungen, ist voll erwerbsfähig und findet dort eine hinreichende Existenzgrundlage vor.

1.3. Zur aktuellen Lage im Herkunftsstaat des BF wird festgestellt:

1.3.1. Dem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüro in Asylsachen (EASO - European Asylum Support Office) zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 zufolge stellt sich in der autonomen Region Kurdistan im Nordirak, im Einzelnen in den Provinzen Erbil, Suleimaniya und Dohuk, die Sicherheitslage seit 2014 als stabil dar. Alleine für den Distrikt Makhmur in der Provinz Erbil wurden für den Zeitraum von 2014 bis 2017 vereinzelte Terroranschläge des Islamischen Staats (IS) berichtet. Im Jahr 2015 kam es zu einem singulären Bombenanschlag auf das US-Konsulat in der Provinzhauptstadt Erbil. In Suleimanyia wurden im Sommer 2017 von kurdischen Sicherheitskräften zwei bewaffnete Gruppen des IS ausgeschaltet, denen die Planung von Terroranschlägen in der autonomen Region Kurdistan zugeschrieben wurde. Im Zeitraum 2017/2018 gehörte diese Region zu jenen mit der niedrigsten Zahl an zivilen Opfern willkürlicher Gewalt im Irak.

Für die Provinz Suleimanyia wurden für 2018 26 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 45 zivilen Todesopfern, für den Distrikt Chamchamal 5 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 7 zivilen Todesopfern registriert. Im Vorfeld der irakischen Parlamentswahlen vom Mai 2018 kam es in Erbil und Suleimaniya zu teils gewaltsamen Protestkundgebungen, ebenso im Dezember 2018 wegen ausständigen Lohnzahlungen und Sozialleistungen. Die Terrororganisationen IS und Ansar Al Islam finden Rückzugsgebiete in der kurdischen Region in den sogen. Halabja-Bergen, denen kurdische Sicherheitskräfte im Jänner 2018 gezielte Angriffe entgegensetzten. Der Distrikt Makhmur in der Provinz Erbil wurde weiterhin als einer mit relativ hohem Konfliktpotential für Auseinandersetzungen zwischen dem IS und örtlichen Sicherheitskräften erachtet. Im Juli 2018 führten drei kurdische Sympathisanten des IS einen bewaffneten Anschlag auf ein Regierungsgebäude in Erbil durch. Im Dezember 2018 gelang 23 mutmaßlichen Mitgliedern des IS der Ausbruch aus einer Haftanstalt nahe Suleimaniya, von den 15 wieder festgenommen wurden.

Einem Bericht einer Fact Finding Mission der dänischen Migrationsbehörde im Jahr 2016 zufolge sind die kurdischen Sicherheitskräfte in der Lage, effektive Sicherheit in der autonomen Region Kurdistan zu gewährleisten.

1.3.2. Dem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüro in Asylsachen (EASO - European Asylum Support Office) zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 zufolge teilt sich die zentralirakische Provinz Salah ad-Din in acht Distrikte, darunter XXXX . Während Salah ad-Din vorwiegend von sunnitischen Muslimen bewohnt wurde, finden sich dort auch schiitische, turkmenische und kurdische Minderheiten. In XXXX finden sich zahlreiche turkmenische Ansiedlungen. Nachdem der Distrikt von XXXX im Sommer 2014 von den Milizen des IS besetzt worden war, wurde dieser als einer der ersten ab 2015 wieder von irakischen Sicherheitskräften befreit. Bereits ab Juli 2015 und insbesondere 2016 kehrten hunderttausende Binnenvertriebene wieder in die Provinz zurück.

Im Zuge der Konfrontation zwischen kurdischen Sicherheitskräften und irakischen staatlichen Sicherheitskräften um die Kontrolle der nach 2014 von den ersteren besetzten und in der Folge umstrittenen Gebiete im Grenzgebiet der autonomen Region Kurdistan kam es insbesondere in XXXX im Oktober 2017 zu Kämpfen zwischen den genannten Akteuren, denen u.a. mehr als 50 Zivilpersonen zum Opfer fielen und die zur Flucht von ca. 35.000 Menschen aus der Stadt führte. Es kam auch zu Plünderungen und Brandstiftungen. Im Gefolge dieser Auseinandersetzungen und des Rückzugs der kurdischen Sicherheitskräfte aus den umstrittenen Gebiete soll eine lokale schiitische Miliz die Kontrolle über die Sicherheitslage in XXXX übernommen haben. Der Stadt XXXX wird infolge des Rückzugs der kurdischen Sicherheitskräfte ein gewisses Sicherheitsvakuum zugeschrieben.

Für das Jahr 2018 wurden einem Bericht der UN-Organisation UNAMI für die Provinz Salah ad-Din zufolge 37 zivile Todesopfer und 67 Verletzte infolge gewaltsamer Vorfälle registriert. Der Statistik von Iraq Body Count für 2018 zufolge wurden 69 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 152 zivilen Todesopfern registriert. Für den Distrikt XXXX wurden 13 Vorfälle mit 42 zivilen Opfern genannt. Bis Dezember 2018 wurde ein Rückgang gewaltsamer Aktivitäten des IS in der Provinz beobachtet, was den gemeinsamen Bemühungen schiitischer und sunnitischer lokaler Milizen zugeschrieben wurde. Demgegenüber wurden im Verlauf des Jahres 2018 in jedem Monat vereinzelte gezielte Angriffe von Angehörigen des IS aus dem Hinterhalt auf Ziele innerhalb der Provinz berichtet. Diese Einheiten des IS halten sich im sogen. Hamreen-Gebirge versteckt, wo sie für gegnerische Sicherheitskräfte schwer zu lokalisieren sind.

1.3.3. Einer Kurzinformation der Staatendokumentation des BFA zur Sicherheitslage im Irak vom Juli 2019 folgend sind die terroristischen Aktivitäten des IS im Irak deutlich zurückgegangen, stellen aber nach wie vor eine gewisse Bedrohung dar. Nach dem Verlust seiner territorialen Ansprüche innerhalb des Iraks und von Syrien etablierte er 2019 sogen. "Unterstützungszonen" und startete durch neuorganisierte Zellen gezielte sogen. Hit-and-Run-Angriffe in verschiedenen irakischen Provinzen auf lokale Sicherheitsorgane, Infrastruktur, Beamte und Zivilisten, deren Zahl im Verlauf des Jahres 2019 je nach Monat schwankte. Auch gezielte Brandanschläge auf Agrarflächen in ländlichen Regionen, um die lokale Bevölkerung unter Druck zu setzen, wurden beobachtet. Diesen Aktivitäten standen wiederkehrende militärische Operationen irakischer Sicherheitskräfte und Angehöriger der von den USA geführten Koalitionstruppen im Irak gegen den IS in dessen Rückzugsgebieten gegenüber. Nach Angaben des UN-Sicherheitsrates vom Februar 2019 verfügt der IS noch über ca. 15.000 Kämpfer im Irak und in Syrien, US-Geheimdienstquellen zufolge über ca. 20.000 bis 30.000 Kämpfer und Unterstützer.

Obwohl sich die Provinz Salah ad-Din das sogen. Hamreen-Gebirge, das dem IS als Rückzugsgebiet dient, mit der Provinz Diyala teilt, konzentriert sich der IS in seinen Aktivitäten auf Diyala. So wurden für Salah-ad-Din für die Monate April bis Juni 2019 jeweils zwischen 8 und 20 Angriffen des IS mit Todesopfern und Verletzten registriert.

Auch innerhalb der autonomen Region Kurdistan versucht der IS sein Netzwerk auszuweiten, kurdische Sicherheitskräfte konnten seit Jänner 2019 drei arabische IS-Zellen in der Stadt Suleimaniya und in Chamchamal sprengen und im April 2019 einen IS-Schleuser verhaften.

1.3.4. Diese Feststellungen decken sich mit dem Inhalt einer Anfragebeantwortung von ACCORD zur Lage u.a. in der autonomen Region Kurdistan vom September 2019.

1.3.5. Dem Bericht der UN-Organisation IOM vom Juli 2019 folgend waren mit 30.06.2019 ca. 1,6 Mio. Binnenvertriebene innerhalb des Iraks registriert, denen 4,3 Mio. Rückkehrer gegenüber standen. Für die Provinz Salah ad-Din wurden ca. 635.000 Rückkehrer genannt.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Beweis erhoben wurde im gegenständlichen Beschwerdeverfahren durch Einsichtnahme in den erstinstanzlichen Verfahrensakt unter zentraler Berücksichtigung der niederschriftlichen Angaben des BF, des bekämpften Bescheides und des Beschwerdeschriftsatzes, die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Beisein des Bf und seiner Vertretung, die Einbeziehung länderkundlicher Berichte im Beschwerdeverfahren sowie durch die Einholung von Auskünften des Zentralen Melderegisters, des Strafregisters und des Grundversorgungsdatensystems.

2.2. Die genaue Identität des BF war angesichts der Vorlage entsprechender Dokumente schon im ersten Verfahrensgang feststellbar.

Die Feststellungen seiner Staatsangehörigkeit sowie Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe und zur sunnitisch-muslimischen Religionsgemeinschaft stützen sich auf seine Angaben im Verlauf beider Verfahrensgänge.

Die Feststellungen zu seinen Sprachkenntnissen und Sprachprüfungen konnten anhand seiner persönlichen Aussagen vor dem BVwG und der im Akt einliegenden Urkunden getroffen werden.

Die Feststellungen zu den sozialen und wirtschaftlichen Verhältnissen des BF im Herkunftsstaat vor der Ausreise sowie denen in Österreich wie auch im Irak zum Entscheidungszeitpunkt ergaben sich in unstrittiger Weise aus einer Zusammenschau seiner persönlichen Angaben im Verlauf des gegenständlichen Verfahrens sowie aus den vom BVwG eingeholten Informationen der genannten Datenbanken.

Die Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand und seiner Erwerbsfähigkeit resultieren aus seinen Angaben vor dem BVwG.

Die länderkundlichen Feststellungen stützen sich auf den Inhalt der vom BVwG beigeschafften und von der Vertretung des BF vorlegten Informationsquellen, die oben bei den jeweiligen Feststellungen genannt sind.

2.3. Die Feststellung, dass der BF bei einer Rückkehr in den Irak seinen Aufenthalt sowohl bei seinen Angehörigen in XXXX als auch in seiner früheren Heimat XXXX nehmen kann, stützt das Gericht auf das Vorbringen des BF selbst.

In der jüngsten Beschwerdeverhandlung legte er nachvollziehbar dar, dass seine engsten Angehörigen, nämlich seine Mutter und sein Bruder vor etwa zwei Jahren aus der ursprünglichen Heimat XXXX nach XXXX übersiedelt waren und seither dort bis dato ein im Wesentlichen unbeeinträchtigtes Leben führen (vgl. S 5 der Niederschrift). Deren Lebensbedingungen stellen sich, ihre Wohnmöglichkeiten wie auch ihre Selbsterhaltungsfähigkeit betreffend, angesichts der Erwerbstätigkeit des Bruders und einer gemeinsam bewohnten Eigentumswohnung als gesichert dar. Das Gericht konnte daher mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass dem BF bei einer Rückkehr in den Irak in XXXX keine substantiellen Hindernisse für einen Neuanfang entgegenstehen, zumal ihm die zumindest vorübergehende Unterstützung seiner Angehörigen zur Verfügung steht und er selbst zudem voll erwerbsfähig ist.

Die frühere Heimatstadt XXXX stand den länderkundlichen Informationen oben zufolge zwar im Jahr 2017 im Brennpunkt des Konfliktes zwischen der kurdischen Regionalregierung und der irakischen Zentralregierung um die Kontrolle der seit 2014 von der erstgenannten besetzten umstrittenen Gebiete und führten die kurzfristig auch mit Waffengewalt geführten Auseinandersetzungen zwischen diesen Akteuren zur Flucht von ca. 35.000 Einwohnern aus der Stadt, was sich mit der Schilderung des BF deckt, dass sich auch seine Angehörigen deshalb nach XXXX begeben hatten. Diese Ereignisse gestalteten sich aber nur temporär, zumal sich die kurdischen Sicherheitskräfte dauerhaft aus den umstrittenen Gebieten zurückgezogen haben, und steht die Region nun unter der Kontrolle der Zentralregierung und von ihr zuzurechnenden Milizen. Sowohl den Schilderungen des BF wie auch den länderkundlichen Quellen zufolge setzt sich die Bevölkerung von XXXX aus verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen, darunter Turkmenen und Kurden, zusammen. Dass der BF, welcher der kurdischen Volksgruppe angehört und in der Stadt aufgewachsen sowie bis zur Ausreise im Jahr 2012 wohnhaft gewesen war, aus ethnischen, religiösen oder sonstigen individuellen Gründen nicht nach XXXX zurückkehren kann, hat weder er selbst stichhaltig dargelegt noch war dies aus anderen Beweisquellen zu gewinnen. Was die notwendigen Existenzbedingungen angeht schloss das Gericht aus den Darstellungen des BF über den gesamten Verfahrensgang hinweg, dass er zum einen mit den Bedingungen in seiner Heimatstadt vertraut ist und zum anderen aufgrund seiner Sprachkenntnisse und seiner Erwerbsfähigkeit, erforderlichenfalls auch mit der Unterstützung seiner unweit lebenden Angehörigen, in der Lage ist auch in XXXX einen Neuanfang zu bewerkstelligen.

Zuletzt kamen auch keine Anhaltspunkte dafür hervor, dass die beiden angesprochenen Regionen, nämlich XXXX in der Provinz XXXX und XXXX in der Provinz XXXX derzeit aus praktischen Gründen nicht erreichbar wären.

2.4. Zur Feststellung, dass der BF bei einer Rückkehr dorthin weder aus individuellen Gründen noch aufgrund der allgemeinen Lage vor Ort einer maßgeblichen Gefährdung, jenseits der eben erörterten Frage der Existenzgrundlagen, ausgesetzt ist, gelangte das Gericht in Anbetracht der Informationen oben zur Sicherheitslage in den genannten Regionen.

Zur Provinz XXXX einschließlich der Stadt XXXX war festzustellen, dass sich die Sicherheitslage dort als dauerhaft stabil erweist, woran auch Informationen über im Laufe der letzten Jahre sehr vereinzelt gebliebene Anschläge, über vorübergehende Massenproteste zu politischen und sozialen Fragen und ein gelegentliches Erscheinen von IS-Kämpfern nichts zu ändern vermochten. Hervorzuheben sind dabei die Angaben, dass für die Provinz XXXX für 2018 nur 26 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 45 zivilen Todesopfern und für den Distrikt XXXX nur 5 sicherheitsrelevante Vorfälle mit 7 zivilen Todesopfern registriert wurden.

In Übereinstimmung damit hat auch der BF selbst auf Nachfrage in der Beschwerdeverhandlung keine substantiell gegenteiligen Aussagen gemacht. Sein allgemein gehaltener Hinweis auf die notorischen Demonstrationen seit Oktober 2019 in irakischen Großstädten, konkret in Bagdad und im Südirak, entfaltete keine Relevanz für die Region, in der sich seine Angehörigen aufhalten. Letzteres gilt auch für seine Herkunftsregion XXXX .

Im Übrigen fanden sich zwar im EASO-Bericht vom März 2019 wie auch in der Anfragebeantwortung von ACCORD vom September 2019 Informationen zur Sicherheitslage, die aber zum einen den Hinweis auf die schon erwähnten Ereignisse im Jahr 2017 wiedergaben, dem keine Relevanz zum jetzigen Entscheidungszeitpunkt mehr zukam, und zum anderen statistische Angaben zu sicherheitsrelevanten Vorfällen und deren Opfer enthielten, die ihrerseits aber in quantitativer Hinsicht kein Gesamtbild ergaben, aus dem eine maßgebliche Gefährdung von Zivilpersonen schon aufgrund ihrer bloßen Anwesenheit vor Ort abzuleiten war. So wurden für den Distrikt XXXX für 2018 nur 13 Vorfälle mit 42 zivilen Opfern genannt. Dass sich dort auch die vage Aussage fand, der Stadt XXXX werde infolge des Rückzugs der kurdischen Sicherheitskräfte ein gewisses Sicherheitsvakuum zugeschrieben, war gerade im Lichte dieser geringen Vorfalls- und Opferzahlen nicht als Hinweis auf eine maßgebliche allgemeine Gefahrenlage zu interpretieren.

Zur Frage einer Präsenz des IS in der Region wurde berichtet, dass bis Dezember 2018 ein Rückgang gewaltsamer Aktivitäten des IS in der Provinz zu beobachten war, was den gemeinsamen Bemühungen schiitischer und sunnitischer lokaler Milizen zugeschrieben wurde. Demgegenüber wurden im Verlauf des Jahres 2018 in jedem Monat vereinzelte gezielte Angriffe von Angehörigen des IS aus dem Hinterhalt auf Ziele innerhalb der Provinz berichtet. Diese Einheiten des IS halten sich im sogen. Hamreen-Gebirge versteckt, wo sie für gegnerische Sicherheitskräfte schwer zu lokalisieren sind. Auch aus diesen Angaben ließ sich kein allgemeines Szenario ableiten, das mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit zu einer individuellen Gefährdung des BF bei einer Rückkehr nach XXXX führen würde.

Die oben wiedergegebenen Aussagen zu den aktuellen Aktivitäten des IS im Nord- und Zentralirak, die der Länderkurzinformation der Staatendokumentation des BFA entnommen waren, stehen dieser Einschätzung nicht entgegen, da auch die dort genannte gegenwärtige Strategie des IS, aus seinen Verstecken im Gebirge heraus gezielte Anschläge auszuführen, nicht zu einer Situation allgegenwärtiger Bedrohung für jeden in der Region Anwesenden führt und diesen Aktivitäten auch Gegenmaßnahmen der Sicherheitskräfte entgegenwirken.

3. Rechtliche Beurteilung:

Mit Art. 129 B-VG idF BGBl. I 51/2012 wurde ein als Bundesverwaltungsgericht (BVwG) zu bezeichnendes Verwaltungsgericht des Bundes eingerichtet.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG erkennt das BVwG über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden.

Gemäß Art. 132 Abs. 1 Z. 1 B-VG kann gegen einen Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben, wer durch den Bescheid in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.

Gemäß Art. 135 Abs. 1 B-VG iVm § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG) idF BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, 1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Abs. 3 hat, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg. cit nicht vorliegen, das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückzuverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgeht.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

Mit Datum 1.1.2006 ist das Bundesgesetz über die Gewährung von Asyl in Kraft getreten (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 53/2019.

Mit dem BFA-Einrichtungsgesetz (BFA-G) idF BGBl. I Nr. 68/2013, in Kraft getreten mit 1.1.2014, wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) als Rechtsnachfolger des vormaligen Bundesasylamtes eingerichtet. Gemäß § 3 Abs. 1 BFA-VG obliegt dem BFA u.a. die Vollziehung des BFA-VG und des AsylG 2005 idgF.

Gemäß § 7 Abs. 1 Z. 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheides des Bundesamtes.

Zu A)

1.1. Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird (Z 1), oder dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist (Z 2), der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen, wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.

Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 1 AsylG ist einem Fremden der Status eines subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1) nicht oder nicht mehr vorliegen.

1.2. Somit ist zum einen zu klären, ob im Falle der Rückführung des Fremden in seinen Herkunftsstaat Art. 2 EMRK (Recht auf Leben), Art. 3 EMRK (Verbot der Folter), das Protokoll Nr. 6 zur EMRK über die Abschaffung der Todesstrafe oder das Protokoll Nr. 13 zur EMRK über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe verletzt werden würde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in ständiger, noch zum Refoulementschutz nach der vorigen Rechtslage ergangenen, aber weiterhin gültigen Rechtsprechung erkannt, dass der Antragsteller das Bestehen einer solchen Bedrohung glaubhaft zu machen hat, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffende und durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerte Angaben darzutun ist (VwGH 23.02.1995, Zl. 95/18/0049; 05.04.1995, Zl. 95/18/0530; 04.04.1997, Zl. 95/18/1127; 26.06.1997, ZI. 95/18/1291; 02.08.2000, Zl. 98/21/0461). Diese Mitwirkungspflicht des Antragstellers bezieht sich zumindest auf jene Umstände, die in der Sphäre des Asylwerbers gelegen sind und deren Kenntnis sich die Behörde nicht von Amts wegen verschaffen kann (VwGH 30.09.1993, Zl. 93/18/0214).

Die Anforderungen an die Schutzwilligkeit und Schutzfähigkeit des Staates entsprechen jenen, wie sie bei der Frage des Asyls bestehen (VwGH 08.06.2000, Zl. 2000/20/0141). Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher nicht geeignet, die Feststellung nach dieser Gesetzesstelle zu tragen, wenn nicht besondere Umstände hinzutreten, die ihnen einen aktuellen Stellenwert geben (vgl. VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122; 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

Unter "realer Gefahr" ist eine ausreichend reale, nicht nur auf Spekulationen gegründete Gefahr möglicher Konsequenzen für den Betroffenen ("a sufficiently real risk") im Zielstaat zu verstehen (VwGH 19.02.2004, Zl. 99/20/0573; auch ErläutRV 952 BlgNR 22. GP zu § 8 AsylG 2005). Die reale Gefahr muss sich auf das gesamte Staatsgebiet beziehen und die drohende Maßnahme muss von einer bestimmten Intensität sein und ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um in den Anwendungsbereich des Artikels 3 EMRK zu gelangen (zB VwGH 26.06.1997, Zl. 95/21/0294; 25.01.2001, Zl. 2000/20/0438; 30.05.2001, Zl. 97/21/0560).

Herrscht in einem Staat eine extreme Gefahrenlage, durch die praktisch jeder, der in diesen Staat abgeschoben wird - auch ohne einer bestimmten Bevölkerungsgruppe oder Bürgerkriegspartei anzugehören -, der konkreten Gefahr einer Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte ausgesetzt wäre, so kann dies der Abschiebung eines Fremden in diesen Staat entgegenstehen. Die Ansicht, eine Benachteiligung, die alle Bewohner des Staates in gleicher Weise zu erdulden hätten, könne nicht als Bedrohung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 gewertet werden, trifft nicht zu (VwGH 25.11.1999, Zl. 99/20/0465; 08.06.2000, Zl. 99/20/0203; 17.09.2008, Zl. 2008/23/0588). Selbst wenn infolge von Bürgerkriegsverhältnissen letztlich offenbliebe, ob überhaupt noch eine Staatsgewalt bestünde, bliebe als Gegenstand der Entscheidung nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 die Frage, ob stichhaltige Gründe für eine Gefährdung des Fremden in diesem Sinne vorliegen (vgl. VwGH 08.06.2000, Zl. 99/20/0203).

Die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um seine Abschiebung in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig erscheinen zu lassen; vielmehr müssen konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass gerade der Betroffene einer derartigen Gefahr ausgesetzt sein würde (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427; 20.06.2002, Zl. 2002/18/0028; siehe dazu vor allem auch EGMR 20.07.2010, N. gg. Schweden, Zl. 23505/09, Rz 52ff; 13.10.2011, Husseini gg. Schweden, Zl. 10611/09, Rz 81ff).

Bei außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegenden Gegebenheiten im Herkunftsstaat kann nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) die Außerlandesschaffung eines Fremden nur dann eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellen, wenn im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ("exceptional circumstances") vorliegen (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich, Zl. 30240/96; 06.02.2001, Bensaid, Zl. 44599/98; vgl. auch VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443). Unter "außergewöhnlichen Umständen" können auch lebensbedrohende Ereignisse (zB Fehlen einer unbedingt erforderlichen medizinischen Behandlung bei unmittelbar lebensbedrohlicher Erkrankung) ein Abschiebungshindernis im Sinne des Art. 3 EMRK iVm. § 8 Abs. 1 AsylG 2005 bilden, die von den Behörden des Herkunftsstaates nicht zu vertreten sind (EGMR 02.05.1997, D. gg. Vereinigtes Königreich; vgl. VwGH 21.08.2001, Zl. 2000/01/0443; 13.11.2001, Zl. 2000/01/0453; 09.07.2002, Zl. 2001/01/0164; 16.07.2003, Zl. 2003/01/0059). Nach Ansicht des VwGH ist am Maßstab der Entscheidungen des EGMR zu Art. 3 EMRK für die Beantwortung der Frage, ob die Abschiebung eines Fremden eine Verletzung des Art. 3 EMRK darstellt, unter anderem zu klären, welche Auswirkungen physischer und psychischer Art auf den Gesundheitszustand des Fremden als reale Gefahr ("real risk") - die bloße Möglichkeit genügt nicht - damit verbunden wären (VwGH 23.09.2004, Zl. 2001/21/0137).

Der EGMR geht in seiner ständigen Rechtsprechung davon aus, dass die EMRK kein Recht auf politisches Asyl garantiert. Die Ausweisung eines Fremden kann jedoch eine Verantwortlichkeit des ausweisenden Staates nach Art. 3 EMRK begründen, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die betroffene Person im Falle ihrer Ausweisung einem realen Risiko ausgesetzt würde, im Empfangsstaat einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung unterworfen zu werden (vgl. etwa EGMR, Urteil vom 8. April 2008, NNYANZI gegen das Vereinigte Königreich, Nr. 21878/06).

Eine aufenthaltsbeendende Maßnahme verletzt Art. 3 EMRK auch dann, wenn begründete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Fremde im Zielland gefoltert oder unmenschlich behandelt wird (für viele: VfSlg 13.314; EGMR 7.7.1989, Soering, EuGRZ 1989, 314). Die Asylbehörde hat daher auch Umstände im Herkunftsstaat des Antragstellers zu berücksichtigen, wenn diese nicht in die unmittelbare Verantwortlichkeit Österreichs fallen. Als Ausgleich für diesen weiten Prüfungsansatz und der absoluten Geltung dieses Grundrechts reduziert der EGMR jedoch die Verantwortlichkeit des Staates (hier: Österreich) dahingehend, dass er für ein "ausreichend reales Risiko" für eine Verletzung des Art. 3 EMRK eingedenk des hohen Eingriffschwellenwertes ("high threshold") dieser Fundamentalnorm strenge Kriterien heranzieht, wenn dem Beschwerdefall nicht die unmittelbare Verantwortung des Vertragsstaates für einen möglichen Schaden des Betroffenen zu Grunde liegt (vgl. Karl Premissl in Migralex "Schutz vor Abschiebung von Traumatisierten in "Dublin-Verfahren"", derselbe in Migralex: "Abschiebeschutz von Traumatisieren"; EGMR: Ovidenko vs. Finnland; Hukic vs. Scheden, Karim, vs. Schweden, 4.7.2006, Appilic 24171/05, Goncharova & Alekseytev vs. Schweden, 3.5.2007, Appilic 31246/06.

Der EGMR geht weiter allgemein davon aus, dass aus Art. 3 EMRK grundsätzlich kein Bleiberecht mit der Begründung abgeleitet werden kann, dass der Herkunftsstaat gewisse soziale, medizinische oder sonstige unterstützende Leistungen nicht biete, die der Staat des gegenwärtigen Aufenthaltes bietet. Nur unter außerordentlichen, ausnahmsweise vorliegenden Umständen kann diesbezüglich die Entscheidung, den Fremden außer Landes zu schaffen, zu einer Verletzung des Art. 3 EMRK führen (vgl für mehrere. z. B. Urteil vom 2.5.1997, EGMR 146/1996/767/964 ["St. Kitts-Fall"], oder auch Application no. 7702/04 by SALKIC and Others against Sweden oder S.C.C. against Sweden v. 15.2.2000, 46553 / 99).

Gemäß der Judikatur des EGMR muss der Antragsteller die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer aktuellen und ernsthaften Gefahr schlüssig darstellen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 7.7.1987, Nr. 12877/87 - Kalema gg. Frankreich, DR 53, S. 254, 264). Dazu ist es notwendig, dass die Ereignisse vor der Flucht in konkreter Weise geschildert und auf geeignete Weise belegt werden. Rein spekulative Befürchtungen reichen ebenso wenig aus (vgl. EKMR, Entsch. Vom 12.3.1980, Nr. 8897/80: X u. Y gg. Vereinigtes Königreich), wie vage oder generelle Angaben bezüglich möglicher Verfolgungshandlungen (vgl. EKMR, Entsch. Vom 17.10.1986, Nr. 12364/86: Kilic gg. Schweiz, DR 50, S. 280, 289). So führt der EGMR in stRsp aus, dass es trotz allfälliger Schwierigkeiten für den Antragsteller "Beweise" zu beschaffen, es dennoch ihm obliegt so weit als möglich Informationen vorzulegen, die der Behörde eine Bewertung der von ihm behaupteten Gefahr im Falle einer Abschiebung ermöglicht ( z. B. EGMR Said gg. die Niederlande, 5.7.2005)

Angesichts des im Wesentlichen identen Regelungsinhalts des bis 31.12.2005 in Kraft stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 1997 im Verhältnis zum nunmehr in Geltung stehenden § 8 Abs. 1 AsylG 2005 - abgesehen vom im letzten Halbsatz des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 nunmehr enthaltenen zusätzlichen Verweis auf eine eventuelle ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes als weitere mögliche Bedingung für eine Gewährung subsidiären Schutzes - lässt sich auch die bisherige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum § 8 AsylG 1997 in nachstehend dargestellter Weise auch auf die neue Rechtslage anwenden.

Danach erfordert die Feststellung einer Gefahrenlage auch iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 das Vorliegen einer konkreten, den Beschwerdeführer betreffenden, aktuellen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder (infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt) von diesem nicht abwendbaren Gefährdung bzw. Bedrohung. Ereignisse, die bereits längere Zeit zurückliegen, sind daher ohne Hinzutreten besonderer Umstände, welche ihnen noch einen aktuellen Stellenwert geben, nicht geeignet, die begehrte Feststellung zu tragen (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011; VwGH 14.10.1998, Zl. 98/01/0122). Die bloße Möglichkeit einer den betreffenden Bestimmungen der EMRK widersprechenden Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben wird, genügt nicht, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat als unzulässig erscheinen zu lassen (vgl. VwGH 27.02.2001, Zl. 98/21/0427). Im Übrigen ist auch zu beachten, dass mit konkreten, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben das Bestehen einer aktuellen Gefährdung bzw. Bedrohung glaubhaft zu machen ist (vgl. VwGH 25.01.2001, Zl. 2001/20/0011).

1.3. Aus den Feststellungen oben ergab sich schlüssig, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für den BF nicht mehr vorlagen.

Stichhaltige Hinweise darauf, dass dieser im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat Folter, einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung oder Strafe ausgesetzt sein könnte, kamen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens nicht hervor.

Vor dem Hintergrund der Feststellungen des Gerichts oben liegen im gegenständlichen Fall auch keine stichhaltigen Anhaltspunkte für die Annahme einer die physische Existenz des BF nur unzureichend sichernden Versorgungssituation im Herkunftsstaat, die im Einzelfall eine Verletzung der durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen würde (vgl. VwGH 21.08.2001, 2000/01/0443; 13.11.2001, 2000/01/0453; 18.07.2003, 2003/01/0059), vor. Dies zum einen angesichts seiner eigenen Selbsterhaltungsfähigkeit, die aus seiner Arbeitsfähigkeit, der Schulbildung sowie seiner Berufserfahrung im Herkunftsstaat und im Ausland resultiert, zum anderen in Anbetracht seiner festgestellten familiären Anknüpfungspunkte.

Es kamen auch keine gravierenden akuten Erkrankungen des BF hervor. Ein, die Gewährung von subsidiärem Schutz rechtfertigendes Krankheitsbild liegt daher nicht vor.

Durch eine Rückführung in den Herkunftsstaat würde der BF somit nicht in seinen Rechten nach Art. 2 und 3 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958 idgF, oder ihren relevanten Zusatzprotokollen Nr. 6 über die Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. Nr. 138/1985 idgF, und Nr. 13 über die vollständige Abschaffung der Todesstrafe, BGBl. III Nr. 22/2005 idgF, verletzt werden.

Auch stichhaltige Anhaltspunkte dahingehend, dass eine Rückführung in den Herkunftsstaat für den BF als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde, sind nicht hervorgekommen.

1.4. Vor diesem Hintergrund erwies sich letztlich die Annahme des Bundesamtes, es lägen im gegenständlichen Fall keine stichhaltigen Gründe mehr für die Annahme des realen Risikos einer Gefährdung im Sinne des § 8 Abs. 1 AsylG vor, als mit dem Gesetz in Einklang stehend.

1.5. Im Hinblick darauf war die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

2. Folgerichtig kam dem anhängigen Antrag des BF auf Verlängerung seiner befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG, für die der Status des subsidiär Schutzberechtigten eine Voraussetzung ist, keine Berechtigung mehr zu und war auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen.

3. Dafür, dass dem BF allenfalls eine Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG zu erteilen gewesen wäre, kamen weder von Amts wegen Anhaltspunkte hervor noch wurde vom BF selbst etwas dahingehend dargetan, weshalb auch die Beschwerde gegen Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides als unbegründet abzuweisen war.

4. Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 Aberkennungsverfahren Rückkehrsituation Selbsterhaltungsfähigkeit Sicherheitslage soziale Verhältnisse Verlängerungsantrag Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:L502.1429697.3.00

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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