Entscheidungsdatum
16.04.2020Norm
ASVG §410Spruch
I412 2224646-1/3E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Gabriele ACHLEITNER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse, nunmehr Österreichische Gesundheitskasse Landesstelle Tirol (ÖGK-T) vom 23.04.2019, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes (VwGVG) aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Tirol zurückverwiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Mit Bescheid der Tiroler Gebietskrankenkasse vom 23.04.2019 (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse – Landesstelle Tirol; im Folgenden als belangte Behörde bezeichnet), wurde ausgesprochen, dass XXXX (im Folgenden als Beschwerdeführerin bezeichnet) als Betriebsnachfolgerin zur ungeteilten Hand für die rückständigen Beiträge und Nebengebühren des Vorgängers, XXXX , aus den Vorschreibungen für die Zeiträume Jänner 2018 – Februar 2019 in Höhe von € 5.946,22 hafte. Die Beschwerdeführerin sei verpflichtet, diesen Betrag binnen 14 Tagen nach Zustellung des Bescheides bei sonstigen Zwangsfolgen an die belangte Behörde zu bezahlen.
Mit Schreiben vom 26.07.2019 führte die Beschwerdeführerin zusammengefasst aus, Herr XXXX sei zu ihr gekommen und habe sie gefragt, ob sie den Betrieb in der Dorfstraße in V. weiterführen wolle, da sein Pachtvertrag noch bis April 2019 laufe. Sie habe von der Wirtschaftskammer die Auskunft erhalten, dass ihr nichts passieren könne und habe sie eingewilligt und den Betrieb noch zwei Monate weitergeführt, aber das Geschäft sei dermaßen schlecht gewesen, dass sie zugesperrt hätten. Sie habe aber falsche Berater und Vertrauen gehabt, dass sie auf die Briefe der belangten Behörde nicht reagiert habe, da ihr zugesagt worden sei, es werde erledigt.
Mit Schreiben vom 05.08.2019 teilte die belangte Behörde der Beschwerdeführerin mit, dass der Haftungsbescheid mit 24.05.2019 rechtskräftig geworden sei.
Von der belangten Behörde sei mit 20.03.2019 eine Bescheidandrohung verschickt worden. Nachdem die Androhung nicht behoben worden sei, sei schließlich am 23.04.2019 der Bescheid erstellt worden. Auch der Haftungsbescheid sei von der Beschwerdeführerin nicht behoben worden. Die belangte Behörde teilte der Beschwerdeführerin weiters mit, dass der Bescheid somit aufrecht bleibe. Der Beschwerdeführerin werde jedoch die Möglichkeit eingeräumt, eine Beschwerde gegen den Haftungsbescheid einzubringen sowie die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (samt entsprechender Begründung) zu beantragen.
Mit Schreiben vom 16.08.2019 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen Haftungsbescheid und führte aus, der Betrieb sei nur von Februar bis Mitte März (04.02.2019 – 16.03.2019) geöffnet gewesen. Am 08.04. sei die Gewerbeanmeldung abgemeldet worden. Ende April sei die Beschwerdeführerin noch einmal zur Eigentümerin des Lokals gefahren und habe gefragt, ob Post für sie da sei. Diese habe ihr mitgeteilt, dass keine Post für sie gekommen sei. Sie hätten verabredet, dass die Eigentümerin sich melde, wenn Post für sie da sei. Da das Lokal abgemeldet worden sei, sei für sie die Angelegenheit erledigt gewesen. Sie habe keine Post von der belangten Behörde erhalten, da ihre neue Postadresse seit Mitte März XXXX laute.
Mit Schreiben vom 30.09.2019 bat die belangte Behörde Bezug nehmend auf die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid um Übermittlung des Pachtvertrages der Beschwerdeführerin.
Mit Schreiben vom 21.10.2019 wurde die gegenständliche Beschwerdeangelegenheit dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt, und ausgeführt, dass davon auszugehen sei, dass die gegenständliche Beschwerde als rechtzeitig anzusehen sei, da der Bescheid der Beschwerdeführerin an den Standort der Gewerbeberechtigung zugestellt worden sei, welche jedoch mit 08.04.2019 beendet worden sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Rechtliche Beurteilung:
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gegenständlich liegt Einzelrichterzuständigkeit vor.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Die §§ 28 Abs. 1 bis 3 und 31 VwGVG lauten wie folgt:
Erkenntnisse
§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.
(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Beschlüsse
§ 31. (1) Soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
(2) An seine Beschlüsse ist das Verwaltungsgericht insoweit gebunden, als sie nicht nur verfahrensleitend sind.
(3) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.
Hinsichtlich des Vorbringens der belangten Behörde im Rahmen ihrer Stellungnahme vom 21.10.2019, dass der Beschwerdeführerin mehrmals die Möglichkeit gegeben wurde, gegen die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe Stellung zu nehmen und diese keine Unterlagen vorgelegt habe, welche überprüft werden könnten, ist auszuführen, dass die belangten Behörde innerhalb der für die Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung offen stehenden Frist deshalb nur noch ansatzweise ermitteln konnte, weil sie die erforderlichen Ermittlungen nicht schon vor Erlassung des Bescheides durchgeführt hat (siehe dazu die jüngste Rechtsprechung des VwGH vom 21.02.2019, 2019/08/0026-4).
Dass die Beschwerdeführerin das einzige an diese vor Bescheiderlassung gerichtete Schreiben der belangten Behörde vom 20.03.2019 nicht erhalten hat, da bereits zu diesem Zeitpunkt das Lokal, an dessen Adresse es gerichtet war, geschlossen war, wird anzunehmen sein.
Im vorliegenden Fall liegt daher nach Ansicht der erkennenden Richterin ein mangelhaft ermittelter Sachverhalt vor, zumal zu der wesentlichen Frage, in welcher Form die Beschwerdeführerin den gegenständlichen Betrieb geführt bzw. übernommen hat, keine tauglichen Ermittlungen getätigt wurden und auch aus dem vorgelegten Akt der belangten Behörde eine solche Überprüfung nicht durchgeführt werden kann. Die belangte Behörde hätte jedenfalls nicht ohne weitere Ermittlungen die Haftung der Beschwerdeführerin feststellen dürfen.
Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Bundesverwaltungsgericht selbst ist nicht im Interesse der Raschheit gelegen, weil nichts darauf hindeutet, dass die erforderliche Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst, verglichen mit der Feststellung durch die belangte Behörde nach Zurückverweisung mit einem Zeitgewinn verbunden wäre. Es liegt auch kein Anhaltspunkt dafür vor, dass die Feststellung durch das Bundesverwaltungsgericht selbst im Vergleich zur Feststellung durch die Verwaltungsbehörde mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre. Aufgrund dieser Ausführungen liegen daher alle Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 VwGVG vor und war daher der Bescheid der belangten Behörde aufzuheben und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist, oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist.
Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine mündliche Verhandlung gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG unterbleiben.
Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Betriebsnachfolge Ermittlungspflicht Haftung Kassation mangelnde SachverhaltsfeststellungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I412.2224646.1.01Im RIS seit
12.10.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020