Entscheidungsdatum
12.05.2020Norm
AEUV Art267Spruch
I413 2170204-2/3Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA Nigeria, vertreten durch MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des BFA, Erstaufnahmestelle Ost (EASt-Ost) vom 06.04.2020, Zl. XXXX , beschlossen:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 17 Abs 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.
II. Das Verfahren wird gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes im Verfahren Ro 2019/14/0006 ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Begründung:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein nigerianischer Staatsangehöriger, reiste illegal nach Österreich und stellte am 31.03.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Befragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, mit dem Sohn seines Onkels geschlafen zu haben und deswegen aus seinem Dorf vertrieben worden zu sein, nachdem er verletzt worden sei. Er habe in Lagos unter einer Brücke leben müssen und fürchte, getötet zu werden.
2. Am 28.03.2017 wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde niederschriftlich einvernommen. Zu seinem Fluchtgrund befragt gab er an, er sei halb tot gewesen, als ihn die Dorfbewohner geschlagen hätten. Er habe mit dem Sohn seines Onkels geschlafen, der 12 Jahre alt gewesen sei. Sein Onkel habe das dann der ganzen Gemeinde gesagt, diese hätten ihn dann mit einer Flasche geschlagen und verbrannt. Ein guter Samariter habe ihn nach Benin mitgenommen und ihn gepflegt. Dann sei er nach Lagos gegangen, wo er Charly Ben kennengelernt habe, der ihm die Reise nach Österreich ermöglicht habe.
3. Mit verfahrensgegenständlichen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.08.2017, XXXX , wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 31.03.2016 hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigen in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Nigeria (Spruchpunkt II.) als unbegründet abgewiesen. Zugleich wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, gegen den Beschwerdeführer wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt III.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit zwei Wochen nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).
4. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.08.2019, mit Erkenntnis vom 29.08.2019, I412 2170204-1/9E, als unbegründet ab. Dieses Erkenntnis ist seit 02.09.2019 rechtskräftig.
5. Am 21.02.2020 stellte der Beschwerdeführer einen erneuten Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er im Rahmen der Ersteinvernahme am selben Tag wie folgt: „1. Grund: Als mein Vater 2008 verstarb, habe ich als ältester Sohn sein Haus und seine Grundstücke geerbt. Mein Vater hatte zu diesem Zeitpunkt eine 2. Ehefrau (meine Mutter und mein Vater lebten getrennt). Mit der 2. Ehefrau hatte mein Vater einen gemeinsamen Sohn namens OWIE Osamu Diamen und dieser hat seinen Anspruch auf das Erbe meines Vaters gestellt. Er versuchte mich zu töten. Mein leiblicher Bruder, namens Ebo, hat mir nun vor 2 Wochen telefonisch mitgeteilt, dass mich, wenn ich nach Nigeria zurückkomme, mein Stiefbruder töten wird. 2. Grund: Seit März 2019 habe ich gesundheitliche Probleme, mein Magen ist geschwollen. Ich wollte mich letztes Jahr in einem österr. Krankenhaus behandeln lassen, diese haben mich aber abgewiesen, da ich mit meiner Asylkarte nicht versichert sei. Ich benötige aber medizinische Behandlung.“
6. Am 09.03.2020 wurde der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde einvernommen. Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab er zusammengefasst an, dass er im letzten Asylantrag nicht die ganze Wahrheit aus Angst gesagt habe. Sein Halbbruder sei in einem Kultverein und bedrohe ihn. Als sein Vater vor acht Jahren starb, habe dieser ein großes Haus hinterlassen und nach dem Begräbnis habe die versammelte Verwandtschaft beschlossen, dass das Haus ihm gehöre. Sein Halbbruder habe dann gesagt, dass er den Beschwerdeführer aus diesem Grunde umbringen werde. Vor fünf Jahren habe ihn der Halbbruder gefesselt, angezündet und mit einer Flasche geschlagen sowie mit dem Messer in den Bauch gestochen. Hernach sei in das Spital gebracht worden. Die Familie habe sich versammelt und sich entschuldigt und gesagt, er wüsste ja, dass sein Halbbruder bei einem Kult sei. Wegen der Bedrohungen seitens des Halbbruders habe ihm die Familie gesagt, er solle das Haus und die Stadt verlassen und sei nach Lagos gezogen. Seine Familie habe gesagt, er solle das Land verlassen, weil sein Halbbruder ein höherrangiges Kultmitglied sei und nicht aufhören werde, bis er ihn getötet habe. Der Kult heiße AYE. Die Frage, ob die damaligen (Haupt-)Probleme (Erstantrag) nach wie vor gelten, bejahte der Beschwerdeführer. Es könne sich an die damaligen Angaben erinnern, er hätte gesagt, er sei homosexuell. Auf die Frage, ob diese damaligen Hauptprobleme noch bestünden, antwortete der Beschwerdeführer: „Nein, ich bin nicht homosexuell.“ Es gehe um den Anspruch des Erbes, wenn sein Halbbruder den Beschwerdeführer umbringe, dann bekomme er das Haus. Die Verfolgung durch seinen Halbbruder habe ihm sein leiblicher Bruder Ebo vor ca. drei Wochen mitgeteilt, indem er ihm ein Video geschickt habe, was die Kultmitglieder alles machten. Sein Halbbruder und Charly Ben, der ihn töten wolle, weil er ihm die 50.000 Euro zurückzahlen könne, weil er keine Arbeit habe, würden nach ihm suchen und wären bereit, ihn zu töten. Über Frage, warum er nicht schon früher das der Behörde mitgeteilt habe, antwortete der Beschwerdeführer, er habe von Charly Ben bereits im ersten Interview erzählt.
7. Mit Bescheid vom 06.04.2020, XXXX , wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz vom 21.02.2020 hinsichtlich des Status des Asylberechtigten und hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II.), erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte fest, dass seine Abschiebung nach Nigeria zulässig ist (Spruchpunkt V.), es besteht keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkt VI.) und erließ gegen den Beschwerdeführer ein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren (Spruchpunkt VII.).
8. Gegen diesen dem Beschwerdeführer durch Hinterlegung am 08.04.2020 zugestellten Bescheid richtet sich die fristgerechte, bei der belangten Behörde am 29.04.2020 eingelangte Beschwerde, mit der zusammengefasst die Rechtswidrigkeit des Inhaltes vorgebracht wird, weil entschiedene Sache nicht vorliege. Der Beschwerdeführer stellte die Anträge, den angefochtenen Bescheid aufzuheben, allenfalls zur Ergänzung des Verfahrens an die erste Instanz zurückzuverweisen, allenfalls dem Beschwerdeführer subsidiären Schutz zu gewähren, allenfalls einen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen zu erteilen, keine Rückkehrentscheidung zu erlassen, festzustellen, dass die Abschiebung nach Nigeria unzulässig sei, kein Einreiseverbot für die Dauer von zwei Jahren zu erlassen, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen.
9. Mit Schriftsatz vom 30.04.2020, eingelangt am 05.05.2020, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt Verwaltungsakt vor und beantragte, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Der in Punkt I. dargestellte Verfahrensgang wird festgestellt. Darüber hinaus werden nachstehende Feststellungen getroffen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers
Beim Beschwerdeführer handelt es sich um einen volljährigen, männlichen, nigerianischen Staatsbürger und somit um einen Drittstaatsangehörigen gemäß § 2 Abs. 4 Z 10 FPG.
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest.
Der Beschwerdeführer ist ledig, hat keine Kinder, gehört der Volksgruppe der Benin an und bekennt sich zum christlichen Glauben. Er ist Angehöriger der Pfingstkirche.
Der Beschwerdeführer ist nicht längerfristig pflege- oder rehabilitationsbedürftig und ist er daher auch erwerbsfähig.
Der Beschwerdeführer hat sechs Jahre die Grundschule besucht und verfügt über Arbeitserfahrung als Autowäscher.
Der Beschwerdeführer verfügt über familiäre Anknüpfungspunkte in Nigeria, wo zumindest seine Mutter und seine Geschwister noch leben, er pflegt telefonischen Kontakt zur Mutter.
Der Beschwerdeführer geht, abgesehen vom zeitweiligen Verkauf einer Straßenzeitung und einer freiwilligen Tätigkeit im „Garten der Begegnung“ keiner Beschäftigung nach, bezieht Leistungen aus der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig.
Der Beschwerdeführer reiste zu einem nicht feststellbaren Zeitpunkt ins österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 31.03.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.
Der Beschwerdeführer spricht nicht Deutsch, er weist keine maßgeblichen Integrationsmerkmale in sprachlicher, beruflicher und kultureller Hinsicht auf.
In Österreich verfügt der Beschwerdeführer über kein Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. Der Beschwerdeführer ist nicht homosexuell.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zum Fluchtvorbringen
Im ersten, abgeschlossenen Asylverfahren brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er habe Probleme in seinem Dorf, weil er mit dem zwölfjährigen Sohn seines Onkels geschlafen hätte. Sein Onkel habe das im ganzen Dorf erzählt und er sei von den Dorfbewohnern fast umgebracht worden. Sie hätten ihm mit einer Flasche Stich- und Schnittwunden zugefügt und am lebendigen Leib verbrennen wollen. Er habe davon Brandwunden an den Füßen. Ein guter Samariter habe ihn in ein Spital nach Benin gebracht. Dort sei er behandelt worden. Seine Mutter habe ihm empfohlen Benin zu verlassen und nach Lagos zu gehen. Dort habe er dann Charly Ben getroffen. Er habe jetzt auch mit Charly Ben Probleme, weil er ihm 50.000 Euro schulde. Dieses Fluchtvorbringen beurteilte das Bundesverwaltungsgericht – rechtskräftig – als nicht glaubhaft.
Im zweiten, gegenständlichen Verfahren brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, er habe das Haus seines verstorbenen Vaters geerbt. Sein Halbbruder wolle ihn töten, da er dann dieses Haus erben würde. Sein Halbbruder sei Mitglied eines Kults. Sein Halbbruder habe ihn bereits in der Heimat körperlich bedroht und würde ihn nach Rückkehr nach Nigeria töten, wie auch Charly Ben dies wegen einer Schuld von 50.000 Euro versuchen würde.
2. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in die Beschwerde, in den angefochtenen Bescheid, in den Verwaltungsakt des gegenständlichen und des bereits abgeschlossenen ersten Verfahrens sowie in den Gerichtsakt des Verfahren I412 2170204-1, insbesondere in das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.08.2019 (OZ 8Z) und in das Erkenntnis OZ 9E, sowie in den vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem ZMR; dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem über die Gewährleistung der vorübergehenden Grundversorgung für hilfs- und schutzbedürftige Fremde in Österreich, dem Auszug aus dem zentralen Fremdenregister sowie dem Auszug aus dem Strafregister.
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Aufgrund der im Verfahren unterlassenen Vorlage eines unbedenklichen nationalen Identitätsdokuments konnte die Identität des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.
Die Feststellungen zu seinem Familienstand, Volljährigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Religionszugehörigkeit und der Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde und wurden auch im Beschwerdeverfahren nicht bestritten.
Es gibt keine Hinweise auf eine gravierende gesundheitliche Beeinträchtigung des Beschwerdeführers. Dieser brachte in der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 21.08.2020 vor, Beulen am ganzen Körper zu haben bzw. Brandmale an den Füßen. (Aktuelle) medizinische Befunde, die eine akute bzw. längerfristig erforderliche medizinische Behandlungsbedürftigkeit belegen würde, konnte er jedoch nicht vorlegen, sondern brachte lediglich eine Überweisung ins Krankenhaus vom 26.07.2017 bzw. Röntgenaufnahmen vom Juli 2017 in Vorlage. Überdies geht der Beschwerdeführer einer freiwilligen Tätigkeit im „Garten der Begegnung“ nach bzw. verkauft eine Straßenzeitung, was ebenfalls für seine grundsätzliche Erwerbsfähigkeit spricht. Im Empfehlungsschreiben des Vorstands des Vereins „Garten der Begegnung“ wird überdies daraufhin gewiesen, dass der Beschwerdeführer sehr engagiert und motiviert zu den Arbeitstagen am Feld gekommen sei und über praktische Erfahrungen in der Landwirtschaft verfügt.
Die Feststellungen zu seiner Schulbildung, seiner Berufsausbildung und seiner Tätigkeit als Autowäscher ergeben sich aus den Aussagen des Beschwerdeführers im gesamten Verfahren.
Die Feststellung, dass (zumindest) die Mutter und Brüder des Beschwerdeführers in Nigeria leben und er mit diesen in Kontakt steht, ergibt sich ebenfalls aus den Aussagen des Beschwerdeführers im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.08.2020, in der er angab, seine Mutter alle zwei Monate zu kontaktieren.
Auch die Feststellung zu den Lebensumständen des Beschwerdeführers in Österreich gründen sich auf dessen eigene Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.08.2020 bzw. der Bezug der Grundversorgung aus dem Speicherauszug aus dem Betreuungsinformationssystem.
Der Beschwerdeführer brachte im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung am 21.08.2019 drei Empfehlungsschreiben in Vorlage, die zwar seine Tätigkeit als Verkäufer einer Straßenzeitung bzw. eine freiwillige Tätigkeit bei einem Verein belegten, jedoch nicht die Feststellung einer maßgeblichen sozialen Integration rechtfertigen. Zudem hält sich der Beschwerdeführer erst seit etwa vier Jahren im Bundesgebiet auf. Über das übliche Maß hinausgehende Integrationsmerkmale liegen beim Beschwerdeführer nicht vor.
Die Feststellungen zu seinem in Österreich nicht bestehenden Familienleben basieren auf den diesbezüglich glaubhaften Angaben vor der belangten Behörde am 09.03.2020. Dass der Beschwerdeführer – entgegen seinen Angaben im ersten Asylverfahren nicht homosexuell ist, hat der Beschwerdeführer vor der belangten Behörde am 09.03.2020 ausdrücklich angegeben. Er hat glaubhaft verneint, homosexuell zu sein (Protokoll vom 09.03.2020, S 8) und auch zugegeben im Rahmen des Erstverfahrens nicht die Wahrheit gesagt zu haben (Protokoll vom 09.03.2020, S 7). Zu den Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Beziehung mit einem nigerianischen Staatsbürger wird auf die Ausführungen unter 2.3. zu den Fluchtmotiven des Beschwerdeführers verwiesen.
Der Beschwerdeführer konnte kein Zertifikat über den Besuch eines Deutschkurses vorlegen. In der mündlichen Verhandlung am 21.08.2019 konnte sich die erkennende Richterin von seinen fehlenden Deutschkenntnissen überzeugen, woran sich – wie aus dem Protokoll vom 09.03.2020 (S 3) hervorgeht – nichts geändert hat.
Weitere Nachweise einer integrativen Verfestigung wurden nicht vorgebracht und ergeben sich auch nicht aus der Einvernahme vom 09.03.2020 vor der belangten Behörde.
Die strafrechtliche Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus einer Abfrage des Strafregisters der Republik Österreich.
2.2 Zu den Fluchtgründen
Die Feststellung der Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen im ersten Asylverfahren ergeben sich unzweifelhaft aus seinen Angaben vor der belangten Behörde vom 28.03.2019 (Protokoll S 3, 5 ff) sowie im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.08.2019 (Protokoll S 8 ff). Danach ergibt sich zusammengefasst zweifelsfrei, dass der Beschwerdeführer seinen ersten Asylantrag ausschließlich auf eine angebliche Verfolgung wegen einer – im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 21.08.2019 relativierten – Vergewaltigung seines Neffen sowie wegen eines Problems mit einem Charly Ben, dem er Geld schulde, stützte.
Die Feststellung zu den nunmehr im Verfahren vorgebrachten Fluchtgründen ergeben sich zweifelsfrei aus dem Protokoll der Ersteinvernahme vom 21.02.2020 und aus dem Protokoll der niederschriftlichen Einvernahme durch die belangte Behörde am 09.03.2020 (Protokoll S 7 ff). Der Beschwerdeführer stützt seinen nunmehrigen Antrag nicht mehr auf seine vermeintliche Homosexualität, die er glaubhaft nunmehr verneint und als unwahre Angabe bezeichnet (Protokoll vom 09.03.2020, S. 7 und 8). Er stützt sich im Kern nunmehr auf eine Erbschaftsangelegenheit und eine daraus resultierende, angebliche Verfolgung durch seinen Halbbruder. Zudem erwähnt er auch, dass er Charly Ben Geld schulde und dass dieser bereit wäre ihn zu töten (Protokoll vom 09.03.2020, S 9).
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Rechtliche Grundlagen
§ 16 Abs. 2 BFA-VG lautet:
„(2) Einer Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der
1. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und diese mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist,
2. ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht oder
3. eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG erlassen wird, sowie einem diesbezüglichen Vorlageantrag kommt die aufschiebende Wirkung nicht zu, es sei denn, sie wird vom Bundesverwaltungsgericht zuerkannt.“
§ 17 BFA-VG lautet:
„(1) Das Bundesverwaltungsgericht hat der Beschwerde gegen eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf internationalen Schutz zurückgewiesen wird und
1. diese Zurückweisung mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbunden ist oder
2. eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung bereits besteht
sowie der Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG jeweils binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen durch Beschluss die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in den Staat, in den die aufenthaltsbeendende Maßnahme lautet, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.
(2) Über eine Beschwerde gegen eine zurückweisende Entscheidung nach Abs. 1 oder gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 Abs. 1 Z 2 FPG hat das Bundesverwaltungsgericht binnen acht Wochen zu entscheiden.
(3) Bei der Entscheidung, ob einer Beschwerde gegen eine Anordnung zur Außerlandesbringung die aufschiebende Wirkung zuerkannt wird, ist auch auf die unionsrechtlichen Grundsätze der Art. 26 Abs. 2 und 27 Abs. 1 der Dublin-Verordnung und die Notwendigkeit der effektiven Umsetzung des Unionsrechtes Bedacht zu nehmen.
(4) Ein Ablauf der Frist nach Abs. 1 steht der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.“
§ 32 AVG lautet:
„Sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, ist die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.“
3.2. Anwendung auf den gegenständlichen Fall:
Die belangte Behörde begründete ihre Zurückweisung des Antrages einerseits damit, dass sich das Fluchtvorbringen gegenüber der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 29.08.2019 nicht geändert habe und dass somit das Vorbringen bereits rechtskräftig als unglaubhaft qualifiziert worden sei.
Generell wäre der Antrag nach der aktuellen Rechtslage bzw Rechtsprechung - unabhängig von der Frage der Glaubhaftmachung - wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, da die Probleme des Beschwerdeführers mit seinem Halbbruder wegen des Erbes und die behauptete Verfolgungsgefahr ja bereits zum Zeitpunkt seines ersten Asylverfahrens vorgelegen hätten: Nach österreichischem Recht kann eine rechtskräftig entschiedene Sache nicht neuerlich entschieden werden. Stellt ein Antragsteller in derselben Sache einen neuerlichen Antrag, ist eine inhaltliche Entscheidung darüber auch dann ausgeschlossen, wenn die Tatsachen und Beweismitteln, auf die sich der Antragsteller beruft, schon vor Abschluss des Erstverfahrens bestanden haben. In so einem Fall kann ein Antragsteller nur die Wiederaufnahme des früheren Verfahrens begehren (VwGH 28.08.2019, Ra 2019/14/0091).
Diese Rechtslage gilt auch für wiederholte Anträge auf internationalen Schutz (sog. Folgeanträge). Das österreichische Asylrecht enthält insoweit keine Sonderregelungen.
Es stellt sich die Frage, ob dies in Fällen wie dem gegenständlichen, in dem - wenn man von einem glaubhaften Vorbringen ausgeht - dem Beschwerdeführer eventuell kein Vorwurf daraus gemacht werden kann, dass er bei der ersten Antragstellung nicht die Wahrheit gesagt hatte, den Vorgaben der Richtlinie 2013/32/EU (Verfahrensrichtlinie), die verfahrensrechtliche Vorschriften für die Zuerkennung von internationalem Schutz enthält, entspricht.
In Zusammenhang mit dieser Rechtsfrage hat der Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ro 2019/14/0006 mit Beschluss vom 18.12. 2019, ein Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gestellt (EU 2019/0008), mit folgenden Vorlagefragen:
„1. Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren:
Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen "neue Elemente oder Erkenntnisse", die "zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind", auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?
Falls Frage 1. bejaht wird:
2. Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?
3. Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“
Dass § 38 AVG Anwendung bei Vorabentscheidungsersuchen an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) findet, wurde vom VwGH wiederholt judiziert (vgl VwGH 13.12.2011, 2011/22/0316). Der Ausgang des gegenständlichen Vorabentscheidungsverfahrens ist unmittelbar für die im gegenständlichen Verfahren zu treffende Rechtsfrage präjudiziell, weshalb das gegenständliche Verfahren bis zur Entscheidung durch den Verwaltungsgerichtshof im Verfahren Ro 2019/14/0006 – nach entsprechender Beantwortung der vorgelegten Fragen durch den Europäischen Gerichtshof – auszusetzen war.
Die aufschiebende Wirkung war der Beschwerde gemäß § 17 VwGVG aus folgenden Gründen zuzuerkennen: Es liegt eine mit einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme verbundene Zurückweisung des (zweiten) Antrages auf internationalen Schutz vor. Ohne eine meritorische Beurteilung der Frage der Asylrelevanz des Vorbringens des Beschwerdeführers in seinem jetzigen Verfahren kann nicht von Vornherein ausgeschlossen werden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat, eine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Nigeria ist kein sicherer Herkunftsstaat.
In der Beschwerde wird nur vorgebracht, dass offensichtlich keine entschiedene Sache vorliege. Eine genaue Bezeichnung von Gründen, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt (§ 17 Abs 1 letzter Satz BFA-VG) fehlt gänzlich.
Dennoch ist bis zur erfolgten Vorabentscheidung im Verfahren Ro 2019/14/0006 und dem Ausgang dieses Verfahrens – sohin bis zur Fortsetzung dieses Verfahrens – die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt werden, ohne dass bereits eine meritorische Entscheidung treffen zu müssen. Mit der Aussage, eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat würde eine oder auch keine reale Gefahr einer Verletzung von Art 2 EMRK, Art 3 EMRK, Art 8 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen, erfolgt eine meritorische Prüfung des dem gegenständlichen Folgeantrag zugrundeliegenden Vorbringens, was jedoch die „Sache“ des gegenständlichen Verfahrens nach herrschender Rechtsprechung übersteigen würde. Hieran würde auch die Verneinung eines glaubhaften Kerns des nunmehrigen Vorbringens nichts ändern, weil gerade diese Fragestellung den Aussetzungsgrund betrifft.
Es waren daher die aufschiebende Wirkung nach § 17 Abs 1 BFA-VG und die Aussetzung des Verfahrens bis zur Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen im Verfahren Ro 2019/14/0006, gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG auszusprechen.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art 133 Abs 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Der gegenständliche Beschluss betrifft die Regelung eines Einzelfalls, der für sich gesehen nicht reversibel ist. Er stützt sich auf die nicht als uneinheitlich zu beurteilende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, insbesondere die zitierte Rechtsprechung, und wirft keine Rechtsfrage von Bedeutung auf.
Schlagworte
Asylverfahren aufschiebende Wirkung Aussetzung Aussetzung der Entscheidung Bindungswirkung entscheidungsrelevante Sachverhaltsänderung entschiedene Sache EuGH Folgeantrag geänderte Verhältnisse Identität der Sache Menschenrechtsverletzungen real risk reale Gefahr Rechtskraft der Entscheidung Rechtskraftwirkung res iudicata Vorabentscheidungsersuchen Vorabentscheidungsverfahren Vorfrage VwGH wesentliche Sachverhaltsänderung ZurückweisungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:I413.2170204.2.01Im RIS seit
12.10.2020Zuletzt aktualisiert am
12.10.2020