Entscheidungsdatum
20.03.2020Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W257 2163251-3/14E
Schriftliche Ausfertigung des am 12.02.2020 mündlich verkündeten Erkenntnisses:
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Herbert Gerhard MANTLER, MBA, als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsbürger der Islamischen Republik Afghanistan, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, etabliert in 1030 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 19.12.2019, IFA-Zahl: XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.02.2020 zu Recht erkannt:
A)
Der Bescheid wird hinsichtlich der Spruchpunkte IV. bis VII. ersatzlos aufgehoben und hinsichtlich der übrigen Spruchpunkte wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
1. Verfahrensgang zum ersten Asylantrag
1.1. Der Antragsteller, Staatsangehöriger von Afghanistan, gelangte unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet und stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.2. Im Verlauf der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am gab der Antragsteller zu seinen Fluchtgründen befragt zusammengefasst an, dass er für einen Mann mit dem Namen XXXX , der im Gefängnis gewesen sei, mit seiner Firma gebürgt habe. Dieser Mann sei freigelassen worden, habe aber gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen. Aus diesem Grund sei der Antragsteller verhaftet worden. Gegen die Bezahlung einer Gebühr sei er aber wieder freigekommen und habe vom Vater des XXXX sein Geld zurückverlangt. XXXX sei in weiterer Folge getötet worden und seine Familie habe ihn für seinen Tod verantwortlich gemacht. Der Vater von XXXX sei ein mächtiger Mann und habe ihn mit dem Tod bedroht.
1.3. Nach Zulassung des Verfahrens durch Ausfolgung einer Aufenthaltsberechtigungskarte wurde der Antragsteller am vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA genannt) im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Dari niederschriftlich einvernommen. Im Zuge dieser Einvernahme wiederholte er sein im Rahmen der Erstbefragung erstattetes Fluchtvorbringen und gab darüber hinaus an, dass er nunmehr in die Kirche der Zeugen Jehovas gehe.
1.4. Mit Bescheid des BFA vom wurde der Antrag des Antragstellers auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.); der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt II.); ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen den Antragsteller gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgestellt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt IV.).
1.5. Die dagegen fristgerecht eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , GZ , als unbegründet abgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht legte in dem angeführten Erkenntnis neben Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat des Antragstellers, die folgenden Feststellungen zum Fluchtvorbringen zugrunde (Auszug aus dem angeführten Erkenntnis; Schreibfehler korrigiert):
„Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Überzeugung persönlich bedroht oder verfolgt wurde oder eine Verfolgung im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan zu befürchten hätte.
Es kann nicht festgestellt werden, dass dem Beschwerdeführer in Afghanistan eine konkret gegen ihn gerichtete psychische bzw. physische Gewalt aufgrund seiner Volksgruppenzugehörigkeit als Hazara droht.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer in Afghanistan infolge seines Aufenthalts in Europa einer Verfolgung aufgrund einer ihm unterstellten politischen oder religiösen Gesinnung ausgesetzt wäre.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer zum christlichen Glauben konvertiert ist und ihm deshalb Verfolgung in Afghanistan droht. Der Beschwerdeführer hat sich nicht in einer für die Außenwelt erkennbaren Weise vom islamischen Glauben losgelöst. Ein Religionswechsel aus innerer Überzeugung konnte nicht festgestellt werden. Die christliche Religion ist im Entscheidungszeitpunkt nicht zum wesentlichen und unverzichtbaren Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden.
Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinem derzeitigen Interesse für die „Zeugen Jehovas“ im Falle der Rückkehr nach Afghanistan weiter nachkommen und dieses im Falle der Rückkehr nach Afghanistan nach außen zur Schau tragen würde.“
Beweiswürdigend wurde zum Vorbringen des Antragstellers, dass er von der Familie eines Mannes mit dem Namen XXXX mit dem Tod bedroht werde, zusammengefasst ausgeführt, dass sich dieses Vorbringen insgesamt als äußerst überzeichnet, konstruiert und damit als nicht glaubwürdig darstellt. Zudem enthält dieses Vorbringen zahlreiche Ungereimtheiten und war auch aus diesem Grund als unglaubwürdig zu qualifizieren.
Die Feststellung, dass nicht festgestellt werden kann, dass der Antragsteller zum christlichen Glauben konvertiert ist und ihm deshalb Verfolgung in Afghanistan droht, wurde auf die folgenden beweiswürdigenden Erwägungen gestützt (Auszug aus dem angeführten Erkenntnis; Schreibfehler korrigiert):
„Der Beschwerdeführer hat in seiner Erstbefragung auf die Frage nach seiner Religionszugehörigkeit noch mit „Moslem“ geantwortet, was zumindest nicht auf eine ausdrückliche Distanzierung von dieser Religion schließen lässt. Die Behauptung, dass er Moslem gewesen sei und jetzt in die Kirche gehe, erfolgte erst nach eineinhalbjährigem Aufenthalt als Asylwerber in Österreich. Der Beschwerdeführer zeigte damals während seiner Einvernahme vor dem BFA eine Karte der „Zeugen Jehovas“ vor, weiteres Vorbringen erstattete er in diesem Zusammenhang nicht. Der Beschwerdeführer wurde sodann im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu seiner behaupteten Konversion befragt und ihm Gelegenheit gegeben, seine innere Überzeugung vom christlichen Glauben darzulegen. Insbesondere wurde er dazu aufgefordert, von den Versammlungen der „Zeugen Jehovas“ zu erzählen, an denen er nach eigenen Angaben regelmäßig teilnehme. Bei dieser Gelegenheit erzählte der Beschwerdeführer, dass er seit ca. sechzehn Monaten „dabei“ sei. Er fühle sich dort sehr ruhig und entspannt. Er habe ein gutes Gefühl dort. Er bete dort einen wahren Gott an. Weiter erklärte der Beschwerdeführer, dass das, was er früher geglaubt habe, verkehrt gewesen sei. Mit seinem neuen Glauben sei er auf dem richtigen Weg. Er führte sodann aus, dass er dienstags und samstags die Versammlungen der Zeugen Jehovas besuche, wo ihnen Texte aus dem heiligen Buch auf Dari oder Farsi vorgetragen würden. Er habe auch bereits Freunde dazu bewegt, mit ihm zu den Versammlungen mitzugehen. Zudem führte der Beschwerdeführer ins Treffen, dass er das gesamte heilige Buch auf seinem Handy habe und jederzeit jede Stelle herauslesen könne.
In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass die äußeren Umstände - darunter insbesondere der regelmäßige Gottesdienstbesuch und das Lesen der heiligen Schrift - zwar durchaus als glaubliches Interesse des Beschwerdeführers am christlichen Glauben und der Lehre der Zeugen Jehovas gewertet werden können. Für die Annahme einer tatsächlichen Konversion bedarf es allerdings einer stark verinnerlichten Hinwendung zum christlichen Glauben, die bereits derart verfestigter Bestandteil der Identität des Betroffenen geworden sein muss, dass diese nicht wieder abgelegt werden kann. Beim Beschwerdeführer ist jedoch lediglich in Ansätzen ein Interesse am Christentum erkennbar.
Auch der vom Beschwerdeführer zum Beweis seiner Hinwendung zum Christentum beantragte und im Rahmen der mündlichen Verhandlung einvernommene Zeuge, welcher in seiner Funktion als „Bibellehrer“ bei den „Zeugen Jehovas“ über die Aktivitäten des Beschwerdeführers in der Gemeinschaft und über seine Eindrücke vom Beschwerdeführer befragt wurde, untermauerte den bereits aus der Befragung des Beschwerdeführers gewonnenen Eindruck der fehlenden Verfestigung des christlichen Glaubens im Entscheidungszeitpunkt. Der Zeuge hinterließ hinsichtlich seiner Aussagen einen glaubhaften Eindruck, sodass seine Angaben ohne Bedenken zugrunde gelegt werden konnten. Der Zeuge bestätigte, dass der Beschwerdeführer die Bibel studiert und regelmäßig an Zusammenkünften der „Zeugen Jehovas“ teilnimmt. Auch führte er aus, dass er bei der Person des Beschwerdeführers - anders als bei Leuten, die offensichtlich nur wegen ihren Einvernahmen im Asylverfahren kommen würden - ein gutes und sehr positives Gefühl habe. Diese Wahrnehmungen des Zeugen korrelieren somit mit dem Eindruck des erkennenden Gerichts, dass der Beschwerdeführer ein Interesse an der christlichen Lehre hat. Zugleich bestätigte sich durch die Aussage des Zeugen jedoch der Eindruck, dass die Verinnerlichung des christlichen Glaubens beim Beschwerdeführer noch nicht in einem Maß fortgeschritten ist, dass bereits von einer tatsächlichen Konversion gesprochen werden kann. So erklärte der Zeuge, dass es eine Zeit dauere, bis man verstehe, worum es in der Bibel wirklich gehe und räumte ein, dass dies auch beim Beschwerdeführer der Fall sei.
Es wird dem Beschwerdeführer auch in diesem Punkt durchaus zugestanden, dass er im Rahmen seiner Teilnahme an Veranstaltungen der „Zeugen Jehovas“ mit den Aspekten und Werten der christlichen Religion in Berührung gekommen ist und für diese ein aufrichtiges Interesse hegt. Die diesbezüglichen Ausführungen des Beschwerdeführers sind jedoch zu vage gehalten und nur ansatzweise auf die Spezifika der christlichen Religion zurückzuführen. Von einer Verinnerlichung der christlichen Werte und Grundhaltungen in Form einer tiefen Verbundenheit kann beim Beschwerdeführer somit noch nicht gesprochen werden.
Auch ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, dass bislang keine Taufe des Beschwerdeführers erfolgt ist. Weiters ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass im Verfahren nicht hervorgekommen ist, dass der Beschwerdeführer seiner ehemaligen Religionsgemeinschaft, der islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, seine Abwendung vom islamischen Glauben bereits zur Kenntnis gebracht und eine Erklärung betreffend seinen Austritt abgegeben oder er eine solche Erklärung einer staatlichen österreichischen Behörde vorgelegt hätte.
In einer Gesamtschau ist festzuhalten, dass der christliche Glaube im Entscheidungszeitpunkt noch zu keinem wesentlichen Bestandteil der Identität des Beschwerdeführers geworden ist und die vorgebrachte Konversion zu wenig von innerer, nachhaltiger Überzeugung getragen ist. Es ist davon auszugehen, dass beim Beschwerdeführer keine innere Überzeugung eines Glaubenswechsels vom Islam zu den „Zeugen Jehovas“ vorlag, sondern lediglich ein zaghaftes Interesse an dieser Religionsgemeinschaft, welches aber nicht ausreicht, um von einem Glaubenswechsel sprechen zu können.
Dass der Beschwerdeführer den Islam nach außen wahrnehmbar verleugnen würde und ihm aus diesem Grund eine Verfolgung wegen einer ihm unterstellten Apostasie drohen würde, wurde weder substantiiert behauptet noch ergaben sich hierfür Anhaltspunkte im Verfahren. Zudem ist der Vollständigkeit halber festzuhalten, dass gemäß den getroffenen Länderfeststellungen und dem notorischen Amtswissen nicht anzunehmen ist, dass Personen, die im Islam sozialisiert sind und sich nicht aktiv gegen die Regeln des Islam auflehnen, allein aufgrund dessen in Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit von Verfolgung bedroht sind.“
Weiters wurde in diesem Erkenntnis beweiswürdigend ausgeführt, dass sich eine Verfolgung des Antragstellers aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara bzw. aufgrund seines Aufenthaltes in Europa aus den dieser Entscheidung zugrunde gelegten Länderfeststellungen ebenfalls nicht ableiten lässt und eine solche auch nicht substantiiert vorgebracht worden ist.
Dieses Erk wurde am 19.01.2019 rechtskräftig. Er reiste nicht aus Österreich aus.
2. Verfahrensgang zum zweiten Asylantrag
2.1. Ein halbes Jahr später, am 17.06.2019 stellte der Antragsteller den zweiten Asylantrag, zu welchem er am Tag der Antragstellung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde.
Im Verlauf dieser Befragung gab der Antragsteller zu seiner neuerlichen Antragstellung im Wesentlichen zusammengefasst an, dass er Österreich seit seiner Einreise im Jahr 2015 nicht mehr verlassen habe. Seine neuerliche Antragstellung begründete er im Wesentlichen zusammengefasst damit, dass er in Österreich zum Christentum konvertiert sei. Er sei am 01.06.2019 getauft worden. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan würde er aus diesem Grund getötet werden.
Im Zuge der Erstbefragung wurde vom Antragsteller eine Kopie des Taufscheines der (Erz-) Diözese Wien, Römisch-katholische Kirche in Österreich, ausgestellt am 01.06.2019, vorgelegt, aus dem hervorgeht, dass der Antragsteller am 01.06.2019 getauft worden ist.
Mit Verfahrensanordnung vom 24.06.2019 wurde dem Antragsteller vom BFA mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufzuheben.
Am 10.07.2019 wurde der Antragsteller vor dem BFA im Beisein eines Rechtsberaters und eines Dolmetschers niederschriftlich einvernommen. Zu Beginn der Befragung gab der Antragsteller auf konkrete Befragung durch das BFA an, dass er im gegenständlichen Verfahren nicht vertreten werde.
2.2. Zu seiner neuerlichen Antragstellung wurde vom Antragsteller im Wesentlichen zusammengefasst angegeben, dass er inzwischen Christ geworden sei. Dieser Umstand sei auch in seinem Heimatdorf bekannt geworden. Er sei bereits seit drei Jahren Christ. Zuerst sei er ca. 22 Monate in die Kirche der Zeugen Jehovas gegangen. Vor ca. einem Jahr sei er zur katholischen Kirche gewechselt und habe sich taufen lassen. In weiterer Folge wurde dem Antragsteller die Gelegenheit eingeräumt, zu der geplanten weiteren Vorgangsweise des BFA - Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache und Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes - Stellung zu nehmen. In diesem Zusammenhang wurde vom Antragsteller angegeben, dass er jetzt Christ sei und aus diesem Grund nicht nach Afghanistan zurückkehren könne, da sein Leben dort in Gefahr sei. Weiters wurden dem Antragsteller vom BFA Länderfeststellungen zu Afghanistan vorgehalten und ihm die Möglichkeit eingeräumt, dazu Stellung zu nehmen. Zu den Länderfeststellungen wurde keine Stellungnahme abgegeben.
Darüber hinaus wurden vom Antragsteller folgende Beweismittel in Vorlage gebracht:
? Schreiben von XXXX vom
? Bestätigung der Pfarre vom
? Schreiben der Erzdiözese vom
2.3. Im Anschluss an die niederschriftliche Einvernahme am wurde vom BFA mit dem im Spruch genannten mündlich verkündeten Bescheid der dem Antragsteller gemäß § 12 AsylG 2005 zukommende faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl traf Feststellungen zum Herkunftsstaat und gab den Verfahrensgang wieder. Begründend wurde zusammengefasst ausgeführt, dass sich der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt seit der Rechtskraft des Vorverfahrens nicht geändert habe. Insbesondere sei bereits im Vorverfahren ausreichend über die vom Antragsteller vorgebrachte Konversion zum Christentum abgesprochen worden. Auch die allgemeine Lage im Herkunftsstaat habe sich nicht entscheidungswesentlich geändert. Im Hinblick auf die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers seien ebenfalls keine Änderungen seit der rechtskräftigen Entscheidung eingetreten. Der neuerliche Antrag auf internationalen Schutz würde daher voraussichtlich wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sein. Da somit alle Voraussetzungen für eine Aufhebung des Abschiebeschutzes vorliegen würden, sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.
2.4. Mit Beschluss des BvWG vom 16.07.2019 wurde beschlossen, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig war. Der Beschluss erwuchs in Rechtskraft.
2.5. Die Behörde wies mit dem bekämpften Bescheid den Antrag vom 17.06.2019 zurück und führte (hier gedrängt dargestellt) folgende Spruchpunkte aus:
I. Der Asylantrag wurde wegen entschiedener Sache gem § 68 Abs. 1AVG zurückgewiesen.
II. Ebenso die Stellung als subsidiär Schutzberechtigter.
III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde nicht erteilt
IV. Es wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und
V. festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist.
VI. eine Frist zur freiwilligen Ausreise wurde nicht erteilt, sowie
VII. aufgetragen, dass er sich ab dem 20.06.2019 bis zum 10.07.2019 in Traiskirchen aufzuhalten habe.
2.6. Dagegen wurde vom BF, vertreten durch den Verein Menschenrechte Österreich eine Beschwerde eingebracht. Darin wird ausgeführt, dass er einen neuen Sachverhalt, nämlich die Taufe in der katholischen Kirche, vorgebracht habe und deswegen von keiner entschiedenen Sache auszugehen sei.
2.7. Der Verwaltungsakt langte am 03.01.2020 beim gegenständlichen Gericht ein. Am 08.01.2020 wurde für den 12.02.2020 eine mündliche Verhandlung anberaumt. Dabei wurden den Verfahrensparteien das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation für Afghanistan vom 13.11.2019 zum Parteiengehör mitgesandt. Es wurde ihnen Gelgenehit gegeben, dazu Stellung zu nehmen. Eine Stellungnahme langte bis zum Verhandlungszeitpunkt nicht ein.
2.8. Am 07.01.2020 langte ein Schreiben des MigrantInnenverein St. Marx ein. Dieser legte nochmals eine Beschwerdeschrift vor, wobei eine Vollmacht des Beschwerdeführers nicht vorgelegt wurde. Der Verein berief sich zwar auf eine Vollmacht, ein Nachweis wurde aber nicht vorgelegt. Der Beschwerdeführer bevollmächtigte den Verein schließlich im Zuge der mündlichen Verhandlung.
2.9. In der mündlichen Verhandlung vom 12.02.2020 wiederholte sich der Beschwerdeführer, indem er vorbrachte, vom Glauben abgefallen zu sein, nunmehr nicht zu den Zeugen Jehovas zu gehören, sondern zur katholischen Kirche und auch getauft worden zu sein, und deswegen würde er in Afghanistan im Falle einer Rückführung einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt sein.
2.10. Wegen Entscheidungsreife wurde das am 12.02.2020 mündliche Erkenntnis verlautbart, indem die Beschwerde abgewiesen wurde und die ordentliche Revision nicht zugelassen wurde. Es wurde dargelegt, dass hinsichtlich des Abfalls vom Glauben eine entschiedene Sache vorliegt und sich hinsichtlich der Rückführung keine wesentlichen Änderungen eingetreten sind, welche gegen eine solche sprechen würden. Er brachte fristgerecht einen Antrag auf schriftliche Ausfertigung ein, welches mit dem gegenständlichen Erkenntnis vorgenommen wird.
2.11. Am 11.02.2020 legte der VMÖ seine Vollmacht nieder.
2.12. Am 04.03.2020 bestätigte IOM dass der Beschwerdeführer am 02.03.2020 freiwillig nach Afghanistan ausgereist sei (OZ 12).
2.13. Am 10.03.2020 wurde die Rechtsvertretung befragt, ob Sie den Antrag auf schriftliche Ausfertigung aufrechterhalten will, nachdem der BF ausgereist ist. Am 11.03.2020 teilte Sie mit, dass sie, trotzdem sicher der BF in Afghanistan befindet, weiterhin eine schriftliche Ausfertigung verlangt.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der entscheidungswesentliche Sachverhalt steht fest!
3. Feststellungen:
3.1. Zur Person des BF:
Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist afghanischer Staatsangehöriger und volljährig. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari, er kann dieses Sprache lesen und schreiben.
Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Hazara an und wurde als schiitischer Moslem erzogen. Er stammt aus der Provinz Ghazni, ist verheiratet und hat drei Kinder. Seine Ehefrau und seine drei Kinder leben im Heimatdorf des Beschwerdeführers in Afghanistan. Der Beschwerdeführer hat Kontakt zu seiner Familie. Der Bruder des Beschwerdeführers lebt in Herat. Zum Bruder besteht derzeit kein Kontakt.
Der Beschwerdeführer verfügt über eine siebenjährige Schulbildung und hatte in Afghanistan ein eigenes Bergbau-Unternehmen.
3.2. Zur den Fluchtgründen:
Der Asylwerber stellte erstmals am einen Antrag auf internationalen Schutz und begründete diesen damit, dass er eines Mordes von Bekannten beschuldigt worden wäre. Im Laufe des ersten Verfahrens meinte er zusätzlich, dass er Zeuge Jehovas geworden sei. Beide Fluchtgründe sind festgestellter Maßen nicht glaubhaft.
In dem nunmehrigen Asylverfahren ist er nicht mehr Zeuge Jehovas, sondern gehöre der katholischen Kirche an und sei auch getauft worden. Es handelt sich um den gleichen Fluchtgrund wie bisher.
Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nie persönlich bedroht oder angegriffen, es droht ihm auch künftig keine psychische oder physische Gewalt von staatlicher Seite, oder von Aufständischen, oder von sonstigen privaten Verfolgern in seinem Herkunftsstaat.
3.3. Zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:
Der Beschwerdeführer hält sich seit November 2015 in Österreich auf. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und hatte nie ein nicht auf das Asylverfahren gegründetes Aufenthaltsrecht in Österreich. Der Beschwerdeführer bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung und ist nicht erwerbstätig. Er besuchte nach eigenen Angaben einen Deutschkurs, Zertifikate über einen Kursbesuch bzw über die Absolvierung einer Deutschprüfung hat der Beschwerdeführer bis zum Entscheidungszeitpunkt nicht vorgelegt. Weitere integrative Schritte hat der Beschwerdeführer weder belegt noch behauptet.
In Österreich leben keine Verwandten oder sonstige enge Bezugspersonen des Beschwerdeführers. Es besteht weder eine Lebensgemeinschaft des Beschwerdeführers in Österreich noch gibt es in Österreich geborene Kinder des Beschwerdeführers.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
3.4. Zur Lage im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers
Es werden folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zum Herkunftsstaat des Beschwerdeführers getroffen:
3.4.1. Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren. Ausländische Streitkräfte und Regierungsvertreter sowie die als ihre Verbündeten angesehenen Angehörigen der afghanischen Sicherheitskräfte und Vertreter der afghanischen Regierung sind prioritäre Ziele der Aufständischen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen auf staatliche Einrichtungen aus. In einigen Teilen des Landes ist fehlende Sicherheit die größte Bewegungseinschränkung. In bestimmten Gebieten machen Gewalt durch Aufständische, Landminen und improvisierte Sprengfallen (IEDs) das Reisen besonders gefährlich, speziell in der Nacht. Bewaffnete Aufständischengruppen betreiben illegale Checkpoints und erpressen Geld und Waren. (LIB)
3.4.2. Herkunftsprovinz Herat
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere „temporäre“ Distrikte – Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) –, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).
Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als „sehr sicher“ gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet: Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).
2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).
Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Der folgenden Tabelle kann die Zahl sicherheitsrelevanter Vorfälle bzw. Todesopfer für die Provinz Herat gemäß ACLED und Globalincidentmap (GIM) für das Jahr 2018 und die ersten drei Quartale 2019 entnommen werden (Quellenbeschreibung s. Disclaimer, hervorgehoben: Distrikt der Provinzhauptstadt):
(Grafik)
*temporäre Distrikte. Sicherheitsrelevante Vorfälle in diesen Distrikten werden dem Distrikt Shindand zugerechnet. (ACLED 5.10.2019; ACLED 12.7.2019; GIM o.D.)
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).
In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).
Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).
IDPs – Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat – u.a. zur Sicherheitslage – können der Analyse der Staatendokumentation „Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat“ vom 13.6.2019 entnommen werden (BFA 13.6.2019).
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3.4.3. Wirtschafts- und Versorgungslage
Zur Wirtschafts- und Versorgungslage ist festzuhalten, dass Afghanistan weiterhin ein Land mit hoher Armutsrate und Arbeitslosigkeit ist. Seit 2002 hat Afghanistan mit Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft wichtige Fortschritte beim Wiederaufbau seiner Wirtschaft erzielt. Nichtsdestotrotz bleiben bedeutende Herausforderungen bestehen, da das Land weiterhin von Konflikten betroffen, arm und von Hilfeleistungen aus dem Ausland abhängig ist (LIB).
Die afghanische Wirtschaft stützt sich hauptsächlich auf den informellen Sektor (einschließlich illegaler Aktivitäten), der 80 bis 90 % der gesamten Wirtschaftstätigkeit ausmacht und weitgehend das tatsächliche Einkommen der afghanischen Haushalte bestimmt. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft, wobei der landwirtschaftliche Sektor gemäß Prognosen der Weltbank im Jahr 2019 einen Anteil von 18,7 % am Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat (Industrie: 24,1%, tertiärer Sektor: 53,1%; WB 7.2019). Das BIP Afghanistans betrug im Jahr 2018 19,36 Mrd. US-Dollar (LIB).
Fähigkeiten, die sich Rückkehrer/innen im Ausland angeeignet haben, können eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen. Bei der Arbeitssuche spielen persönliche Kontakte eine wichtige Rolle. Eine Quelle betont jedoch die Wichtigkeit von Netzwerken, ohne die es nicht möglich sei, einen Job zu finden. Bei Ausschreibung einer Stelle in einem Unternehmen gibt es in der Regel eine sehr hohe Anzahl an Bewerbungen und durch persönliche Kontakte und Empfehlungen wird mitunter Einfluss und Druck auf den Arbeitgeber ausgeübt. Eine im Jahr 2012 von der ILO durchgeführte Studie über die Beschäftigungsverhältnisse in Afghanistan bestätigt, dass Arbeitgeber persönliche Beziehungen und Netzwerke höher bewerten als formelle Qualifikationen. Analysen der norwegischen COI-Einheit Landinfo zufolge, gibt es keine Hinweise darüber, dass sich die Situation seit 2012 geändert hätte (LIB).
Laut Daten der Afghanistan Living Conditions Survey (ALCS) 2016 - 2017 können 2 Millionen Afghanen – das sind 23,9% der gesamten Erwerbsbevölkerung - als arbeitslos eingestuft werden, was bedeutet, dass sie nicht arbeiten oder eine Beschäftigung suchen, oder weniger als acht Stunden pro Woche arbeiten. Junge Afghanen treten jedes Jahr in großer Zahl in den Arbeitsmarkt ein, aber die Beschäftigungsmöglichkeiten können aufgrund unzureichender Entwicklungsressourcen und mangelnder Sicherheit nicht mit dem Bevölkerungswachstum mithalten. Afghanistan war seit 2011-2012 mit einem starken Anstieg der Armut konfrontiert, wobei sowohl die städtischen als auch die ländlichen Armutsraten zunahmen. In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO).
ALCS 2016 - 2017 stellte fest, dass nur 19,8% aller in Afghanistan beschäftigten Personen öffentlich und privat angestellt sind oder Arbeitgeber sind, was bedeutet, dass die Mehrheit der Arbeitnehmer eine gefährdete Beschäftigung darstellt. 52,6% der Landbevölkerung sind in der Landwirtschaft beschäftigt, während die städtische Beschäftigung vielfältiger ist. 36,5% der Erwerbsbevölkerung sind in verschiedenen Dienstleistungsbereichen beschäftigt und nur 5,5% in der Landwirtschaft (EASO).
In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit. Lediglich beratende Unterstützung wird vom Ministerium für Arbeit und Soziale Belange (MoLSAMD) und der NGO ACBAR angeboten; dabei soll der persönliche Lebenslauf zur Beratung mitgebracht werden. Auch Rückkehrende haben dazu Zugang – als Voraussetzung gilt hierfür die afghanische Staatsbürgerschaft. Für das Anmeldeverfahren sind das Ministerium für Arbeit und Soziale Belange und die NGO ACBAR zuständig; Rückkehrende sollten auch hier ihren Lebenslauf an eine der Organisationen weiterleiten, woraufhin sie informiert werden, inwiefern Arbeitsmöglichkeiten zum Bewerbungszeitpunkt zur Verfügung stehen. Unter Leitung des Bildungsministeriums bieten staatliche Schulen und private Berufsschulen Ausbildungen an (LIB).
Laut Daten der ALCS von 2016 bis 2017 sind 44,6% der afghanischen Bevölkerung – das sind 13 Millionen Menschen - sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO).
Während der Wintersaat von Dezember 2017 bis Februar 2018 gab es in Afghanistan eine ausgedehnte Zeit der Trockenheit. Dies verschlechterte die Situation für die von Lebensmittelunsicherheit geprägte Bevölkerung weiter und hatte zerstörerische Auswirkungen auf die wirtschaftlichen Existenzgrundlagen, was wiederum zu Binnenflucht führte und es den Binnenvertriebenen mittelfristig erschwert, sich wirtschaftlich zu erholen sowie die Grundbedürfnisse selbständig zu decken. Günstige Regenfälle im Frühling und beinahe normale Temperaturen haben 2019 die Weidebedingungen wieder verbessert.
Im März 2019 fanden in Afghanistan Überschwemmungen statt, welche Schätzungen zufolge, Auswirkungen auf mehr als 120.000 Personen in 14 Provinzen hatten. Sturzfluten Ende März 2019 hatten insbesondere für die Bevölkerung in den Provinzen Balkh und Herat schlimme Auswirkungen. Unter anderem waren von den Überschwemmungen auch Menschen betroffen, die zuvor von der Dürre vertrieben wurden (LIB).
Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können gemäß der Definition von UN-Habitat als Slums eingestuft werden. Der Bericht über den Zustand afghanischer Städte stellte fest, dass der Zugang zu angemessenem Wohnraum für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung darstellt. Armut und Ungleichheit sind die harte Realität für etwa ein Drittel aller städtischen Haushalte (EASO).
Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO).
Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen. Die Bank wird dabei nach Folgendem fragen: Ausweisdokument (Tazkira), 2 Passfotos und 1.000 AFN (ca. € 12,-) bis 5.000 AFN (ca. € 60,-) als Mindestkapital für das Bankkonto. Bis heute sind mehr als ein Dutzend Banken im Land aktiv: unter anderem die Afghanistan International Bank, Azizi Bank, Arian Bank, oder The First Microfinance Bank, Ghazanfar Bank, Maiwand Bank, Bakhtar Bank (LIB).
Über Jahrhunderte hat sich eine Form des Geldaustausches entwickelt, welche Hawala genannt wird. Dieses System, welches auf gegenseitigem Vertrauen basiert, funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich. Hawala wird von den unterschiedlichsten Kundengruppen in Anspruch genommen: Gastarbeiter, die ihren Lohn in die Heimat transferieren wollen, große Unternehmen und Hilfsorganisationen bzw. NGOs, aber auch Terrororganisationen (LIB).
Das System funktioniert folgendermaßen: Person A übergibt ihrem Hawaladar (X) das Geld, z.B. 10.000 Euro und nennt ihm ein Passwort. Daraufhin teilt die Person A der Person B, die das Geld bekommen soll, das Passwort mit. Der Hawaladar (X) teilt das Passwort ebenfalls seinem Empfänger-Hawaladar (M) mit. Jetzt kann die Person B einfach zu ihrem Hawaladar (M) gehen. Wenn sie ihm das Passwort nennt, bekommt sie das Geld, z.B. in Afghani, ausbezahlt. So ist es möglich, auch größere Geldsummen sicher und schnell zu überweisen (LIB).
3.4.4. Wirtschafts- und Versorgungslage in Herat
Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den „bessergestellten“ und „sichereren Provinzen“ Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat – wie auch in anderen afghanischen Städten – vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).
Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).
Ethnische Minderheiten
In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht. Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Paschtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen. Weiters leben in Afghanistan eine große Zahl an kleinen und kleinsten Völkern und Stämmen, die Sprachen aus unterschiedlichsten Sprachfamilien sprechen (LIB).
Artikel 4 der Verfassung Afghanistans besagt: „Die Nation Afghanistans besteht aus den Völkerschaften der Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Paschai, Nuristani, Aimaq, Araber, Kirgisen, Qizilbasch, Gojar, Brahui und anderen Völkerschaften. Das Wort ‚Afghane‘ wird für jeden Staatsbürger der Nation Afghanistans verwendet“. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnischen Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung (Artikel 16) sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt, wo die Mehrheit der Bevölkerung (auch) eine dieser Sprachen spricht: Usbekisch, Turkmenisch, Belutschisch, Pashai, Nuristani und Pamiri. Es gibt keine Hinweise, dass