TE Bvwg Beschluss 2020/4/20 I405 2223881-1

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Veröffentlicht am 20.04.2020
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Entscheidungsdatum

20.04.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8
BFA-VG §21 Abs7
B-VG Art133 Abs4
EMRK Art2
EMRK Art3
FPG §46
FPG §50
FPG §52
FPG §55 Abs1a
VwGVG §24 Abs2 Z1
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs3 Satz2
VwGVG §31 Abs1

Spruch

I405 2223881-1/9E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Sirma KAYA als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Libyen, vertreten durch RA Mag. Zaid RAUF, Franz-Josfes-Kai 5, 1010 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 16.08.2019, Zl. XXXX , beschlossen:

A) In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückverwiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer (in Folge auch BF) stammt aus Zliten in Libyen. Er reiste legal mit einem Reisepass und einem Visum D, gültig vom 02.04.2013 bis 01.10.2013 zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt im Jahr 2013 nach Österreich und war er vom 07.10.2013 bis 19.03.2014 im Besitz eines Aufenthaltstitels „Studierender“. Einem Verlängerungsantrag vom 20.03.2014 wurde nicht stattgegeben.

2.       Am 23.12.2015 stellte der BF einen Antrag auf internationalen Schutz und gab er im Rahmen der Erstbefragung vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, als Soldat in der libyschen Regierung gewesen zu sein und anschließend auch als Sicherheitskraft für einen Nachrichtensender namens XXXX gearbeitet zu haben. Die islamischen Milizen und die Misrata-Milizen seien auf der Suche nah ihm; aus Angst um sein Leben sei er geflüchtet.

3.       Der BF wurde in weiterer Folge am 07.05.2018, 237.03.2019 und 15.04.2019 von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zusammengefasst gab er erneut als Fluchtgrund die Verfolgung seiner Person durch die Misrata-Miliz an. Sein Onkel sei Vorsitzender des XXXX gewesen, wo der BF gearbeitet habe; alle Leute, die in diesem XXXX gearbeitet haben, werden verfolgt, insbesondere der BF als Neffe. Der Grund für die Verfolgung sei, dass sich die Mitarbeiter des XXXX zum Liberalismus bekennen und momentan die Islamisten herrschen. Der BF habe nicht vorgehabt, einen Asylantrag zu stellen; er habe ein stabiles Leben gehabt.

4.       Mit Schreiben vom 27.06.2019, zugstellt durch Hinterlegung am 03.07.2019, wurde dem BF Parteiengehör zu den Länderberichten gewährt; eine Stellungnahme hierzu wurde nicht abgegeben.

5.       Mit gegenständlichem Bescheid vom 16.08.2019 wies die belangte Behörde den Antrag des BF auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Libyen (Spruchpunkt II.) als unbegründet ab. Zugleich erteilte sie dem BF keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ gegen den BF eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Libyen zulässig sei (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung wurde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt VI.) und besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VII.). Außerdem wurde gegen den BF ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VIII.).

6.       Gegen diesen Bescheid richtet sich die fristgerecht erhobene vollumfängliche Beschwerde vom 20.09.2019, eingebracht von der Rechtsvertretung des BF samt Vollmachtsbekanntgabe und Antrag auf aufschiebende Wirkung. Als Beschwerdegründe wurden unrichtige Beweiswürdigung und Begründungsmängel geltend gemacht:

7.       Mit Schriftsatz vom 25.09.2019, beim Bundesverwaltungsgericht eingelangt am 01.10.2018, legte die belangte Behörde die Beschwerde und den Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

8.       Mit Teilerkenntnis vom 07.10.2019 wurde der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt VI. stattgegeben, dieser ersatzlos behoben und festgestellt, dass der Beschwerde gem. § 13 Abs 1 VwGVG die aufschiebende Wirkung zukommt. Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass im vorliegenden Fall ohne nähere Prüfung des Sachverhaltes nicht ausgeschlossen werden könne, dass eine Abschiebung des BF nach Libyen eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 3 EMRK bedeuten würde.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Beweiswürdigung:

Der oben angeführte Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes der belangten Behörde sowie des nunmehr dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Gerichtsaktes.

2. Rechtliche Beurteilung:

2.1.    Zuständigkeit und anzuwendendes Recht

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 des Bundesgesetzes, mit dem die allgemeinen Bestimmungen über das Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Gewährung von internationalem Schutz, Erteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, Abschiebung, Duldung und zur Erlassung Suchbegriff von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen sowie Ausstellung von österreichischen Dokumenten für Fremde geregelt werden (BFA-Verfahrensgesetz - BFA-VG), BGBl I 87/2012 idgF entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl.

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz - BVwGG), BGBl I 10/2013 entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gegenständlich liegt somit mangels anderslautender gesetzlicher Anordnung in den anzuwendenden Gesetzen Einzelrichterzuständigkeit vor.

2.2.    Zu Spruchteil A):

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I 33/2013 idF BGBl I 122/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

Gem. §§ 16 Abs. 6, 18 Abs. 7 BFA-VG sind für Beschwerdevorverfahren und Beschwerdeverfahren, die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt und die angefochtene Weisung auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Absatz 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Absatz 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Gemäß § 28 Absatz 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

§ 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes, wenn "die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen" hat.

Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss. Gemäß Abs. 3 sind auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes § 29 Abs. 1 zweiter Satz, Abs. 4 und § 30 sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, mit der Sachentscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auseinandergesetzt und darin folgende Grundsätze herausgearbeitet:

Die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht komme nach dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Z 1 VwGVG nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht. Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt. Der Verfassungsgesetzgeber habe sich bei Erlassung der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I 51, davon leiten lassen, dass die Verwaltungsgerichte grundsätzlich in der Sache selbst zu entscheiden haben, weshalb ein prinzipieller Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte anzunehmen ist. Angesichts des in § 28 VwGVG insgesamt verankerten Systems stelle die nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bestehende Zurückverweisungsmöglichkeit eine Ausnahme von der grundsätzlichen meritorischen Entscheidungszuständigkeit der Verwaltungsgerichte dar. Nach dem damit gebotenen Verständnis stehe diese Möglichkeit bezüglich ihrer Voraussetzungen nicht auf derselben Stufe wie die im ersten Satz des § 28 Abs. 3 VwGVG verankerte grundsätzliche meritorische Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte. Vielmehr verlangt das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen wird daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

Ebenso hat der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur ausgesprochen, dass willkürliches Verhalten einer Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, dann anzunehmen ist, wenn in einem entscheidenden Punkt jegliche Ermittlungstätigkeit unterlassen wird oder ein ordnungsgemäßes Ermittlungsverfahren gar nicht stattfindet, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteienvorbringens oder dem Außer-Acht-Lassen des konkreten Sachverhaltes (vgl. VfSlg. 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001). Ein willkürliches Vorgehen liegt insbesondere dann vor, wenn die Behörde den Bescheid mit Ausführungen begründet, denen jeglicher Begründungswert fehlt (vgl. VfSlg. 13.302/1992 m. w. N., 14.421/1996, 15.743/2000).

Die Behörde hat die Pflicht, für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhaltes erforderlichen Beweise zu sorgen und auf das Parteivorbringen, soweit es für die Feststellung des Sachverhaltes von Bedeutung sein kann, einzugehen. Die Behörde darf sich über erhebliche Behauptungen und Beweisanträge nicht ohne Ermittlungen und ohne Begründung hinwegsetzen (vgl. Erkenntnis des VwGH vom 10.04.2013 zu Zl. 2011/08/0169 sowie dazu Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren Band I2, E 84 zu § 39 AVG).

Im vorliegenden Fall geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 Z 1 und 2 VwGVG, welche zu einer meritorischen Entscheidungspflicht führen, nicht gegeben sind.

2.2.1. Das von der belangten Behörde durchgeführte Ermittlungsverfahren erweist sich in wesentlichen Punkten als mangelhaft:

Wie aus dem Verfahrensgang ersichtlich hat sich das BFA mit der Rückkehrgefährdung des BF nach Libyen nicht ausreichend auseinandergesetzt bzw. die von ihm getroffenen Feststellungen in diesem Zusammenhang völlig ignoriert. So wurde begründend zur Situation des BF im Falle seiner Rückkehr ausgeführt, dass in Bezug auf dessen unmittelbaren Herkunftsort, nämlich XXXX und das XXXX eine relevante Gefährdungsprognose vorliege und davon auszugehen sei, dass bei einer Rückkehr des BF die reale Gefahr bestehe, dass er einer Verletzung der ihm nach Art 3 EMRK gewährleisteten Recht ausgesetzt werde. Es sei ihm jedoch möglich und zumutbar, sich im XXXX , in der XXXX , niederzulassen, wobei er auf die Unterstützung seiner Familie zurückgreifen könne.

Diese Ausführung steht jedoch im groben Widerspruch zu den im Bescheid zitierten Länderfeststellungen, wonach die Lage im ganzen Land extrem unübersichtlich und unsicher sei und es immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen komme. Davon können auch die Städte XXXX und XXXX betroffen sein. Der IS habe in XXXX Schulen, Universitäten und Polizeiausbildungszentren zerstört, der schließlich unter Führung von Marschall Khalifa Haftar besiegt worden sei. Haftar kontrolliere den Osten von Libyen und wolle nun die international anerkannte Regierung von Fajez al-Sarraj in Tripolis stürzen und die Hauptstadt unter Kontrolle bringen. Die staatlichen Sicherheitsorgane können keinen ausreichenden Schutz garantieren, zumal die libysche Regierung über große Teile des Landes die Kontrolle verloren habe, es eine Vielzahl von verschiedenen Akteuren (Stämmen, Milizen) gebe, die in unterschiedlichen Gebieten territoriale Hoheit ausüben, aufgrund der aktuellen politischen Situation in Libyen die Menschenrechts- und Sicherheitslage schnellen Änderungen unterliegen könne.

Somit ist es nicht schlüssig nachvollziehbar, dass die belangte Behörde angesichts der von ihr festgestellten Länderberichte davon ausgeht, dass für den BF in seinem Herkunftsstaat keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention zum Schutze der Menschrechte und Grundfreiheiten über die Abschaffung der Todesstrafe bedeuten würde, oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Insbesondere ist für die erkennende Richterin nicht ersichtlich, wie die belangte Behörde, unter Zugrundlegung der herkunftsstaatsbezogenen Länderfeststellungen, in der rechtlichen Beurteilung zu dem Schluss gekommen ist, dass kein Hinweis bestehe, wonach im gesamten Staatsgebiet von Libyen eine extreme Gefahrenlage mit besonders exzessiver und unkontrollierter Gewaltanwendung gegenüber der Zivilbevölkerung oder eine unmenschliche Behandlung bewirkende humanitäre Situation im Staatsgebiet vorläge.

Daher ist festzustellen, dass das BFA offenkundig in Bezug auf die Ermittlung der Sachlage nicht mit der ihr gebotenen Genauigkeit und Sorgfalt vorgegangen ist, weswegen ein grob mangelhaftes Ermittlungsverfahren durch die Behörde erster Instanz vorliegt. Aufgrund des mangelhaften Ermittlungsverfahrens hat die Behörde eine von der Judikatur geforderte ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens nicht vorgenommen, weil die Behörde dieses offensichtlich nicht anhand der konkret entscheidungsrelevanten aktuellen Situation gewürdigt hat (vgl. VwGH 26.11.2003, 2003/20/0389). Aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichtes verstößt das Prozedere der belangten Behörde gegen die in § 18 Abs. 1 AsylG 2005 normierten Ermittlungspflichten, sie missachtete die Verpflichtung der Verwaltungsbehörde, den maßgeblichen Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und festzustellen (vgl. zu alldem BVwG 06.11.2014, W163 2013651-1/2E).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wird sich daher im fortgesetzten Verfahren näher mit der Situation des BF im Falle seiner Rückkehr auseinanderzusetzen haben, dabei insbesondere die aktuelle Lage in Libyen zu berücksichtigen haben.

2.2.2. Da der maßgebliche Sachverhalt noch nicht feststeht, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid des Bundesasylamtes gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zurückzuverweisen.

2.2.3. Die Voraussetzungen für ein Absehen von der Verhandlung gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG, wonach eine mündliche Verhandlung unterbleiben kann, da aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, liegen vor.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Im gegenständlichen Fall wurde keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Die vorliegende Entscheidung basiert auf den oben genannten Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Abschiebung Asylverfahren Behebung der Entscheidung Einreiseverbot Ermittlungspflicht Kassation mangelhaftes Ermittlungsverfahren mangelnde Sachverhaltsfeststellung real risk reale Gefahr Rückkehrentscheidung subsidiärer Schutz Zurückverweisung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:I405.2223881.1.01

Im RIS seit

12.10.2020

Zuletzt aktualisiert am

12.10.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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