TE Vwgh Erkenntnis 1997/10/29 96/09/0059

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Veröffentlicht am 29.10.1997
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
67 Versorgungsrecht;

Norm

AVG §52;
KOVG 1957 §23 Abs2;
KOVG 1957 §27 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fürnsinn und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Blaschek, Dr. Rosenmayr und Dr. Bachler als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Loibl, über die Beschwerde des E in W, vertreten durch Dr. Walter Kainz, Rechtsanwalt in Wien IV, Gußhausstraße 23, gegen den Bescheid der Schiedskommission beim Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland vom 8. Jänner 1996, Zl. OB. 115-143950-002, betreffend Kostenübernahme einer Heilbehandlung gemäß § 27 Abs. 1 Kriegsopferversorgungsgesetz 1957 (KOVG), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stellte mit Eingabe vom 17. November 1994 sowohl an die Wiener Gebietskrankenkasse als auch an das "Landesinvalidenamt" (nunmehr Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland) den Antrag auf Übernahme der Kosten einer Therapie mit Vit-Organ-Präparaten, durchgeführt beim praktischen Arzt Dr. S.

Die Wiener Gebietskrankenkasse lehnte den Antrag ab, da die Kasse für Organ-Präparate keine Kosten übernehme. Das Bundessozialamt Wien, Niederösterreich, Burgenland ersuchte daraufhin den behandelnden Arzt um Aufschlüsselung der Kosten und Bezeichnung der Präparate. Dr. S kam der Anfrage mit Schreiben vom 23. Februar 1995 nach und legte eine neue Rechnung. Der von der Behörde erster Instanz befragte ärztliche Sachverständige Dr. H, Facharzt für Nervenkrankheiten, vertrat die Auffassung, daß die Behandlung mit den zitierten Präparaten weder für die anerkannte Dienstbeschädigung noch für die akausalen Leiden des Beschwerdeführers effizient bzw. zielführend sei. Auf dieser Grundlage wies die Behörde erster Instanz den Antrag mit Bescheid vom 27. Juni 1995 ab.

Aufgrund der dagegen erhobenen Berufung holte die belangte Behörde ein Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Neurologie, Dr. W, ein. Dieses hat folgenden Wortlaut:

"PSYCHIATRISCH-NEUROLOGISCHES SCHIEDSKOMMISSIONSGUTACHTEN

SACHVERHALT:

Es soll Stellung genommen werden, ob die Vit-Organ-Präparate zur Linderung der kausalen und akausalen Leiden notwendig waren und zusätzlich über die Honorarangemessenheit der Behandlung.

Anerkannt als DB sind leichte Folgen nach Halbseitenlähmung links, leichte psychische Ausfälle und epilept. Anfälle mehrmals monatlich, sowie funktionsmäßig irrelevante Narben in der linken Scheitelgegend, ohne Entstellung.

Entsprechd. ABl. H 131 liegen als Nicht-DB-Leiden vor:

Kopfschmerzen, Magen-Darmbeschwerden, Gelenks-Wirbelsäulenschmerzen, Schmerzen in der linken oberen Brusthälfte, ständige Schmerzen in der Beckengegend und den Ileosacralgelenken; außerdem Brustkorbfunktionsstörungen nach Rippenfraktur, Mastdarmstörungen, Augenleiden, Gleichgewichtsstörungen, Verlust erheblicher Teile des Kiefers.

Entsprechd. Abl. H 139 wurde von Hrn. Dr. S wegen der Diagnosen "Kriegstrauma der Wirbelsäule, schwere Spondylarthrose, Rundrücken, hochgrad. Tendomyose", eine Behandlung mit homöopat. Mitteln durchgeführt, wobei die Periode der Behandlungsdauer nicht angeführt wird.

Neben den 30 Ampullen homöopath. Präparate (3 x S 600,-- und 1 x S 975,--) ist für die Behandlung mit SOL-NAY-ARTHROSE (Vit-Organ) ein Betrag von S 29.190,-- in Rechnung gestellt worden.

Im H-Akt liegen auf ABl. 93/1-5 ausführliche Befundberichte von ambulanter und stationärer Untersuchung bei

Univ. Prof. Dr. G im Okt. und Nov. 1993 vor, wobei schließlich zusammenfassend Therapieempfehlungen gegeben sind, welche in vollem Umfange von der Gebietskrankenkasse finanziell übernommen werden.

B E U R T E I L U N G :

Die durchgeführte Behandlung, welche für die angegebenen Leiden nach allgemein wissenschaftlicher Erfahrung ohne Relevanz hinsichtl. einer event. Besserung ist, war von medizinischer Seite nicht erforderlich. Die Behandlung der subjekt. Beschwerden ist mit den Möglichkeiten, die die Gebietskrankenkasse bietet, gut durchführbar. Die Behauptung, daß die bisher durchgeführten Therapien effektlos geblieben sind, ist eine rein subjektive Angabe, die auch in den ausführlichen Berichten von Prof. Dr. G nicht gedeckt erscheint.

Zusammenfassend kann somit gesagt werden, daß die zur Verrechnung vorgelegte homöopat. Behandlung von medizinischer Seite aus nicht erforderlich gewesen ist."

Die belangte Behörde gewährte dem Beschwerdeführer zu diesem Gutachten Parteiengehör.

In seiner Stellungnahme vom 26. November 1995 trat der Beschwerdeführer dem Gutachten unter Hinweis und Beilage von ärztlichen Bestätigungen und Meinungen aus dem Zeitraum 21. April 1986 bis 22. Dezember 1992 entgegen.

Die belangte Behörde gab der Berufung mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid keine Folge. In der Begründung gab sie den Inhalt des Gutachtens Dris. W wieder und führte hiezu aus:

"Das Sachverständigengutachten Dris. W wurde von der Schiedskommission als schlüssig erkannt und daher in freier Beweiswürdigung der Entscheidung zugrunde gelegt.

Gestützt auf das schlüssige Gutachten von Dr. W und unter Bezugnahme auf § 27 Abs. 1 KOVG 1957 ist die Schiedskommission zu der Ansicht gelangt, daß die beim BW durchgeführte Behandlung mit Vit-Organ-Präparaten für die beschriebenen Leiden (egal ob kausale oder akausale Leiden) nicht erforderlich gewesen, also das "Ziel der Heilfürsorge" nicht erreicht worden ist, zumal auch die rein subjektiven Angaben des BW über den Behandlungserfolg nach den aktenkundigen medizinischen Berichten nicht gedeckt sind."

Des weiteren führte die belangte Behörde aus, daß die Einwendungen des Beschwerdeführers gegen das Gutachten nicht geeignet seien, die Beweiskraft des ärztlichen Sachverständigengutachtens zu mindern. Die wiederholt in früheren Verfahren vorgelegten Atteste und Arztbriefe seien für die gegenständliche Entscheidung nicht relevant, zumal die medizinisch-wissenschaftliche Vorfrage hinreichend geprüft und schlüssig beantwortet worden sei. Die Einwände im Rahmen des Parteiengehörs seien nicht mit konkreten medizinisch-fachlichen Argumenten gegen das ärztliche Sachverständigengutachten Dris. W untermauert.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, mit der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrte.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 23 Abs. 2 KOVG lautet:

"Ziel der Heilfürsorge ist, die Gesundheit und Erwerbsfähigkeit des Beschädigten möglichst wieder herzustellen, den Eintritt einer Verschlimmerung zu verhüten und die durch die Gesundheitsstörung bedingten Beschwerden zu lindern."

§ 23 Abs. 3 KOVG lautet:

"Erwerbsunfähige (§ 9 Abs. 2) haben Anspruch auf unentgeltliche Heilfürsorge bei jeder Gesundheitsstörung. ..."

Als erwerbsunfähig gelten Schwerbeschädigte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 90 vH und 100 vH.

Der Beschwerdeführer fällt unter die genannte Gruppe (Minderung der Erwerbsunfähigkeit insgesamt 100 vH).

§ 27 Abs. 1 KOVG bestimmt, daß das zuständige Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen über den im § 26 bezeichneten Umfang hinaus Heilfürsorge zu gewähren hat, wenn dadurch das Ziel der Heilfürsorge zu erreichen ist. (In § 26 KOVG werden die Ansprüche gegen die Krankenversicherung geregelt.)

Ein Sachverständigengutachten muß einen Befund und das eigentliche Gutachten im engeren Sinn enthalten. Der Befund ist die vom Sachverständigen - wenn auch unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Feststellungsmethoden - vorgenommene Tatsachenfeststellung. Die Schlußfolgerungen des Sachverständigen aus dem Befund, zu deren Gewinnung er seine besonderen Fachkenntnisse und Erfahrungen benötigt, bilden das Gutachten im engeren Sinn. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteils (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen ermittelt wurden, erkennen läßt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrundelegt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (§ 37 AVG) nicht gerecht (siehe das hg. Erkenntnis vom 27. April 1993, Zl. 92/08/0208).

Das erstinstanzliche Gutachten Dr. H enthält überhaupt keine Befundaufnahme, sondern beschränkt sich auf die Feststellung, daß die gegenständliche Therapie bei den vorliegenden Diagnosen "hinsichtlich ihres Effekts aus medizinischer und wissenschaftlicher Sicht als nicht effizient eingestuft werden" müsse. Eine Behandlung "als Nachbehandlung im Sinne der Verfassungsgerichtshof-Erkenntnis 1989" sei "daher mit den zitierten Präparaten aus der Rechnung von Herrn Dr. S (Abl. H 139) nicht zielführend". In einem Zusatz wurde ergänzt, daß dies auch für sämtliche akausale Leiden gelte.

Die belangte Behörde hat damit zu Recht ein neuerliches Gutachten eingeholt und sich nicht auf das "Gutachten" Dris. H gestützt.

Im Gutachten Dris. W werden die Leiden des Beschwerdeführers aufgezählt. Diese Aufzählung stimmt aber mit dem Ausdruck (Verwaltungsakt H 130) der als "Dienstbeschädigung für Beschädigtenrente" anerkannten Leiden nicht überein, da in diesem Ausdruck unter "Nr.: 5 RS: 186" auch eine "Wirbelkörperfraktur bei TH3 u. TH4 in Keilform geheilt mit örtlich begrenzter Glächenentartung" in Höhe von 40 %, sowie unter "Nr. 6 RS: 7" "knöchern geheilte Serienrippenfrakturen" in Höhe von 0 %, beide aufgrund eines Befundes vom 3. Juni 1993 aufscheinen.

Abgesehen davon, daß die "Beurteilung" des Sachverständigen sich daher auf ein unvollständig dargestelltes Leidensbild stützt, weshalb nicht nachvollziehbar ist, ob die Beurteilung bei vollständig erfaßtem Leidensbild gleich oder anders ausgefallen wäre, beschränkt sich der Gutachter auf den bloßen Hinweis auf allgemeine wissenschaftliche Erfahrung, ohne bekanntzugeben, auf welche Grundlagen sich diese Aussage stützt bzw. in welchen allgemein zugänglichen Publikationen die vom Sachverständigen zitierte Erfahrung vertreten wird. Diese Äußerung des Sachverständigen enthält daher eine unüberprüfbare Behauptung und entzieht sich der nachprüfenden Kontrolle.

Schlüssig begründet findet sich im Gutachten nur der Hinweis auf die anläßlich der Untersuchungen Dris. G im Oktober und November 1993 erteilten Therapieempfehlungen, welche eine Behandlungsmöglichkeit darstellen.

§ 27 Abs. 1 KOVG schließt nicht aus, daß auch andere (alternative) Behandlungsmethoden als Heilfürsorge in Frage kommen können. Die Norm stellt ausschließlich darauf ab, ob durch die Behandlungsmethode, deren Kostenübernahme beantragt wird, das Ziel der Heilfürsorge zu erreichen ist. Es wäre somit wesentlich für die Entscheidungsfindung gewesen, daß der Sachverständige sich im Tatsachenbereich näher mit der Frage auseinandergesetzt hätte, ob die gegenständlich zur Kostenübernahme in Rechnung gestellte Heilbehandlung Dris. S die im § 23 Abs. 2 KOVG genannten Ziele zu erreichen imstande ist, wobei er sich bei der Befundaufnahme dahingehend zu äußern gehabt hätte, welche Wirkungen der gegenständlichen Heilbehandlung zukommen bzw. aus welchen wissenschaftlichen Erwägungen abgeleitet werden könne, daß ihnen im Fall des Beschwerdeführers keine Wirkungen zukommen. Da im Gutachten Dris. W - wie ausgeführt - nicht zu entnehmen ist, welcherart die (wissenschaftlichen) Grundlagen sind, die für das sich auf den Befund stützende Urteil des Sachverständigen erforderlich sind (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 14. März 1994, Zl. 93/10/0012 u.a.), wäre die belangte Behörde im Rahmen ihrer Verpflichtung, das Gutachten auf seine Schlüssigkeit hin zu überprüfen, gehalten gewesen, das Gutachten ergänzen zu lassen.

Indem die belangte Behörde dies unterließ, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb der angefochtene Bescheid bereits aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben war.

Damit erübrigt sich eine Befassung mit der darüber hinausgehenden Begründung des angefochtenen Bescheides sowie mit dem hiegegen erstatteten Beschwerdevorbringen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Anforderung an ein Gutachten Gutachten Ergänzung Sachverständiger Arzt

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1997:1996090059.X00

Im RIS seit

27.03.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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