TE Bvwg Erkenntnis 2020/6/15 W195 2209850-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.06.2020
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Entscheidungsdatum

15.06.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W195 2209850-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 06.11.2018, XXXX nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 04.06.2020 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

I.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 09.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Im Rahmen einer am Tag der Antragstellung vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes erfolgten niederschriftlichen Erstbefragung legte der BF seine Fluchtgründe dar.

Er habe im September 2012 Bangladesch verlassen um in Österreich zu studieren. Am 02.12.2013 sei er wieder nach Bangladesch geflogen, um seine Familie zu besuchen. Am 09.12.2013 habe er seine Tante besucht und ging spazieren, als er an einer Demonstration vorbeigekommen sei. Die Demonstranten hätten einen Bus angegriffen und es sei später die Polizei gekommen. Der BF sei davongelaufen und habe sich versteckt. Am nächsten Tag sei die Polizei bei ihm zu Hause vorbeigekommen und habe ihm vorgeworfen, an der Demonstration teilgenommen zu haben. Daraufhin sei er weggelaufen und habe sich versteckt, bis er am 16.12.2013 nach Österreich geflogen sei. Später habe er durch Freunde erfahren, dass eine Anzeige gegen ihn vorliege. Er stellte deshalb am 09.08.2017 den Antrag auf internationalen Schutz.

Im Zuge der weiteren Erhebungen durch das BFA konnte festgestellt werden, dass der vom BF am 27.08.2015 gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Zweck „Schüler“ XXXX , am 24.10.2017 rechtskräftig abgewiesen worden war. Begründet wurde diese Entscheidung damit, dass der letzte Aufenthaltstitel des BF bis 16.08.2015 gültig gewesen sei. Zwar habe der BF am 27.08.2015 einen neuerlichen Antrag eingebracht, konnte jedoch nicht beweisen, dass er wegen eines unvorhergesehenen oder unabwendbaren Ereignisses an einer früheren, als „Verlängerungsantrag“ zu wertenden Antragstellung gehindert gewesen wäre. Vielmehr gab der BF an, dass er „vergessen“ habe, den Antrag zeitgerecht zu stellen. Es wäre somit sein Antrag als „Erstantrag“ zu beurteilen. Da er jedoch als Staatsangehöriger von Bangladesch nicht berechtigt sei, einen diesbezüglichen Antrag im Bundesgebiet zu stellen, wurde dieser Antrag – rechtskräftig – abgewiesen. Der BF hatte somit seit 16.08.2015 keinen rechtsgültigen Aufenthaltstitel.

I.2. Der BF meldete mit Wirksamkeit vom 14.03.2018 das freie Gewerbe „Güterbeförderung (mit KFZ bis 3,5 t)“ an.

I.3. Am 24.10.2018 erfolgte die Einvernahme des BF vor dem BFA.

Zu seinen Familienverhältnissen befragt gab der BF an, eine Mutter sowie eine Schwester und einen Bruder, alle wohnhaft in Österreich, zu haben. Seine Schwester habe einen österreichischen Staatsbürger geheiratet, worauf seine Mutter und sein Bruder vor zwei Jahren mit einem Familienvisum nachgezogen seien. Sein Vater wohne in Saudi-Arabien. Er sei ledig und habe keine Kinder. Zu seiner Ausbildung gab der BF an, er habe 12 Jahre Grundschule gemacht sowie in Österreich die Tourismusschule „Modul“ absolviert. Unterstützt werde er von seinem Vater sowie von einem Onkel. Darüber hinaus würde er ca € 1.000 monatlich verdienen; in diesem Zusammenhang legte der BF einen Ausdruck aus dem Gewerbeinformationssystem Austria (GISA) vom 09.04.2018 vor, der bescheinigt, dass der BF das freie Gewerbe im Bereich „Hausreinigung“ (samt einfacher Wartungsarbeiten) ausübe.

Er sei bei keinem Verein tätig. Er habe auf Englisch studiert, die Deutschprüfung mache er im nächsten Monat, er habe kein Problem mit Deutschsprechen und Schreiben. Den Tag verbringe er mit Musikproduktion, er arbeite in seiner eigenen Firma und besuche Partys mit Freunden. Darüber hinaus studiere er auch im IT-Sektor, das habe er zuvor auch schon studiert, und er spezialisiere sich auf den Bereich der Cyber-Security.

Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF eingangs an, dass er schon vor seiner ersten Reise nach Österreich einfaches Mitglied der BNP gewesen sei.

Seinen konkreten Fluchtgrund schilderte der BF dahingehend, dass er am 02.12.2013 plötzlich nach Bangladesch geflogen sei, um seine „kranke Mutter“ zu besuchen. Er habe einige Tage später in XXXX , in der XXXX einen Freund, der bei dessen Mutter lebe, besucht. Er habe gesehen, wie viele Menschen auf ihn zugekommen seien, wie ein Bus in Brand gesetzt wurde und sodann die Polizei zum Ort des Vorfalls ging. Plötzlich habe jemand gerufen, dass sie weglaufen sollten. Weil die Situation eskalierte sei auch er weggelaufen und „kehrte [der BF] laufend nachhause nach XXXX zurück“ (50 km entfernt). In der Nacht des nächsten Tages seien Polizisten bei ihm zu Hause erschienen. Der BF habe sich versteckt und seine Familienmitglieder hätten ihm danach mitgeteilt, dass gegen den BF ein Haftbefehl ausgesprochen worden sei. Er habe dann seine Reise nach Österreich vorverlegt, habe sich so lange versteckt gehalten und sei dann nach Österreich geflogen.

Er habe sich in Österreich wieder auf das Studium konzentriert, aber in der letzten Zeit sei er sehr depressiv gewesen, weil der Verfahrensstand sehr schlimm geworden sei.

Da die Awami-League seinetwegen immer wieder die Familie belästigt habe, habe seine mittlerweile in Österreich verheiratete Schwester die Mutter und den Bruder nach Österreich mittels Familienvisums nachgeholt.

Da sein Aufenthalt in Österreich abgelaufen sei, wollte er sich um eine Verlängerung bemühen, welche er letztlich nicht bekam. Er habe auch mit seinem Rechtsanwalt in Bangladesch gesprochen, der ihm mitgeteilt habe, dass ein Strafverfahren gegen den BF geführt werde. Die Lage sei sehr schlecht, wenn er zurückkehre, wäre sein Leben in Gefahr. Man würde ihn direkt vom Flughafen weg verschwinden lassen.

Hinsichtlich seiner politischen Tätigkeit führte der BF aus, dass er ein einfaches Mitglied der BNP gewesen sei. Er hätte „ein bekanntes Gesicht“ gehabt, man hätte ihn erkannt „durch verschiedene Freunde, durch Bekannte“.

Die Anzeige sei am 09.12.2013 erstattet worden, der Haftbefehl sei vom 10.12.2013. Er sei beschuldigt worden, dass er mit Waffen und verschiedenen Feuerzündern den Bus in Brand gesetzt habe, von den Reisenden im Bus Schmuck und Geld geraubt und die Insassen des Busses körperlich attackiert habe. Er habe auch die Behörden behindert, den Brand zu löschen.

Der BF legte zum Beweis seiner Ausführungen in Kopie 22 Seiten in bengalischer Sprache sowie eine Bestätigung seiner Mitgliedschaft (auf Bengali und in englischer Übersetzung) beim „ XXXX “, einen politischen Arm der BNP, vor.

I.4. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 06.11.2018, Zl. 598805203-170931303/BMI-BFA_WIEN_RD, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1–3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.

I.5. Mit Schriftsatz vom 16.11.2018 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des – durch den MigrantInnenverein St. Marx vertretenen – BF zur Gänze angefochten.

Neben der Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes und der behaupteten Fluchtgründe wurde dabei zusammengefasst begründend ausgeführt, dass das BFA ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren durchgeführt habe. Es habe unrichtige Feststellungen getroffen und außer Acht gelassen, dass vor den Wahlen in Bangladesch Anfang Jänner 2014 tatsächlich in Übereinstimmungen mit den Länderfeststellungen anlässlich von „Wahlveranstaltungen“ es zu Auseinandersetzungen gekommen sei, die mindestens 18 Menschenleben gefordert hätten. Polizisten hätten das Feuer auf tausende Demonstranten eröffnet, mehr als 200 Wahllokale seien in Brand gesetzt worden. Das Vorbringen des BF sei jedenfalls plausibel, die vorgelegten Unterlagen hätten keine entsprechende Würdigung durch die belangte Behörde erfahren, wodurch auch die Verletzung von Verfahrensvorschriften gegeben wäre.

Bei einer Gesamtbetrachtung sei davon auszugehen, dass dem BF Asyl, aber zumindest subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen wäre.

I.6. Mit Schreiben vom 19.11.2018 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

I.7. Mit der Ladung zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde dem BF das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand April 2020) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 04.06.2020 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.

I.8. In Vorbereitung zu dieser Verhandlung übermittelte der engagierte Vertreter des BF zusätzliche Unterlagen, insbesondere einen Nachweis der Absolvierung der Integrationsprüfung Niveau A2 (2018), einen Mietvertrag; eine Bestätigung von „ XXXX “ Wien darüber, dass der BF „von 2012 bis 2016“ die Schule „besucht“ habe; die Ruhendstellung des Gewerbes des BF betreffend Hausbetreuung einschließlich Reinigung, vom 18.11.2019; eine Gewerbeanmeldung für die XXXX vom 18.12.2018 betreffend Gastgewerbe Restaurant; Firmenbucheintrag zur genannten KG.

I.9. Am 04.06.2020 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Vertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.

In der Verhandlung legte der BF Fotokopien des Identitätsausweises und des Führerscheines seines Vaters aus dem XXXX sowie einen facebook-screenshot zum Beweis der musikalischen Laufbahn des BF vor.

Begleitet wurde der BF von seiner Mutter, seiner Schwester und seiner Verlobten; der jüngere Bruder des BF befand sich im allgemeinen Aufenthaltsbereich des BVwG mit dem vierjährigen Neffen des BF.

Hinsichtlich seines Gesundheitszustandes gab der BF an, dass er keine Probleme habe, insbesondere wurde keine lebensbedrohliche Erkrankung vom BF angeführt.

Zu seinem Familienstatus bemerkte der BF, dass er ledig sei und keine Kinder habe. Er sei jedoch mit der im Verhandlungsraum anwesenden XXXX (phonetisch), verlobt, welche 24 Jahre alt sei. Sie seien bereits seit zehn Jahren verlobt; sie wäre seit 05.09.2019 in Österreich aufgrund eines „Studentenvisums“ und sie würde „ XXXX “ studieren.

Seine Schwester, XXXX (phonetisch), Staatsbürgerschaft Bangladesch, war mit einem mittlerweile österreichischen Staatsbürger verheiratet, hatte im vergangenen Jahr ihre Scheidung und lebe nun mit ihrem vierjährigen Sohn zusammen.

Die Mutter, XXXX (phonetisch), und der jüngere Bruder, der im Vorraum des BVwG auf den Neffen aufpasse, seien mit dem Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung Familienangehöriger“, der Tochter nachgehend, in Österreich.

Darüber hinaus habe er noch Onkel vs und ms, Tante und Cousin in Österreich.

Zu seinem Aufenthalt in Österreich befragt gab der BF – zusammengefasst – an, dass er am 17.09.2012 nach Österreich gekommen sei, nachdem er sich dazu im August 2011 entschlossen habe. Er sei mit einem Schülervisum gekommen, welches bis 15.08.2016 gültig gewesen sei. Der BF wollte „Hotelmanagement“ studieren und habe sich im „ XXXX “ angemeldet. Im ersten Semester habe er ein „gut“ bekommen. Am 03.12.2013 sei er nach Bangladesch geflogen; nachgefragt, weshalb er mitten im Semester nach Bangladesch geflogen sei, gab der BF an: „ich vermisste meine Familienmitglieder, meine Schwester bzw. meine Freundin; ich wollte eine Überraschung machen, sie hatte Geburtstag am 01. Jänner und ich hatte einen Plan sie zu überraschen. Außerdem wurde eine Veranstaltung für mich fixiert und ich hatte auch ein anstehendes Interview bei XXXX “. Wiederholt nachgefragt gab der BF letztlich zu, dass er nach seiner Rückkehr aus Bangladesch nach Österreich (16.12.2013) im „ XXXX “ keine Prüfung mehr bestanden habe. Er habe im März 2016 aufgehört „zu studieren“. Auch die vorgelegte schriftliche „Bestätigung Schulbesuch“ des „ XXXX “ vom 01.02.2019 bestätigt lediglich, dass der BF die Schule „besucht“ habe, ein Abschluss oder Schulerfolg wird damit nicht bestätigt.

Der BF hat im Rahmen der Verhandlung auch eine Gewerbeanmeldung Hausbetreuung (Reinigung) per 01.04.2018 vorgelegt, welche am 18.11.2019 ruhend gestellt wurde.

Dazu befragt gab der BF an, dass er „seit Juni oder Juli 2013 eine Teilzeitarbeit hatte“ (als Küchenhilfe). Er habe später eine Putzfirma eröffnet, aber da seine Erfahrung im Bereich Gastronomie liege habe er gemeinsam mit seiner Schwester ein Restaurant im XXXX eröffnet. Momentan „beaufsichtige“ er sein Geschäft, welches er seit Dezember 2019 habe. Er habe damals ein Einkommen von 3000, 4000 Euro gehabt, wegen der Corona-Pandemie es jedoch schließen müssen. Es sei seit 15. Mai 2020 wieder geöffnet und habe der BF mittlerweile „als Taschengeld schon 2000, 3000 Euro“.

In seiner Freizeit gehe er fort und mache Musik, denn er sei Musiker. Er „streame“ gerne Musik. Er habe einen Facebook-Auszug vorgelegt, um zu beweisen, dass er eine „authentic public figure“ sei und als Musiker in Bangladesch bekannt sei. Er habe viele Fans und „follower“, weil er Musik mache. Er programmiere auch und studiere Speisepläne. Er habe alle mögliche Freunde, mit denen er – neben dem Programmieren – Spiele spiele oder in Clubs gehe. Es seien österreichische Freunde und Freunde von anderen Ländern.

Der VP stellte fest, dass mit dem BF eine Konversation in deutscher Sprache – entsprechend dem Zertifikat A2 - möglich war, weil der Sprachwortschatz ausreichend ist. Die Antworten erfolgten nicht immer in mit vollen Sätzen.

Zu seinem Fluchtgrund führte der BF – zusammengefasst – in der Verhandlung vor dem BVwG aus:

Während seines Heimaturlaubes hätte es am 12.12.2013 eine Großdemonstration der BNP gegeben. Es sei zu Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und den Bürgern gekommen. Man wollte seiner habhaft werden, man sei ihm nachgerannt und man versuchte, ihn festzunehmen, denn man erkannte ihn als Musiker und er habe in Bangladesch „für sie“ Musik gemacht. Er sei entkommen und nach Hause gegangen. In der Nacht habe er plötzlich gesehen, wie die Polizei kam und er sei aus der Unterkunft durch den Hinterweg entkommen. Über Verwandte habe er erfahren, dass gegen ihn ein polizeilicher Haftbefehl ausgestellt worden sei. Deshalb sei er am 16.12.2013, dem „Tag des Sieges“, (später widersprüchliche Aussage: am 13.12.2013), als schon alles „abgekühlt“ war, nach Österreich geflogen.

In der Anzeige vom 12.12.2013 werde ihm vorgeworfen, das er Angriffe ausgeübt habe, Menschen getötet, einen Bus in Brand gesetzt sowie Schlägereien durchgeführt habe.

Er sei ohne Probleme von Bangladesch ausgereist und führe dies darauf zurück, dass es der „Tag des Sieges“ gewesen sei und damals nicht gleich alles zur „Immigration“ via Internet weitergeleitet worden sei.

Sein Vater habe gemeinsam mit einem Anwalt versucht näheres zu erfahren und habe die Kopien erlangt. Der Anwalt der Familie habe vorgebracht, dass der BF ein Musiker sei und lediglich für die BNP Musik gemacht hatte, er im Ausland gewesen sei und der BF eine einfache Person sei und im Ausland studiere. Der Anwalt sei aber nicht zum Gericht vorgelassen worden.

Abschließend führte der Vertreter des BF aus, dass der BF keinerlei Anknüpfungspunkte zu Bangladesch habe. Er sei seit mehr als sechs Jahren in Österreich, sprachlich und wirtschaftlich gut integriert, selbsterhaltungsfähig. Es sollte deshalb zumindest die Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig sein in Hinblick auf das Privat- und Familienleben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali.

Der BF ist in Bangladesch geboren. Zuletzt hat er in Bangladesch in XXXX , gewohnt. Er hat in seinem Heimatland für fünf Jahre die Grundschule und sieben Jahre die AHS besucht.

Hinsichtlich des Aufenthaltstitels wird festgestellt: Der BF ist am 17.09.2012 nach Österreich mit einem „Schülervisum“ gekommen und wollte in der Wiener Tourismusschule „ XXXX “ lernen. Im rechtskräftigem Bescheid der XXXX vom 24.10.2017, wurde festgehalten, dass der BF ursprünglich einen Aufenthaltstitel (Schülervisum) bis 16.08.2015 hatte. Da ein „Verlängerungsantrag“ erst am 27.08.2015 eingebracht wurde, musste dieser als „Neuantrag“ beurteilt werden; ein derartiger „Neuantrag“ kann jedoch nicht im Inland gestellt werden, sondern nur im Herkunftsland. Als Grund des – verspäteten – Verlängerungsantrages gab der BF seinerzeit an, darauf „vergessen“ zu haben, ein unabwendbares oder unvorhergesehenes Ereignis sei nicht vorgelegen oder behauptet worden.

Der BF lebte somit seit 16.08.2015 bis zur Antragstellung internationaler Schutz am 09.08.2017 illegal in Österreich.

Festgestellt wird, dass der BF mit der Ausbildung im „ XXXX “ im September 2012 begonnen, nach eigenen Angaben jedoch seit Dezember 2013 keine Prüfung mehr bestanden hat und im März 2016 aufhörte, zu „studieren“. Stattdessen arbeitete er seit Mitte 2013 als Küchenhilfe, danach von 01.04.2018 bis 18.11.2019 selbständig in der Hausbetreuung (Reinigung) und habe er auf Grund seiner „Erfahrung“ gemeinsam mit seiner Schwester im Dezember 2019 ein Restaurant im XXXX eröffnet, welches er „beaufsichtige“.

Zu seinen Familienverhältnissen wird festgestellt: Die Schwester des BF, bengalische Staatsbürgerin, befindet sich in Österreich und lebt seit zumindest einem Jahr geschieden von ihrem Ehemann, der die österreichische Staatsbürgerschaft hatte. Ihr vierjähriger Sohn lebt bei ihr.

Die Mutter des BF lebt, ebenso wie der jüngere Bruder des BF, beide bengalische Staatsbürger, mit dem Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“, gebunden an die genannte Tochter, in Österreich.

Der Vater des BF lebt in XXXX , jeweils ein Onkel vs und ms, Tante und Cousin in Österreich. Ob bzw. welche Verwandte des BF noch in Bangladesch leben, blieb im Dunkeln. Die Familie besaß Grundstücke in Bangladesch, habe diese „hinterlassen“.

Der BF ist ledig, hat keine Kinder und ist seit 10 Jahren verlobt. Seine derzeit 24-jährige Verlobte, bengalische Staatsbürgerin, hält sich seit 05.09.2019 in Österreich mit einem „Studentenvisum“ auf und studiert „ XXXX “. Die Verlobte wohnt nicht beim BF.

Der BF erzielte während seiner selbständigen Tätigkeit Hausbetreuung (Reinigung) ein Einkommen von ca. € 1.000 pro Monat; hinsichtlich seines derzeitigen Einkommens gibt der BF an, dass er seit 15. Mai 2020 „als Taschengeld 2000, 3000 Euro“ erhalten habe.

In Österreich ist der BF seit acht Jahren bemüht, seine Deutschkenntnisse, welche derzeit Niveau A2 haben, zu verbessern. Er würde gerne ein Diplom in Gesundheits- und Krankenpflege machen (Aussage vor dem BFA), er würde gerne das gemeinsame Restaurant betreiben und Musiker sein (Aussage vor dem BVwG).

Der BF engagierte sich während seines bisherigen Aufenthaltes nicht ehrenamtlich. Er ist strafrechtlich unbescholten.

Der BF ist gesund und hat keine lebensbedrohliche Erkrankung geltend gemacht.

I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:

Es wird festgestellt, dass der BF behauptet, einfaches Mitglied der BNP zu sein.

Es wird festgestellt, dass der BF vor dem BFA ausführte, dass er Anfang Dezember 2023 nach Bangladesch flog, „um seine kranke Mutter“ zu besuchen (Aussage vor dem BFA). Widersprüchlich dazu vor dem BVwG: „Ich vermisste meine Familienmitglieder, meine Schwester bzw. meine Freundin; ich wollte eine Überraschung machen. Sie hatte Geburtstag am 01. Jänner und ich hatte einen Plan, sie zu überraschen. Außerdem wurde eine Veranstaltung für mich fixiert und ich hatte auch ein anstehendes Interview bei XXXX “.

Es wird festgestellt, dass der BF behauptete während eines Heimaturlaubes in Bangladesch im 12.12.2013 in eine Demonstration geraten zu sein, die eskalierte (Aussage vor BFA). Die genaue Rolle des BF konnte nicht festgestellt werden, auch mangels genauerer Schilderung durch den BF (Aussage vor BFA). Widersprüchlich dazu die Aussage des BF vor dem BVwG: „Man wollte meiner habhaft werden, man sei ihm nachgerannt und man versuchte, ihn festzunehmen, denn man erkannte ihn als Musiker und er habe in Bangladesch „für sie“ [die BNP, bei der Großdemonstration] Musik gemacht“.

Der BF behauptete, an diesem Tag, dem 12.12.2013, „einen Freund besucht“ zu haben (anders: Ersteinvernahme: „eine Tante“).

Der BF behauptet, dass die Polizei ihn in der Nacht des 12.12.2013 im vom Demonstrationsort 50km entfernten Heimatort gesucht habe, und am 12.12.2013 gegen ihn eine Anzeige erstattet worden sei.

Der BF behauptet, dass der von seinem Vater engagierte Anwalt keinen Zugang zum Gerichtsgebäude erhalten habe, um den BF zu verteidigen.

Der BF konnte am 16.12.2013 (widersprüchliche Aussage: 13.12.2013; beide Daten vor BVwG) ungehindert aus Bangladesch ausreisen, weil es an diesem Tag („Tag des Sieges“ = 16.12.) alles „friedlich“ war. Festgestellt wird, dass der BF behauptet, als Musiker in Bangladesch bekannt zu sein, der viele Fans und „follower“ habe und er in Bangladesch als Musiker eine bekannte Persönlichkeit sei. Festgestellt wird somit, dass der BF – trotz seiner behaupteten Bekanntheit – ohne Probleme Bangladesch verlassen konnte.

Gegen den BF bestünde eine Anzeige vom 09.12.2013 (Aussage vor BFA; widersprüchlich Aussage vor BVwG: 12.12.2013), ein entsprechendes Dokument legte der BF aber nicht vor. Festgestellt wird, dass das Datum der Anzeige mit 09.12.2013 – somit vor der behaupteten, damit zusammenhängenden Demonstration vom 12.12.2013 - keinen Sinn ergibt. Der BF legte lediglich Kopien, teilweise unleserlich, jedenfalls ausschließlich in bengalischer Sprache vor. Es ist dem mit einem ausreichenden Einkommen ausgestatteten BF zumutbar, dass er diese Unterlagen in beglaubigter deutschsprachiger Übersetzung vorlegt.

Sonstige Anzeigen oder eine sonstige politische Verfolgung sei nach Aussagen des BF nicht gegeben, ein anderer Fluchtgrund liege nicht vor.

Festgestellt wird, dass der BF trotz behaupteter politischer Verfolgung seit Mitte Dezember 2013 erst am 09.08.2017 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat.

Festgestellt wird, dass eine Rückkehr des BF ohne weitere Verfolgungshandlung durch den Heimatstaat geprägt ist.

II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:

1.       Politische Lage

Letzte Änderung: 06.04.2020

Bangladesch – offizielle Bezeichnung Volksrepublik Bangladesch (People's Republic of Bangladesh / Ga?apraj?tantr? B??l?de?) ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Das Land befindet sich größtenteils in der Deltaebene, die durch die Mündung der Flüsse Ganges und Brahmaputra in den Golf von Bengalen (Indischer Ozean) gebildet wird. Nachbarstaaten sind Indien (Westen, Norden und Osten) und Myanmar (Südosten). Die Hauptstadt ist Dhaka (ca. 20 Millionen Einwohner). Auf einer Fläche von ca. 148.000 km² (CIA 13.3.2020) leben etwa 163 Millionen Einwohner (CIA 13.3.2020; vgl. GIZ 3.2020, AA 6.3.2020a). Bangladesch ist mit 1.127 Einwohnern pro Quadratkilometer, der am dichtesten besiedelte Flächenstaat der Welt (zum Vergleich: Österreich 104 Einwohner pro km²) (WPR o.D.; vgl. AA 6.3.2020a).

Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Der Premierminister ernennt die Regierungsmitglieder, die vom Präsidenten bestätigt werden. Nach Ende der fünfjährigen Legislaturperiode bildet der Präsident unter seiner Führung eine unabhängige Übergangsregierung, deren verfassungsmäßige Aufgabe es ist, innerhalb von 90 Tagen die Voraussetzungen für Neuwahlen zu schaffen (ÖB 8.2019; vgl. GIZ 11.2019a). Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).

Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300, in Einzelwahlkreisen auf fünf Jahre direkt gewählten, Abgeordneten (ÖB 8.2019) mit zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 11.3.2020; vgl. GIZ 11.2019a). Diese werden nicht direkt durch eine Wahl vergeben, sondern durch die Parteien, die es ins Parlament schaffen, nominiert (GIZ 11.2019a; vgl. USDOS 11.3.2020). Das Parlament tagt nicht während der Amtszeit der Übergangsregierung. Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der Bangladesch Nationalist Party (BNP) und der Awami League (AL) als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Während die konservative BNP Verbündete bei den islamistischen Parteien wie der Jamaat-e-Islami (JI) hat, bekommt die AL traditionell Unterstützung von linken und säkularen Parteien, wie der Arbeiterpartei, der liberaldemokratischen Partei, der national-sozialen Partei Jatiyo Samajtantrik Dal und jüngst auch von der Jatiya Partei, unter dem ehemaligen Militärdiktator Hossain Mohammad Ershad (ÖB 8.2019).

Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien, die „Awami League“ (AL) und „Bangladesh Nationalist Party“ (BNP) bestimmt (ÖB 8.2019). Klientelismus und Korruption sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 22.7.2019; vgl. DGVN 2016). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit geprägt haben (FH 2020).

Seit 2009 ist Sheikh Hasina Wazed von der Awami League (AL) Premierministerin (GIZ 11.2019a; vgl. ÖB 8.2019). Im Jänner 2019 wurde Sheikh Hasina für ihre vierte Amtszeit, die dritte Amtszeit in Folge, als Premierministerin angelobt. Im Februar 2019 gab sie bekannt, dass sie nach dieser Amtszeit an die „junge Generation“ übergeben wolle (DW 14.2.2019).

Bei den elften bangladeschischen Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die „Große Allianz“ um die regierende AL einen Erdrutschsieg mit 96 % der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitze (Guardian 30.12.2018; vgl. BN24 31.12.2018, DT 27.1.2019, DS 10.1.2019, DW 14.2.2019), wobei in zwei Wahlkreisen aufgrund von Gewalt (DS 10.1.2019) bzw. dem Tod eines Kandidaten Nachwahlen notwendig waren (DT 27.1.2019).

Es gibt Berichte über Wahlmanipulation. Die Opposition verurteilte die Wahl als „Farce“ und fordert die Annullierung des Ergebnisses und Neuwahlen. Die Regierungspartei weist die Manipulationsvorwürfe und Neuwahlforderungen zurück und nennt die Wahl „völlig frei und unabhängig“ (BBC 31.12.2018). In einer vorläufigen Bewertung erklärten Wahlbeobachter der SAARC (South Asian Association for Regional Cooperation), dass die Wahl „viel freier und fairer“ ablief als die vorherigen (Hindu 1.1.2019). Bereits im Vorfeld der Wahl kam es zu Gewalt zwischen rivalisierenden Anhängern und zu harten Vorgehen der Regierung (BBC 31.12.2018; vgl. Hindu 1.1.2019). Die Wahlen vom 30. Dezember 2018 waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020). Am Wahltag waren rund 600.000 Sicherheitskräfte, darunter Armee und paramilitärische Truppen, im Einsatz, um die Gewalt einzudämmen (Guardian 30.12.2018). Frühzeitig wurde die Wahl durch die Wahlkommission als frei und fair bezeichnet. Unregelmäßigkeiten wurden nicht untersucht. Stattdessen wurden Journalisten wegen ihrer Berichterstattung verhaftet (HRW 14.1.2020). Es wurden mindestens 17 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der regierenden Partei und der Opposition getötet (Reuters 1.1.2019).

Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a).

Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden, innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist (GIZ 11.2019a).

Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 8.2019). Die verfassungsändernde Mehrheit der AL im Parlament führt zu einer enormen Machtkonzentration. Gesetzesinitiativen schränken den Spielraum der Zivilgesellschaft weiter ein (ACCORD 12.2016). Die Ankündigung von PM Sheik Hasina, ein Tribunal einzusetzen, um erstmals die Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen im Unabhängigkeitskrieg 1971, aber auch für die Ermordung ihres Vaters und Staatsgründers Sheikh Rajibur Rahman 1975 sowie versuchte Mordanschläge auf ihr eigenes Leben 2004 zur Rechenschaft zu ziehen, stoßen in gewissen (pro-pakistanischen Kreisen) in Bangladesch auf heftigen Widerstand (ÖB 8.2019).

Die Kommunalwahlen 2019 fanden an fünf verschiedenen Wahltagen zwischen 10.3. und 18.6.2019 statt (bdnews24 20.6.2019; vgl. bdnews24 3.2.2019). Nachdem die BNP und einige andere Parteien die Wahlen boykottierten, wurde eine niedrige Wahlbeteiligung beobachtet (bdnews24 20.6.2019; vgl. DS 10.3.2019). Die Kandidaten der AL waren in 317 von 470 Upazillas [Landkreisen] siegreich, in 149 Upazillas gewannen unabhängige Kandidaten, die vorwiegend abtrünnige der Regierungsparteien sind. In 115 Upazillas gab es keine Gegenkandidaten (bdnews 20.6.2019). Für die Nachwahlen in insgesamt 8 Upazillas am 14.10.2019 kündigte die BNP jedoch eine Teilnahme an (PA 8.9.2019).

Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch: Das Land ist in acht Regionen (Divisions), 64 Bezirke (Districts), 92 Landkreise bzw. Großstädte (Upazilas / City Corporations), über 4.500 Gemeindeverbände (Union Councils / Municipalities) und circa 87.000 Dorfgemeinden gegliedert (ÖB 8.2019). Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 8.2019).

Quellen:

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?        ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (12.2016): Länderkurzübersicht Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/1047992/90_1485186416_122016-bangladesch.pdf, Zugriff 2.4.2020

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?        HRW - Human Rights Watch (13.12.2018): Bangladesh: Crackdown as Elections Loom, https://www.ecoi.net/de/dokumet/n1454483.html, Zugriff 6.4.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 24.3.2020

?        WPR – World Population Review (o.D.): World Countries by Population Density 2020, http://worldpopulationreview.com/countries/countries-by-density/. Zugriff 6.4.2020

2.       Sicherheitslage

Letzte Änderung: 06.04.2020

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League (AL) und die Bangladesch National Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende Awami-Liga (AL) hat ihre politische Macht durch die nachhaltige Einschüchterung der Opposition, wie auch jener mit ihr verbündet geltenden Kräfte, sowie der kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft ausgebaut (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nicht-staatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 22.7.2019).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 18.3.2020; vgl. AA 22.3.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 29.3.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). 2017 kam es zu fünf Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 18.3.2020; vgl. SATP 2.4.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna. Am 29.2.2020 erfolgte ein Anschlag auf die Polizei in Chittagong, bei welchem auch improvisierten Sprengkörper (IEDs) eingesetzt worden sind. Die bangladeschischen Behörden sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft und vereiteln geplante Angriffe. Es wurde eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen. Einige Operationen gegen mutmaßliche Militante haben ebenfalls zu Todesfällen geführt (UKFCO 29.3.2020b). Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; AA 27.7.2019). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. Sicherheitsbehörden reagieren manchmal nicht zeitnah bzw. überhaupt nicht auf religiös motivierte Vorfälle (AA 22.7.2019).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 22.3.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Es gibt Berichte über Sicherheitsprobleme, Protestkundgebungen sowie Gewalttätigkeiten und Unruhen sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch unter den Bewohnern der Lager, nachdem ein lokaler politischer Führer ermordet worden ist (HRW 18.9.2019; vgl. AA 5.11.2019, TDS 24.8.2019).

Im März 2019 wurden bei den Kommunalwahlen im Gebiet Baghicahhari im Norden des Distrikts Rangamati mehrere Wahl- und Sicherheitsbeamte getötet (UKFCO 29.3.2020a).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 29.3.2020a).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte ums Leben. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 263 Vorfälle terrorismus-relevanter Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 135 solcher Vorfälle verzeichnet und 2019 wurden 104 Vorfälle registriert. Bis zum 2.4.2020 wurden 29 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 2.4.2020).

In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 22.3.2020). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 22.7.2019; vgl. Kaipel 2018). Die Kriminalität ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 18.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (22.3.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 2.4.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 6.3.2019

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?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (18.3.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 2.4.2020

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Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 4.2.2020

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?        SATP - South Asia Terrorism Portal (2.4.2020): Data Sheet – Bangladesh,

Number of Terrorism Related Incidents Year Wise 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020

?        SATP - South Asia Terrorism Portal (2.4.2020): Data Sheet – Bangladesh,

Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020

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3.       Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 06.04.2020

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 8.2019).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 8.2019). Gemäß einer Verfassungsänderung können Richter abgesetzt werden (AA 22.7.2019).

Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“ Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zum Tode verurteilt (ÖB 8.2019).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (8.2019): Asylländerbericht Bangladesch

4.  

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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